Das Verkehrslexikon
Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss vom 29.11.2005 - 1 B 495/05 - Zur MPU-Anordnung nach Alkoholfahrt eines Radfahrers mit mehr als 1,6 ‰
VG Magdeburg v. 29.11.2005: Zur MPU-Anordnung nach Alkoholfahrt eines Radfahrers mit mehr als 1,6 ‰
Das Verwaltungsgericht Magdeburg (Beschluss vom 29.11.2005 - 1 B 495/05) hat entschieden:
Auch die erstmalige Teilnahme eines Fahrradfahrers am Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,39 Promille lässt Zweifel an der Kraftfahreignung aufkommen, die die Straßenverkehrsbehörde berechtigt, eine Begutachtung durch ein MPU-Gutachten zu fordern. Die Vorlage einer Bescheinigung des Arbeitsmedizinischen Dienstes der Berufsgenossenschaft reicht nicht.
Siehe auch Stichwörter zum Thema medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU)
Zum Sachverhalt:
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 21.11.2005, mit dem der Antragsgegner dem Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis der Klassen 3, 4 u. 5 entzog und von ihm die Ablieferung des Führerscheins fünf Tage nach Zustellung des Bescheides verlangte.
Der Antragsteller hatte am 12.06.2005 in A-Stadt ein Fahrrad im Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 2,39 Promille geführt. Das von der Staatsanwaltschaft A-Stadt eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 153 a Abs. 1 StPO vorläufig gegen Zahlung eines Geldbetrages in Höhe von 100,00 Euro eingestellt (763 Js 23234/05).
Den Führerschein der Klassen 3, 4 u. 5 besitzt der Antragsteller seit dem 07.02.1994.
Nachdem der Antragsgegnerin von der Staatsanwaltschaft die Ermittlungsakte übersandt worden war, forderte diese der Antragsteller mit Verfügung vom 28.09.2005 auf, sich bei einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung bis zum 10.11.2005 begutachten zu lassen, da Zweifel an der Fahreignung durch den Vorfall vom 12.06.2005 entstanden seien.
Nachdem der Antragsteller das geforderte Gutachten nicht vorgelegt, vielmehr eine ärztliche Bescheinigung des Arbeitsmedizinischen Dienstes der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft/Zentrum A-Stadt, A-Stadt, vom 21.10.2005 vorgelegt hatte, entzog die Antragsgegnerin ihm mit Bescheid vom 21.11.2005 gemäß § 3 StVG i. V. m. § 46 FeV die Fahrerlaubnis wegen Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen und ordnete diesbezüglich die sofortige Vollziehung an.
Am 24.11.2005 hat der Antragsteller um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht, wobei das Gericht davon ausgeht, dass der Antragsteller auch Widerspruch gegen den Bescheid bei der Antragsgegnerin eingelegt hat.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Der Eilantrag hat keinen Erfolg.
Die Fahrerlaubnisentziehung beruht auf § 3 Abs. 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 S. 1 FeV. Erweist sich danach der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, hat ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen. Mithin ist die Entziehung zwingend vorgeschrieben und steht nicht im Ermessen der Behörde.
Dabei ist die Entziehung der Fahrerlaubnis eine Sicherungsmaßnahme, die dazu dient, die Allgemeinheit vor Gefährdungen durch ungeeignete Fahrzeugführer zu schützen. Da der Straßenverkehr hohe Risiken für Leben, Gesundheit und Eigentum vieler Bürger birgt, ist eine präventive Kontrolle von Fahrerlaubnisinhabern, wie sie in § 46 Abs. 1 S. 1 FeV vorgesehen ist, verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich. Für die Rechtmäßigkeit der Verfügung, die die Entziehung der Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung bestehende Sach- und Rechtslage maßgebend.
Werden im Hinblick auf die Fahreignung eines Fahrerlaubnisinhabers der Fahrerlaubnisbehörde Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung. Diese Voraussetzungen lagen beim Antragsteller im Hinblick auf die Entziehung der Fahrerlaubnis vor (§ 46 Abs. 3 FeV).
Aufgrund der Trunkenheitsfahrt des Antragstellers mit einer BAK von 2,39 g o/oo durfte die Antragsgegnerin berechtigte Zweifel an der Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen hegen, auch wenn der Antragsteller nicht wiederholt, sondern erstmalig und nicht als Kraftfahrer, sondern als Radfahrer aufgefallen war. Denn § 46 Abs. 3 FeV i. V. m. § 13 Nr. 2 c FeV bestimmt, dass bezüglich der Klärung von Eignungszweifeln bei Alkohlproblematik (zwingend) ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,3 g o/oo oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde. Dabei unterscheidet § 13 Nr. 2 c FeV auch nicht zwischen Erst- und Mehrfachtätern. Die Vorschrift stellt auch nicht darauf ab, dass ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt wurde. Entscheidend ist vielmehr, dass es sich um ein Fahrzeug handelt. Mit dieser Regel trägt der Verordnungsgeber der Erkenntnis Rechnung, dass die Teilnahme am Straßenverkehr mit jedem Fahrzeug in erheblich alkoholisiertem Zustand eine Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs darstellt. Dieser Einschätzung liegt der Gedanke des § 316 StGB zugrunde, der Trunkenheitsfahrten mit jedem Fahrzeug, nicht nur mit einem Kraftfahrzeug, unter Strafe stellt.
War danach die Antragsgegnerin gehalten, über den Antragsteller ein medizinisch-psychologischs Gutachten bezüglich seiner Fahreignung einzuholen, durfte sie die Fahrerlaubnis entziehen, nachdem der Antragsteller der Anordnung, ein MPU-Gutachten unter Fristsetzung über sich erstellen zu lassen, nicht nachgekommen war. Diesbezüglich bestimmt § 11 Abs. 8 FeV, dass in dem Fall, dass sich der Betroffene weigert, sich untersuchen zu lassen, oder er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihm geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt, die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung, ob der Betroffene zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist, auf die Nichteignung des Betroffenen schließen darf. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass nach § 13 Abs. 2 c FeV, der gemäß § 46 Abs. 3 FeV auch für die Entziehung von Fahrerlaubnissen gilt, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn u. a. ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer BAK von 1,6 g o/oo oder mehr geführt wurde. Der Antragsteller entgeht vor diesem Hintergrund mithin nur dann der Entziehung der Fahrerlaubnis, wenn er hinsichtlich seiner Fahreignung ein positives medizinisch-psychologisches Gutachten beibringt und die Entziehung gerechtfertigt ist, solange nicht durch ein positives MPU-Gutachten jeder vernünftige Zweifel, der durch die Trunkenheitsfahrt des Antragstellers hervorgerufen wurde, beseitigt ist, der Antragsteller sei zur Kraftfahrzeugführung ungeeignet. Ein solches Gutachten hat der Antragsteller bis dato nicht beigebracht, dies geht zu seinen Lasten. Auf die Folgen der Nichtbeibringung eines MPU-Gutachtens ist er zudem mit Verfügung vom 28.09.2005 hingewiesen worden.
Die vom Antragsteller vorgelegte ärztliche Bescheinigung des Arbeitsmedizinischen Dienstes der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft/Zentrum A-Stadt vom 21.10.2005 stellt kein solches MPU-Gutachten dar und ist dementsprechend nicht geeignet, gemessen an den gesetzlichen Anforderungen für die Beurteilung der Fahreignung des Antragstellers herangezogen werden zu können.
Greifen danach die vom Antragsteller erhobenen Einwendungen nicht, kommt es auch nicht darauf an, aus welchen Gründen der Antragsteller sich einer MPU-Begutachtung nicht gestellt hat, da die Antragsgegnerin allein durch die Nichtvorlage eines solchen Gutachtens gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers schließen darf. Auch schuldhaftes Verhalten des Antragstellers oder auf außerhalb der Begutachtung liegende Gründe, wie z. B. fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit, das Gutachten zu bezahlen, kommt es mithin nicht an. ..."