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Kammergericht Berlin Urteil vom 25.09.1989 - 12 U 4646/88 - Zum berechtigten Vertrauen des Wartepflichtigen auf richtiges Blinken des Vorfahrtberechtigten

KG Berlin v. 25.09.1989: Zum berechtigten Vertrauen des Wartepflichtigen auf richtiges Blinken des Vorfahrtberechtigten


Das Kammergericht Berlin (Urteil vom 25.09.1989 - 12 U 4646/88) hat entschieden:
  1. Der wartepflichtige Kraftfahrer darf im allgemeinen darauf vertrauen, dass der sich einer Einmündung oder einer Kreuzung nähernde vorfahrtsberechtigte Kraftfahrer, der den rechten Fahrtrichtungsanzeiger seines Fahrzeugs gesetzt hat, nach rechts in die nächste Querstrasse abbiegen wird, wenn sich diese Absicht in seiner Fahrweise äußert, z.B. indem er nach rechts lenkt und ein Abbiegen bei entsprechender Verringerung der Geschwindigkeit möglich ist.

  2. Kommt es zu einem Zusammenstoß zwischen einem auf der Vorfahrtstraße befindlichen Kfz, das entgegen der Ankündigung seines Fahrers und dessen Fahrweise nicht nach rechts abbiegt und dem im berechtigten Vertrauen auf die angekündigte Fahrtrichtungsänderung in die Vorfahrtsstraße einbiegenden wartepflichtigen Kfz, so kann der Vorfahrtsberechtigte zu vollem Schadenersatz verpflichtet sein.

Siehe auch Irreführendes Falschblinken des Vorfahrtberechtigten und Stichwörter zum Thema Vorfahrt


Zum Sachverhalt: Der Kläger befuhr die Straße G in westlicher Richtung und beabsichtigte, nach links in die P Straße abzubiegen. Er hielt am Einmündungsbereich an. Für ihn von links näherte sich auf der Vorfahrtsstraße der Beklagte zu 3. Als dieser in Geradeausrichtung in den Einmündungsbereich einfuhr, fuhr der Kläger an. Der Lkw fuhr dem Pkw in die vordere linke Seite, wodurch am Pkw ein Totalschaden entstand und der Kläger eine Schädelprellung erlitt.

Der Kläger hat Schadensersatz in voller Höhe begehrt und behauptet, der Beklagte zu 3. habe bei der Annäherung an die Einmündung den rechten Fahrtrichtungsanzeiger betätigt, den Lkw aus einer Geschwindigkeit von über 50 km/h auf 50 km/h abgebremst und nach rechts gelenkt, weshalb der Kläger davon ausgegangen sei, der Beklagte zu 3. wolle nach rechts abbiegen.

Die Beklagten behauptet, der Beklagte zu 3. habe nie die Absicht gehabt, nach rechts in die Straße G einzubiegen. Weder habe er nach rechts geblinkt noch habe er abgebremst oder den Lkw nach rechts gelenkt. Er sei mit einer unverminderten Geschwindigkeit von ca. 50 km/h in die Einmündung eingefahren. Für den wartepflichtigen Kläger habe deshalb kein Grund zu der Annahme bestanden, der Beklagte zu 3. werde nach rechts abbiegen, selbst wenn der Beklagte zu 3. nicht ausschließen könne, daß der rechte Blinker nach dem letzten Abbiegen nicht automatisch ausgeschaltet worden sei. Denn mit der genannten Geschwindigkeit sei ein Abbiegen unmöglich gewesen. Die Beklagten haben das Fahrtenschreiberblatt des Lkw vorgelegt.

Das Landgericht hat die Beklagten zum Ersatz von 2/5 des Schadens des Klägers verurteilt.

Beide Parteien haben hiergegen Berufung eingelegt. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos, die Berufung des Klägers hatte Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Haftung der Beklagten für den Sachschaden des Klägers ergibt sich aus § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 1, § 18 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 1 Abs. 2 StVO, § 3 Nrn. 1 und 2 Pflichtversicherungsgesetz. Der Beklagte zu 3. hat den Unfall dadurch schuldhaft verursacht, dass er bei Annäherung an den Einmündungsbereich den rechten Fahrtrichtungsanzeiger des Lkw in Betrieb hatte, obgleich er nicht beabsichtigte, nach rechts abzubiegen. Das steht aufgrund der übereinstimmenden Aussagen der Zeugen Prof. Dr. R und T fest. Durch dieses widersprüchliche Verhalten hat er eine die übrigen Verkehrsteilnehmer gefährdende Unklarheit geschaffen, für deren Folgen die Beklagten einzustehen haben.

Freilich steht aufgrund des unstreitigen Sachverhalts auch fest, dass der Kläger unter Verstoß gegen § 8 Abs. 2 Satz 1 StVO das durch die Verkehrszeichen Nrn. 301 und 205 geregelte Vorfahrtsrecht des Beklagten zu 3. verletzt hat. Selbst wenn die Betätigung des rechten Fahrtrichtungsanzeigers durch den Beklagten zu 3. ein grob verkehrswidriges Verhalten war, so verlor er dadurch dennoch nicht das Vorfahrtsrecht (vgl. RGZ 167, 357, 360; BGH VersR 1966, 294; OLG Hamm VRS 27, 410 f; KG DAR 1975, 41 f = VersR 1975, 52).

Gemäß § 17 Abs. 1 StVG sind die Haftungsquoten der Parteien nach dem Ausmaß der Verursachungsanteile beider Fahrzeugführer zu bestimmen. Bei der hiernach gebotenen Abwägung ist ein so überwiegendes Verschulden des Beklagten zu 3. festzustellen, dass demgegenüber das Verhalten des Klägers als Unfallursache völlig zurücktritt und nicht zu einer Mithaftung führt. Wie der Senat in der von den Parteien zitierten Entscheidung vom 23. September 1974 (DAR 1975, 41 f = VersR 1975, 52) ausgeführt hat, darf der Wartepflichtige im allgemeinen darauf vertrauen, dass ein rechts blinkender Vorfahrtsberechtigter nach rechts abbiegen wird, sofern nicht besondere Umständen vorliegen, die Anlass zu Zweifeln an dieser Absicht begründen, wie z.B. ein fehlendes Einordnen oder eine unvermindert hohe Geschwindigkeit (ebenso: OLG Hamm VRS 20, 461 f; OLG Düsseldorf VerkMitt 1967 Nr. 10 sowie in Cramer-Berz-Gontard "Straßenverkehrs-Entscheidungen", StVO § 8 Nr. 60; OLG Stuttgart VRS 46, 215). Demgegenüber wird teilweise die Ansicht vertreten, ein Vertrauen auf die Richtigkeit des Blinkens sei erst dann begründet, wenn weitere Anzeichen (Einordnen oder Verringerung der Geschwindigkeit) hinzu kämen, die für die Absicht des Abbiegens sprächen (so KG VRS 37, 312; OLG Hamm VRS 47, 59; OLG Saarbrücken VerkMitt 1982 Nr. 40; noch strenger: LG Münster VRS 72, 166, nach dem ein Vertrauen auf die Absicht abzubiegen erst dann begründet sein soll, wenn zum Blinken das Einordnen und die Verminderung der Geschwindigkeit hinzu kommen und die Absicht damit eindeutig ist). Auch nach dieser Auffassung durfte der Kläger hier darauf vertrauen, dass der Lkw abbiegen werde. Denn entgegen der Auffassung der Beklagten ist bewiesen, dass der Beklagte zu 3. am Beginn der Einmündung den Lkw nach rechts gelenkt hat. Dies hat der Zeuge T nicht nur in seiner Unfallschilderung vom 22. Juli 1987 gegenüber der Beklagten zu 1. mit Skizze geschildert, sondern auch in seiner Aussage vor dem Landgericht bestätigt. Es besteht kein Anlass, an der Richtigkeit seiner Aussage zu zweifeln. Denn die Aussage des Prof. Dr. R steht zu ihr nicht im Widerspruch. Prof. Dr. R hat nämlich nicht bekundet, der Lkw habe keine Bewegung nach rechts gemacht. Wenn dieser Zeuge in seiner schriftlichen Schilderung vom 29. Mai 1987 gegenüber der Polizei erklärt hat, der Lkw sei trotz des Blinkens mit unverminderter Geschwindigkeit geradeaus weitergefahren, so kann das nicht so verstanden werden, dass der Zeuge damit die von T geschilderte Lenkbewegung nach rechts ausschließen wollte. Vielmehr wollte der Zeuge lediglich ausdrücken, dass der Lkw nicht abgebogen ist, sondern seine Fahrt geradeaus fortsetzte. Dies wird ganz deutlich aus seiner Aussage vor dem ersuchten Richter, er könne die Frage nach dem Schlenker weder bejahen noch verneinen. Wenn demgegenüber der Zeuge T diese Lenkbewegung deutlich wahrgenommen hat, so ist sie als bewiesen anzusehen mit der Folge, dass spätestens hierdurch zugunsten des Klägers der dargelegte Vertrauenstatbestand geschaffen wurde. Bestätigt wird diese Annahme dadurch, dass nicht nur der Kläger und der Zeuge T, sondern auch der Zeuge Prof. Dr. R aufgrund des Fahrverhaltens des Beklagten zu 3. annahm, dieser werde abbiegen. Zweifel an dieser Absicht mussten sich für den Kläger nicht aus der unverminderten Geschwindigkeit des Lkw ergeben. Diese Geschwindigkeit war ohnehin mit 43 km/h nicht sehr hoch. Bei einer solchen Geschwindigkeit ist aber innerhalb weniger Meter ein Abbremsen auf eine zum Abbiegen geeignete Geschwindigkeit möglich, was jeder Kraftfahrer auf Grund seiner Erfahrung weiß, so dass der Kläger berechtigterweise annehmen durfte, dass der Beklagte zu 3) auch noch hätte abbiegen können, wenn er erst beim Erreichen des Einmündungsbereichs begonnen hätte zu bremsen. Es ist ein täglich häufig zu beobachtender Vorgang, dass gerade Berufskraftfahrer mit Kleinlastwagen recht forsch an Kreuzungen heranfahren, an denen sie abbiegen wollen. Dass die Geschwindigkeit des Lkw Zweifel daran, ob der Beklagte zu 3. abbiegen werde, nicht aufdrängte, ergibt sich daraus, dass nicht nur der Kläger, sondern auch die Zeugen T und Prof. Dr. R gleichermaßen den Eindruck hatten, der Beklagte zu 3. wolle abbiegen. So hat Prof. Dr. R wörtlich ausgesagt, die Geschwindigkeit des Lkw sei nicht so auffällig hoch gewesen, dass man etwa hätte annehmen müssen, der Lkw werde geradeaus weiterfahren. Der Kläger brauchte jedenfalls nicht bis zum Beginn des Einbiegens abzuwarten, um sich sichere Gewissheit über die Absicht des Beklagten zu 3. zu verschaffen (ebenso: OLG Stuttgart VRS 46, 215).

Bei dieser Sachlage hat der Beklagte zu 3. derart überwiegend den Verkehrsunfall verursacht, dass für eine Mithaftung des Klägers kein Raum ist. ..."



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