Das Verkehrslexikon
OVG Lüneburg Beschluss vom 29.01.2007 - 12 ME 416/06 - Zum Entzug der Fahrerlaubnis eines Taxifahrers bei Verdacht der Alkoholabhängigkeit
OVG Lüneburg v. 29.01.2007: Zur MPU-Anordnung bei Alkoholproblematik auf Grund von Angaben von Famlienangehörigen eines Taxifahrers
Das OVG Lüneburg (Beschluss vom 29.01.2007 - 12 ME 416/06) hat entschieden:
Wird ein Berufskraftfahrer (hier: Taxifahrer) von Familienangehörigen detailliert dahingehend belastet, dass er alkoholabhängig sei, dann handelt es sich um Tatsachen, die es rechtfertigen, durch eine MPU-Anordnung dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, die Fahreignungszweifel zu beseitigen bzw. im Weigerungsfall seine Fahrerlaubnis zu entziehen.
Siehe auch Stichwörter zum Thema medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU)
Zum Sachverhalt: Ausweislich eines polizeilichen Einsatzberichtes vom 31. Mai 2006, den das Polizeikommissariat D. dem Antragsgegner übermittelte, bat der 21-jährige Sohn des Antragstellers am Abend des 31. Mai 2006 um ein polizeiliches Einschreiten, da es zu Streitigkeiten mit seinem Vater, dem Antragsteller, gekommen sei. Beim Eintreffen der Polizeibeamten in der Familienwohnung des Antragstellers hielten sich dort sein Sohn und seine Ehefrau auf. Nach deren Angaben hatte der Antragsteller die Wohnung nach dem Streit alkohol beeinflusst verlassen. Die Ehefrau und der Sohn des Antragstellers berichteten, dass dieser regelmäßig Alkohol konsumiere und dies auch am Vorfallstag getan habe. Die Ehefrau zeigte den Beamten eine leere Flasche Kümmerling (0,7 l). Die Familienangehörigen des Antragstellers berichteten weiter, dieser fahre morgens mit dem Zug nach Bremen, um seiner Arbeit als Taxifahrer nachzugehen. Abends komme er bereits alkoholisiert zurück. Der Antragsteller trinke auch dann, wenn er nachts aufstehe. Die Ehefrau des Antragstellers habe mit dessen Arbeitgeber telefoniert, um die vorübergehende Suspendierung ihres Ehemannes mit dem Ziel zu erreichen, dass dieser zu der Einsicht kommen solle, nicht weiter zu trinken. Der Arbeitgeber des Antragstellers habe jedoch seine Zufriedenheit mit der Arbeitsleistung des Antragstellers bekundet.
Unter dem 14. Juni 2006 ordnete der Antragsgegner unter Verweis auf den Inhalt des Berichts des Polizeikommissariats D. vom 31. Mai 2006 an, dass der Antragsteller ein medizinisch-psychologisches Gutachten über seine Fahreignung beizubringen habe. Der Antragsteller gab die für die Durchführung der Untersuchung erforderliche Erklärung seines Einverständnisses binnen der ihm hierfür von dem Antragsgegner gesetzten Frist nicht ab. Daraufhin entzog ihm der Antragsgegner mit Bescheid vom 5. September 2006 unter Verweis auf die Vorschriften der §§ 3 Abs. 1 StVG, 46, 11 Abs. 6 bis 8 FeV die Fahrerlaubnis und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Entscheidung an.
Zugleich mit der hiergegen gerichteten Klage hat der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag ab.
Die dagegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers war erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Der Antragsteller macht geltend, bei den in dem Polizeibericht vom 31. Mai 2006 wiedergegebenen Einlassungen seiner Ehefrau und seines Sohnes handele es sich nicht um Tatsachen im Sinne des § 13 Nr. 2 Buchst. a) 2. Alt. FeV, sondern um unüberprüfte und nicht nachprüfbare Behauptungen aus dritter Hand, die nicht direkt in das Verfahren eingeführt worden seien. Selbst wenn man diese Behauptungen als Tatsachen werten wolle, könnten sie nicht die Annahme eines Alkoholmissbrauchs im Sinne der genannten Vorschrift rechtfertigen, da aus ihnen nicht auf die Menge und die Art des angeblich genossenen Alkohols geschlossen werden könne. Auch die Angaben seines, des Antragstellers, ehemaligen Arbeitgebers sprächen gegen die Annahme eines Alkoholmissbrauchs. Der Antragsteller bezieht sich insoweit auf ein zur Gerichtsakte gereichtes Schreiben des Taxibetreibers E., in dem es heißt, der Antragsteller sei in der Zeit vom 15. März 2005 bis zum 31. August 2006 im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung als Taxifahrer tätig gewesen. Während dieser Zeit habe er seinen Dienst stets zur Zufriedenheit des Arbeitgebers verrichtet und sich immer dienstleistungsfreudig und pünktlich seinen Aufgaben gestellt.
Diese Einwendungen des Antragstellers, auf deren Überprüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, können der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Durch sie werden Bedenken an der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, der Antragsgegner habe auf der Grundlage des § 13 Nr. 2 Buchst. a) 2. Alt. FeV zu Recht die Beibringung des von dem Antragsteller verweigerten medizinisch-psychologischen Gutachtens gefordert, nicht begründet.
Ein solches Eignungsgutachten ist nach § 13 Nr. 2 Buchst. a) 2. Alt FeV beizubringen, wenn Tatsachen die Annahme des Alkoholmissbrauchs - d. h. des Unvermögens zur zuverlässigen Trennung eines die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsums und des Führens von Kraftfahrzeugen (vgl. Nr. 8.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung) - begründen. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats erfasst die Vorschrift entsprechend ihrer Auffangfunktion nicht nur ein alkoholkonsumbedingtes Fehlverhalten im Straßenverkehr, sondern gestattet auch die Berücksichtigung nicht straßenverkehrsbezogener Alkoholauffälligkeiten (Beschlüsse des Senats vom 22.11.2002 - 12 ME 770/02 -, 24.11.2004 - 12 ME 418/04 - und 21.9.2005 - 12 LA 9/05 -; ebenso: VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 22.1.2001 - 10 S 2032/00 -, DAR 2001, 233 und 24.6.2002 - 10 S 985/02 -, zfs. 2002, 504, 506 f; wohl auch: Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl. 2005, § 13 FeV, Rn. 4; enger, einen Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr fordernd: OVG des Saarlandes, Beschluss vom 18.9.2000, 9 W 5/00, zfs. 2001, 92; Hess. VGH, Beschluss vom 9.11.2000 - 2 TG 3571/00 -, juris). In diesen Fällen besteht Anlass zur Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung dann, wenn deutliche Indizien für eine weit überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung des Betroffenen vorliegen und außerdem weitere tatsächliche Umstände festzustellen sind, die die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen (so zutreffend: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 24.6.2002, a.a.O.).
Dass der Antragsteller regelmäßig Alkohol konsumiert und bei ihm eine überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung vorliegt, ergibt sich eindrucksvoll aus den Angaben, die seine Ehefrau und sein Sohn am 31. Mai 2006 gegenüber den Beamten des Polizeikommissariats D. gemacht haben. Das Verwaltungsgericht hat diese Angaben - wie zuvor bereits die mit dem Vorgang befassten Polizeibeamten - zu Recht für glaubhaft erachtet. Es hat sich dabei entscheidend auf den Gesichtspunkt gestützt, dass die Familienangehörigen des Antragstellers kein Interesse daran haben konnten, diesen durch unwahre Behauptungen zu belasten, da ihnen bewusst gewesen sein musste, dass sie mit ihren Ausführungen die berufliche Tätigkeit des Antragstellers als Taxifahrer und dadurch auch das Familieneinkommen gefährdeten. Zu dieser überzeugenden Würdigung der Angaben seiner Ehefrau seines Sohnes verhält sich der Antragsteller in der Begründung seiner Beschwerde nicht. Es geht ins Leere, wenn er stattdessen pauschal einwendet, das Verwaltungsgericht habe sich auf unüberprüfte und nicht nachprüfbare Behauptungen aus dritter Hand bezogen. Für seine Behauptung, bei ihm lägen Tatsachen, die die Annahme eines Alkoholmissbrauchs begründeten, nicht vor, kann sich der Antragsteller auch nicht auf das von ihm beigebrachte Zeugnis seines Arbeitgebers vom 26. September 2006 stützen. Denn in diesem ist nur von der allgemeinen Zufriedenheit des Arbeitgebers mit den Diensten des Antragstellers die Rede, hingegen wird auf die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens eines Alkoholproblems nicht eingegangen, obwohl dies nach der Vorgeschichte nahegelegen hätte.
Vor dem Hintergrund der danach anzunehmenden Alkoholgewöhnung des Antragstellers wird im Sinne des § 13 Nr. 2 Buchst. a) 2. Alt FeV die Annahme, dass bei ihm ein Alkoholmissbrauch vorliegt, entscheidend durch den Umstand gestützt, dass er bis kurz vor Erlass der angefochtenen Fahrerlaubnisentziehungsverfügung als Taxifahrer und damit als Berufskraftfahrer tätig war und davon auszugehen ist, dass er diesen Beruf auch künftig (wieder) ausüben will. Hiervon ist das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen. Dieser Umstand, auf den der Antragsteller in der Begründung seiner Beschwerde nicht eingeht, legt die Einschätzung nahe, dass der Antragsteller häufig und fortlaufend dem Konflikt ausgesetzt sein wird, entweder seinen beruflichen Verpflichtungen nicht nachzukommen oder aber in - aufgrund vorhergehenden Alkoholkonsums - noch fahruntüchtigem Zustand am Straßenverkehr teilzunehmen. Befindet sich ein Fahrerlaubnisinhaber häufig in einer solchen greifbaren Konfliktsituation, besteht berechtigter Anlass zur eingehenden Prüfung, ob er willens und in der Lage ist, stets von einem mit der Sicherheit des Straßenverkehrs unvereinbaren Konsum von Alkohol abzusehen (vgl. hierzu: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 24.6.2002, a.a.O.). Dies gilt umso mehr, als die Ehefrau und der Sohn des Antragstellers angegeben haben, dieser komme abends bereits alkoholisiert von seiner Arbeit in Bremen zurück. ..."