Das Verkehrslexikon
OVG Münster Beschluss vom 04.07.2007 - 16 B 666/07 - Zu den Auswirkungen falscher Angaben des Betroffenen bei der medizinisch-psychologischen Begutachtung
OVG Münster v. 04.07.2007: Zu den Auswirkungen falscher Angaben des Betroffenen bei der medizinisch-psychologischen Begutachtung
Das OVG Münster (Beschluss vom 04.07.2007 - 16 B 666/07) hat entschieden:
Die im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung wahrheitswidrige Angabe eines Fahrerlaubnisbewerbers, seit der letzten aktenkundigen Verkehrsauffälligkeit sei nichts mehr vorgefallen, er habe also m.a.W. keine weiteren (relevanten) Verkehrsverstöße begangen, kann die Aussagekraft eines die Kraftfahreignung bejahenden Gutachtens ernsthaft infrage stellen, weil sie dem Gutachter eine falsche Tatsachengrundlage für die Erstellung des Gutachtens liefert.
Siehe auch Stichwörter zum Thema medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU)
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die auf die im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) ergibt nicht, dass das Verwaltungsgericht den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt hätte. Das Vorbringen des Antragstellers zeigt keine Anhaltspunkte dafür auf, dass die Einschätzung des Verwaltungsgerichts unzutreffend sei, das medizinisch- psychologische Gutachten vom 20. Oktober 2006 sei auf Grund eines wegen falscher Angaben des Antragstellers fehlerhaft festgestellten Sachverhalts zu einer nicht nachvollziehbaren Beurteilung seiner Kraftfahreignung gelangt, an die der Antragsgegner nicht gebunden sei.
Der Antragsteller macht ohne Erfolg geltend, dass die (Neu-) Erteilung der Fahrerlaubnis nicht mit der Begründung versagt werden könne, er habe im Rahmen der medizinisch-psychologischen Begutachtung am 11. Oktober 2006 wahrheitswidrig verschwiegen, dass es nach dem Verkehrsverstoß vom 16. Februar 2005 (Fahren ohne Fahrerlaubnis) noch zu einem weiteren Verkehrsverstoß gekommen sei (wiederum Fahren ohne Fahrerlaubnis am 29. Mai 2006). Insoweit beruft sich der Antragsteller darauf, dass die Tat vom 29. Mai 2006 noch nicht rechtskräftig abgeurteilt sei, sodass sie gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG bei der Entziehung einer Fahrerlaubnis (noch) nicht hätte berücksichtigt werden dürfen. Nichts anderes könne aber “im nahezu identischen Fall” der beantragten Neuerteilung der Fahrerlaubnis gelten, weshalb die Fahrerlaubnisbehörde den Umstand eines anhängigen Strafverfahrens nicht zu Lasten des Betreffenden im Rahmen der Entscheidung über die Neuerteilung der Fahrerlaubnis berücksichtigen dürfe. Eine wahrheitswidrige Antwort könne dem Antragsteller daher nicht entgegen gehalten werden, zumal nicht erwartet werden könne, dass er in Unkenntnis, ob auf Grund des Vorfalls vom 29. Mai 2006 ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet worden sei und wieweit die Ermittlungen bereits fortgeschritten gewesen seien, sich in pauschaler Weise selbst der Begehung einer Straftat bezichtigte. Zudem gelte im Strafrecht die Unschuldsvermutung und es müsse sich auch niemand selbst belasten. Schließlich werde bestritten, dass die wahrheitswidrige Antwort Einfluss auf das dem Antragsteller günstige Ergebnis der medizinisch-psychologischen Untersuchung gehabt hätte. Denn Untersuchungsgegenstand sei nicht die Frage der in der Vergangenheit begangenen Verkehrsverstöße gewesen, sondern vielmehr, ob künftige erhebliche Verkehrsverstöße von dem Antragsteller zu erwarten seien. Hierfür spiele es aber keine nennenswerte Rolle, ob er sich in der Vergangenheit einen Verkehrsverstoß mehr oder weniger habe zu Schulden kommen lassen.
Der Hinweis des Antragstellers auf die Vorschrift des § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG geht fehl, weil es sich bei der (Neu-) Erteilung der Fahrerlaubnis nicht um einen im Verhältnis zur Fahrerlaubnisentziehung “nahezu identischen Fall” handelt. Bei der Entziehung der Fahrerlaubnis obliegt es der Straßenverkehrsbehörde, die hierfür maßgebenden Gründe, etwa die mangelnde Kraftfahreignung des Fahrerlaubnisinhabers (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG), darzutun; sie hat den Nachteil einer etwaigen Unerweislichkeit dieser Umstände zu tragen. Demgegenüber ist es bei der (Neu-) Erteilung der Fahrerlaubnis Sache des Fahrerlaubnisbewerbers, seine Kraftfahreignung (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 4 StVG) darzulegen, wobei er den Nachteil der Unerweislichkeit der Eignungsvoraussetzungen zu tragen hat. Es besteht keine Eignungsvermutung, d.h. die Erteilung der Fahrerlaubnis ist zu versagen, wenn die Eignung nicht positiv festgestellt werden kann.
Vgl. Dauer, in: Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl. 2007, § 2 StVG Rn. 7; vgl. in diesem Zusammenhang zum verwaltungsprozessualen Amtsermittlungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 VwGO OVG NRW, Beschluss vom 14. September 2001 – 19 E 267/01 – S. 7 (für den verwaltungsbehördlichen Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 VwVfG NRW gilt nichts Abweichendes).
Demnach muss die Fahrerlaubnisbehörde im Rahmen des Verfahrens auf (Neu-) Erteilung einer Fahrerlaubnis alle ihr bekannt gewordenen Tatsachen berücksichtigen, die Einfluss auf die Beurteilung der Kraftfahreignung haben. In diesem Zusammenhang entfaltet auch ein laufendes Strafverfahren keine Sperrwirkung hinsichtlich der zu berücksichtigenden Tatsachen. Denn es kommt nicht auf einen im Rahmen eines Strafverfahrens ermittelten Sachverhalt, sondern nur darauf an, ob begründete Zweifel an der Kraftfahreignung bestehen. Liegen solche vor, ist die Erteilung der Fahrerlaubnis zu versagen. Dabei ist nicht allein maßgebend, ob der Fahrerlaubnisbewerber etwa im Rahmen einer von der Fahrerlaubnisbehörde angeordneten medizinisch-psychologischen Untersuchung wahrheitswidrige Angaben gemacht hat. Vielmehr können sich Eignungszweifel auch aus Umständen ergeben, die der Fahrerlaubnisbehörde außerhalb eines Begutachtungsverfahrens bekannt geworden sind, wie etwa durch eine Mitteilung über ein laufendes Ermittlungsverfahren. Dass das vorliegend in Rede stehende Fahren ohne Fahrerlaubnis je nach den Umständen des Falles derartige Eignungszweifel begründen kann, bedarf keiner weiteren Darlegung. Fehl geht die Auffassung des Antragstellers, die zukunftsgerichtete Beurteilung der Kraftfahreignung eines Fahrerlaubnisbewerbers hänge nicht davon ab, ob er in der Vergangenheit einen Verkehrsverstoß mehr oder weniger begangen habe. Vielmehr sind das in der Vergangenheit an den Tag gelegte (Verkehrs-) Verhalten des Fahrerlaubnisbewerbers und seine hierzu entwickelte Einstellung maßgebliche Kriterien zur Beurteilung seiner Kraftfahreignung (vgl. nur etwa § 4 Abs. 10 Satz 3 StVG oder § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV).
Die im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung wahrheitswidrige Angabe eines Fahrerlaubnisbewerbers, seit der letzten aktenkundigen Verkehrsauffälligkeit sei nichts mehr vorgefallen, er habe also m.a.W. keine weiteren (relevanten) Verkehrsverstöße begangen, kann die Aussagekraft eines die Kraftfahreignung bejahenden Gutachtens ernsthaft infrage stellen, weil sie dem Gutachter eine falsche Tatsachengrundlage für die Erstellung des Gutachtens liefert. In diesem Zusammenhang hilft auch der Hinweis des Antragstellers auf die strafrechtliche Unschuldsvermutung nicht weiter. Während diese sinngemäß zum Inhalt hat, dass der Betreffende als unschuldig gilt, solange nicht ein (strafrechtlich relevantes) Fehlverhalten nachgewiesen werden kann, hat der Fahrerlaubnisbewerber – wie gezeigt – selber seine Kraftfahreignung darzulegen und ggf. zu beweisen. Hierbei geht es auch nicht darum, dass ihm angesonnen wird, sich selbst einer ggf. strafbaren Handlung zu bezichtigen und sich damit u.U. einem nachfolgenden Strafverfahren auszusetzen. Vor dem Hintergrund, dass der Fahrerlaubnisbewerber seine Kraftfahreignung darzulegen hat, kann und muss im übergeordneten Interesse der Verkehrssicherheit aber von ihm erwartet werden, dass er jedenfalls keine wahrheitswidrigen Angaben macht. Will er sich dabei nicht selber etwa der Begehung einer Straftat bezichtigen, kann er z.B. die Antwort auf eine entsprechende Frage verweigern und somit offen legen, dass er an diesem Punkt nicht in dem von dem Gutachter für erforderlich gehaltenen Umfang an der Überprüfung seiner Kraftfahreignung mitwirken will. Darüber hinaus ist in Betracht zu ziehen, dass er dem Gutachter einen ihm zur Last gelegten Verkehrsverstoß einschließlich der möglicherweise von ihm insoweit vorgebrachten Einwände eröffnet. Der Gutachter kann diese Umstände sodann bei der Erstellung des Gutachtens berücksichtigen, und zwar in Abhängigkeit von der Relevanz, die der Beantwortung der Frage für die Beurteilung der Kraftfahreignung beizumessen ist.
Darüber hinaus ist anzumerken, dass für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis vorliegend die Vorschrift des § 4 Abs. 11 StVG zu beachten sein dürfte, nachdem der Antragsgegner die Fahrerlaubnis des Antragstellers mit Ordnungsverfügung vom 1. Februar 2006 wegen Nichtteilnahme an einem angeordneten Aufbauseminar entzogen hat (§ 4 Abs. 7 StVG). In einem solchen Fall ist die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis abhängig von der nachgeholten Teilnahme an einem Aufbauseminar. Daran fehlt es vorliegend, weshalb auch insoweit ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist. ..."