Das Verkehrslexikon
Verwaltungsgericht Augsburg Beschluss vom 09.03.2005 - Au 3 S 05.167 - Keine MPU-Anordnung allein wegen hohen Alkoholkonsums
VG Augsburg v. 09.03.2005: Keine MPU-Anordnung allein wegen hohen Alkoholkonsums
Das Verwaltungsgericht Augsburg (Beschluss vom 09.03.2005 - Au 3 S 05.167) hat in einem Eilverfahren zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung folgendes entschieden:
Allein aus einem erheblichen Alkoholkonsum ohne jeden Bezug zum Straßenverkehr folgt grundsätzlich nicht die Verpflichtung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen.
Siehe auch Stichwörter zum Thema medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU)
Zum Sachverhalt: Die Beteiligten streiten um den Sofortvollzug des Entzugs der Fahrerlaubnis der Antragstellerin.
1. Die am 20. Juni 1958 geborene Antragstellerin ist im Besitz einer Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alte Klasseneinteilung). Am 20. August 2004 wurde die Antragstellerin von der Polizei bei Ehestreitigkeiten alkoholisiert angetroffen. Ein Atem- Alkoholtest ergab einen Wert von 1,22 mg/l. Nach Angaben der Polizei konnte die Antragstellerin trotz des erheblichen Alkoholisierungsgrades fast gerade laufen, sich mühelos artikulieren, zusammenhängende und logische Antworten geben. Da sie randaliert haben soll, wurde sie in ein Bezirkskrankenhaus eingewiesen.
Nach ihren Angaben sei dort eine halbe Stunde später eine Atem- Alkoholkonzentration von 1,8 mg/l gemessen worden. Es seien keine Entzugserscheinungen festgestellt worden. Die hohe Alkoholisierung sei auf Grund einer Ausnahmesituation entstanden. Sie habe in relativ kurzer Zeit eine Flasche Rotwein und zwei bis drei Gläser Cognac getrunken.
Mit Schreiben vom 29. September 2004 forderte der Antragsgegner von der Antragstellerin bis 15. November 2004 die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens. Auf Grund des erreichten hohen Alkoholisierungsgrades - 3 - müsse von einem Alkoholmissbrauch ausgegangen werden. Für den Fall der nicht fristgerechten Beibringung des Gutachtens wurde darauf hingewiesen, dass auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen werde.
Die Antragstellerin brachte das geforderte Fahreignungsgutachten nicht bei. Sie legte einen Bericht eines praktischen Arztes vom 30. Januar 2005 vor, nach dem sie sich inzwischen von ihrem früheren übermäßigen Alkoholgenuss, der zu den ganzen Vorfällen im Rahmen von Ehestreitigkeiten geführt habe, distanziert habe.
Sie habe immer zu Hause oder bei Freunden getrunken, jedoch nie in Verbindung mit der Teilnahme am Straßenverkehr. Sie habe im Verlauf der Therapie gelernt, sich von ihrem Ehemann zu distanzieren und dabei an Selbstbewusstsein gewonnen.
Sie verzichte nunmehr auf Alkohol.
2. Nach Anhörung erließ der Antragsgegner am 16. Februar 2005 einen Bescheid, mit dem in Nr. 1 der Antragstellerin die Fahrerlaubnis entzogen und das Recht aberkannt wurde, künftig von einer ausländischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen. In Nr. 2 wurde angeordnet, dass der Führerschein unverzüglich abzuliefern sei und in Nr. 3, dass ein Zwangsgeld in Höhe von 250,-- EUR zur Zahlung fällig werde, wenn das Dokument nicht innerhalb von sieben Tagen nach Zustellung des Bescheides abgeliefert werde. In Nr. 4 wurde die sofortige Vollziehung der Nr. 1 angeordnet. Die bei der Antragstellerin festgestellte hohe Atemalkoholkonzentration lasse auf eine Alkoholgewöhnung schließen. Zudem habe sie noch zusammenhängende und logische Antworten geben, sie habe auch fast gerade laufen können. Bei starkem Alkoholmissbrauch könne der Betroffene das Trennverhalten nicht mehr steuern. Alkoholabhängigkeit liege jedoch nicht vor. Da das zu Recht geforderte Fahreignungsgutachten nicht beigebracht worden sei, müsse die Fahrerlaubnis entzogen werden. Wegen des überragenden Interesses der Verkehrssicherheit sei die sofortige Vollziehung anzuordnen.
Am 23. Februar 2005 hat die Antragstellerin hiergegen Widerspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden ist.
Ihr Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hatte Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hat in vollem Umfang Erfolg.
1. Bei der dem Gericht im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO zukommenden Ermessensentscheidung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt werden soll, zu prüfen. Lässt sich schon bei summarischer Prüfung eindeutig feststellen, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und den Betroffenen in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), so dass - wie hier - der Widerspruch mit Sicherheit Erfolg haben wird, so kann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsaktes bestehen (vgl. Jörg Schmidt in Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, Rd.Nr. 69 ff. zu § 80). Der Entzug der Fahrerlaubnis erweist sich im Rahmen der Überprüfung im Eilverfahren als rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten.
2. Begründen Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch, so hat die Behörde nach § 46 Abs. 3, § 13 Nr. 2 lit. a) der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen. Die Fahrerlaubnisbehörde ist berechtigt, gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Ungeeignetheit des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu schließen, wenn sich der Betroffene weigert, sich untersuchen zu lassen oder das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt.
a) Die Forderung nach einem medizinisch-psychologischen Gutachten auf der Grundlage von § 13 Nr. 2 lit. a) FeV ist bei einem Alkoholmissbrauch ohne direkte Teilnahme am Straßenverkehr dann möglich, wenn der innere Zusammenhang zwischen Alkoholmissbrauch und Straßenverkehr erkennbar ist („... oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen.“) Das wurde bei einem Berufskraftfahrer (VG Sigmaringen vom 19.1.2001, DAR 2002, 94; VGH BW vom 24.6.2002, DAR 2002, 523) oder bei einem Taxifahrer (VGH BW vom 29.7.2002, DAR 2002, 570; a.A. OVG Saarl vom 18.9.2000, ZfS 2001, 92; HessVGH vom 9.11.2000, HessVG-Rsbr 2001, 93) bejaht, da diese Personen täglich am Straßenverkehr teilnehmen und damit ein Dauerkonflikt zwischen erheblichem Alkoholkonsum und dem Nüchternheitsgebot bei der Verkehrsteilnahme vorliegt. Aus dem Erreichen einer erheblichen Alkoholisierung ohne Verkehrsteilnahme sind nur dann Bedenken hinsichtlich eines Alkoholmissbrauchs im Sinne der Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV abzuleiten, wenn zu klären ist, ob der Führerscheininhaber die verkehrsrelevante Alkoholaufnahme und die Teilnahme am Straßenverkehr hinreichend sicher trennen kann. Entsprechend liegt bei einer Unfallflucht nach einem unter Alkoholeinfluss verursachten Unfall und sich anschließender erheblicher Alkoholisierung ein Umstand vor („Flucht in den Alkohol“), der nahe legt, dass der Fahrerlaubnisinhaber die Aufnahme erheblicher Alkoholmengen und die Teilnahme am Straßenverkehr nicht hinreichend sicher trennen kann (VGH BW vom 17.1.2000, DAR 2000, 181; VG Augsburg vom 11.5.2004, Au 3 K 04.58). Auch wer zuvor im Straßenverkehr mit Alkohol aufgefallen war und im privaten Bereich ohne Verkehrsteilnahme eine erhebliche Alkoholisierung erreicht, begründet ein solches Aufklärungsbedürfnis (VGH BW vom 22.1.2001, DAR 2001, 233). Bei dem zuletzt dargestellten Fall handelte es sich um eine Frau, die sich zur Nachtzeit in Begleitung eines 4-jährigen Kindes in erheblich alkoholisiertem Zustand in einem Lokal aufgehalten hatte; sie war jedoch bereits früher mit einer BAK von 1,79 Promille im Straßenverkehr aufgefallen. Diese frühere Auffälligkeit berechtigt zu der Frage, ob sie auch derzeit zwischen einem erheblichen Alkoholkonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeuges trennen kann. Das Gericht teilt nicht die Auffassung, dass die Feststellung einer erheblichen Alkoholisierung - die für sich genommen noch nicht die Annahme von Alkoholabhängigkeit nahelegt (vgl. hierzu Nr. 3.11.2 der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, zitiert nach Schubert, u.a. Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, Kommentar, 1. Aufl. 2002, Nr. 3.11.2, S. 96; vgl. hierzu auch BayVGH vom 20.12.2002, 11 CS 03.3412) -die Straßenverkehrsbehörde dazu berechtigt, Zweifel am Trennvermögen zwischen erheblichem Alkoholkonsum und der Teilnahme am Straßenverkehr zu hegen. Soweit sich der Antragsgegner auf das Urteil des VG Minden vom 27. Februar 2002 (3 K 1764/02, Juris-Dokument MWRE 111440200) beruft, wird verkannt, dass in dem Fall nicht nur eine erhebliche BAK von 2,13 Promille festgestellt wurde, sondern zusätzliche Umstände, die die Vermutung begründeten, der Kläger als Beifahrer könne erheblichen Alkoholkonsum und das Führen eines Kraftfahrzeuges nicht hinreichend sicher trennen. Zwar war im dortigen Fall der Betroffene nur Beifahrer. Er hatte aber seiner stark alkoholisierten Ehefrau das Fahrzeug überlassen, dessen Halter er war, zu deren unerlaubten Entfernen vom Unfallort Beihilfe geleistet und damit zugleich seine Eigenschaft als Verkehrsteilnehmer begründet. Er fuhr nicht als Unbeteiligter in dem von seiner Ehefrau gesteuerten Kraftfahrzeug mit. Als Halter war er vielmehr verpflichtet, die Lenkung des Kraftfahrzeuges durch seine Ehefrau sowie deren nachfolgende Unfallflucht zu unterbinden.
Bestätigt werden diese Überlegungen auch dadurch, dass ein Gutachten zur Aufklärung eines Eignungsmangels nur dann gefordert werden kann, wenn tatsächliche Feststellungen zugrunde liegen, die einen solchen Mangel als naheliegend erscheinen lassen (BVerfG vom 24.6.1993, BVerfGE 89, 69; BVerwG vom 5.7.2001, NJW 2002, 78). Nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV liegt Alkoholmissbrauch vor, wenn der Inhaber einer Fahrerlaubnis das Führen eines Kraftfahrzeuges und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann, ohne bereits alkoholabhängig zu sein. Nur wenn Tatsachen einen solchen Mangel als naheliegend erscheinen lassen, ist die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 13 Nr. 2 lit. a) FeV gerechtfertigt, die erheblich in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingreift (BVerfGE, a.a.O.). Das bedingt, dass Tatsachen vorliegen müssen, die Zweifel auch hinsichtlich des Trennvermögens als begründet erscheinen lassen. Eine bloße hohe Alkoholisierung reicht hierzu nicht aus. Es müssen vielmehr Umstände hinzutreten, die die Annahme rechtfertigen, dass der Betreffende einen erheblichen Alkoholkonsum und das Führen eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr nicht hinreichend sicher trennen kann (so auch: BayVGH vom 20.12.2004, a.a.O.).
b) Nach den dargestellten Grundsätzen bestand bei der Antragstellerin keine Berechtigung, nach § 13 Nr. 2 lit. a) FeV ein Fahreignungsgutachten zu fordern.
Sie hat zwar eine erhebliche Atemalkoholkonzentration erreicht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Grenzwerte für die den Blutalkoholkonzentrationen entsprechenden Atemalkoholkonzentrationen vom Gesetzgeber bewusst etwas höher angesetzt wurden und zu einer gewissen Besserstellung gegenüber der Blutalkoholanalyse führen (zu § 24 a Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes – StVG: BGH vom 3.4.2001, NJW 2001, 1952). Die bei der Antragstellerin festgestellte Atemalkoholkonzentration von 1,22 mg/l liegt weit über dem Grenzwert, der in § 13 Nr. 2 lit. c) FeV für die Beibringung eines Fahreignungsgutachtens genannt ist, wenn mit dieser Atemalkoholkonzentration ein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt wurde. Das hat die Antragstellerin aber nicht verwirklicht.
Auch ansonsten sind keinerlei Anhaltspunkte dafür gegeben, dass sie zwischen einer erheblichen Alkoholisierung und der Teilnahme am Straßenverkehr nicht trennen könnte. Der Antragsgegner hat keinerlei entsprechende Auffälligkeiten bzw. Verkehrsauffälligkeiten der Antragstellerin überhaupt ermittelt. Zudem wurde - wie die Antragstellerin vorträgt - die erhebliche Alkoholisierung im Rahmen einer häuslichen Konfliktsituation erreicht, bei der sie sich in einer emotionalen Ausnahmelage befand. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Stellungnahme des Arztes vom 30. Januar 2005. Darin ist festgehalten, dass die Antragstellerin im Verlauf der über mehrere Jahre vorhandenen Eheproblematik einen übermäßigen Alkoholgenuss entwickelt habe, der in dem Vorfall vom 20.
August 2004 gegipfelt hätte. Eine Verbindung mit der Teilnahme am Straßenverkehr sei nie gegeben gewesen. Die Alkoholproblematik habe sie aber überwunden.
c) Wenn auch bei der Antragstellerin eine erhebliche Alkoholisierung festgestellt wurde, so fehlt es doch an hinreichenden Hinweisen darauf, dass bei ihr bereits eine Alkoholabhängigkeit vorliegt (vgl. hierzu: BayVGH vom 20.12.2004, a.a.O.). Zur Abklärung von Alkoholabhängigkeit ist nach § 13 Nr. 1 FeV auch ein ärztliches Gutachten anzuordnen. Der Antragsgegner geht auch nicht von einer möglichen Alkoholabhängigkeit der Antragstellerin aus.
3. Ungeachtet des Umstands, dass der Entzug der Fahrerlaubnis zu Unrecht erfolgt ist, besteht auch kein Bedürfnis dafür, dass in Nr. 1 Satz 2 des Bescheids der Antragstellerin untersagt wird, künftig von einer ausländischen Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen. Es ist kein Anhalt dafür gegeben, dass sie im Besitz einer solchen Fahrerlaubnis ist.
4. Die Pflicht zur Ablieferung des Führerscheines ist ein verfahrensrechtlicher Annex zum Entzug der Fahrerlaubnis, was die Regelung in § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV für den Fall verdeutlicht, dass der Entzug der Fahrerlaubnis für sofort vollziehbar erklärt wurde (VG Augsburg vom 29.12.2003, Au 3 S 03.1988). Die Pflicht zur sofortigen Ablieferung des Führerscheins folgt aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG. Der Betroffene ist zur Ablieferung verpflichtet, sobald die Entziehung der Fahrerlaubnis wirksam wird (Bouska/Laeverenz, Fahrerlaubnisrecht, 3. Auflage 2004, Anmerkung 19 zu § 3 StVG). Da die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit insoweit ins Leere ginge, ist auch kein Raum für eine Wiederherstellung oder Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs. ..."