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OLG Koblenz Beschluss 12.10.1993 - 1 Ss 257/93 - Parken auf einem abgegrenzten Gelände einer Autobahntankstelle ist kein verbotenes Halten auf der Autobahn

OLG Koblenz v. 12.10.1993: Parken auf einem abgegrenzten Gelände einer Autobahntankstelle ist kein verbotenes Halten auf der Autobahn


Das OLG Koblenz (Beschluss 12.10.1993 - 1 Ss 257/93) hat entschieden:
Parken auf einem abgegrenzten Gelände einer Autobahntankstelle ist kein verbotenes Halten auf der Autobahn i. S. des § 18 VIII StVO.


Siehe auch Stichwörter zum Thema Halten und Parken


Zum Sachverhalt: Der Betr. stellte seinen Lkw mit Anhänger auf dem Tankstellengelände der Autobahnraststätte H.-Ost ab. Zu der Raststätte führt von der Autobahn eine Fahrspur. die sich gabelt in eine neben der eigentlichen Autobahn verlaufende Spur und in eine weitere Fahrspur, auf der die Tank- und Rastanlage erreicht wird. Diese weitere Fahrspur gabelt sich wiederum, so dass man an der Tankstelle sowohl rechtsseitig als auch linksseitig vorbeifahren kann. Der Tankstellenbereich. auf dem sich mehrere Tanksäulen und ein Gebäude (Tankshop nebst Kiosk, Cafeteria und Toiletten) befinden, ist durch eine gestrichelte Linie gekennzeichnet und abgegrenzt. Darüber hinaus ist der Tankstellenbereich farblich (rötlicher Belag) von den übrigen Fahrspuren und dem übrigen Bereich der Rastanlage abgesetzt. Hinter dem Tankstellenbereich sind die Pkw- und Lkw-Parkplätze. Im gesamten Bereich sind keine Halte- oder Parkverbotsschilder aufgestellt.

Der Betr. hielt zum genannten Zeitpunkt mit seinem Lastzug hinter den Tanksäulen noch im Bereich des Tankstellengeländes, das durch die gestrichelte Linie abgegrenzt ist. Er reinigte zunächst die Scheiben des Lkw; die durch Schneeregen verschmutzt waren. Anschließend begab er sich zur Toilette. Um 10.00 Uhr stellten Polizeibeamte den Lastzug des Betr. an der vorgenannten Stelle stehend fest. Zu diesem Zeitpunkt waren weder die Lkw- noch die Pkw-Parkplätze der Rastanlage vollständig belegt.

Das AG hat den Betr. wegen fahrlässigen verbotswidrigen Parkens nach § 18 VIII StVO verurteilt.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen war erfolgreich.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Verurteilung wegen verbotswidrigen Parkens kann keinen Bestand haben. Die Handlung des Betr. ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt bußgeldbewehrt.

1. Das AG hat die Verurteilung auf § 18 VIII StVO gestützt. § 18 StVO regelt die Benutzung der Autobahnen und Kraftfahrstraßen. Sein Abs. 8 lautet: „Halten, auch auf Seitenstreifen, ist verboten.” Mit der Anwendung dieser Vorschrift auf den vorliegenden Fall hat das AG die Grenzen der Auslegung von Bußgeldvorschriften überschritten.

a) Es ist unstreitig, dass Art. 103 II GG nicht nur für Straf-, sondern auch für Bußgeldtatbestände gilt (vgl. BVerfG, NJW 1990, 1103 = NZV 1990, 237L; NJW 1993, 581 [5821; Göhler, § 3 Rdnr. 1). Er verpflichtet den Gesetzgeber, auch die Bußgeldvoraussetzungen so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Bußgeldtatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen.

Diese Verpflichtung dient einem doppelten Zweck. Einerseits soll der Normadressat vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit der Auferlegung eines Bußgeldes bedroht ist. Es geht insoweit also um eine „Orientierungsgewissheit für den Bürger” (Rogall, in: KK-OWiG, § 3 Rdnr. 28 unter Berufung auf Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, 1983, Rdnr. 133). Er soll keine willkürlichen staatlichen Reaktionen befürchten müssen (vgl. BVerfGE 64, 389 [3941 unter Hinweis auf Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht, 1977, 5.206 ff.). Andererseits soll sichergestellt sein, dass der Gesetzgeber über die Bußgeldvoraussetzungen entscheidet und nicht die vollziehende oder rechtsprechende Gewalt. Insoweit enthält Art. 103 II GG einen strengen Gesetzesvorbehalt (vgl. BVerfG, NStZ 1990, 394). Durch diese Zwecke wird die Verwendung auslegungsfähiger Begriffe nicht ausgeschlossen. Dabei markiert allerdings der mögliche Wortsinn der Norm die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation (BVerfGE 71, 108 [115])). Mit dieser formalen Auslegungsschranke erfolgt eine Grenzziehung zwischen erlaubter teleologischer Auslegung und verbotener Gesetzesanalogie (Krey, ZStW 1989, 842). Maßgebend ist dabei der heutige Wortsinn, der Sprachgebrauch der Gegenwart (Krey, Studien, S. 162 f ). Er ist im Hinblick darauf, dass Erkennbarkeit und Vorhersehbarkeit der Bußgeldandrohung für den Normadressaten verlangt wird, aus der Sicht des Bürgers zu bestimmen (BVerfGE 71, 108 [115])). Die Gerichte müssen daher in den Fällen, die vom möglichen Wortsinn des Gesetzes nicht mehr erfasst sind, zum Freispruch gelangen (s. hierzu Krey, ZStW 1989, 847).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Verurteilung des Betr. wegen verbotswidrigen Parkens vom möglichen Wortsinn des § 18 VIII StVO nicht mehr gedeckt. Die Vorschrift verbietet ein Halten auf der Autobahn, auch auf Seitenstreifen. Im weitesten Sinne kann dies nur bedeuten, dass zur „Autobahn” alle Straßen gehören, die sich zwischen dem Zeichen 330 (Autobahn) und dem Zeichen 334 (Ende der Autobahn) befinden, also durchgehende Fahrbahnen, Beschleunigungs-, Verzögerungs- und Seitenstreifen, Einfahrten und Ausfahrten, die Verbindungsstraßen zwischen Ein- und Ausfahrten und die Zufahrten zu Parkplätzen. Raststätten und Tankstellen (vgl. Mühlhaus/Janiszewski, StVO, 13. Aufl., § 18 Rdnr. 1). Nach den Urteilsfeststellungen hat der Betr. mit seinem Lastzug weder auf einer Fahrbahn noch auf einer Einfahrt, Ausfahrt oder Zufahrt gehalten. Im Urteil ist festgestellt, dass der Betr. mit seinem Lastzug hinter den Tanksäulen noch im Bereich des Tankstellengeländes gehalten hat und dieser von dem Betr. benutzte Tankstellenbereich nicht nur durch eine gestrichelte Linie gekennzeichnet und abgegrenzt, sondern darüber hinaus auch noch farblich von den übrigen Fahrspuren und dem übrigen Bereich der Rastanlage abgesetzt ist. Sieht man bei dieser Sachlage ein Halten auf der Autobahn für gegeben an, so ist dies nicht mehr nachvollziehbar. Es kann nicht verständlich gemacht werden, dass ein Halten oder Parken innerhalb eines klar abgegrenzten Autobahntankstellenbereichs ein Halten oder Parken auf der Autobahn sein soll. Jeder, der an einer Autobahntankstelle anhält und tankt oder auch nicht tankt, würde gegen § 18 VIII StVO verstoßen. Das kann nicht richtig sein. Eine Gleichstellung von „Autobahn” und „Autobahntankstelle” läuft auf eine unzulässige Analogie hinaus. Die Verurteilung durch das AG ist daher von dem möglichen Wortsinn des § 18 VIII StVO nicht mehr getragen.

b) Im übrigen würde eine Verurteilung auch nicht dem Sinn und Zweck des § 18 VIII StVO entsprechen. Die Vorschrift bezweckt ein Halteverbot auf allen Teilen der Autobahn, die der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs dienen (vgl. OLG Braunschweig, VRS 32, 475 [476] ). Hierzu gehören auch die Zu- und Abfahrten, welche die durchgehende Fahrbahn mit Parkplätzen und Rastanlagen verbinden. Die Zu- und Abfahrten dienen allein dem Fahrverkehr. Das Verbot des Haltens auf diesen Verbindungsstraßen ist notwendig, da infolge der hohen Geschwindigkeit auf der Autobahn in Zufahrten oft noch verhältnismäßig schnell eingefahren wird. An Ein- oder Ausfahrten haltende Fahrzeuge könnten zu Gefahrenquellen werden. Diesen will das in § 18 VIII StVO aufgestellte Halteverbot begegnen. Es verfehlt jedoch seinen Zweck, wenn es auch auf Fahrzeuge ausgedehnt wird, die an der Autobahntankstelle halten. Diese sind keine Gefahrenquellen für den Autobahnverkehr. Es ist daher, soweit ersichtlich, einhellige Auffassung, dass die Tankstellen selbst von dem Halteverbot ausgenommen sind (vgl. BGHSt 18, 188 [192]; Mühlhaus/Janiszewski, § 18 Rdnr. 22 a. E.; Cramer, StraßenverkehrsR, Bd. I, 2. Aufl., § 18 StVO Rdnr. 91). Einer Verurteilung würde daher auch der Sinn und Zweck des § 18 V III StVO entgegenstehen.

2. Ein Verstoß gegen § 12 StVO liegt gleichfalls nicht vor. Insbesondere war das Parken nicht nach § 12 III StVO unzulässig. Nach den Feststellungen des Urteils waren im gesamten Bereich keine Halte- oder Parkverbotsschilder aufgestellt.

3. Schließlich ist auch nicht ersichtlich, dass der Betr. gegen das allgemeine Verhalten im Straßenverkehr nach § 1 II StVO verstoßen hat. Im angefochtenen Urteil ist ausgeführt, dass eine konkrete Gefährdung nicht festgestellt werden konnte. Es besteht auch kein Anhaltspunkt dafür, dass es durch den geparkten Lastzug zu einer Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer gekommen ist. ..."



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