Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

BGH Beschluss vom 03.11.1983 - 4 StR 80/83 - Zur Strafbarkeit der Kfz-Benutzung im Verkehr nach wirksamer KÜndigung des Versicherungsvertrages

BGH v. 03.11.1983: Zur Strafbarkeit der Kfz-Benutzung im Verkehr nach wirksamer KÜndigung des Versicherungsvertrages


Der BGH (Beschluss vom 03.11.1983 - 4 StR 80/83) hat entschieden:
Wer ein Fahrzeug auf öffentlichen Wegen oder Plätzen gebraucht oder den Gebrauch gestattet, obwohl der für das Fahrzeug abgeschlossene Haftpflichtversicherungsvertrag nach VVG § 39 Abs 3 S 1 wirksam fristlos gekündigt worden ist, ist auch dann nach PflVG § 6 strafbar, wenn die Wirkungen der Kündigung gemäß VVG § 39 Abs 3 S 3 durch nachgeholte Prämienzahlung wieder weggefallen sind.


Siehe auch Verstöße gegen die gesetzliche Pflichtversicherung


Zum Sachverhalt: Der Angeklagte hatte für seinen Pkw bei der T Versicherungs AG in München einen Haftpflichtversicherungsvertrag abgeschlossen. Da er eine Beitragsrechnung von DM 111,30 nicht bezahlte, wurde er am 22. August 1981 gemäß § 39 Abs. 1 VVG zur Zahlung aufgefordert. Als auch auf eine Erinnerung keine Zahlung erfolgte, kündigte die Versicherung am 20. Januar 1982 gemäß § 39 Abs. 3 Satz 1 VVG fristlos das Versicherungsverhältnis. Das Kündigungsschreiben wurde einem Angestellten des Angeklagten am 22. Januar 1982 durch Postzustellung ausgehändigt. Die Versicherung teilte dem zuständigen Landratsamt in einem dort am 25. Januar 1982 eingegangenen Schreiben mit, dass die Haftpflichtversicherungsbestätigung für das Fahrzeug ihre Geltung verloren habe.

Der Angeklagte überwies am 20. Februar 1982 der Haftpflichtversicherung den nunmehr fälligen Betrag von DM 979,30. Da er gleichzeitig sein Fahrzeug bei einer anderen Versicherungsgesellschaft versicherte, rechnete die T Versicherung zum 20. Februar 1982 ab und hob den Versicherungsvertrag mit diesem Tage auf.

Der Angeklagte benutzte vom 24. Januar bis 20. Februar 1982 sein Fahrzeug auf öffentlichen Straßen. Der Versicherungsfall trat in dieser Zeit nicht ein.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf des fahrlässigen Gebrauchs eines Fahrzeuges ohne den erforderlichen Haftpflichtversicherungsvertrag (§§ 1, 6 Abs. 1 und 2 PflVG) freigesprochen und seine Entscheidung damit begründet, das Fahrzeug des Angeklagten sei auch nach der Kündigung noch haftpflichtversichert gewesen. Die Wirkungen der Kündigung seien aufgrund der Nachzahlung rückwirkend fortgefallen, weil diese innerhalb der in § 39 Abs. 3 Satz 3 VVG festgesetzten Frist erfolgt und der Versicherungsfall nicht eingetreten sei. Eine versicherungslose Zeit habe somit nicht bestanden. Im übrigen hätten Dritte aufgrund der gesetzlichen Nachhaftung des Versicherers nach § 158 c Abs. 2 VVG keinen Nachteil erleiden können.

Die Staatsanwaltschaft hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt. Das Bayerische Oberste Landesgericht möchte der Revision stattgeben. Es ist der Ansicht, dass ein Kraftfahrzeugführer, der trotz wirksamer fristloser Kündigung des gemäß § 1 PflVG erforderlichen Haftpflichtversicherungsvertrags ein Kraftfahrzeug auf öffentlichen Wegen gebraucht, nach § 6 PflVG auch dann strafbar ist, wenn er (nach der Tat) innerhalb eines Monats nach der Kündigung die Folgeprämie nachzahlt und der Versicherungsfall noch nicht eingetreten ist. So zu entscheiden, sieht es sich jedoch durch das Urteil des 2. Strafsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 2. September 1981 (DAR 1982, 28) gehindert, das der Meinung ist, in einem solchen Falle mache sich ein Kraftfahrzeugführer nicht nach §§ 1, 6 PflVG strafbar, da mit der Nachholung der Zahlung innerhalb der Monatsfrist der mit der Kündigung zunächst unterbrochene Haftpflichtversicherungsvertrag rückwirkend wieder hergestellt werde.

Demgegenüber ist der 1. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts (in völliger Übereinstimmung mit dem 2. Strafsenat dieses Gerichts - vgl. dessen Vorlegungsbeschluss vom 26. November 1982, mitgeteilt in DAR 1983, 59 = VRS 64, 149) der Auffassung, die Frage der Strafbarkeit des Fahrzeuggebrauchs könne "nicht unterschiedlich beantwortet werden je nachdem, ob nach der Tat die fällige Folgeprämie innerhalb der Monatsfrist des § 39 Abs. 3 Satz 3 VVG gezahlt worden ist oder nicht". Aus § 39 Abs. 3 Satz 3 VVG könne kein Strafaufhebungsgrund bei nachträglicher Zahlung herausgelesen werden. Nach dem klaren Wortlaut des § 6 PflVG komme es zudem nicht auf das Nichtbestehen des Versicherungsschutzes, sondern auf das Nichtbestehen des Versicherungsvertrages an.

Das Bayerische Oberste Landesgericht hat daher die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Im Ergebnis tritt der Senat der Rechtsauffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichts bei, die auch von den Oberlandesgerichten Oldenburg (OLGSt § 39 VVG), Celle (Urteil vom 20. Januar 1981 - 1 Ss 465/80), Schleswig (Vorlegungsbeschluss vom 28. März 1983 - 2 Ss 572/82) und vom 4. Strafsenat des OLG Frankfurt (Urteil vom 10. November 1978 - 4 Ss 655/78) vertreten wird.

1. Nach § 6 Abs. 1 PflVG ist strafbar, wer vorsätzlich ein Fahrzeug auf öffentlichen Wegen oder Plätzen gebraucht oder den Gebrauch gestattet, obwohl für das Fahrzeug der nach § 1 PflVG erforderliche Haftpflichtversicherungsvertrag nicht oder nicht mehr besteht; Absatz 2 dieser Vorschrift stellt die fahrlässige Begehungsweise unter Strafe. Wird ein bestehendes Versicherungsverhältnis gemäß § 39 Abs. 3 Satz 1 VVG fristlos gekündigt, weil der Versicherungsnehmer mit der Zahlung einer Folgeprämie im Verzug ist und innerhalb der ihm nach § 39 Abs. 1 VVG gesetzten Zahlungsfrist nicht geleistet hat, so treten mit Zugang der Kündigung an den Versicherungsnehmer die Kündigungswirkungen ein; das Versicherungsverhältnis ist damit beendet (Bruck/Möller, 8. Auflage, § 39 VVG Rdn. 49). Gebraucht ein Fahrzeugführer sein Kraftfahrzeug nach Zugang der Kündigungserklärung im öffentlichen Straßenverkehr, so führt er es somit, obwohl der erforderliche Haftpflichtversicherungsvertrag nicht mehr besteht.

2. Hieran ändert sich auch nichts, wenn der Versicherungsnehmer innerhalb eines Monats nach Zugang der Kündigung die Zahlung nachholt und der Versicherungsfall nicht eingetreten ist. Zwar fallen dann gemäß § 39 Abs. 3 Satz 3 VVG die Wirkungen der Kündigung fort; gleichwohl hat der Versicherungsnehmer den äußeren Tatbestand des § 6 Abs. 1 PflVG erfüllt, wenn er sein Fahrzeug in der zwischen Zugang der Kündigung und Nachholung der Zahlung liegenden Zeit auf öffentlichen Straßen gebraucht hat. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Vorschrift des § 39 Abs. 3 Satz 3 VVG eine der Kündigung von Gesetzes wegen beigeordnete auflösende Bedingung (Brockmann VersR 1960, 678; Bruck/Möller aaO Rdn. 50; Gärtner, Der Prämienzahlungsverzug, 2. Auflage S. 143; Prölss/Martin, 22. Auflage, § 39 VVG Rdn. 7 b) oder die Einräumung eines Gestaltungsrechts des Versicherungsnehmers (Hucko, VersR 1965, 120; Hansen DAR 1982, 282) darstellt oder wie die "juristisch ungewöhnliche Fortführung eines bereits beendigten Vertrages" (Gärtner, aaO S. 147) sonst zivilrechtlich zu beurteilen ist. Die Annahme, die nachgeholte Zahlung gemäß § 39 Abs. 3 Satz 3 VVG könne den Wegfall der Strafbarkeit des Versicherungsnehmers bewirken, würde nämlich eindeutig dem Willen des Gesetzgebers, der sich in § 6 Abs. 1 PflVG in ausreichender Weise objektiviert hat, widersprechen.

Der früher geltende Art. I § 5 KfzPflVG erklärte den Gebrauch eines versicherungspflichtigen Fahrzeugs für strafbar, wenn "ein Haftpflichtversicherungsschutz nach diesem Gesetz nicht besteht". Daraus hatte der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 11. Februar 1959 (BGHSt 12, 392) den Schluss gezogen, dass es nicht auf die Frage des Bestehens eines Versicherungsvertrages, sondern die des Bestehens des Versicherungsschutzes ankomme und demzufolge eine Strafbarkeit verneint, solange der Versicherungsschutz zugunsten des Geschädigten gemäß § 158 c VVG trotz Ablaufs des Versicherungsvertrages als fortbestehend gelte.

Dieser Standpunkt wurde im Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Kraftfahrzeugpflichtversicherungsgesetzes zwar als auf der Grundlage des damals geltenden Rechts haltbar, jedoch als "kriminalpolitisch unerwünscht" bezeichnet (vgl. Begründung des Entwurfs eines 2. Gesetzes zur Sicherung des Straßenverkehrs BT-Drucks. IV/651 S. 40). Es erschien den Interessen der Allgemeinheit abträglich, eine Ausnahme von der Strafdrohung für den Fahrzeughalter in einem solchen Fall zuzulassen; zudem wurden Bedenken aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsbestimmtheit erhoben (vgl. BT-Drucks. IV/651 aaO). Mit der Neuregelung sollte erreicht werden, dass die Strafdrohung beim Fehlen der erforderlichen Versicherung sofort und nicht erst dann eingreift, wenn auch die Frist für die Nachhaftung des Versicherers nach § 3 Nr. 5 PflVG (früher: § 158 c Abs. 2 VVG) abgelaufen ist (Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter - BT-Drucks. IV/2252, S. 12, 21). Daher wurde in der Neufassung der Vorschrift statt auf den "Versicherungsschutz" nunmehr auf den "Versicherungsvertrag" abgestellt. Aus dieser Änderung der Vorschrift ist in der Literatur zutreffend der Schluss gezogen worden, dass die Entscheidung BGHSt 12, 392 durch die Neufassung des Gesetzes überholt sei (vgl. Jagusch/Hentschel, 27. Auflage, vor § 29 a StVZO, Rdn. 17; Meyer in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtl. Nebengesetze, Bd. II, § 6 PflVG Anm. 3 c; Rüth in Müller, Straßenverkehrsrecht, 22. Auflage, Bd. II, § 6 PflVG Rdn. 2). Für die Strafbarkeit ist demnach jetzt nur noch entscheidend, dass während des Gebrauchs des Kraftfahrzeugs auf öffentlichen Straßen ein Haftpflichtversicherungsvertrag nicht (mehr) besteht.

3. Dass das weitere Schicksal des Versicherungsverhältnisses nach einer wirksamen fristlosen Kündigung gemäß § 39 Abs. 3 Satz 1 VVG für die Frage der Erfüllung des äußeren Tatbestandes des § 6 Abs. 1 PflVG ohne Bedeutung ist, ergibt sich aber auch aus allgemeinen strafrechtlichen Regeln:

Das Strafrecht knüpft an den Zeitpunkt der Tat an (§ 2 Abs. 1 StGB). Es kommt für die Bestrafung des Täters darauf an, ob die Tat zur Tatzeit unter Strafe gestellt war. Wird das Verhalten des Täters erst nach der Tat strafbedroht, so kann der Täter deswegen gemäß Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB nicht bestraft werden. Demgegenüber bleibt der Wegfall der Strafbarkeit nach Abschluss eines Strafverfahrens grundsätzlich ohne Bedeutung, es sei denn, der Gesetzgeber bestimme etwas anderes (wie z.B. in Art. 313 Abs. 1 Satz 1 EGStGB 1974 - BGBl I, 469, 642).

Hat der Täter einen Straftatbestand erfüllt, so vermag sein weiteres Verhalten an der Strafbarkeit in der Regel nichts mehr zu ändern. Der Generalbundesanwalt hat in seinem Antragsschreiben mit Recht darauf hingewiesen, dass die "tätige Reue" nur dann zum Ausschluss der Strafbarkeit führen kann, wenn dies - wie etwa in §§ 139 Abs. 4, 264 Abs. 4, 265 b Abs. 2, 310 StGB - ausdrücklich gesetzlich bestimmt ist. Eine Vorschrift, wonach die Strafbarkeit nach § 6 Abs. 1 PflVG entfällt, wenn der Versicherungsnehmer die fällige Zahlung nach Kündigung des Versicherungsvertrages vor Eintritt des Versicherungsfalles nachholt, gibt es jedoch nicht. § 39 Abs. 3 Satz 3 VVG kann, wie das vorlegende Gericht im Anschluss an Hansen (DAR 1982, 283) zutreffend darlegt, eine solche Bedeutung nicht beigemessen werden.

4. Gegen die Auffassung, ein Kraftfahrzeugführer mache sich auch dann nach § 6 PflVG strafbar, wenn die Gefahr der Schädigung eines anderen Verkehrsteilnehmers wegen der Nachhaftung des Versicherers gemäß § 3 Nr. 5 PflVG nicht bestanden habe, kann auch nicht eingewendet werden, hier werde der Strafrechtsschutz über Gebühr ausgedehnt. Schon im Interesse des Kraftfahrzeugführers, der sich bei erfolgter Nachhaftung des Versicherers dessen Regressanspruch ausgesetzt sieht (§ 3 Nr. 9 Satz 2 PflVG, § 426 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB), aber auch im Interesse des Versicherers, der wegen Mittellosigkeit des Versicherten möglicherweise nicht in der Lage ist, seinen Regressanspruch zu verwirklichen, - was mittelbar zu einer Erhöhung der Prämien und damit zu einem Nachteil für alle Versicherten führen kann, - erscheint es geboten, die Kraftfahrzeughalter zum rechtzeitigen Abschluss eines Versicherungsvertrages und zur Vermeidung der Kündigung des Versicherungsvertrages anzuhalten (vgl. BT-Drucks. IV/2252 S. 13). Im übrigen liegt es im Interesse der Allgemeinheit, wenn hierdurch das bei Beendigung eines Versicherungsverhältnisses nach §§ 29 c Abs. 1 und 2, 29 d Abs. 2 StVZO vorgeschriebene aufwendige Verfahren vermieden wird.

5. Die Vorlegungsfrage war demnach wie folgt zu beantworten:

Wer ein Fahrzeug auf öffentlichen Wegen oder Plätzen gebraucht oder den Gebrauch gestattet, obwohl der für das Fahrzeug abgeschlossene Haftpflichtversicherungsvertrag nach VVG § 39 Abs 3 S 1 wirksam fristlos gekündigt worden ist, ist auch dann nach PflVG § 6 strafbar, wenn die Wirkungen der Kündigung gemäß VVG § 39 Abs 3 S 3 durch nachgeholte Prämienzahlung wieder weggefallen sind. ..."



Datenschutz    Impressum