Das Verkehrslexikon
OLG Koblenz Beschluss vom 11.11.2004 - 10 U 970/04 - Falsche Laufleistungsangaben gegenüber der Versicherung führen zur Leistungsfreiheit
OLG Koblenz v. 11.11.2004: Falsche Laufleistungsangaben gegenüber der Versicherung führen zur Leistungsfreiheit
Das OLG Koblenz (Beschluss vom 11.11.2004 - 10 U 970/04) hat entschieden:
- Eine zur Leistungsfreiheit des Versicherers führende objektive Verletzung der Aufklärungsobliegenheit liegt vor, wenn nach einem KfZ-Diebstahl in Danzig/Polen in der Schadensanzeige wahrheitswidrig 130.000 anstatt 180.000 gefahrene Kilometer angegeben werden. Der Versicherungsnehmer vermag sich nicht von der in § 6 III VVG enthaltenen Verschuldensvermutung damit zu entlasten, dass das Schadensanzeigenformular nicht von ihm, sondern von seinem, den genauen Kilometerstand nicht kennenden Vater ausgefüllt worden sei und er; der Versicherungsnehmer, dieses nur ungeprüft unterschrieben habe.
- Von einer rechtzeitigen, eine Obliegenheitsverletzung ausschließenden Berichtigung der falschen Angaben kann nicht ausgegangen werden, wenn diese erst erfolgte, nachdem der Versicherer bei der Werkstatt Nachforschungen angestellt hatte.
Siehe auch Obliegenheitsverletzungen / Leistungsfreiheit und Regress der Kfz-Versicherung
Zum Sachverhalt: Der Kl., der seinen Pkw bei der Bekl. vollkaskoversichert hatte, zeigte der Bekl. am 22.8.2002 an; dass der Pkw seinem Bruder, der ihn bei einer Fahrt nach Danzig dort am 15.8.2002 in der Innenstadt abgestellt hatte, gestohlen worden sei. Das Formular der Anzeige füllte der Vater des Kl. aus und gab einen Kilometerstand von 130000 km an. Ferner wurde der Anzeige, die der Kl. unterschrieb, eine Rechnung über eine Inspektion vom 8.3.2001 angefügt, in der ein Kilometerstand von 120 000 km angegeben worden war. Die Bekl. stellte Nachforschungen bei der Werkstatt des Kl. an und erhielt eine Rechnungskopie vom 24.5.2002 mit einem Kilometerstand von 165 800 km. Mit einem Fax vom 4.10.2002 berichtigte der Kl. seine Angaben zum Kilometerstand und gab 180 000 km an.
Das LG hat die Klage auf Versicherungsschutz wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit, die es in der Kilometerleistungsangabe vom 22.8. 2002 sah, abgewiesen. Das OLG hat den Kl. durch Hinweisbeschluss vom 11.11.2004 darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung zurückzuweisen. Das Rechtsmittel wurde daraufhin zurückgenommen.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... II. Das LG hat zu Recht die Klage abgewiesen, weil die Bekl. wegen Obliegenheitsverletzung des Kl. leistungsfrei geworden ist (§ 7 I Abs. 2 S. 3 und V Abs. 4 AKB i. V. mit § 6 III 1 VVG). Leistungsfreiheit des Versicherers besteht, wenn der Versicherungsnehmer seine Obliegenheit verletzt hat, nach Eintritt des Versicherungsfalls alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestands und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann, es sei denn, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht. Der Umfang der Aufklärungspflicht richtet sich maßgeblich nach den vom Versicherer im Schadensanzeigeformular gestellten Fragen (Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl. [2004], § 7 AKB Rdnr. 12; vgl. auch Senat, NVersZ 1999, 273 [274]). Zur Obliegenheit des Versicherungsnehmers gehört es, dass die in der Schadensanzeige gemachten Angaben wahrheitsgemäß und vollständig sind. Unter die Aufklärungspflicht fallen sämtliche Umstände, die zur Feststellung des Entschädigungsbetrags von Bedeutung sein können. Dies gilt vor allem bei Entwendungen von Kraftfahrzeugen, bei denen der Versicherer keine eigenen Erkenntnismöglichkeiten hat (Prölss/Martin, § 7 Rdnrn. 43, 49; Senat, NVersZ 1999, 272 = VersR 1999, 1536).
Zutreffend führt das LG aus, dass der Kl. objektiv seine Aufklärungsobliegenheit verletzt hat, indem er in seiner Schadensanzeige vom 22.8.2002 falsche Angaben zur Gesamtkilometerleistung gemacht hat. In der Schadensanzeige werden 130 000 km anstatt 180 000 km angegeben. Offen kann bleiben, ob auch die Angaben zu verschleißbedingten Reparaturen, z. B. Austausch der Bremsscheiben nebst Bremsbelägen, falsch waren.
Der Kl. hat die in § 6 III VVG enthaltene Verschuldensvermutung nicht entkräften können. Der Kl. vermag sich nicht damit zu entlasten, dass das Schadensanzeigenformular von seinem Vater, der keine genaue Kenntnis über den Kilometerstand gehabt habe, ausgefüllt und nur von ihm unterschrieben worden sei. Wenn der Vater nicht über genaue Kenntnisse hinsichtlich des Kilometerstandes des Fahrzeuges verfügte, hätte der Kl. nicht das Formular ohne eigene Überprüfung unterschreiben dürfen. Der Senat teilt die Auffassung des LG, dass gerade im Hinblick auf die beigefügte Rechnung vom 8.3.2001 (120000 km-Inspektion), die den falschen Kilometerstand zu belegen scheint, vieles dafür spricht, dass der Kl. eine mögliche Falschangabe zumindest billigend in Kauf genommen hat.
Der Kl. vermag sich auch nicht darauf zu berufen, dass der falsche Kilometerstand nachträglich berichtigt worden sei. Richtig ist zwar, dass falsche Angaben dann nicht den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung erfüllen, wenn sie so schnell berichtigt werden, dass die korrigierten Informationen dem Versicherer bereits in dem Zeitpunkt vorliegen, in dem er sich erstmals mit dem Vorgang befasst. Die Berichtigung falscher Angaben kann durchaus geeignet sein, die Vorsatzvermutung zu widerlegen, wenn sich aus dem Gesamteindruck ergibt, dass die Falschangabe auf einem Irrtum beruht. Von einer solchen Situation kann vorliegend aber nicht ausgegangen werden. Zunächst ist die Abweichung des Kilometerstandes des Fahrzeuges von 130 000 km zu tatsächlich gefahrenen 180 000 km beachtlich. Die Beifügung der Rechnung vom 8.3.2001 unter Weglassung aller anderen nachfolgenden Rechnungen deutet darauf hin, dass hier nicht ein bloßer Irrtum über den Kilometerstand des Fahrzeuges vorliegt. Die Berichtigung des Kilometerstandes erfolgte erst mit Faxschreiben vom 4.10.2002; zu diesem Zeitpunkt wusste der Kl. jedoch, dass die Bekl. bereits bei der seinerzeit tätigen Werkstatt Nachforschungen angestellt hatte. Der Kl. hat zwar auf Nachfrage der Bekl. mit Schreiben vom 30. . 2002 die ausführende Werkstatt benannt, nicht aber angegeben, dass er nach der 120 000 km-Inspektion vom . 3. 2001 am 21. 5. 2001, 31. 10. 2001, 14. 1. 2002, 8. 3. 2002 und 24. 5. 2002 (Inspektion bei 165 800 km) weiter Reparatur- und Wartungsarbeiten hat durchführen lassen. Die Berufung greift ohne Erfolg an, dass das LG den Vater des Kl. und den Bruder des Kl., M, nicht dazu vernommen habe, wie es zu Missverständnissen hinsichtlich des Kilometerstandes gekommen sei. Dieses Beweisangebot war unerheblich. Wenn der Vater des Kl. keine eigenen Erkenntnisse über die tatsächliche Kilometerleistung des Fahrzeuges hatte und er auf die Angaben des Kl. angewiesen war, konnte dieser sich nicht auf die Gewissenhaftigkeit des Vaters verlassen. Steht danach eine objektive Obliegenheitsverletzung fest, wird nach § 6 III 1 VVG vermutet, dass der Kl. als Versicherungsnehmer vorsätzlich seine Aufklärungspflicht verletzt hat (BGH, VersR 1976, 849 [850]; Senat, NVersZ 1999, 272 VersR 1999, 1536). An den Gegenbeweis sind hohe Anforderungen zu stellen (vgl. Prölss/Martin, § 6 Rdnr. 105). Diesen Gegenbeweis hat der Kl. nicht erbracht. ..."