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Kammergericht Berlin Beschluss vom 13.06.2006 - 6 U 62/06 - Die Anzeigepflicht von Wildschäden bezieht sich nur auf Schäden am eigenen Fahrzeug

KG Berlin v. 13.06.2006: Die Anzeigepflicht von Wildschäden bezieht sich nur auf Schäden am eigenen Fahrzeug.


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 13.06.2006 - 6 U 62/06) hat entschieden:
Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse ist in der Lage, eine Klausel in den Bedingungen für die Fahrzeugkaskoversicherung, wonach ein Wildschaden über 300 DM der Polizei anzuzeigen ist, dahin zu verstehen, dass sich die Anzeigepflicht auf den Kaskoschaden am versicherten Fahrzeug und nicht auf etwaige Fremdschäden (Wild, Straßenbäume, Leitplanken) bezieht.


Siehe auch Obliegenheitsverletzungen / Leistungsfreiheit und Regress der Kfz-Versicherung


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Zu den rechtlichen Erwägungen wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung sowie auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 30. Mai 2006 verwiesen. Darin hat der Senat u. a. ausgeführt:
„Die Berufung bietet keine Aussicht auf Erfolg. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch aus dem Vertrag über eine Vollkaskoversicherung nicht zu, weil er vorsätzlich die Obliegenheit gemäß § 7a III. der Kaskobedingungen verletzt hat. Danach hat der Versicherungsnehmer bei einem unter die Fahrzeugversicherung fallenden Schaden vor der Verwertung oder vor Beginn der Wiederinstandsetzung die Weisung des Versicherers einzuholen, soweit ihm dies billigerweise zugemutet werden kann. Übersteigen ein Entwendungs- oder Brandschaden sowie ein Wildschaden den Betrag von 300,- DM, so ist er auch der Polizeibehörde unverzüglich anzuzeigen. Diese Pflicht zur Unfallanzeige hat der Kläger vorsätzlich verletzt. Dies hat zur Folge, dass gemäß § 7a VI der Kaskobedingungen in Verbindung mit § 6 Abs. 3 VVG Leistungsfreiheit der Beklagten eintritt.

A) Die Klausel über die Anzeigepflicht bei Wildunfällen ist wirksam. § 7 a III der hier vereinbarten Kaskobedingungen entspricht der Regelung in § 7 III AKB. Bedenken gegen die wirksame Einbeziehung der Klausel in den Versicherungsvertrag oder gegen die Wirksamkeit bestehen nicht. Es handelt sich weder um eine überraschende Klausel, noch benachteiligt ihr Inhalt den Versicherungsnehmer unangemessen (§§ 305 c, 307 BGB n. F.).

B) Die Klausel ist so auszulegen, wie sie ein Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse verstehen muss. Die Regelung ist gerade überschrieben als „Obliegenheit in der Fahrzeugversicherung“. Der Wortlaut ist eindeutig und einer Auslegung nicht zugänglich. Es werden die Arten von Schäden genannt, bei deren Eintritt eine Anzeige an die Polizei zu erfolgen hat. Eine Unterscheidung zwischen Eigen- und Fremdschaden wird gerade nicht vorgenommen.

Soll ein Schaden über die Kaskoversicherung abgewickelt werden, handelt es sich in der Regel um einen Eigenschaden, der dem Versicherungsnehmer entstanden ist. Gerade die Nennung eines Wildschadens im Zusammenhang mit einem Entwendungsschaden oder einem Brandschaden zeigt, dass es bei der genannten Schadenssumme nicht auf einen Fremdschaden ankommt. Denn bei einer Entwendung oder einem Brandschaden wird im Regelfall ausschließlich ein Eigenschaden vorliegen.

Liegt ein Fremdschaden vor, so ist der Versicherungsnehmer bereits bei einer Größenordnung unterhalb von 300,- DM unter Umständen verpflichtet, die Polizei zu verständigen und an der Unfallstelle zu warten, um einer Strafbarkeit wegen einer Unfallflucht gemäß § 142 StGB zu entgehen. Diese Verhaltenspflichten bedürfen gerade keiner Regelung in Versicherungsbedingungen, weil sie gesetzlich geregelt sind.

Selbst dann, wenn bei einem Fremdschaden die erforderlichen Feststellungen gemäß § 142 StGB ohne Hinzuziehung der Polizei getroffen werden können, weil die anderen Unfallbeteiligten und Geschädigten vor Ort sind, würde die Beschränkung auf Fremdschäden in der Klausel über die Hinzuziehung der Polizei keinen Sinn machen. Denn die Klausel soll - für jeden Versicherungsnehmer erkennbar - dem Aufklärungsinteresse des Versicherers dienen. Sind jedoch bei einem Fremdschaden andere Unfallbeteiligte vor Ort und können die notwendigen Feststellungen sofort getroffen werden, so kann dem Sachaufklärungsinteresse des Versicherers auch ohne Hinzuziehung der Polizei Rechnung getragen werden, weil Zeugen zur Verfügung stehen.

Gerade dann, wenn jedoch im Bereich der Kaskoversicherung kein Fremdschaden vorliegt, die Polizei also nicht schon aus diesem Grund verständigt werden muss, und auch - wie hier - Zeugen für das Unfallgeschehen nicht zur Verfügung stehen, will der Versicherer sein Sachaufklärungsinteresse durch die Vereinbarung einer Obliegenheit, der Polizei das Unfallgeschehen unverzüglich anzuzeigen, sichern.

...

Der Kläger hat diese Obliegenheit verletzt, denn er hat den Unfall bei der Polizei nicht angezeigt. Er hatte in Ansehung des Schadensbildes an seinem Fahrzeug auch nach dem Unfall die entsprechende Kenntnis von dem Eintritt eines Schadens in einer Größenordnung von über 300,- DM.

C) Steht der objektive Tatbestand einer Aufklärungsobliegenheit fest, so ist es Sache des Versicherungsnehmers, die Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 VVG zu entkräften. Diese Entkräftung gelingt dem Kläger, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht.

Dem Kläger war die Regelung in § 7 a III der Kaskobedingungen bekannt. Er hat im ersten Rechtszug selbst vorgetragen, dass er die Obliegenheit lediglich anders verstanden habe (Bl. 71, 72 d. A.). Damit kann er den Entlastungsbeweis nicht führen, denn die Klausel ist, wie bereits ausgeführt wurde, einer entsprechenden Auslegung nicht zugänglich. Der Senat weicht mit seiner Auffassung nicht von den Entscheidungen anderer Gerichte ab. Das OLG Hamm (vgl. VersR 1985, 467) hat es in einem Sachverhalt für erwiesen angesehen, dass der Versicherungsnehmer von dem Bestehen der Obliegenheit kein Bewusstsein hatte, weil er sich bei der Versicherungsagentin nach einem Brandschaden erkundigt hatte, wie er sich verhalten solle. Die Agentin hatte dann einen entsprechenden Hinweis auf die Obliegenheit zur Anzeige bei der Polizei unterlassen. Um einen vergleichbaren Sachverhalt geht es hier nicht. Das OLG Köln hat es in einem Sachverhalt für glaubhaft gehalten, dass dem Versicherungsnehmer die entsprechende Obliegenheit nicht bekannt war (ZfS 1993, 199). Auf diesen nicht näher begründeten Gesichtspunkt hat das OLG Köln die Entscheidung jedoch nicht gestützt, sondern darauf abgestellt, dass die Verletzung dieser Pflicht auf die Feststellung des Versicherungsfalles und den Umfang der Leistung keinen Einfluss hatte. Gegenstand der Entscheidung war ein Unfall, bei dem ein Wildschaden nicht vorlag, weil der Versicherungsnehmer den Schaden durch ein Ausweichmanöver ohne Kollision mit dem Wild erlitten hatte. Es stellte sich die Frage, ob die Obliegenheit bei einem Anspruch gemäß § 63 VVG auf Ersatz von Rettungskosten überhaupt gilt.

Auch die Entscheidung des LG Frankfurt (ZfS 2006, 277 f.) betraf einen Sachverhalt, bei dem es zu einer Kollision mit dem Wild nicht gekommen war.

Für den Kläger spricht auch keine Vermutung des Inhalts, dass ein Versicherungsnehmer schon im wohlverstandenen eigenen Interesse am Erhalt des Versicherungsschutzes es nicht vorsätzlich unterlassen wird, den Unfall der Polizei unverzüglich anzuzeigen. Denn gerade in den Fällen, in denen die Polizeibeamten Umstände feststellen könnten, die den Versicherungsschutz gefährden, wird eine solche Anzeige unterbleiben. Hier ist zu berücksichtigen, dass der Kläger selbst einräumt, dass er mit dem Fahrzeug einen Fremdschaden an der Leitplanke und dem Baum verursacht hatte (Bl. 40, 72 d. A.). Er bezeichnet diesen zwar als nicht nennenswert, jedoch hätte gerade der Eintritt eines Fremdschadens einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer veranlasst, die Polizei zu informieren und den Beamten die Entscheidung zu überlassen, ob sie den Unfall vor Ort aufnehmen wollen. Dieses Verhalten lag schon deswegen nahe, weil der Kläger selbst in seiner handschriftlichen Stellungnahme (Bl. 12 d. A.) angab, dass es dunkel und diesig gewesen sei und Schneeregen geherrscht habe, so dass er ein erheblichen Risiko einging, die nach seinem eigenen Vortrag verursachten Schäden an der Leitplanke und dem Baum wegen der Witterungs- und Lichtverhältnisse zu verkennen.

D) Das Berufen der Beklagten auf die Leistungsfreiheit verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben.

Die Versicherungsunternehmen haben in einer geschäftsplanmäßigen Erklärung für die Kaskoversicherung festgelegt, dass sie sich bei einem Wildschaden weder bei einer Fahrzeugteil- noch einer Fahrzeugvollversicherung im Falle der Verletzung der Meldepflicht nach § 7 III Satz 2 AKB auf § 6 Abs. 3 VVG berufen werden, wenn die Verletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistung Einfluss hat.

Hier ist die Obliegenheitsverletzung nicht folgenlos geblieben. Folgenlos ist eine Obliegenheitsverletzung schon dann nicht mehr, wenn bestimmte Erkenntnismöglichkeiten unwiederbringlich verloren sind (vgl. BGH NJW-RR 2004, 1395 f.). Dazu gehören hier gerade die Feststellungen der Polizeibeamten dazu, welchen Schadenshergang der Versicherungsnehmer unmittelbar nach dem Unfall schildert, ob sich diese Schilderung mit den Spuren vor Ort - insbesondere mit den angeblich entstandenen Schäden am Fahrzeug - in Einklang bringen lässt und welchen Eindruck der Versicherungsnehmer dabei hinterlässt. Derartige Erkenntnisse sind nachträglich nicht mehr zu gewinnen. Der Umstand, dass der als Zeuge benannte Jagdpächter J. später am Unfallort erschien und dabei auch Fährten von Rehen entdeckt und ein verendetes Reh entsorgt haben will, stellt keine gleichwertige und umfassende Sachaufklärung dar.

Da die unterbliebene Anzeige des Unfalls gegenüber der Polizei nicht folgenlos geblieben ist, kommt es nicht darauf an, ob den Kläger ein schweres Verschulden trifft (vgl. BGH, a. a. O.). Allenfalls bei der Frage der Schwere seines Verschuldens könnte sich der Kläger darauf berufen, es handele sich bei seinem Fehlverhalten um ein solches, wie es jedem Versicherungsnehmer einmal unterlaufen könne, wofür auch der zunächst erteilte Hinweis des Landgerichts spreche.“
Das Vorbringen im Schriftsatz vom 9. Juni 2006 gibt zu einer dem Kläger günstigen Beurteilung keinen Anlass. Der Senat hält an seiner geäußerten Rechtsauffassung fest. Aus dem Umstand, dass der Einzelrichter am Landgericht einen rechtlichen Hinweis erteilte, der auf ein Fehlverständnis der Klausel schließen lässt, ergibt sich nicht, dass die Klausel tatsächlich missverständlich und bei objektiver Betrachtung einer unterschiedlichen Auslegung zugänglich ist. ..."



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