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Kammergericht Berlin Urteil vom 03.03.1988 - 12 U 4974/87 - Zur Haftungsverteilung bei Mitschuld des Vorfahrtberechtigten bei einem Parkplatzunfall
KG Berlin v. 03.03.1988: Zur Haftungsverteilung bei Mitschuld des Vorfahrtberechtigten bei einem Parkplatzunfall
Das Kammergericht Berlin (Urteil vom 03.03.1988 - 12 U 4974/87) entschieden:
Auf einem Parkplatz ist auch für den Vorfahrtsberechtigten ein Langsamfahren bei steter Bremsbereitschaft geboten, falls die Sicht wegen parkender Fahrzeuge eingeschränkt ist.
Siehe auch Unfälle auf Parkgelände und Stichwörter zum Thema Halten und Parken
Tatbestand:
Die Kläger waren Halter der unter dem amtlichen Kennzeichen ... zum Verkehr zugelassenen Kraftdroschke vom Fabrikat D.-B. Mit diesem Fahrzeug befuhr der Taxifahrer T. W. am 31. August 1986 gegen 13.00 Uhr die in B. gelegene S. straße auf der nördlichen Richtungsfahrbahn in westlicher Richtung. Vor der Kreuzung der S. straße mit der M. straße bog er nach links in den ungewöhnlich breiten Mittelstreifendurchbruch ein. Von diesem aus führt in westlicher Richtung eine etwa 4 m breite Zufahrtsstraße zu Parkplätzen (nördlicher Bereich des Mittelstreifens) und zu einem Halteplatz für Kraftdroschken (südlicher Bereich des Mittelstreifens). Auf dieser Zufahrtsstraße näherte sich, für den Taxifahrer von rechts kommend, zu der angegebenen Zeit der Beklagte zu 2. mit seinem bei der Beklagten zu 1. haftpflichtversicherten Pkw vom Fabrikat G. GTI, amtliches Kennzeichen ... Beide Fahrzeuge stießen zusammen, als der Taxifahrer W. mit der Kraftdroschke der Kläger die Zufahrtsstraße erreichte. Der Anstoß erfolgte nach den Feststellungen der Polizei 0,85 m südlich der über die Zufahrtsstraße zu erreichenden Parkplätze. Die Kraftdroschke wurde vorn rechts, der Pkw des Beklagten zu 2. wurde vorn links beschädigt.
Die Kläger haben mit ihrer beim Landgericht Berlin erhobenen Klage Ersatz des ihnen entstandenen, in Höhe von 7.887,05 DM unstreitigen Sachschadens nach einer Quote von 2/3, also in Höhe von 5.258,03 DM, begehrt. Sie haben zum Unfallhergang behauptet:
Ihr Fahrer sei mit Schrittgeschwindigkeit an den parkenden Fahrzeugen vorbeigefahren und habe an der Sichtlinie angehalten, als er den Wagen des Beklagten zu 2. von rechts habe kommen sehen. Die Sicht nach rechts sei behindert gewesen, da die ersten Parkplätze mit Personenkraftwagen besetzt gewesen seien und da auf dem vierten oder fünften Parkplatz ein Bus gestanden habe. Die von dem Beklagten zu 2. eingehaltene Geschwindigkeit habe mehr als 40 km/h betragen.
Die Kläger haben beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 5.258,03 DM nebst 8,5 % Zinsen seit dem 17. September 1986 zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben erwidert, der Beklagte zu 2. habe bis zum Anstoß mit seinem Wagen lediglich 5 m zurückgelegt, die Taxe sei in seinen Wagen hineingefahren.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Taxifahrers T. W. als Zeugen. Mit seinem alsdann verkündeten Urteil vom 30. März 1987 hat das Landgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:
Der Beweis des ersten Anscheins spreche für eine schuldhafte Unfallverursachung durch den Fahrer der Kraftdroschke der Kläger, der die Vorfahrt des Fahrzeuges des Beklagten zu 2. hätte beachten müssen. Der Anscheinsbeweis sei durch die Aussage des Zeugen W. nicht erschüttert worden. Dieser hätte sich allenfalls zentimeterweise bis zur Sichtlinie vortasten dürfen, was er nach seinen eigenen Angaben nicht getan habe. Der Verstoß des Beklagten zu 2. gegen das Rechtsfahrgebot sei ohne Bedeutung, weil dieses Gebot nur dem Schutz des entgegenkommenden und des überholenden Verkehrs diene. Der Beweis für eine überhöhte Geschwindigkeit des Beklagten zu 2. sei mit den Bekundungen des Zeugen W. nicht geführt, weil diese der "tatsächlichen Grundlagen entbehrten".
Mit ihrer gegen dieses Urteil rechtzeitig eingelegten Berufung verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter. Sie rügen, dass das Landgericht die Zeugenaussage nicht richtig gewürdigt, die Bußgeldakte nicht hinreichend ausgewertet und die Pflichten von Verkehrsteilnehmern auf Parkplätzen verkannt habe:
Auch der Beklagte zu 2. habe auf dem Parkplatz unter Berücksichtigung der besonderen örtlichen Verhältnisse eine besondere Sorgfaltspflicht gehabt, der er nicht genügt habe. Der Beklagte zu 2. sei mit seinem Wagen in die Taxe hineingefahren und habe diese mehrere Zentimeter zur Seite geschoben. Die Beklagten verweisen auf die vom Beklagten zu 2. unstreitig gegenüber der Polizei gemachten Angaben, nach denen er die Taxe zwar hatte kommen sehen, jedoch auf sein Vorfahrtsrecht gepocht hatte. Die Kläger wiederholen ihre Behauptung, der Beklagte zu 2. sei mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren. Hierfür beziehen sie sich zusätzlich auf das Zeugnis des Beifahrers im Kraftfahrzeug des Beklagten zu 2., des A. Y. der bei dem Unfall unstreitig mit seinem Kopf durch die Frontscheibe des Wagens des Beklagten zu 2. geflogen war.
Die Kläger beantragen,
unter Änderung des angefochtenen Urteils nach ihrem Klageantrage zu entscheiden.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie wiederholen ihr erstinstanzliches Vorbringen und behaupten ihrerseits, die Kraftdroschke sei in den Wagen des Beklagten zu 2. hineingefahren und habe diesen nach rechts verschoben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszuge wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Die Akten .... des Polizeipräsidenten in Berlin haben dem Senat zur Information vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Kläger muss Erfolg haben, weil sich die angefochtene Entscheidung nicht halten lässt. Das Urteil des Landgerichts würdigt, wie die Kläger mit Recht geltend machen, die Aussage des Taxifahrers W. nicht richtig, sie berücksichtigt nicht das Ergebnis der in der Bußgeldakte festgehaltenen polizeilichen Ermittlungen und sie beurteilt auch die Rechtslage insgesamt unzutreffend. Bei objektiver Würdigung der vorliegenden Beweisergebnisse muss angenommen werden, dass der Unfall von dem Beklagten zu 2. in stärkerem Maße verursacht und verschuldet worden ist als durch den Fahrer der Kraftdroschke der Kläger, so dass die von den Klägern erstrebte Haftung der Beklagten nach einer Quote von 2/3 gerechtfertigt erscheint (§§ 7, 17 StVG in Verbindung mit § 3 PflVersG).
Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt der Erwägungen im angefochtenen Urteil, dass der Fahrer der Kraftdroschke der Kläger, der vom Landgericht als Zeuge vernommene Taxifahrer W., dem Beklagten zu 2. die Vorfahrt einräumen musste, weil der Beklagte zu 2. für ihn auf dem Mittelstreifen der S. straße auf einer zu Parkplätzen und einer Taxihaltestelle führenden Zufahrtsstraße von rechts kam (§ 8 Abs. 1 Satz 1 StVO). Denn die Vorschriften der StVO gelten grundsätzlich auch auf einem öffentlichen Parkplatz (vgl. etwa KG - 12. Zivilsenat - DAR 1977, 47 = VerkMitt 1977 Nr. 29 = VersR 1977, 549 sowie KG - 22. Zivilsenat - DAR 1978, 19 = VersR 1977, 1103). Um dieser Verpflichtung zu genügen, hätte sich der Taxifahrer W. wegen der nach seiner glaubhaften Aussage durch geparkte Fahrzeuge bestehenden Sichtbehinderung nur vorsichtig in den Bereich der Zufahrtsstraße hineintasten dürfen (§ 8 Abs. 2 Satz 3 StVO). Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass er dieser Verpflichtung nicht genügt hat. Der Zeuge hat bei seiner Vernehmung durch das Landgericht bekundet, er sei nur mit ganz geringer Geschwindigkeit gefahren, die Geschwindigkeit sei so niedrig gewesen, dass sie auf den Tachometer nicht mehr angezeigt worden sei, der von ihm geführte Wagen sei nur noch gerollt; er habe gleich gestanden, als er das andere Fahrzeug gesehen habe; unmittelbar nach dem Stehenbleiben sei es zum Zusammenstoß gekommen. Ein objektiv begründeter Anlass, an der Richtigkeit dieser Bekundungen zu zweifeln, besteht nicht. Denn sie stimmen mit der von der Polizei festgestellten Tatsache überein, dass es zu dem Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge bereits kam, als die Kraftdroschke gerade 0,85 m über die Linie der geparkten Fahrzeuge hinaus in den Bereich der Zufahrtsstraße hineingefahren war. Dass die Kraftdroschke im Augenblick des Zusammenstoßes entgegen der Aussage des Zeugen noch eine ins Gewicht fallende Restgeschwindigkeit hatte, ist nicht feststellbar. Die Beklagten weisen in diesem Zusammenhange ohne Erfolg auf die von der Polizei festgestellte, in der Verkehrsunfallskizze eingezeichnete leichte Schrägstellung des Fahrzeuges des Beklagten zu 2. hin. Diese Schrägstellung beruht ersichtlich darauf, dass der Beklagte zu 2. unmittelbar vor Eintritt des Schadensereignisses noch leicht nach rechts gelenkt hatte. Das ergibt sich aus den in einer Anlage zur Verkehrsunfallskizze von der Polizei für das Fahrzeug des Beklagten zu 2. dargestellten, vor der Einmündung nach rechts verlaufenden Rutschspuren von 0,80 m und 2 m.
Nach alledem kann, wenn überhaupt, allenfalls von einer leichten Verletzung der Pflicht, sich vorsichtig in den Bereich der Zufahrtsstraße hineinzutasten, durch den Zeugen W. ausgegangen werden. Dagegen hat der Beklagte zu 2. trotz der ihm an sich zustehenden Vorfahrt, auf die er nach dem Unfall in einer von der Polizei festgehaltenen Äußerung gepocht hat, stärker ins Gewicht fallende Verkehrsverstöße begangen:
Zunächst fällt ins Gewicht, dass der Beklagte zu 2. mit seinem Fahrzeug vom Fabrikat G. GTI auf der Zufahrtsstraße äußerst links gefahren ist, ohne dass hierfür ein erkennbarer Anlass bestanden hat. Das nach § 2 Abs. 2 Satz 1 StVO bestehende Rechtsfahrgebot dient zwar grundsätzlich nicht dem Schutz des Wartepflichtigen. Jedoch trifft den Vorfahrtberechtigten eine Mitschuld, wenn er an einer schlecht einsehbaren Kreuzung oder Einmündung dem Wartepflichtigen durch zu starkes Linksfahren das vorsichtige Hineintasten zur Erlangung freier Sicht durch zu starkes Linksfahren verleitete oder erschwerte (vgl. etwa Mühlhaus-Janiszewski, StVO, 9. Aufl., § 8 Anm. 6 d sowie § 8 Anm. 8 d mit Rechtsprechungsnachweisen). In derartigen Fällen ist dementsprechend mit Recht mehrfach allein wegen des Linksfahrens eine Mithaftung des Vorfahrtsberechtigten angenommen worden (vgl. z.B. KG, VersR 1972, 1143: Mithaftung zu 1/4; weitere Nachweise bei Sprenger, KVR von A - Z Vorfahrt, Zivilrechtliche Auswirkungen, Seite 8).
Im vorliegenden Falle kommt hinzu, dass der Beklagte zu 2. sich mit einer den Verkehrsverhältnissen nicht angepassten, zu hohen Geschwindigkeit der Straßeneinmündung genähert hatte. Der Beklagte zu 2. musste schon deshalb langsam fahren, weil nach der bei der Bußgeldakte befindlichen Verkehrsunfallskizze der Polizei von der nördlichen Richtungsfahrbahn der S. straße aus zu den Parkplätzen und der Taxihaltestelle über den Mittelstreifen ebenfalls eine Zufahrt eingerichtet ist, auf der etwaige Verkehrsteilnehmer für den Beklagten zu 2. von rechts kamen. Dabei ist von Bedeutung, dass der Beklagte zu 2. wegen des Taxihalteplatzes nach rechts seinerseits nur eine eingeschränkte Sicht hatte. Der Beklagte zu 2. hätte daher seine Geschwindigkeit so weit herabsetzen müssen, dass er einem von rechts kommendem Fahrzeug die ihm zustehende Vorfahrt hätte gewähren können. Diese Verpflichtung dient auch dem Schutz des Wartepflichtigen, so dass bei ihrer Verletzung die Mithaftung des Bevorrechtigten in Betracht kommt (BGH, VersR 1977, 917 = VRS 53, 256 = DAR 1977, 270 = LM Nr. 4 zu § 8 StVO 1970; Sprenger, a.a.O., Seite 10 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Etwas anderes gilt nur dann, wenn - was hier nicht der Fall ist - für den Vorfahrtberechtigten die Sicht nach links zwar behindert, nach rechts aber frei ist (BGH, NJW 1985, 2757 = MDR 1985, 922 = DAR 1985, 288 = VRS 69, 267 = VersR 1985, 784 = LM Nr. 8 zu § 8 StVO 1970; Weber, DAR 1986, 161, 173 zu III). Hier kommt noch hinzu, dass sich beide Verkehrsteilnehmer auf einem Parkplatz befanden, auf dem auch für den Vorfahrtberechtigten ein Langsamfahren bei steter Bremsbereitschaft geboten ist, falls die Sicht wegen parkender Fahrzeuge eingeschränkt ist (KG, DAR 1977, 47 = VerkMitt 1977, Nr. 29 = VersR 1977, 549; Darkow, DAR 1977, 253, 260 f. zu II 19 d; Sprenger, a.a.O., Seite 11). Dieser Verpflichtung hat der Beklagte zu 2. ebenfalls nicht genügt:
Der Taxifahrer W. hat in seiner schon mehrfach erwähnten Zeugenaussage angegeben, der "andere Wagen" sei fast mit einer Geschwindigkeit gefahren, wie sie im fließenden Verkehr normal ist, er schätze die Geschwindigkeit auf mindestens 40 km/h. Es kann dahingestellt bleiben, ob dieser Aussage voll gefolgt werden kann. denn schon aus objektiven Gründen kann von dem gebotenen Langsamfahren bei steter Bremsbereitschaft nicht die Rede sein. Die objektiven Gründe bestehen darin, dass der Beklagte zu 2. an der Einmündung mit erheblicher Wucht gegen das nach der insoweit glaubhaften Aussage des Zeugen W. bereits stehende Fahrzeug der Kläger gestoßen ist, und dass der Anstoß - ungeachtet der festgestellten Rutschspuren - so heftig war, dass der - offenbar nicht angegurtete - Beifahrer im Kraftfahrzeug des Beklagten zu 2. mit dem Kopf durch die Windschutzscheibe flog.
Bei der aus den vorstehenden Gründen gegebenen Sach- und Rechtslage ist die Haftung der Beklagten nach der Quote von 2/3 gerechtfertigt, ohne dass es noch der Vernehmung des Beifahrers im Kraftfahrzeug des Beklagten zu 2., A. Y., zu der von den Klägern im Berufungsverfahren in sein Wissen gestellten Behauptung bedarf, der Beklagte zu 2. sei mit einer Geschwindigkeit von mehr als 40 km/h gefahren (vgl. zu einem ähnlichen Fall: KG, VR S 65, 333 = DAR 1984, 85 = VersR 1983, 1163 L).
Der den Klägern entstandene Sachschaden ist in der geltend gemachten Höhe von 7.887,05 DM unstreitig. 2/3 hiervon ergeben die Klageforderung von 5.258,03 DM. Dieser Betrag ist von den Beklagten gemäß §§ 284, 288 BGB mit 4 % seit dem 18. September 1986 zu verzinsen, weil sie sich seither aufgrund der unter Fristsetzung vom 17. September 1986 ausgesprochenen Zahlungsaufforderung in Verzuge befinden. Unbegründet ist die Klage wegen des geltend gemachten höheren Zinssatzes von 8,5 %, da es insoweit völlig an Angaben der Kläger fehlt.
Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 708 Nr. 10, 546 Abs. 2 S. 1 ZPO.