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Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Urteil vom 02.03.2007 - 7 K 1604/06 - Bei Menschen, die dazu in der Lage sind, soviel Alkohol zu konsumieren, dass sie eine BAK von 2,24 Prom. erreichen, besteht immer Anlass zu der Annahme, dass sie ein Alkoholproblem haben
VG Gelsenkirchen v. 02.03.2007: Bei Menschen, die dazu in der Lage sind, soviel Alkohol zu konsumieren, dass sie eine BAK von 2,24 Prom. erreichen, besteht immer Anlass zu der Annahme, dass sie ein Alkoholproblem haben
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (Urteil vom 02.03.2007 - 7 K 1604/06) hat entschieden:
Bei Menschen, die dazu in der Lage sind, soviel Alkohol zu konsumieren, dass sie eine BAK von 2,24 Prom. erreichen, besteht immer Anlass zu der Annahme, dass sie ein Alkoholproblem haben, und dies begründet jedenfalls dann, wenn sie in alkoholisiertem Zustand ein Kraftfahrzeug geführt haben, immer Bedenken an ihrer Kraftfahreignung. Ausgeräumt werden können solche Bedenken nur durch eine im Ergebnis positive medizinisch- psychologische Begutachtung.
Siehe auch Stichwörter zum Thema medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU)
Zum Sachverhalt: Der 71 Jahre alte Kläger besitzt seit 1955 eine Fahrerlaubnis.
Er führte in der Nacht vom 23. auf den 24. Dezember 2004 kurz vor Mitternacht in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand seinen PKW in I. . Die ihm um 01:14 Uhr entnommene Blutprobe hatte eine Blutalkoholkonzentration von 2,24 v.T.. Deshalb wurde er durch Urteil des Amtsgerichts N. vom 21. Oktober 2005 - 22 Ds 49 Js 94/05 - wegen fahrlässigen Vollrausches zu einer Geldstrafe in Höhe von vierzig Tagessätzen verurteilt; außerdem wurde ein Fahrverbot von drei Monaten verhängt. Nach den Gründen des Urteils konnte das Gericht nicht ausschließen, dass die festgestellte Alkoholkonzentration "bei dem nicht an Alkohol gewöhnten Kläger" zur Schuldunfähigkeit geführt hatte. Es hielt die Verhängung eines Fahrverbots für angemessen und ausreichend, da dem Kläger der Führerschein bereits seit neun Monaten entzogen war und ihn eine Entziehung der Fahrerlaubnis für weitere drei Monate im Hinblick auf die in vergleichbaren Fällen üblicherweise verhängte Sperrfrist von insgesamt neun Monaten unverhältnismäßig benachteiligt hätte.
Mit Schreiben vom 5. Januar 2006 forderte der Beklagte den Kläger gemäß § 13 Nr. 2 c) i. V. m. den §§ 11 ff., 20 und 46 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) auf, bis zum 5. März 2006 das Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen. Zur Begründung führte der Beklagte aus, es bestünden erhebliche Bedenken gegen die Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen; nach Erkenntnissen der Alkoholismusforschung könne nämlich ein "Geselligkeitstrinker" alkoholische Getränke bis zu einer Blutalkoholkonzentration von maximal 1,3 v.T. zu sich nehmen; bei Personen, die Blutalkoholwerte von 1,6 v.T. und mehr erreichten, sei bereits von einer dauerhaften Alkoholproblematik auszugehen. Zur Klärung der Frage, ob im Falle des Klägers zukünftig weitere Fahrten unter Alkoholeinfluss zu erwarten seien, sei die Durchführung der Untersuchung notwendig. Wenn der Kläger sich weigere, sich untersuchen zu lassen, oder das Gutachten nicht fristgemäß vorlege, könne gemäß § 11 Abs. 8 FeV die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen als erwiesen angesehen und die Fahrerlaubnis entzogen werden. Zunächst sei es erforderlich, dass der Kläger innerhalb von zehn Tagen sein Einverständnis mit der Begutachtung erkläre.
Mit Schreiben vom 13. Januar 2006 erhob der Kläger Gegenvorstellungen, auf die der Beklagte mit Schreiben vom 18. Januar 2006 antwortete und ihm eine Frist bis zum 26. Januar 2006 für die Abgabe der Einverständniserklärung setzte. Mit Schreiben vom 26. Januar 2006 bat der Kläger den Beklagten unter Darlegung seiner Rechtsauffassung, von der Anordnung der Begutachtung abzusehen und das Entziehungsverfahren einzustellen.
Daraufhin entzog der Beklagte mit Ordnungsverfügung vom 6. Februar 2006 die Fahrerlaubnis und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Verfügung an. Den Widerspruch des Klägers wies die Bezirksregierung N1. mit Widerspruchsbescheid vom 27. April 2006 zurück.
Einen am 10. April 2006 beim erkennenden Gericht gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Rechtsmittel lehnte das erkennende Gericht mit Beschluss vom 14. Juni 2006 (7 L 512/06) ab. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Antragstellers wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in N1. mit Beschluss vom 18. Juli 2006 (16 B 1332/06) zurück.
Mit Schriftsatz vom 24. Mai 2006 hat der Kläger am 29. Mai 2006 rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, § 11 Abs. 8 FeV sei nicht anwendbar, weil die Voraussetzungen des § 46 Abs. 3 FeV nicht vorlägen. Es bestünden nämlich keine Bedenken mehr an seiner Kraftfahreignung; insbesondere sei er nicht alkoholgewöhnt. Dies habe auch das Amtsgericht in seinem Urteil so gesehen. Daran seien die Fahrerlaubnisbehörde und das Verwaltungsgericht gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 1. Alternative StVG gebunden. Bei dem Vorfall am Vorabend des Heiligen Abends 2004 habe es sich um einen Einzelfall gehandelt. Im Übrigen sei ihm für die Vorlage des Gutachtens eine Frist zum 5. März 2006 gesetzt worden, die Entziehung der Fahrerlaubnis sei aber bereits durch Verfügung vom 6. Februar 2006 erfolgt.
Die Klage blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet; die Fahrerlaubnisentziehungsverfügung des Beklagten vom 6. Februar 2006 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung N1. vom 27. April 2006 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Begründung der angefochtenen Bescheide, der das Gericht folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO), sowie auf die Gründe des Beschlusses des Gerichts im zugehörigen Eilverfahren 7 L 512/06 vom 14. Juni 2006 und der Beschwerdeentscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Juli 2006 (16 B 1332/06) verwiesen. Darin wird im Einzelnen ausgeführt, dass und warum die Entziehung der Fahrerlaubnis im vorliegenden Fall rechtmäßig war.
Ergänzend wird im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung auf Folgendes hingewiesen: Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Klagen gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis wie bei Anfechtungsklagen üblich der Erlass der letzten Verwaltungsentscheidung, d. h. im vorliegenden Fall der Erlass des Widerspruchsbescheides Ende April 2006. Zu diesem Zeitpunkt war die dem Kläger ursprünglich gesetzte Frist für die Vorlage des Gutachtens bereits abgelaufen. Er hatte auch schon zuvor im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Eilverfahren mehrfach deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er die Aufforderung nicht für berechtigt hielt. Daraus hat der Beklagte zu Recht darauf geschlossen, der Kläger weigere sich, seine Kraftfahreignung begutachten zu lassen. Die Frage, wie alkoholgewöhnt der Kläger ist, oder war, ob er also bei einer Blutalkoholkonzentration von 2,24 v.T. noch oder nicht mehr schuldfähig war, ist für die Frage der Rechtmäßigkeit der Gutachtensaufforderung ohne Bedeutung. Fest steht, dass er so viel Alkohol zu sich nehmen konnte, dass er eine Blutalkoholkonzentration von 2,24 v.T. erreicht hat. Bei Menschen, die dazu in der Lage sind, besteht immer Anlass zu der Annahme, dass sie ein Alkoholproblem haben, und dies begründet jedenfalls dann, wenn sie in alkoholisiertem Zustand ein Kraftfahrzeug geführt haben, immer Bedenken an ihrer Kraftfahreignung. Ausgeräumt werden können solche Bedenken nur durch eine im Ergebnis positive medizinisch- psychologische Begutachtung. Darin unterscheiden sich die Verwaltungsverfahren bei Wiedererteilung und Entziehung der Fahrerlaubnis nicht voneinander. Dies sicher zu stellen, ist gerade Sinn des § 46 FeV. ..."