Das Verkehrslexikon

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Landgericht Halle Urteil vom 18.03.2005 - 8 (14) 0 155/02 - Der Versicherungsnehmer verletzt seine Aufklärungs-Obliegenheit; wenn er nicht angibt, dass ein (weiterer) Zeuge zugegen war

LG Halle v. 18.03.2005: Zu den Aufklärungspflichten des Versicherungsnehmers berzüglich der Anwesenheit sämtlicher Zeugen


Das Landgericht Halle (Urteil vom 18.03.2005 - 8 (14) 0 155/02) hat entschieden:
  1. Der Versicherungsnehmer kann den Beweis für das äußere Bild eines Kfz-Diebstahls nicht durch eigene Angaben führen, wenn die Aussagen der von ihm genannten Zeugen zum Beweis nicht ausreichen.

  2. Der Versicherungsnehmer verletzt seine Aufklärungs-Obliegenheit; wenn er nicht angibt, dass ein ( weiterer) Zeuge zugegen war, als das Fahrzeug nicht wiederaufgefunden wurde.

  3. Falsche Angaben über vorhandene bzw. fehlende Zeugen sind im Entwendungsfall generell geeignet, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden.

Siehe auch Obliegenheitsverletzungen / Leistungsfreiheit und Regress der Kfz-Versicherung


Zum Sachverhalt: Die Parteien streiten um den Ersatz des Schadens nach einem von der Kl. behaupteten Pkw-Diebstahl. Die Bekl. ist der Kasko-Versicherer des klägerischen Pkw BMW 530 dA. Der entsprechende Versicherungsvertrag zwischen den Parteien besteht zumindest seit dem 25. 5. 2001. Das klägerische Fahrzeug war an die B-Bank zur Sicherung eines Darlehens der B-Bank an die KI. sicherungsübereignet. Aus diesem Darlehen sind noch 27452,55 EUR offen. Am 13. 1. 2002 meldete der Geschäftsführer der Kl. das streitgegenständliche Fahrzeug im polnischen Stettin als gestohlen. Am 16. 1. 2002 gab er in dem Fragebogen der Bekl. zum Diebstahl als Zeugen für das Abstellen des Fahrzeuges und für das Entdecken des Diebstahls die Zeugin C an. Weitere Zeugen benannte er gegenüber der Versicherung nicht. Mit Schreiben vom 17. 4. 2002 lehnte die Bekl. die Leistung gegenüber der Kl. mit der Begründung, ein Diebstahl sei nicht nachgewiesen, ab.

Die Kl. behauptet, der Pkw sei in der Nacht vom 12. 1. 2002 zum 13. 1. 2002 in S. gestohlen worden. Ihr Geschäftsführer sei, nachdem er am 12. 1. 2002 zusammen mit der Zeugin C im streitgegenständlichen Wagen von H nach S gefahren sei, nach der Buchung eines Hotelzimmers gegen Abend mit der Zeugin C in S zum Abendessen gefahren, habe den Wagen vor dem von ihnen besuchten Lokal geparkt und ordnungsgemäß verschlossen. Da er im Laufe des Abends Alkohol zu sich genommen habe, sei er nach Verlassen des Lokals mit dem Taxi in sein Hotel gefahren. Am nächsten Vormittag sei er zusammen mit der Zeugin C und deren Lebensgefährten, dem Zeugen K, zu dem betreffenden Lokal gefahren. Dabei habe man festgestellt, dass das Auto nicht mehr an seinem Platz sei. Daraufhin hätte der Geschäftsführer der Kl. und die beiden Zeugen die S Polizei aufgesucht und Anzeige erstattet. Weiterhin ist die Kl. der Ansicht; die Tatsache, dass sie den Zeugen K auf dem Fragebogen der Bekl. nicht als Zeugen für das Bemerken des Diebstahls angegeben habe, stelle keine Verletzung ihrer Aufklärungsobliegenheit dar, da dieser in keiner näheren Beziehung zu dem streitgegenständlichen Fahrzeug gestanden habe.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Kl. hat den ihr obliegenden Beweis dafür, dass das versicherte Fahrzeug entwendet worden ist, nicht erbracht. Es ist Sache der Kl., den von ihr behaupteten Diebstahl des Fahrzeuges BMW 530 dA als Anspruchsvoraussetzung für eine Entschädigungsleistung der Bekl. zu beweisen (vgl. BGH, NJW 1991, 2493). Zu ihren Gunsten gelten zwar Beweiserleichterungen. So genügt sie ihrer Beweislast regelmäßig dann, wenn sie Tatsachen beweist, die nach der Lebenserfahrung das äußere Bild eines Diebstahls hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen (vgl. BGH, VersR 1999, 18). Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn bewiesen wird, dass das Fahrzeug vom Versicherungsnehmer an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Stunde abgestellt, dort aber nicht wieder aufgefunden worden ist. Diesen Beweis hat die Kl. jedoch nicht geführt. Das Gericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht davon überzeugt, dass der Geschäftsführer der Kl. den streitgegenständlichen Pkw am Abend des 12. 1. 2002 vor einem Lokal in S abstellte und am nächsten Tag nicht wieder auffand, wie die Kl. behauptet. ...

Der Beweis des Diebstahlmindestsachverhalts durch die persönliche Anhörung des Geschäftsführers der Kl. gemäß § 141 ZPO ist der Kl. nicht möglich. Zwar sieht eine Beweiserleichterung vor, dass der Versicherungsnehmer, wenn ihm keine Zeugen zur Verfügung stehen, den erforderlichen Beweis auch allein durch seine eigenen Angaben erbringen kann (vgl. BGH, VersR 1997, 733; Prölss/Martin, VVG, 27. Auflage, § 49 Rn. 59). Das Gericht schließt sich jedoch der Ansicht des OLG Hamburg (NJW-RR 2000, 106) an, wonach dies dann nicht gilt, wenn dem Versicherungsnehmer ein oder mehrere Zeugen zur Verfügung stehen, die nach seinem eigenen Vortrag den Minimalsachverhalt bestätigen können, deren Aussagen zum Beweis dann aber nicht ausreichen. Denn der Grund für die dem Versicherungsnehmer gewährten Beweiserleichterungen liegt in dessen typischerweise bestehender Beweisnot der Versicherung gegenüber, da der redliche Versicherungsnehmer häufig gerade keine Zeugen für den Mindestsachverhalt aufweisen kann. Wenn jedoch ein vom Versicherungsnehmer benannter Zeuge „ausfällt”, verwirklicht sich darin lediglich ein allgemeines prozessuales Risiko, das jeden Kl. treffen kann, ohne dass dieser dann die Möglichkeit hätte, den Beweis nachträglich durch seine eigene Anhörung zu führen (vgl. OLG Hamburg aaO).

II. Zudem ist die Bekl. auch wegen einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung der 1(1. gemäß § 7 I UAbs. II 3, V UAbs. IV AKB i.V.m. § 6111 VVG von der Leistung frei. Denn die Kl. hat in dem von ihrem Geschäftsführer am 16. 1. 2002 unterzeichneten Fragebogen der Bekl. auf die Frage „Von wem wurde der Diebstahl bemerkt?” lediglich sich selbst und die Zeugin C angegeben, obwohl nach der eigenen Aussage des Geschäftsführers der Kl. im Prozess auch der Zeuge K zugegen war, als man vor dem Pub festgestellt habe, dass der Wagen nicht mehr an der Stelle stehe, an der er abgestellt worden sei, so dass nach der eigenen Darstellung der Kl. von unzutreffenden Angaben im genannten Formular auszugehen ist. Entgegen der Ansicht der Kl. kommt der Zeuge K nach dem vom Geschäftsführer der Kl. geschilderten Geschehensablauf auch als Zeuge für das Bemerken des Diebstahls in Betracht. Auch wenn er nach den Angaben der Kl. zuvor keine wie auch immer geartete nähere Beziehung zum klägerischen Fahrzeug besaß, hat er doch nach dem klägerischen Vortrag zusammen mit dem Geschäftsführer der Kl. und der Zeugin C zu dem Zweck, den Wagen der Kl. abzuholen, am Vormittag des 13. 1. 2002 den Parkplatz des Wagens aufgesucht und dort zusammen mit diesen festgestellt, dass der Wagen entgegen der Erwartung nicht vorhanden war. Damit hat er dann auch den Diebstahl (mit)bemerkt.

In der unrichtigen Angabe über (nicht) vorhandene Zeugen liegt eine Obliegenheitsverletzung, nämlich ein Verstoß gegen § 7 III 3 AKB (vgl. OLG Köln, NJW-RR 1993, 391). Gemäß § 6 III 1 VVG wird vermutet, dass die Falschangabe vorsätzlich erfolgt ist. Es ist der Kl. nicht gelungen, die gesetzliche Vorsatzvermutung zu widerlegen. Trotz entsprechendem gerichtlichen Hinweis hat die Kl. keine Tatsachen vorgetragen, die die Annahme fehlenden Vorsatzes nahe legen. Sie hat zwar die Rechtsansicht geäußert, in der Nichtangabe des Zeugen K bei der entsprechenden Frage liege keine Obliegenheitsverletzung. Sie hat aber noch nicht einmal vorgetragen, dass sich der Geschäftsführer der Kl. beim Ausfüllen des Fragebogens von diesen Erwägungen hat leiten lassen.

Es kann dabei unterstellt werden, dass die Obliegenheitsverletzung für die Bekl. folgenlos geblieben ist, da die Bekl. auch in diesem Fall von ihrer Leistung frei ist. Nach der so genannten Relevanzrechtsprechung tritt Leistungsfreiheit bei vorsätzlichen folgenlosen Obliegenheitsverletzungen dann nicht ein, wenn der Obliegenheitsverstoß generell ungeeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, oder den Versicherungsnehmer subjektiv kein schweres Verschulden trifft (vgl. BGH, NZV 2004, 624). Falsche Angaben über vorhandene bzw. fehlende Zeugen sind im Entwendungsfall jedoch generell geeignet, die Interessen des Versicherungsnehmers ernsthaft zu gefährden. Bei der Überprüfung der Einstandspflicht ist es für ihn wichtig zu wissen, ob Zeugen zur Verfügung stehen oder nicht, um die Angaben des' Versicherungsnehmers nachvollziehen und gegebenenfalls überprüfen zu können. Dies gilt insbesondere für Zeugen zum Abstellen des Fahrzeugs und zum Nichtwiederauffinden desselben. Da es im Zuge der Beweiserleichterung für den Versicherungsnehmer auf der ersten Stufe in der Regel jedenfalls vorläufig ausreicht, dass er darlegt und gegebenenfalls beweist, das Fahrzeug an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit abgestellt und später gegen seinen Willen nicht wieder aufgefunden zu haben, sind gerade diese beiden Aspekte für den _Versicherer von großer Bedeutung (vgl. für die Nichtangabe von Zeugen für das Bemerken des Diebstahls: OLG Köln, NJW-RR 2003, 391, LG Hamburg, SVR 2004, 154).

Auch kann nicht von einem nur geringen Verschulden der Kl. ausgegangen werden. Nur dann, wenn ein Verstoß vorliegt, der auch einem sonst ordentlichen Versicherungsnehmer angesichts der Umstände des Falls leicht unterlaufen kann und für den ein einsichtiger Versicherer Verständnis aufzubringen vermag, ist erhebliches Verschulden zu verneinen (vgl. OLG Köln, NJW-RR 2003, 391). Eine solche Situation kann vorliegend nicht angenommen werden, die Kl. hat nichts vorgetragen, was die Falschangabe ihres Geschäftsführers in mildem Licht erscheinen lassen könnte.

Eine weitere Voraussetzung der Leistungsfreiheit ist, dass der Versicherungsnehmer ausdrücklich über die Folgen einer möglichen Obliegenheitsverletzung belehrt worden ist (vgl. OLG Köln aaO). Eine solche Belehrung findet sich im Frabebogen deutlich lesbar direkt über der Unterschriftszeile. ..."



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