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Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 13.11.1997 - 3 C 1/97 - Zur teilweisen Rechtmäßiglkeit einer medizinisch-psychologischen Untersuchung

BVerwG v. 13.11.1997: Zur teilweisen Rechtmäßiglkeit einer medizinisch-psychologischen Untersuchung


Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 13.11.1997 - 3 C 1/97) hat entschieden:
Der Rückschluß auf die fehlende Eignung eines Fahrerlaubnisinhabers ist dann nicht gerechtfertigt, wenn die Anordnung der Straßenverkehrsbehörde auf Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle nur bezüglich der psychologischen Untersuchung Rechtens ist.


Siehe auch Stichwörter zum Thema medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU)


Zum Sachverhalt: Der 1947 geborene Kläger ist Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse 3. Im Februar 1994 erhielt der beklagte Landkreis Kenntnis von einem polizeilichen Bericht, ausweislich dessen der Kläger am 14. Oktober 1993 eine 22jährige Autofahrerin tätlich angegriffen habe, weil diese ihm die Ausfahrt versperrt habe. Die Geschädigte bekundete, daß sie nach Aufschließen einer Sperrkette ihr Fahrzeug geparkt habe. Als sie nach Beendigung ihrer Arbeit habe wegfahren wollen, sei der Kläger plötzlich auf sie zugeschossen, habe sie angeschrien, als Schlampe betitelt und ständig mit der flachen Hand auf sie eingeschlagen. Der Kläger habe sich wie von Sinnen benommen. Auch nachdem sie sich mit ihrem Pkw in den Verkehr auf der Straße habe einfädeln wollen, sei der Kläger aus seinem Fahrzeug ausgestiegen, habe auf ihrem Wagen herumgetrommelt, ihre Fahrertür aufgerissen und sie wiederum geschlagen.

Der Kläger ist am Tattag dem Amtsarzt vorgestellt worden. Die Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 0,51 %o. Der Amtsarzt veranlaßte die umgehende Einweisung des Klägers in eine psychiatrische Fachklinik. Dort hielt sich der Kläger wegen des Verdachts einer manischen Psychose 5 Wochen lang auf. Im Februar 1997 fragte der Beklagte bei dem Amtsarzt unter Hinweis auf das inzwischen gegen den Kläger eingeleitete staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren an, ob Zweifel an der Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestünden und welche Maßnahmen evtl. erforderlich seien. Am 14. Februar 1994 teilte der Amtsarzt mit, der Vorfall vom 14. Oktober 1993 lasse aus psychiatrischer Sicht den Schluß zu, daß beim Kläger Einstellungs- und Anpassungsmängel vorlägen und erhebliche Zweifel an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen begründet seien.

Daraufhin ordnete der Beklagte die Durchführung einer medizinisch- psychologischen Untersuchung an. Im März 1994 erklärte der Kläger sein Einverständnis mit der Erstellung eines Gutachtens über seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen durch das Medizinisch-psychologische Institut bei der Technischen Prüfstelle für den Kraftfahrzeugverkehr in K.

Eine Untersuchung des Klägers erfolgte jedoch nicht, da er den vom Untersuchungsinstitut angeforderten Kostenvorschuß nicht entrichtete. Der Kläger trat mehrfach an den Beklagten heran mit dem Hinweis, daß der Kostenvorschuß wegen seiner finanziellen Situation nicht gezahlt werden könne, er aber weiterhin bereit sei, sich untersuchen zu lassen.

Klage und Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts blieben erfolglos.

Die Revision des Klägers blieb ebenfalls erfolglos.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Revision ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend die Berufung des Klägers zurückgewiesen (§ 144 Abs. 4 VwGO). Das angefochtene Urteil beruht zwar auf einer Verletzung des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO), nämlich des § 15 b Abs. 2 StVZO; es stellt sich aber im Ergebnis aus anderen Gründen als richtig dar.

Das Berufungsgericht hat zutreffenderweise die Ermächtigungsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis in § 4 Abs. 1 1. Halbsatz StVG gesehen, dessen Wortlaut § 15 b Abs. 1 Satz 1 StVZO wiederholt. Auch ist der Ansatz des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden, die Ungeeignetheit eines Kraftfahrers zum Führen eines Kraftfahrzeugs könne sich daraus ergeben, daß er der Anordnung der beklagten Straßenverkehrsbehörde auf Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle nach § 15 b Abs. 2 Satz 1 StVZO ohne ausreichenden Grund nicht nachkommt. Denn es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, daß der Schluß von der Nichtbefolgung einer derartigen behördlichen Anordnung auf die Nichteignung eines Kraftfahrers seine Grundlage in der Verletzung der dem Verkehrsteilnehmer nach § 15 b Abs. 2 StVZO obliegenden Mitwirkungspflicht hat; dieser hat zur Klärung der Zweifel beizutragen, die an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen (vgl. Urteile vom 2. Dezember 1960 - BVerwG VII C 43.59 - BVerwGE 11, 274 <275>, vom 12. März 1985 - BVerwG VII C 26.83 - NJW 1985 S. 2490 und vom 27. September 1995 - BVerwG 11 C 34.94 - DVBl 1996, 165 <166>).

Entzieht sich ein betroffener Kraftfahrer trotz berechtigter Zweifel der angeordneten Eignungsuntersuchung, darf folglich die Verkehrsbehörde aus der Nichtvorlage des Gutachtens grundsätzlich auf die fehlende Kraftfahreignung schließen (vgl. etwa Urteile vom 15. Juli 1988 - BVerwG 7 C 46.87 - BVerwGE 80, 43 <45>, vom 15. Dezember 1989 - BVerwG 7 C 52.88 - Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 87 und vom 17. Mai 1995 - BVerwG 11 C 2.94 - DVBl 1996 S. 163 f.). Dies setzt allerdings voraus, daß die Anordnung der Untersuchung rechtmäßig, insbesondere anlaßbezogen und verhältnismäßig war. Entspricht das von der Behörde aufgegebene Mittel diesen Voraussetzungen nicht, so darf sich der betroffene Kraftfahrer weigern, der Untersuchungsaufforderung Folge zu leisten, ohne mit nachteiligen Folgen rechnen zu müssen. Ihm kann dann nicht vorgeworfen werden, nicht das Seinige dazu beigetragen zu haben, um die berechtigten Zweifel aufzuklären. Eine Verletzung der Mitwirkungspflicht liegt nämlich nicht vor, wenn die Behörde ein - ganz oder teilweise - ungeeignetes Mittel zur Aufklärung etwaiger Eignungszweifel gewählt hat. Daraus folgt im vorliegenden Fall, daß aus der Nichtvorlage des angeforderten Gutachtens nur dann auf die mangelnde Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen werden durfte, wenn eine medizinisch-psychologische Begutachtung geboten war. Wäre hingegen davon auszugehen, daß die Anordnung einer psychologischen Untersuchung ausgereicht hätte, so wäre der Kläger berechtigt gewesen, die an ihn gerichtete Anordnung gänzlich außer acht zu lassen.

Angesichts dessen hätte das Berufungsgericht die Frage nicht offenlassen dürfen, ob die Gutachtenanforderung insoweit rechtswidrig war, als sie vom Kläger eine medizinische Begutachtung verlangt hat. Die davon abweichende Rechtsansicht des Berufungsgerichts verletzt mithin Bundesrecht.

Das Urteil des Berufungsgerichts stellt sich aber aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig dar. Der Beklagte hat nämlich berechtigterweise aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte Zweifel an der Kraftfahreignung des Klägers auch in medizinischer Hinsicht angenommen, die nur durch Einholung eines medizinisch- psychologischen Gutachtens hätten ausgeräumt werden können.

Nach dem feststehenden Sachverhalt sowie dem Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten, die das Berufungsgericht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht hat, liegen im Falle des Klägers konkrete tatsächliche Anhaltspunkte selbst in medizinischer Hinsicht vor, die zu berechtigten Zweifeln an seiner Kraftfahreignung geführt haben. Diese Zweifel ergeben sich aus dem fünfwöchigen Aufenthalt des Klägers in einer psychiatrischen Fachklinik "wegen des Verdachts auf eine manische Psychose". Die Einweisung in diese Klinik hatte der Amtsarzt unmittelbar im Anschluß an den Vorfall am 14. Oktober 1993 veranlaßt. Diese amtsärztliche Annahme weckt erhebliche Zweifel in psychosomatischer Hinsicht. Sie werden noch verstärkt durch die Empfehlung des Amtsarztes vom Februar 1994. Danach sollte der Kläger trotz des fünfwöchigen Klinikaufenthalts noch einer Begutachtung durch eine amtlich anerkannte medizinisch-psychologische Untersuchungsstelle unterzogen werden.

Die vom Beklagten angeordnete Überprüfung durch Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ist ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel, um gerade die konkret entstandenen Eignungszweifel aufzuklären. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts steht im vorliegenden Fall die Geeignetheit der Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens eines Medizinisch-psychologischen Instituts (MPI-Gutachten) außer Zweifel. Es kann seinem Wesen nach zur Erreichung des von § 15 b Abs. 2 StVZO intendierten Schutzes der Allgemeinheit vor den Risiken für Leben, Gesundheit und Eigentum durch den Straßenverkehr objektiv beitragen. Die Anordnung der Beibringung eines MPI-Gutachtens war auch erforderlich. Es gibt kein milderes Mittel, um das angestrebte Ziel der Aufklärung der aufgetretenen Eignungsmängel mit gleicher Wirksamkeit zu erreichen. § 15 b Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 StVZO sieht u.a. die Beibringung eines amts- oder fachärztlichen Gutachtens, eines Gutachtens einer amtlich anerkannten medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle oder eines Gutachtens eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr vor. Das MPI-Gutachten hat in seinem medizinischen Teil den allgemeinen Gesundheitszustand, den Bewegungsapparat, das Nervensystem, die psychische Verfassung, in seinem psychologischen Teil den Lebenslauf, die Ausbildung, den Beruf und charakterliche Fragen sowie die Leistungsfähigkeit, das Verhalten unter Leistungsdruck, Schnelligkeit und Genauigkeit und Reaktionsvermögen zum Gegenstand (vgl. BVerfG, Beschluß vom 24. Juni 1993 - 1 BvR 689/92 - NJW 1993, S. 2365 <2366>).

Der Beklagte hat daher zu Recht angenommen, daß bei dem Kläger nicht nur eine psychologische Untersuchung, sondern auch eine medizinische Begutachtung erforderlich ist.

Auch der ursprünglich erhobene Einwand des Klägers, er habe die finanziellen Mittel für eine Untersuchung nicht aufbringen können, greift nicht durch. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß ein Kraftfahrer, der von einer berechtigten Beweisanordnung der Behörde nach § 15 b Abs. 2 StVZO betroffen ist, das geforderte Gutachten auf seine Kosten beizubringen hat. Er selbst ist der Auftraggeber und Veranlasser des Gutachtens und damit Kostenschuldner. "Das ist die Folge der Beibringungslast, die § 15 b Abs. 2 StVZO dem Betreffenden auferlegt. Das Gesetz mutet ihm diese Kosten ebenso zu, wie es ihm zumutet, die Kosten zu zahlen, die zum verkehrssicheren Führen des Fahrzeugs notwendig sind" (Urteil vom 12. März 1985 - BVerwG 7 C 26.83 - NJW 1985, S. 2490 <2491>). Der vorliegende Fall gibt keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.

Für das Vorliegen ganz besonderer Umstände, die es ausnahmsweise unzumutbar erscheinen lassen könnten, einen mittellosen Kraftfahrer mit den aufgezeigten Konsequenzen zu belasten, hat der Kläger nichts vorgetragen; hierfür sind nach dem Akteninhalt auch keine Anhaltspunkte ersichtlich. ..."



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