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Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 09.06.2005 - 3 C 25/04 - Keine bestimmte Frist nach Betäubungsmittelmissbrauch für die Gutachten-Anordnung

BVerwG v. 09.06.2005: Keine bestimmte Frist nach Betäubungsmittelmissbrauch für die Gutachten-Anordnung


Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 09.06.2005 - 3 C 25/04) hat entschieden:
Die Anordnung, zur Klärung der Eignung eines Fahrerlaubnisinhabers zum Führen eines Kraftfahrzeuges gemäß § 14 Abs 2 Nr 2 FeV iVm § 46 FeV wegen nachgewiesenen Drogenkonsums ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, ist nicht an die Einhaltung einer festen Frist nach dem letzten erwiesenen Betäubungsmittelmissbrauch gebunden. Entscheidend ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere nach Art, Umfang und Dauer des Drogenkonsums, noch hinreichende Anhaltspunkte zur Begründung eines Gefahrenverdachts bestehen.


Siehe auch Stichwörter zum Thema medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU)


Zum Sachverhalt:

Der 1963 geborene Kläger erwarb am 23. April 1990 die Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alt). Das Polizeipräsidium W. teilte dem Beklagten durch Schreiben vom 25. April 2001 mit, dass gegen den Kläger ein Verfahren wegen Erwerbs und Besitzes von Kokain zum Eigenkonsum anhängig sei. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts L. vom 30. Mai 2001 wurde der Kläger wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln (Kokain) zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 90 DM verurteilt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hatte der Kläger in der Zeit von September 2000 bis März 2001 regelmäßig zwei- bis dreimal im Monat ein Gramm Kokain gekauft.

Mit Schreiben vom 10. Juli 2002 forderte der Beklagte den Kläger auf, bis zum 10. Oktober 2002 ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Klärung der Frage beizubringen, ob er noch Betäubungsmittel einnehme und ob er zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sei, obwohl er Betäubungsmittel eingenommen habe. Der Kläger hatte im Laufe des Verwaltungsverfahrens eingeräumt, "harte" Drogen konsumiert zu haben.

Gegen die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, wandte der Kläger ein, die Aufforderung sei rechtswidrig, da auch mittels eines Urintests festgestellt werden könne, dass er keine Drogen mehr konsumiere.

Daraufhin entzog ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis; Widerspruch, Klage, Berufung und auch seine Revision blieben erfolglos.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Voraussetzung der Entziehung ist, dass die Nichteignung positiv festgestellt wird. Bedenken an der Kraftfahreignung genügen nicht für die Entziehung der Fahrerlaubnis.

Wenn allerdings Tatsachen bekannt werden, die Bedenken an der Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen eines Kraftfahrzeuges begründen, hat die Fahrerlaubnisbehörde unter den in §§ 11 bis 14 FeV genannten Voraussetzungen durch die Anordnung der Vorlage von ärztlichen bzw. medizinisch-psychologischen Gutachten die Eignungszweifel aufzuklären (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 3 StVG i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV) und je nach Ergebnis der Eignungsuntersuchung in einem zweiten Schritt eine Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis zu treffen. Wenn sich der Betroffene weigert, sich untersuchen zu lassen oder das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt, darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV).

Der Schluss auf die Nichteignung ist nur zulässig, wenn die Anordnung der ärztlichen bzw. medizinisch-psychologischen Untersuchung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist. Diese Voraussetzungen hat das Bundesverwaltungsgericht zu § 15 b StVZO a.F. entwickelt (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 1985 - BVerwG 7 C 26.83 - BVerwGE 71, 93 <95>; Urteil vom 13. November 1997 - BVerwG 3 C 1.97 - Buchholz 442.16 § 15 b StVZO Nr. 28; Urteil vom 5. Juli 2001 - BVerwG 3 C 13.01 - Buchholz 442.16 § 15 b StVZO Nr. 29 S. 3). Sie sind auch bei der Anwendung der Fahrerlaubnis-Verordnung zu beachten (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht 37. Auflage 2003, § 11 FeV Rn. 24; Jagow in: Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht 17. Auflage 2002, § 3 StVG Rn. 7 e). Der Verordnungsgeber hat in der Begründung zu § 11 Abs. 8 FeV ausdrücklich auf die zur alten Rechtslage ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Bezug genommen (BRDrucks 443/98 S. 257).

2. Die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten über die Fahreignung des Klägers beizubringen, war rechtmäßig. Sie fand ihre Grundlage in § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV i.V.m. § 46 Abs. 3 FeV. Unmittelbar regelt § 14 FeV zwar nur die Klärung von Eignungszweifeln im Hinblick auf Betäubungsmittel und Arzneimittel im Rahmen der Erst- oder Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis. Nach § 46 Abs. 3 FeV finden die §§ 11 bis 14 aber entsprechend Anwendung, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet oder bedingt geeignet ist. Von dieser Bezugnahme ist auch § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV erfasst, der bestimmt, dass die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder die Verlängerung der Fahrerlaubnis anzuordnen ist, wenn zu klären ist, ob der Betroffene noch abhängig ist oder - ohne abhängig zu sein - weiterhin Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder psychoaktiv wirkende Stoffe einnimmt. Die Vorschrift schreibt bei Vorliegen ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen zwingend die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vor.

Dem Wortlaut nach reicht für die Anwendung des § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV, dass in der Vergangenheit ein Konsum harter Drogen - für den gelegentlichen Genuss von Cannabis enthält § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV eine Sonderregelung - entweder aufgrund einer Abhängigkeit oder ohne solche Abhängigkeit erfolgt ist. Das ergibt sich aus der Formulierung, es sei zu klären, ob weiterhin Betäubungsmittel eingenommen werden. Eine solche Fortsetzung der Einnahme setzt begrifflich voraus, dass jedenfalls nachweislich in der Vergangenheit ein Drogenkonsum stattgefunden hat.

Allerdings kann nicht jeder beliebig weit in der Vergangenheit liegende Drogenkonsum als Grundlage für die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens herangezogen werden. Das ergibt sich schon aus der Verweisungsnorm des § 46 Abs. 3 FeV, wonach Tatsachen bekannt geworden sein müssen, die Bedenken gegen die Kraftfahreignung des Betroffenen begründen. Der erfolgte Betäubungsmittelmissbrauch muss also nach Gewicht und unter zeitlichen Gesichtspunkten noch geeignet sein, die Kraftfahreignung in Zweifel zu ziehen. Das ergibt sich auch aus dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, greift in erheblicher Weise in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ein. Ihm wird zugemutet, anderen Einblick in Kernbereiche seiner Persönlichkeit zu geben. Ein solcher Eingriff ist nur gerechtfertigt, wenn er zur Abwehr einer bei realistischer Einschätzung tatsächlich bestehenden Gefahr notwendig ist. Es muss also eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass der Betroffene noch Drogen einnimmt oder jedenfalls rückfallgefährdet ist und sich dies auf sein Verhalten im Straßenverkehr auswirken kann.

Das in unterschiedliche Richtungen weisende Bemühen der Beteiligten und des Berufungsgerichts, schematisch feste Zeiten zu bestimmen, nach deren Ablauf ein Drogenkonsum im Rahmen des § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV unbeachtlich werden soll, wird dem Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Kontext der Drogenproblematik nicht gerecht. So meint der Kläger etwa, die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens sei unzulässig, wenn der Betroffene nach dem letzten Drogenkonsum ein Jahr lang keine Drogen zu sich genommen habe. Das Berufungsgericht zieht die Grenze insoweit bei 15 Monaten. Eine solche generalisierende Betrachtungsweise trägt den Gefahren, deren Bekämpfung § 14 Abs. 2 FeV dient, nicht hinreichend Rechnung. Erforderlich ist vielmehr eine Einzelfallbetrachtung unter Einbeziehung aller relevanten Umstände. Entscheidend ist, ob die gegebenen Verdachtsmomente noch einen Gefahrenverdacht begründen.

Von besonderem Gewicht ist insoweit Art und Ausmaß des früheren Drogenkonsums. Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob die Umstände die Annahme nahe legen, dass der Betroffene ein einziges Mal Drogen zu sich genommen hat, oder ob sich der Konsum über einige, unter Umständen sogar längere Zeit hingezogen hat. Auch die Art der konsumierten Droge und ihre Eignung, Abhängigkeit zu erzeugen, können ins Gewicht fallen. Vor diesem Hintergrund ist es eine prinzipiell von den zuständigen Behörden und den Tatsachengerichten zu beantwortende Frage, wie schwer der Gefahrenverdacht wiegt, der sich aus dem in der Vergangenheit erfolgten nachgewiesenen Drogenkonsum ergibt. Zu kurz greift insoweit die Argumentation des Klägers, dass sich die Frage eines gegenwärtigen Drogenkonsums durch eine das Persönlichkeitsrecht weniger beeinträchtigende ärztliche Untersuchung klären lasse. Jedenfalls bei einem über das einmalige Probieren hinausgehenden Betäubungsmittelmissbrauch ist die Frage, ob ein stabiler Einstellungswandel stattgefunden hat, für die Einschätzung der Gefahrensituation von entscheidender Bedeutung. Genau auf die Klärung dieser Frage zielt das in § 14 Abs. 2 FeV vorgesehene medizinisch-psychologische Gutachten.

3. Der Beklagte hat die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, und die durch die angefochtenen Bescheide erfolgte Entziehung der Fahrerlaubnis mit Art, Umfang und Dauer des Betäubungsmittelmissbrauchs durch den Kläger begründet. Das Berufungsgericht hat zwar das Schwergewicht seiner Argumentation darauf gelegt, dass der notwendige zeitliche Zusammenhang zwischen dem Drogenkonsum und der Gutachtenanforderung gegeben sei, weil die von ihm angenommene Verwertungsgrenze von 15 Monaten nicht überschritten sei. Es hat aber ersichtlich keinen Zweifel gehabt, dass abgesehen hiervon Art und Umfang des Drogenkonsums durch den Kläger auch angesichts der inzwischen verstrichenen Zeit Bedenken gegen die Fahreignung des Klägers begründen können.

Diese Einschätzung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat sieben Monate lang, wenn auch jeweils mit einem Abstand von zwei Wochen, Kokain und damit eine harte Droge zu sich genommen. Selbst wenn der Kläger, wie er behauptet, danach keine Drogen mehr genommen haben sollte, erscheint die Frage nach der Stabilität des Einstellungswandels durchaus berechtigt.

Ohne Belang ist für die vorliegende Entscheidung, dass inzwischen ein weitaus längerer Zeitraum verstrichen ist. Für den Erfolg der Anfechtungsklage ist entscheidend, ob die Gutachtenanordnung seinerzeit rechtmäßig erfolgt ist.

Da der Kläger die Beibringung des Gutachtens hiernach zu Unrecht verweigert hat, konnte der Beklagte nach § 11 Abs. 8 i.V.m. § 46 Abs. 3 FeV vom Fehlen seiner Kraftfahreignung ausgehen. ..."



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