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OLG Frankfurt am Main Urteil vom 08.12.1994 - 16 U 233/93 -

OLG Frankfurt am Main v. 08.12.1994: Zu Mietwagenkosten, Eigenersparnis und Vollkaskoanteil


Das OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 08.12.1994 - 16 U 233/93) hat entschieden:
  1. Der Geschädigte ist nicht verpflichtet, das günstigste Mietwagenunternehmen oder den günstigsten Tarif herauszufinden. Solange die von ihm aufgewendeten Kosten nicht deutlich aus dem Rahmen fallen, sind sie ihm auch dann zu ersetzen, wenn er es unterlassen hat, Konkurrenzangebote einzuholen.

  2. Der Mietwagenunternehmer ist verpflichtet, den Geschädigten auf günstige Pauschaltarife hinzuweisen. Bei Verletzung dieser Pflicht kann der Schädiger lediglich die Abtretung des hieraus erwachsenen Schadensersatzanspruchs des Geschädigten verlangen, nicht aber seine Schadensersatzleistung kürzen.

  3. Bei Anmietung eines klassenniedrigeren Fahrzeugs entfällt die Anrechnung einer Eigenersparnis.

  4. Die für den Mietwagen aufgewendeten Haftungsbefreiungskosten sind unabhängig davon zu ersetzen, ob der Geschädigte für sein eigenes Fahrzeug einen entsprechenden Versicherungsschutz hatte.

Siehe auch Ersatz der unfallbedingten Mietwagenkosten


Tatbestand:

Nach einem Verkehrsunfall, der sich am Samstag, dem 9.6.1990, ereignete, nimmt der Kläger die Beklagte als Haftpflichtversicherer seines Unfallgegners auf Ersatz restlicher Mietwagenkosten in Anspruch. Der Kläger mietete noch am Unfalltage als Ersatzfahrzeug einen Pkw der Marke BMW des Typs 520 i an. Seinen unfallbeschädigten Geländewagen des Typs Range Rover verbrachte er am Sonntag, dem 10.6.1990, zur Reparaturwerkstatt. Er hinterließ eine schriftliche Mitteilung folgenden Inhalts:
"Ich habe am Sonntag, 10.6., meinen unfallbeschädigten Pkw zwecks Reparatur bei Ihnen abgestellt, ich habe bereits mit einem Gutachter gesprochen, der sich das Fahrzeug am Mo., 11.6., ansehen wird. Ich melde mich am Mo., 11.6., telef. bei Ihnen."
Am 11.6.1990 wurde das Unfallfahrzeug von einem Sachverständigen begutachtet. Dieser veranschlagte die Reparaturdauer auf acht bis zehn Arbeitstage. Am Montag, dem 18.6.1990, wurden seitens Reparaturwerkstatt die erforderlichen Ersatzteile bestellt. Mit der Reparatur wurde sodann am 21.6.1990 begonnen. Beendet war die Reparatur am 13.7.1990. Bis zu diesem Tag hatte der Kläger, der selbständig ein Gewerbe betreibt, mit dem Mietfahrzeug 4 769 km zurückgelegt. Von der Autovermietung wurde ihm für die ersten 14 Tage ein Tagespreis von 185 DM ohne MwSt, für die restlichen 21 Tage ein solcher von 120 DM ohne MwSt in Rechnung gestellt. Zuzüglich des Kilometerpreises i.H.v. 6.199,70 DM und der sog. Haftungsbefreiung i.H.v. 875 DM ergab sich ein Gesamtbetrag i.H.v. 12.184,70 DM ohne MwSt. Die Beklagte, die ihre Verpflichtung zum Schadensersatz dem Grunde nach vollumfänglich anerkennt, hat von dem Gesamtbetrag den streitbefangenen Betrag von 6 848,91 DM in Abzug gebracht mit der Begründung, der Kläger habe gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen. Er habe den Reparaturauftrag verspätet erteilt und bei der Anmietung des Ersatzfahrzeuges den erstbesten Unfallersatzwagentarif akzeptiert, anstatt Preisvergleiche anzustellen und sich nach Pauschaltarifen zu erkundigen.

Das LG hat die Klage auf Restzahlung abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung des Klägers hatte Erfolg.


Entscheidungsgründe:

Die grundsätzliche Haftung der Beklagten ergibt sich aus den § 7 I StVG, § 3 Nr. 1 und 2 PflVG. Der vom Kläger im Zuge der Anmietung des Ersatzfahrzeugs aufgewandte Betrag ist auch i.S.d. § 249 S. 2 BGB erforderlich gewesen. Ein Verstoß gegen die ihm obliegende, aus § 254 BGB resultierende Schadensminderungspflicht kann nicht festgestellt werden.

Die Bemessung der vom Schädiger zu ersetzenden Kosten für die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges bestimmt sich nach den zum Reparaturaufwand entwickelten Grundsätzen. Demgemäß ist von den Kosten auszugehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten zum Ausgleich des Gebrauchsentzuges seines Fahrzeuges für erforderlich halten durfte (BGH NJW 1975, 162). Das Gebot zu wirtschaftlich vernünftiger Schadensbehebung verlangt von dem Geschädigten indes nicht, zugunsten des Schädigers zu sparen oder sich in jedem Falle so zu verhalten, als ob er den Schaden selbst zu tragen hätte (BGH NJW 1992, 303). Insbesondere braucht der Geschädigte vor der Anmietung eines Ersatzfahrzeuges nicht eine Art Marktforschung zu betreiben, um das preisgünstigste Mietwagenunternehmen ausfindig zu machen. Es genügt, wenn er sich vergewissert, dass das ihm unterbreitete Angebot nicht "deutlich aus dem Rahmen fällt" (BGH MDR 1986, 305). Für die Frage, ob ein Mietpreisangebot deutlich aus dem Rahmen fällt, ist Maßstab nicht der nach Einholung verschiedener Angebote als am günstigsten ermittelte Mietwagentarif. Dieser kann ebenso wie der höchste Mietwagentarif aus dem Rahmen fallen. Maßstab kann auch nicht die Mietwagenempfehlung des HUK-Verbandes sein. Welcher Tarif sich im Rahmen der marktüblichen Tarifgestaltung hält, kann nur durch entsprechende Erforschung des Mietwagenmarktes ermittelt werden. Da eine Marktforschung dem Geschädigten gerade nicht abverlangt werden kann, sind auch Mietwagenkosten ersatzfähig, die aus dem Rahmen der üblichen Preisgestaltung fallen. Die Erforderlichkeitsgrenze i.S.d. § 249 S. 2 BGB ist erst dann überschritten, wenn die Mietwagenkosten "deutlich" aus dem Rahmen fallen. Der Kläger hat vorliegend mit einem namhaften Mietwagenunternehmen kontrahiert. Anhaltspunkte dafür, dass der von dem Kläger akzeptierte Unfallersatzwagentarif als solcher aus dem Rahmen fällt, sind nicht ersichtlich. Demgemäß ist es unerheblich, dass der Kläger keine Informationen zum Preisgefüge eingeholt hat. Zwar kann von dem Geschädigten verlangt werden, dass er wenigstens telefonisch ein oder zwei Konkurrenzangebote einholt (BGH MDR 1986, 305). Der Umstand, dass der Kläger dies unterlassen hat, vermag die Ersatzfähigkeit der Mietwagenkosten jedoch nur dann in Frage zu stellen, wenn sie aus dem Rahmen fielen. Anderes gilt, wenn der Geschädigte gehalten wäre, das günstigste Mietpreisangebot zu akzeptieren. Dies aber ist nach den zum Reparaturaufwand entwickelten und auch für die Bemessung der vom Schädiger zu ersetzenden Mietwagenkosten geltenden Grundsätzen nicht der Fall. Vielmehr muss vom Ersatzpflichtigen ein gewisses Preisspektrum hingenommen werden. Er hat keinen Anspruch darauf, dass der Geschädigte für ihn das preiswerteste Unternehmen herausfindet, dass er sich an Preisempfehlungen der Versicherungswirtschaft orientiert oder dass er sich vorher mit dem gegnerischen Versicherer abstimmt (Greger, NZV 1994, 339).

Die Beklagte kann auch nicht einwenden, der Kläger habe sich nach wesentlich günstigeren Pauschaltarifen erkundigen und ggf. einen solchen wählen müssen. Bei der Prüfung, ob der Geschädigte sich im Rahmen verständigen und wirtschaftlichen Denkens gehalten hat, ist Rücksicht auf dessen spezielle Situation, also insbesondere auf seine individuellen Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (BGH NJW 1992, 303). Ein durchschnittlicher Unfallgeschädigter gerät durch einen Verkehrsunfall nicht nur unvermittelt, sondern in aller Regel erstmals in die Situation, einen Pkw anmieten zu müssen. Ihm kann nicht mehr zugemutet werden, als sich bei Anmietung eines Ersatzfahrzeuges an einen namhaften Mietwagenunternehmer zu wenden. Er darf regelmäßig darauf vertrauen, dass ihm bei unterschiedlicher Tarifgestaltung ein seinem Bedürfnis entsprechender Mietpreistarif genannt wird. Damit korrespondiert die Verpflichtung des Mietwagenunternehmers zur umfassenden Beratung des Geschädigten, namentlich auch zum Hinweis auf günstige Pauschaltarife. Verletzt der Mietwagenunternehmer diese Beratungspflicht, kann der Mieter Schadensersatz verlangen (OLG Koblenz ZfS 1992, 120). Dass der Kläger von der Autovermietung nicht auf günstigere Pauschaltarife hingewiesen worden ist, führt allerdings nicht zu einer teilweisen Entbindung der Beklagten von ihrer Verpflichtung zum Schadensersatz. Denn der Mietwagenunternehmer ist ebensowenig wie die Reparaturwerkstatt Erfüllungsgehilfe des Geschädigten. Anerkanntermaßen können Reparaturkosten regelmäßig auch dann für die Bemessung des "erforderlichen" Herstellungsaufwandes herangezogen werden, wenn diese Kosten ohne Schuld des Geschädigten etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit, wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise im Vergleich zu dem, was für eine solche Reparatur sonst üblich ist, unangemessen sind (BGH NJW 1975, 161). Nichts anderes gilt für die Bemessung der vom Schädiger zu ersetzenden Kosten für die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges. Ein interessengerechter Ausgleich hat dadurch zu erfolgen, dass der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer in die Lage versetzt wird, den dem Geschädigten gegen den Mietwagenunternehmer erwachsenen Schadensersatzanspruch letzterem gegenüber geltend zu machen.

Nach den dargelegten Grundsätzen kann auch der Umstand, dass die sachverständigerseits veranschlagte Reparaturdauer erheblich überschritten wurde, nicht zu Lasten des Klägers gehen. Erheblich ist insoweit zwar die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe erst am 18.6.1994 den Reparaturauftrag erteilt. Diese Behauptung ist allerdings durch das Schriftstück vom 10.6.1994 widerlegt. Aus diesem ergibt sich ohne weiteres, dass der Kläger bereits am 10.6.1994 Reparaturauftrag erteilt hat. Dass er gleichzeitig die Weisung erteilte, mit der Reparatur erst nach Begutachtung des Unfallfahrzeuges durch einen Sachverständigen zu beginnen, ist nicht zu beanstanden. Anerkanntermaßen darf der Geschädigte zum Zwecke der Beweissicherung ein Sachverständigengutachten einholen, wenn, wie vorliegend, die dadurch bedingten Kosten zu dem Umfang des Schadens nicht außer Verhältnis steht.

Der Kläger muss sich auf die geltend gemachten Mietwagenkosten keine Eigenersparnis anrechnen lassen, weil er ein klassenniedrigeres Fahrzeug angemietet hat. Bereits die Beschränkung des Klägers auf ein klassenniedrigeres Fahrzeug hat zu einer geringeren Inanspruchnahme der Beklagten geführt. Müsste er sich dennoch einen Abzug gefallen lassen, so führten seine Anstrengungen zur Schadensminderung im Ergebnis lediglich zu einer mit dem Sinn und Zweck der Vorteilsausgleichung nicht mehr zu vereinbarenden Entlastung der ersatzpflichtigen Beklagten.



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