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BGH Urteil vom 16.10.1973 - VI ZR 96/72 - Anspruch auf Nutzungsausfall bei Nutzung durch Familienangehörige
BGH v. 16.10.1973: Zum Anspruch auf Nutzungsausfall bei Nutzung durch Familienangehörige
Der BGH (Urteil vom 16.10.1973 - VI ZR 96/72) hat grundsätzlich einen Anspruch auf Nutzungsausfall für den Fall anerkannt, dass anstelle des Fahrzeughalters auch ein anderer ohne das Schadensereignis das Fahrzeug hätte nutzen können und wollen:
Dem Eigentümer eines beschädigten Kraftfahrzeugs steht der Nutzungsausfallanspruch auch dann zu, wenn der Wagen ohne den Unfall zwar mangels Fahrerlaubnis nicht von ihm, aber von Familienangehörigen oder anderen Personen benutzt worden wäre.
Siehe auch Nutzungsausfall und Stichwörter zum Thema Ausfallentschädigung
Aus den Entscheidungsgründen:
"... I. Das Berufungsgericht vertritt die Auffassung, die von der Rechtsprechung zum Nutzungsausfallanspruch entwickelten Grundsätze müssten auch Geltung haben, wenn der Geschädigte mit dem Kfz während der unfallbedingten Ausfallzeit nicht selbst gefahren war oder sich mit ihm hatte fahren lassen, sondern wenn er es nur für seine Familienangehörigen angeschafft und unterhalten habe. Er büße zwar in diesem Fall keinen Zeitgewinn und die für viele Lebensbereiche wichtige rasche Beweglichkeit ein, verliere aber die von ihm beabsichtigte andere Nutzungsart, nämlich die, dass seine Familienangehörigen, vor allem sein sich im Studium befindlicher Sohn, den Wagen benutzen könnten. Auch die Beeinträchtigung dieser Benutzungsart stelle einen Vermögensschaden dar, weil der Kl. sich diese Nutzungsmöglichkeit - wie der selbstfahrende Halter oder Eigentümer - durch Vermögensaufwendungen erkauft habe. Schließlich könne auch in diesem Fall der Geschädigte nicht schlechter gestellt werden als derjenige, der sich ein Ersatzfahrzeug gemietet habe und dann (unter Berücksichtigung der Eigenersparnisse) Ersatz der Mietwagenkosten verlangen könne.
II. Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten gegenüber den Angriffen der Revision einer rechtlichen Prüfung stand.
1. Seit dem Urteil des III. Zivilsenats vom 30.9.1963 R (BGHZ 40, 345 = VersR 64, 225 mit Anm. 507) ist in der Rechtsprechung des BGH anerkannt, dass derjenige, der Ersatz für die Beschädigung eines Kfz zu leisten hat, grundsätzlich auch verpflichtet ist, dem Geschädigten Geldersatz für den Nutzungsausfall des Kfz zu leisten, wenn er auf die Inanspruchnahme eines Ersatzfahrzeugs verzichtet und insoweit keine Mittel zur Vermeidung oder Minderung des Schadens aufgewandt hat (BGHZ 45, 212 = VersR 66, 497; Senatsurteil vom 17.3.1970 - VI ZR 108/68 - LM BGB § 249 (A) Nr. 25 = VersR 70, 547). Diese Rechtsprechung geht davon aus, dass die ständige Verfügbarkeit des eigenen Kfz als geldwerter Vorteil und dessen vorübergehende Entziehung als Vermögensschaden anzusehen ist. Sie stützt sich u. a. auf den Umstand, dass für ein sofort verfügbares, fahrbereites Kfz insgesamt ein berechenbar höheres Entgelt erzielt wird. Der Geschädigte soll die in dem Verzicht auf einen geldwerten Gebrauch (oder Verbrauch) liegende Entbehrung nicht im Interesse des Schädigers auf sich nehmen müssen (BGHZ 56, 214 = VersR 71, 720).
2. Der BGH hat in seiner Rechtsprechung aber immer darauf geachtet, dass die Subjektbezogenheit des Schadens nicht vernachlässigt wird (BGHZ 45, 212 (219) = VersR 66, 497 (498) und 54, 82 (85) = VersR 70, 832 (833) mit Anm. 70, 902; BGH v. 7.6.1968 - VI ZR 40/67 - LM BGB § 249 (A) Nr. 22 = VersR 68, 803 = NJW 68, 1778; vgl. auch Wussow, WI 68, 117). Er hat deshalb entschieden, dass die Entschädigung dem Betroffenen nur im Falle einer fühlbaren" Nutzungsbeeinträchtigung zusteht, und hat infolgedessen den Nutzungsausfallanspruch versagt, wenn der Geschädigte seinen Wagen in der Reparaturzeit aus unfallunabhängigen oder unfallabhängigen Gründen nicht hätte nutzen können (BGHZ 45, 212 (219) = VersR 66, 497 (498); BGH v. 7.6.1968 - VI ZR 40/67 - aaO).
Die Subjektbezogenheit des Schadens und seines Ausgleichs wird entgegen der Auffassung der Revision aber nicht dadurch aufgegeben, dass auch dem Geschädigten, der den beschädigten Wagen nicht selbst fährt, sondern ihn zum Zweck der Benutzung durch Familienangehörige angeschafft hatte, eine Nutzungsausfallentschädigung gewährt wird. Das gilt auch dann, wenn ihn keine Rechtspflicht (z. B. Unterhaltspflicht) trifft, seinen Familienangehörigen einen Wagen zu stellen, und wenn er - wie hier - den PKW nicht nur nicht fahren wollte, sondern mangels Fahrerlaubnis nicht lenken konnte. Auch er hat bei solcher Fallgestaltung persönlich durch die Beschädigung seines Wagens einen Schaden erlitten, weil für ihn, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, während der Reparaturzeit die von ihm beabsichtigte und durch Vermögensaufwendungen erkaufte Nutzungsmöglichkeit des eigenen Fahrzeugs entfällt. Deshalb liegt hierin auch nicht lediglich eine Beeinträchtigung seiner Dispositionsbefugnis, die allerdings keinen ersatzfähigen Vermögensschaden darstellen würde (BGHZ 55, 146 (150) = VersR 71, 444 (445 re. Sp.). Für ihn wird der vorübergehende Entzug der Gebrauchsmöglichkeit auch "fühlbar", obwohl die Nutzungsvereitelung in seiner Person in der Regel keinen eigenen Bedarf hervorruft.
Wenn der Senat den Nutzungsausfallersatz auf den Ausgleich einer "fühlbaren" Nutzungsbeeinträchtigung begrenzt hat, so hat er damit die Ersatzforderung nur vom Vorliegen des Nutzungswillens und der hypothetischen Nutzungsmöglichkeit abhängig gemacht (BGH v. 7.6.1968 aaO). Dieser Nutzungswille muss sich aber nicht unbedingt auf den eigenen Gebrauch beschränken. Auch die Möglichkeit, das Fahrzeug anderen Personen zur Verfügung zu stellen, wird nach der allgemeinen Lebenserfahrung von den Gebrauchsmöglichkeiten eines Kfz erfasst (LG Köln Der Betrieb 67, 2115 = VersR 68, 182 (L)). Entscheidend sind die individuellen Gebrauchsgewohnheiten und -absichten (vgl. Werber AcP 73, 158, (184). Fühlbar ist deshalb die Nutzungsbeeinträchtigung immer, wenn der Wagen während der Reparaturzeit nicht zu dem mit seiner Anschaffung verfolgten Zweck Dienste leisten kann (BGHZ 45, 212 (216) = VersR 66, 497/498), diese Nutzungsmöglichkeit aber bestehen würde, wenn der Wagen verfügbar wäre. Daher kann nicht nur derjenige Nutzungsausfall als Schaden geltend machen, der das beschädigte Fahrzeug selbst lenken oder es doch mittels eines Fahrers - wie etwa hier des Sohnes des Kl. - selbst hatte benutzen wollen. Vielmehr steht auch dem der Ersatzanspruch zu, der den Wagen vermietet hatte, so dass er in solchem Falle seinen Schaden meist wird konkret berechnen können.
Für die Frage des abstrakt berechneten, richtiger: pauschal abzugeltenden Nutzungsausfallschadens kann aber auch dann nichts anderes gelten, wenn der Eigentümer den Wagen dadurch nutzte, dass er ihn einem Dritten ohne Entgelt verlieh oder aus bloßer Gefälligkeit hatte überlassen wollen und diese Nutzungsmöglichkeit weiterhin gegeben war. Der Senat hat in seinem Urteil vom 15.4.1966 (BGHZ 45, 212 (216) = VersR 66, 497/498) erklärt, für die Zubilligung einer Geldentschädigung zum Ausgleich der Nutzungsentziehung spreche vor allem, dass der betroffene Wageneigentümer vom Schädiger die Stellung eines Ersatzfahrzeugs oder die Vorlage der Kosten für die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs hätte fordern können (vgl. auch Urteil des Senats vom 7.6.1968 aaO). Dieser Grundgedanke trifft auch im Streitfall zu. Es steht außer Frage, dass die Bekl. die Kosten für einen Ersatzwagen hätte tragen müssen. So wie hier der Vater für seine Familie, vorwiegend für seinen Sohn, den Wagen angeschafft und für das Fahrzeug offensichtlich Steuern, Versicherungen usw. aus seiner Tasche" gezahlt hatte, würde er es auch gewesen sein, der im eigenen Namen, jedenfalls auf seine Kosten - wenn auch für seinen Sohn - den Ersatzwagen angemietet hätte. Das zeigt ebenfalls, dass ihn auch der Ausfall des Wagens vermögensrechtlich getroffen hatte und dass er es ist, dem der Ersatzanspruch für diesen Nutzungsausfall zusteht.
Aus diesem Grunde hat der Senat in seinem vorerwähnten Urteil vom 7.6.1968 (aaO) bereits darauf hingewiesen, dass der beim Unfall verletzte, daher nicht fahrtüchtige Kfz-Eigentümer dann einen Vermögensschaden erlitten hat, wenn der Wagen ohne den Unfall nicht von ihm, sondern von Familienangehörigen benutzt worden wäre und wenn er ihn auch zu diesem Zweck angeschafft und ihn diesen Personen zur Verfügung gestellt haben würde. Der Senat hält an dieser Auffassung, die auch vom Schrifttum geteilt wird, fest (vgl. Herkner VersR 68, 1057; Klimke VersPraxis 73, 49 (51); Martens NJW 68, 1778 (1779); Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im bürgerlichen Recht, S. 215 Fn. 37; Schmidt-Salzer Betriebs-Berater 70, 55 (63); Wussow WI 68, 117 (118). Daher kann es im hier zu entscheidenden Fall billigerweise den Bekl. nicht zugute kommen, dass der Kl. keinen Ersatzwagen für seinen Sohn gemietet hatte und seine Familie sich anderweit beholfen hat."