Das Verkehrslexikon

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BGH Beschluss v. 20.01.2004 - VI ZB 76/03 - Kosten für die Bestellung eines eigenen Anwalts durch den Versicherungsnehmer sind nur ausnahmsweise erstattungsfähig

BGH v. 20.01.2004: Die Kosten für die Bestellung eines eigenen Anwalts im Passivprozess durch den Versicherungsnehmer sind nur ausnahmsweise erstattungsfähig


Der BGH (Beschl. v. 20.01.2004 - VI ZB 76/03) hat entschieden:
Die Bestellung eines eigenen Anwalts durch den Versicherungsnehmer bei Geltendmachung des Direktanspruchs gegen den Haftpflichtversicherer und des Schadensersatzanspruches gegen den Halter/Fahrer des versicherten Fahrzeuges in einem gemeinsamen Rechtsstreit ist dann nicht notwendig und die damit verursachten Kosten sind auch nicht erstattungsfähig, wenn kein besonderer sachlicher Grund für die Einschaltung eines eigenen Anwalts besteht.


Siehe auch Anwaltskosten des Unfallgeschädigten als Schadensersatz und Haftungsrechtlicher Zurechnungszusammenhang


Zum Sachverhalt:

Der Kläger hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Mahnbescheid wegen einer Schadensersatzforderung in Höhe von 501,64 € nach einem Verkehrsunfall erwirkt. Dagegen haben der Beklagte zu 1 als der Fahrer und Halter des unfallgegnerischen Fahrzeugs und die Beklagte zu 2 als dessen Haftpflichtversicherer durch ihre jeweiligen Prozessbevollmächtigten Widerspruch eingelegt. Obwohl die Beklagte zu 2 vor der mündlichen Verhandlung und Durchführung der Beweisaufnahme der Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1 mitgeteilt hat, dass sie sich gegen die Klage verteidigen und einen ihrer Anwälte mit der Prozessführung beauftragen werde, äußerte sich diese weiterhin schriftsätzlich für den Beklagten zu 1 und nahm für ihn die Verhandlungstermine vor dem Amtsgericht wahr.

Das Amtsgericht hat die Klage unter Überbürdung der Kosten auf den Kläger abgewiesen. Der Beklagte zu 1 hat einen gesonderten Kostenfestsetzungsantrag für die Gebühren seiner Prozessbevollmächtigten gestellt. Die Rechtsanwälte der Beklagten zu 2 haben Festsetzung erhöhter Gebühren beantragt, weil sie von der Beklagten zu 2 beauftragt worden seien, beide Beklagten zu vertreten. Das Amtsgericht hat für die Beklagte zu 2 die Kosten in Höhe einer 10/10 Gebühr und für den Beklagten zu 1 seinem Antrag entsprechend festgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers gegen die Kostenfestsetzung für den Beklagten zu 1 hat das Landgericht diesen Beschluss aufgehoben.

Hiergegen richtet sich die - vom Beschwerdegericht zugelassene - Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 1, mit der er seinen Kostenfestsetzungsantrag weiterverfolgt.

Das Rechtsmittel - nur teilweise und vorläufig - Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... 1. Mit Recht hat das Beschwerdegericht die Mehrkosten, die im Streitfall durch die Beauftragung eines eigenen Rechtsanwalts durch den Beklagten zu 1 entstanden sind, als nicht erstattungsfähig angesehen.

a) Die Erstattungsfähigkeit der im Streit befindlichen Anwaltskosten hängt davon ab, ob es für den Beklagten zu 1 notwendig war, sich durch einen weiteren, gesondert beauftragten Rechtsanwalt vertreten zu lassen, obwohl der Versicherer einen gemeinsamen Prozessbevollmächtigten bestellt hat, denn nach § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO sind die Kosten mehrerer Anwälte einer Partei vom unterlegenen Gegner nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Anwalts nicht übersteigen oder in der Person des Anwalts ein Wechsel erforderlich war. Eine solche Ausnahme ist gegeben, wenn ein konkreter sachlicher Grund die Inanspruchnahme mehrerer Prozessbevollmächtigten gebietet. Die Frage, ob dies stets der Fall ist, wenn Streitgenossen klagen oder verklagt werden, wird in der Rechtsprechung der Instanzgerichte unterschiedlich beantwortet (den Erstattungsanspruch bejahend vgl. OLG Schleswig, ZfSch 1984, 233, 234; OLG Düsseldorf, MDR 1985, 148; OLG Oldenburg, NZV 1991, 72; verneinend OLG Karlsruhe, VersR 1979, 944; OLG Bamberg, VersR 1986, 395 f.; OLG Hamm, MDR 1990, 1019; OLG München, MDR 1995, 263; OLG Koblenz, MDR 1995, 263 f.; LG Berlin, RPfleger 1997, 498; vgl. zum Meinungsstand: Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 62. Aufl., § 91 Rdnr. 132, 137 f. m. w. N.).

aa) Die Befürworter der Erstattungsfähigkeit stützen sich auf den Grundsatz, dass für Streitgenossen keine kostenrechtliche Verpflichtung zur Bestellung eines gemeinsamen Prozessbevollmächtigten besteht, sich vielmehr jeder Streitgenosse durch einen eigenen Bevollmächtigten vertreten lassen darf (vgl. BVerfG, NJW 1990, 2124; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, aaO; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl., § 91 Rdnr. 103 a).

bb) Die Gegenansicht schränkt diesen Grundsatz nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ein (vgl. OLG Bamberg, VersR 1986, 395 f.; OLG München, MDR 1995, 263; OLG Koblenz, MDR 1995, 263 f.; LG Berlin, RPfleger 1997, 498). Sie lässt Ausnahmen zu, wenn feststeht, dass ein eigener Prozessbevollmächtigter für eine interessengerechte Prozessführung nicht erforderlich sein wird.

cc) Der Senat folgt dieser Auffassung. Die Frage, ob die geltend gemachten Kosten als notwendig i. S. des § 91 Abs. 1 ZPO anzusehen sind, lässt sich nicht aufgrund einer schematischen Beurteilung ohne Berücksichtigung der konkreten Fallumstände beantworten. Für den vorliegenden Fall ergibt dies, dass die Bestellung eines eigenen Anwalts bei Geltendmachung des Direktanspruchs gegen den Haftpflichtversicherer und des Schadensersatzanspruches gegen den Halter/Fahrer des versicherten Fahrzeuges in einem gemeinsamen Rechtsstreit nicht notwendig und damit auch nicht erstattungsfähig ist, weil kein besonderer sachlicher Grund für die Einschaltung eines eigenen Anwalts besteht (vgl. OLG Bamberg, VersR 1986, 395 f.; OLG München, MDR 1995, 263; OLG Koblenz, MDR 1995, 263 f.; OLG Saarbrücken, JurBüro 1989, 1417; differenzierend OLG Hamburg, JurBüro 1988, 762 f.; vgl. auch Zöller/Herget, ZPO, 24. Aufl., § 91, Rdnr. 13, Stichwort: Streitgenossen Ziff. 2 m.w.N.).

(1) Im Haftpflichtprozess gilt im Innenverhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer § 7 Abs. 2 Nr. 5 AKB. Danach hat der Versicherungsnehmer im Falle eines Rechtsstreits dessen Führung dem Versicherer zu überlassen und dem Rechtsanwalt, den der Versicherer bestellt, Vollmacht zu erteilen. Daraus ist zu folgern, dass für den Versicherungsnehmer ohne weiteres kein Anlass besteht, einen eigenen Prozessbevollmächtigten zu bestellen. Beim Versicherer handelt es sich regelmäßig um ein gewerbliches Unternehmen, das oft über eine eigene, die Sache bearbeitende Rechtsabteilung verfügt. In diesen Fällen ist davon auszugehen, dass sachkundige Mitarbeiter der Rechtsabteilung den Rechtsstreit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorbereiten und ihren Prozessbevollmächtigten entsprechend unterrichten. Aber auch dann wenn der Haftpflichtversicherer keine eigene Rechtsabteilung unterhält, sondern bei rechtlichen Schwierigkeiten einen Rechtsanwalt an seinem Geschäftsort beauftragt (vgl. zur Kostenerstattung beim sog. "Outsourcing"; Senatsbeschluss vom 11. November 2003 - VI ZB 41/03 - zur Veröffentlichung bestimmt), ist die Beauftragung eines eigenen Rechtsanwalts für den Versicherungsnehmer, wenn er ersichtlich kein über die Interessen des Versicherers hinausgehendes oder ihnen entgegengerichtetes Prozessziel verfolgt, nicht bzw. nicht mehr erforderlich, sobald der Versicherer den Rechtsstreit aufnimmt.

(2) Dabei ist der Zeitpunkt der Mandatserteilung durch den Versicherungsnehmer ohne Bedeutung, wenn der Versicherer wirksam von seinem Recht nach § 7 Abs. 2 Nr. 5 AKB zur Beauftragung eines gemeinsamen Prozessbevollmächtigten Gebrauch macht und es auf Grund der Sachlage an konkreten Interessengegensätzen in der Rechtsverteidigung der als Streitgenossen auf Schadensersatz in Anspruch genommenen Beklagten fehlt. Der Gegner darf nicht mit Mehrkosten belastet werden, die auf Grund der besonderen versicherungsrechtlichen Beziehungen der auf Schadensersatz in Anspruch genommenen Gegner entstehen.

(3) Auch ein etwaiger Streit zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer über die Notwendigkeit oder auf Angemessenheit einer Schadensersatzleistung des Versicherers mit der möglichen Folge einer Rückstufung des Versicherungsnehmers macht die Prozessvertretung des Versicherten durch einen eigenen Anwalt nicht notwendig. Er kann im Prozess des Geschädigten gegen Versicherer und Versicherungsnehmer nicht geklärt werden. Der Streit über diese Fragen ist vielmehr in einem gesonderten Prozess auszutragen (so auch OLG Bremen, VersR 1988, 1304; OLG Hamm, MDR 1990, 1019).

b) Danach sind die durch die eigene Prozessvertretung des Beklagten zu 1 entstandenen Mehrkosten nicht erstattungsfähig. Der Beklagte zu 1 hätte, wollte er von ihm zu tragende Kosten vermeiden, seine Prozessbevollmächtigte von ihrem Mandat entbinden müssen, sobald ihm mitgeteilt worden ist, dass sich die Beklagte zu 2 über die von ihr beauftragten Rechtsanwälte gegen die Klage verteidigen wird. Auf die zeitliche Reihenfolge der Mandatserteilung kommt es hierbei - wie dargelegt - nicht an. Soweit die Rechtsbeschwerde behauptet, dass eine unzureichende Kooperation der Beklagten zu 2 mit dem Beklagten zu 1 vorgelegen habe, die eine persönliche zusätzliche Interessenvertretung des Beklagten zu 1 rechtfertigen könnte, fehlen hierzu tatsächliche Feststellungen des Beschwerdegerichts, ohne dass die Rechtsbeschwerde dies rügt.

2. Ob dem Beklagten zu 1 noch ein Erstattungsanspruch in Höhe einer 3/10 Gebühr infolge der Erhöhung nach § 6 BRAGO zusteht - wie die Rechtsbeschwerde dies geltend macht - kann der Senat mangels tatsächlicher Feststellungen nicht entscheiden. Die Sache ist deshalb zur neuen Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen. ..."