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OVG Münster Beschluss vom 14.05.1997 - 19 B 687/97 - Zur Zulässigkeit einer MPU-Anordnung gegen den Halter eines Kfz

OVG Münster v. 14.05.1997: Zur Zulässigkeit einer MPU-Anordnung gegen den Halter eines Kfz, der selbst keine Verkehrsverstöße begeht


Das OVG Münster (Beschluss vom 14.05.1997 - 19 B 687/97) hat entschieden:
Auch ein Halter eines Kraftfahrzeugs, der selbst keine Verkehrsverstöße begeht, aber durch zahlreiche ihm zugehende Bußgeldbescheide erfährt, daß Personen, die sein Fahrzeug benutzen, laufend gegen Verkehrsvorschriften verstoßen, und der dagegen nichts unternimmt, zeigt charakterliche Mängel, die ihn selbst als einen ungeeigneten Verkehrsteilnehmer ausweisen können und die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung rechtfertigen.


Siehe auch Stichwörter zum Thema medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU)


Zum Sachverhalt: Nachdem die Antragstellerin mit 28 Zuwiderhandlungen gegen Parkverbotsvorschriften im Verkehrszentralregister eingetragen war, forderte der Antragsgegner sie zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens über ihre Kraftfahreignung auf. Die Antragstellerin verweigerte dies und berief sich darauf, daß einer ihrer Söhne das Auto in allen Fällen gefahren und auch die Bußgelder bezahlt habe; sie selbst fahre ein anderes Fahrzeug. Ausweislich eines Aktenvermerks glaubte der Antragsgegner ihr zunächst dieses Vorbringen, zumal er festgestellt hatte, daß das Fahrzeug, mit dem die Verstöße begangen worden waren, zwischenzeitlich auf den Sohn C. der Antragstellerin umgeschrieben worden war. Als die Antragstellerin der Aufforderung des Antragsgegners zur Benennung desjenigen ihrer Söhne, der die Verstöße begangen habe, nicht nachkam, entzog der Antragsgegner ihr die Fahrerlaubnis und ordnete die sofortige Vollziehung an.

Das VG entsprach ihrem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des von ihr gegen die Entziehungsverfügung erhobenen Widerspruchs. Das OVG ließ die Beschwerde des Antragsgegners zu und wies sie zurück.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die angefochtene Fahrerlaubnisentziehungsverfügung ist in dem für die Entscheidung maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt nicht offensichtlich rechtmäßig. Vielmehr sprechen erhebliche Gründe für ihre Rechtswidrigkeit.

Rechtsgrundlage der Fahrerlaubnisentziehungsverfügung ist § 4 Abs. 1 StVG i.V.m. § 15 b Abs. 1 Satz 1 StVZO. Nach diesen Bestimmungen muß die Verwaltungsbehörde die Fahrerlaubnis entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach ständiger Rechtsprechung
vgl. OVG NW, Urteil vom 25.11.1994 - 19 A 1782/94 - m.w. N.
darf auf die Ungeeignetheit eines Kraftfahrers zum Führen von Kraftfahrzeugen dann geschlossen werden, wenn er sich einer aufgrund von Zweifeln an seiner Kraftfahreignung zu Recht angeordneten Begutachtung ohne zureichenden Grund nicht unterzieht. Diese Voraussetzungen sind hier bei summarischer Prüfung nicht erfüllt. Die an die Antragstellerin ergangene Aufforderung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ist nach der zum gegenwärtigen Zeitpunkt bestehenden Sach- und Rechtslage nicht gerechtfertigt. Nach § 15b Abs. 2 Nr. 2 StVZO ist Voraussetzung für die im Ermessen der Verwaltungsbehörde stehende Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, daß Anlaß zur Annahme besteht, daß der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet und die angeordnete Untersuchung zur Behebung der Zweifel erforderlich ist (vgl. § 15b Abs. 2 Satz 1 StVZO). Hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte, die Zweifel an der Kraftfahreignung der Antragstellerin begründen, fehlen hier.

Ein Anlaß zur Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ist beispielsweise gegeben, wenn der Kraftfahrer wiederholt durch verkehrswidriges Verhalten aufgefallen ist und dadurch berechtigte Zweifel am Fortbestand seiner Eignung in gesundheitlicher und charakterlicher Hinsicht begründet hat.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.3.1982 - 7 C 69.81 -, Buchholz, 442.10 § 4 StVG Nr. 63.
Solche Zweifel ergeben sich aus den 28 zu Lasten der Antragstellerin im Verkehrszentralregister eingetragenen und verwertbaren Zuwiderhandlungen gegen Parkverbotsvorschriften jedoch noch nicht. Nach summarischer Prüfung sprechen hier erhebliche Umstände dafür, daß die Antragstellerin, wie sie vorträgt, diese Verstöße nicht begangen hat und daß eine Wiederholung solcher Verstöße in beträchtlicher Anzahl mit Kraftfahrzeugen, deren Halterin die Antragstellerin ist, nicht zu befürchten ist.

Zwar muß ein Kraftfahrer bei der Überprüfung seiner Kraftfahreignung im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren grundsätzlich die Feststellungen gegen sich gelten lassen, die in rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidungen und in bestandskräftigen Bußgeldbescheiden getroffen worden sind, sofern sich nicht gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit dieser Feststellungen ergeben.
Vgl. BVerwG, Beschluß vom 12.1.1977 - VII B 190.76 -, Buchholz a.a.O. Nr. 51 und Beschluß vom 3.9.1992 - 11 B 22.92 -, Buchholz a.a.O. Nr. 88.
Letzteres ist hier aber der Fall. Dafür, daß die Antragstellerin die ihr in den bestandskräftigen Bußgeldbescheiden zur Last gelegten Verstöße gegen Parkverbotsvorschriften nicht bzw. nicht allesamt selbst begangen hat, sprechen folgende Umstände: Die Antragstellerin hat sich nach der ihr erteilten Verwarnung schon in ihrer ersten Stellungnahme darauf berufen, daß einer ihrer Söhne das Auto in allen Fällen gefahren und auch die Bußgelder bezahlt habe. Vorbehaltlich einer Auswertung der Bußgeldakten im Hauptverfahren kann ihr dieser Vortrag geglaubt werden, zumal auch der Antragsgegner ihr - jedenfalls zunächst - geglaubt und zudem festgestellt hat, daß das Fahrzeug, mit dem die Verstöße begangen wurden, zwischenzeitlich auf den Sohn C. der Antragstellerin umgeschrieben wurde und wegen weiterer nach dieser Ummeldung festgestellter Verkehrsverstöße Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen diesen Sohn eingeleitet worden sind.

Nach der Rechtsprechung des BVerwG
vgl. Urteil vom 17.12.1976 - VII C 57.75 -, Buchholz a.a. O. Nr. 49 = DÖV 1977, 602 f.
und des erkennenden Senats
vgl. OVG NW, Urteil vom 15.9.1989 - 19 A 622/89 -
zeigt zwar auch ein Halter eines Fahrzeugs, der selbst keine Verkehrsverstöße begeht, aber durch zahlreiche ihm zugehende Bußgeldbescheide erfährt, daß Personen, die sein Fahrzeug benutzen, laufend gegen die Verkehrsvorschriften verstoßen, und der dagegen nichts unternimmt, weil er keine Rechtsmittel gegen die Bußgeldbescheide ergreift und auch nicht die Überlassung des Fahrzeugs an die jeweiligen Täter von Ordnungswidrigkeiten verweigert, charakterliche Mängel, die ihn selbst als einen ungeeigneten Verkehrsteilnehmer ausweisen können. Daß diese die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung rechtfertigenden Umstände im Falle der Antragstellerin vorliegen, ist aber gegenwärtig nicht ersichtlich. Es muß der Auswertung der Bußgeldakten im weiteren Verfahren vorbehalten bleiben, ob die Bußgeldbescheide der Antragstellerin überhaupt persönlich zugegangen sind und ob sie selbst - oder, wie sie behauptet, ihr Sohn - für die Zahlung der Bußgelder gesorgt hat. Jedenfalls hat sie insofern dafür Sorge getragen, daß kaum noch weitere Verstöße gegen Parkverbotsvorschriften mit ihren Kraftfahrzeugen vorkommen, als sie ihr Kraftfahrzeug auf ihren Sohn, der es ihren Angaben zufolge zuvor schon ständig benutzt hat, hat umschreiben lassen. Demzufolge ist nach der Zustellung der Verwarnung an die Antragstellerin persönlich auch nur noch ein einziger Verstoß gegen Parkverbotsvorschriften mit einem Fahrzeug der Antragstellerin aktenkundig geworden. Dieser Umstand zeigt, daß die Antragstellerin aus der ihr erteilten Verwarnung Konsequenzen gezogen hat.

Charakterliche Mängel, die aus einer Mißachtung dieser Verwarnung herzuleiten wären und eine Überprüfung der Kraftfahreignung durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung erforderlich machen würden, sind nach alledem gegenwärtig im Falle der Antragstellerin nicht ersichtlich.

Eine von den Erfolgsaussichten des Widerspruchs und einer nachfolgenden Klage, die Anlaß zur Auswertung der Bußgeldakten gibt, unabhängige Interessenabwägung geht - insbesondere angesichts der Unterlassung vermehrter weiterer Parkverbotsverstöße nach der Verwarnung der Antragstellerin - zu ihren Gunsten aus. Jedenfalls ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ersichtlich, daß durch die weitere Teilnahme der Antragstellerin am motorisierten Straßenverkehr Rechtsgüter anderer Verkehrsteilnehmer gefährdet werden könnten. ..."



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