Das Verkehrslexikon
Landgericht Kiel Urteil vom 02.12.1999 - 7 S 139/99 - Zur Haftung bei verkehrswidrigem Rechtsblinken des Vorfahrtberechtigten
LG Kiel v. 02.12.1999: Der Vorfahrtberechtigte haftet bei irreführender Ankündigung einer Abbiegeabsicht zu 100 %
Das Landgericht Kiel (Urteil vom 02.12.1999 - 7 S 139/99) hat auf volle Haftung des formell Vorfahrtberechtigten erkannt:
Der Vorfahrtberechtigte haftet bei irreführender Ankündigung einer Abbiegeabsicht zu 100 %.
Siehe auch Irreführendes Falschblinken des Vorfahrtberechtigten und Stichwörter zum Thema Vorfahrt
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Zu Lasten der Bekl. ist der grobe Verkehrsverstoß des Bekl. zu berücksichtigen: Unstreitig hat er den rechten Blinker gesetzt, obwohl er letztlich nicht in die Straße rechts abbiegen wollte. Der Wartepflichtige muss nicht mit solchen groben Verkehrsverstößen des Vorfahrtberechtigten rechnen. Er darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass der sich der Einmündung nähernde Kraftfahrer, der den rechten Blinker gesetzt hat, nach rechts in die nächste Querstraße abbiegt, wenn sich diese Absicht in der Fahrweise des Vorfahrtberechtigten äußert, indem er z. B. nach rechts lenkt oder die Geschwindigkeit verringert (KG DAR 91, 934; OLG Dresden VR 95, 234; OLG Saarbrücken VM 82, 40).
Im vorliegenden Fall konnte und durfte die Zeugin W. die Fahrweise des Bekl. nur so verstehen, dass er nach rechts abbiegen werde. Zusätzlich zu dem Setzen des rechten Blinkers hat der Bekl. durch sein Fahrverhalten den Eindruck der Abbiegeabsicht bekräftigt. Er hat seine Geschwindigkeit reduziert bzw. fuhr so langsam, dass er den berechtigten Eindruck hervorgerufen hat, die angekündigte Abbiegeabsicht auch durchzuführen.
Gegenüber einer solchen Fahrweise des Bekl. genießt die Zeugin W. unbeschadet ihrer grundsätzlichen Wartepflicht, die auch durch verkehrswidriges Verhalten des Vorfahrtberechtigten nicht entfällt, Vertrauensschutz. Der Zeugin W. ist auch kein Vorwurf deshalb zu machen, weil sie unmittelbar vor dem Abbiegen nach rechts geschaut hat. Sie musste in der hier gegebenen Situation tatsächlich nicht mehr vor dem Abbiegen nach links schauen, um sich zu vergewissern, dass von dort kein Fahrzeug sich nähert.
Für die Zeugin war die Situation eindeutig. Der Bekl. hatte seine Abbiegeabsicht durch Blinken und verlangsamte Geschwindigkeit bereits deutlich angezeigt. Dass der Bekl. den Blinker bereits 30 m vor der Einmündung wieder zurückgenommen hat, steht nach der Beweisaufnahme nicht fest.
Die Zeugin W. hat das Fahrzeug des Bekl. über einen längeren Zeitraum hinweg beobachtet. Sie hatte unstreitig an der vorfahrtsberechtigten Straße angehalten und den vorfahrtsberechtigten Verkehr beobachtet. Sie hat den herannahenden Bekl. so lange beobachtet, bis sie von dessen Abbiegeabsicht überzeugt war. Dann aber hatte die Zeugin W. keine Veranlassung mehr, nach Passieren des Fahrzeugs von rechts erneut nach links zu schauen. Denn dann musste für die Zeugin sich der Abbiegevorgang derart manifestiert haben, dass eine Änderung nahezu ausgeschlossen erscheinen musste. Sie hatte sich bereits von der Abbiegeabsicht des Bekl. überzeugt. Sie musste nicht damit rechnen, dass die deutlich angezeigte, durch die niedrige Geschwindigkeit bekräftigte und auch schon eingeleitete Abbiegeabsicht wieder aufgegeben werden würde. Anhaltspunkte dafür gab es nicht. Der Fahrzeugführer ist im heutigen Verkehr gezwungen, sich zunehmend am sichtbaren Verhalten des anderen Verkehrsteilnehmers zu orientieren und diesem Verhalten die ihm entsprechende Deutung zu geben (vgl. BayObLG, VRS 59, 365). Angesichts dieser eindeutigen Verkehrslage war ein weiterer Blick nach links auf den Bekl. unnötig. Die Möglichkeit eines irrtümlichen Blinkens schied angesichts der weiteren deutlichen Abbiegeanzeichen aus.
Mit dem AG ist auch die Kammer der Auffassung, dass die Abwägung gem. §§ 7, 17 StVG zu einer vollen Haftung des Bekl. führt. Dem Fahrfehler des Bekl. kommt entscheidende Bedeutung zu. Das Setzen des rechten Fahrtrichtungsanzeigers war grob verkehrswidrig, da der Bekl. nicht in die nächste rechte Querstraße einbiegen wollte. Zwar hatte der Bekl. gegenüber der Zeugin W. die Vorfahrt. Dieses Vorfahrtsrecht hat er auch nicht dadurch verloren, dass er sich verkehrswidrig verhalten hat. Hier ist das verkehrswidrige Verhalten des Bekl. jedoch von so erheblicher Bedeutung, dass es bei der nach § 7, 17 StVG vorzunehmenden Abwägung zur vollen Haftung des Bekl. führt. Angesichts der hier vorliegenden besonderen Umstände, die zusätzlich zum Blinkzeichen auf den Abbiegevorgang hindeuteten, durfte die Zeugin auf das Abbiegen des Bekl. vertrauen. Zu ihren Lasten kann nur die Betriebsgefahr zu berücksichtigen sein. Das grob irreführende Verhalten des Bekl., das die entscheidende Unfallursache gesetzt hat, rechtfertigt es, die Betriebsgefahr des klägerischen Pkws völlig zurücktreten zu lassen (vgl. OLG Düsseldorf, DAR 77, 161; KG VersR 91, 934; KG DAR 75, 41). ..."