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OLG Celle Urteil vom 23.05.2006 - 16 U 123/05 - Kfz-Sachverständiger muss keine Internetangebote berücksichtigen
OLG Celle v. 23.5.2006: Der Kfz-Sachverständige muss bei der Restwertermittlung keine Internetangebote berücksichtigen
Das OLG Celle (Urteil vom 23.05.2006 - 16 U 123/05) hat entschieden:
Wenn der Fahrzeugeigentümer Internetangebote nicht berücksichtigen muss, sind diese auch vom Gutachter nicht einzubeziehen, denn der Sachverständige hat schließlich den Fahrzeugrestwert aus der Position des Geschädigten zu ermitteln. Der vermeintlich über die Online Börse erzielbare Verkaufspreis ist nur bei besonderen, einem Unfallgeschädigten in der Regel unzumutbaren Verkaufsbemühungen zu realisieren.
Siehe auch Totalschaden - Wiederbeschaffungswert und Der Restwert des unfallbeschädigten Fahrzeugs bei Totalschaden
Zum Sachverhalt: Die Klägerin nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Schadensersatz in Anspruch. Diese haben als BGB Gesellschaft ein Fahrzeugwertgutachten erstellt.
Ein Versicherungsnehmer der Klägerin hat am 1. Mai 2004 einen Verkehrsunfall allein verschuldet, bei dem der Lkw mit dem amtlichen Kennzeichen ... des Fuhrunternehmers E. F. beschädigt wurde. Dieser beauftragte die Beklagten mit der Erstattung eines Gutachtens zur Bezifferung seines Fahrzeugschadens gegenüber der Klägerin. Den Restwert des Lkw gaben die Beklagten mit netto 4.500 € an und teilten dies dem Geschädigten telefonisch am 17. Mai 2004 vor der Fertigstellung des Gutachtens mit, woraufhin er das Fahrzeug am 18. Mai 2004 zu diesem Betrag veräußerte.
Nachdem die Klägerin das Gutachten der Beklagten am 2. Juni 2004 erhalten hatte, stellte sie das Fahrzeug in die Online-Börse Autoonline ein. In einer auf den 26. August 2004 datierten Restwertgebotegesamtübersicht ist für den streitgegenständlichen Lkw ein Höchstgebot von 12.068,97 € ohne Mehrwertsteuer genannt. Weitere Nettoangebote liegen bei 10.905,17 € und 10.155,17 €.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Restwert sei zu niedrig angegeben worden und habe tatsächlich bei 10.155,17 € gelegen. Die Beklagten hätten mindestens drei Angebote einholen und auch Veräußerungsmöglichkeiten über die sog. Online Börse berücksichtigen müssen, was dazu geführt hätte, dass der genannte Betrag realisiert worden wäre.
Das Amtsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Der Klägerin stehe der geltend gemachte Anspruch gemäß § 280 BGB zu. Die Beklagten hätten eine aus dem Werkvertrag auch mit Schutzwirkung zu ihren Gunsten bestehende Pflicht schuldhaft verletzt, da bei der Berechnung des Restwertes Angebote aus dem allgemein zugänglichen Online Markt einzuholen gewesen seien.
Dagegen wendeten sich die Beklagten erfolgreich mit der Berufung.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... 1. Dem Landgericht ist zuzustimmen, soweit es annimmt, der zwischen dem Unfallgeschädigten und den Beklagten abgeschlossene Werkvertrag entfalte auch Schutzwirkungen zugunsten der Klägerin als Haftpflichtversicherung (BGH NJW RR 2002, 1528; OLG Karlsruhe, VersR 2005, 706).
2. Soweit die Beklagten aber Angebote der Online Börse nicht mit einbezogen haben, begründet dies keine Pflichtverletzung.
Der vom Unfallbeteiligten beauftragte Sachverständige hat den Restwert des zerstörten Fahrzeuges zu ermitteln und dabei die dem Geschädigten obliegenden Pflichten zu beachten. Er muss dabei grundsätzlich nur Verkaufsmöglichkeiten einbeziehen, die auch vom Fahrzeugeigentümer zumutbar hätten erreicht werden können.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist auf die besondere Lage des Geschädigten abzustellen (BGH NJW 1993, S. 1849 ff. sowie BGHZ 163, 263). Grundsätzlich kann dieser nicht auf einen höheren Restwerterlös verwiesen werden, der auf einem Sondermarkt durch spezialisierte Restwertaufkäufer erzielt werden könnte. Ausnahmen von diesem Grundsatz müssen in engen Grenzen gehalten werden (BGHZ 143, 189 - 198). Grundsätzlich besteht keine Verpflichtung des Unfallgeschädigten, einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen (BGHZ 163, 362 - 369).
b) Wenn der Fahrzeugeigentümer Internetangebote nicht berücksichtigen muss, sind diese auch vom Gutachter nicht einzubeziehen, denn der Sachverständige hat schließlich den Fahrzeugrestwert aus der Position des Geschädigten zu ermitteln (so auch OLG Karlsruhe, VersR 2005, 706).
Der vermeintlich über die Online Börse erzielbare Verkaufspreis ist nur bei besonderen, einem Unfallgeschädigten in der Regel unzumutbaren Verkaufsbemühungen zu realisieren.
Nach Darstellung der Klägerin hängt die Höhe des erreichbaren Preises entscheidend von der Genauigkeit der Mitteilung der relevanten Fahrzeugdaten sowie der Übermittlung aussagekräftiger Farblichtbilder ab. Die für den Bieter entscheidenden Daten müssten vollständig und korrekt bekannt gegeben werden. Es sei bereits preismindernd, wenn lediglich Fotos per Faxkopie zur Verfügung gestellt würden.
Eine solche Verkaufsaufbereitung kann vom Zeitaufwand her einem Geschädigten nicht zugemutet werden. Er verfügt auch nicht über technische Möglichkeiten, entsprechend aussagekräftige Farbbilder zur Verfügung zu stellen und die für einen Händler relevanten Daten mitzuteilen.
c) Im Übrigen kann ein Fahrzeug im sog. Online Markt nur nach einer gebührenpflichtigen Einschreibung angeboten werden.
In dem von der Klägerin beispielhaft zu den Akten gereichten Gutachten der DEKRA vom 13. Mai 2005, welches sich ebenfalls mit der Frage der Angebote des Online Marktes beschäftigt, wird auf S. 5 ausdrücklich erklärt, eine Freischaltung erfolge erst nach Zahlung einer erheblichen Teilnehmergebühr. Im Hinblick auf diese Kosten seien Privatanbieter dort eigentlich nicht vertreten.
Da sich für einen Geschädigten die Aufwendungen für den Versuch einer Veräußerung über den Online Markt bei nur einem zu verkaufenden Fahrzeug technisch nicht immer möglich sind und sich in der Regel nicht amortisieren, kann ihm eine entsprechende Verkaufsbemühung nicht zugemutet werden, zumal die Gefahr, mit Falschgeld hereingelegt zu werden, nicht außer Betracht bleiben kann.
d) Es liegen in der Person des Geschädigten keine Besonderheiten vor, die es ausnahmsweise rechtfertigen würden, ihn als verpflichtet anzusehen, Online-Angebote einzuholen.
Er ist als Fuhrunternehmer zwar Gewerbetreibender, beschäftigt sich aber nicht mit der Vermarktung von Fahrzeugen. Auch für ihn ist die einmalige Teilnahme am Online-Markt nicht rentabel.
e) Die Aufgabe des Sachverständigen ist es ausschließlich, Auskunft über den für den Geschädigten erzielbaren Restwert zu erteilen. Sein Pflichtenkreis erweitert sich nicht dadurch, dass die Versicherung in die Schutzwirkung des Auftrages einbezogen ist. Wenn er sich am Online Markt registrieren lassen, Angebote einzelner Händler erwirken und dem Geschädigten diese weiterleiten müsste, damit dieser sie umsetzen kann, dann würde der Gutachter zum Verkaufsvermittler. Diese Aufgabe entspricht nicht seinem Tätigkeitsgebiet und dem Inhalt des abgeschlossenen Werkvertrages, sie kann daher von ihm nicht gefordert werden.
Der Sachverständige ist grundsätzlich nur verpflichtet, den Restwert zu ermitteln und muss dem Geschädigten keine konkreten Kaufangebote weiterleiten. Soweit dies in der Praxis teilweise erfolgt, handelt es sich um eine über den eigentlichen Auftrag hinausgehende Serviceleistung.
f) Die durch die höchstrichterliche Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zu den Pflichten des Geschädigten bei der Fahrzeugverwertung würden außer Kraft gesetzt werden, wenn dem Sachverständigen auferlegt würde, Online-Angebote im Interesse der Versicherung einzuholen.
Dies hätte zur Folge, dass der Unfallbeteiligte den Sondermarkt des Internet in Anspruch nehmen müsste, da er andernfalls den bezifferten Restwert nicht erzielen könnte.
g) Ein subjektives Interesse des Geschädigten, vom Sachverständigen Angebote der Online-Börse übermittelt zu erhalten, erscheint naheliegend, wenn er den Schaden ganz oder teilweise selbst tragen muss, weil er den Unfall (mit)verschuldet hat oder weil er befürchtet, der Unfallgegner sei nicht versichert (Radfahrer) oder möglicherweise nicht zu ermitteln. Der Sachverständige ist als Nichtjurist allerdings nicht verpflichtet, nach solchen Risiken von sich aus zu fragen, denn insoweit handelt es sich um das Aufgabenfeld eines Rechtsanwalts. Lediglich in ganz eindeutigen Fällen, z. B. dann, wenn der Auftraggeber unmissverständlich erklärt, den Unfall selbst verschuldet und keine Vollkaskoversicherung abgeschlossen zu haben, wird es zu den Pflichten des Sachverständigen gehören, Online Angebote einzuholen, um den Schaden seines Auftraggebers gering zu halten.
Eine in Einzelfällen bestehende Bereitschaft, überobligationsmäßige Maßnahmen zur Geringhaltung des Schadens vorzunehmen, kann eine Verpflichtung des Sachverständigen, solche Angebote in jedem Fall einzuholen, jedenfalls nicht begründen.
3. Die Beklagten haben den Restwert auch nicht aufgrund einer schuldhaften Pflichtwidrigkeit bei der Ermittlung auf dem regionalen Markt zu niedrig angegeben.
a) Sie haben lediglich die Einholung von zwei Angeboten dargelegt. Zwar wird üblicherweise die Zugrundelegung von drei Angeboten als erforderlich angesehen.
Aufgrund der Beweiserhebung sieht es der Senat aber als erwiesen an, dass diese Pflichtverletzung nicht zur Feststellung eines zu niedrigen Restwertes geführt hat.
b) Der vom Gericht beauftragte Sachverständige B. hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 18. Januar 2006 ausgeführt, bei der Ermittlung des Restwerterlöses seien zunächst der Betrag, der für ein vergleichbares unbeschädigtes Fahrzeug aufgewandt werden müsse und die zur Reparatur des Lkw erforderlichen Kosten in ein Verhältnis zu setzen. Er hat mündlich erläutert, es werde zunächst ein theoretischer Restwert ermittelt und anschließend würden Angebote von Restwerthändlern eingeholt. Über die protokollierte Aussage hinaus hat er erklärt, für sich selbst als theoretischen Restwert einen Betrag von 4.500 € errechnet zu haben.
Er habe nach Verhandlungen einen Preis von 6.500 € als Vorschlag erhalten.
Bei anderen Händlern wären andere Angebote erzielt worden. Sofern ihm seine Händler endgültig nur einen Preis von 4.500 € geboten hätten, hätte er vielleicht noch weiter recherchiert. In seiner Stellungnahme vom 24. April 2006 hat er erläutert, der von ihm genannte Wert von 6.500 € sei eine Schätzung, da der Lkw für eine Besichtigung nicht mehr zur Verfügung gestanden habe und Gebote deshalb beliebig, weil unverbindlich, gewesen wären.
c) Aufgrund dieser Ausführungen kann der von den Beklagten genannte Restwert von 4.500 € im Vergleich zu dem vom Gerichtssachverständigen benannten Preis von 6.500 € nicht als schuldhaft unzutreffend ermittelt angesehen werden.
Die Abweichung beträgt ca. 30 %. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass der Sachverständige ca. zwei Jahre nach der tatsächlichen Wertermittlung seine Recherchen vorgenommen hat und nur versuchen konnte, das Alter des Fahrzeuges anzupassen, um so realistische Vergleichsangebote zu erzielen. Hierdurch entstehen besondere Ungenauigkeiten. Im Übrigen ist einem Sachverständigen stets ein gewisser Ermessensspielraum zuzubilligen.
Bei diesen Gesamtumständen kann der mitgeteilte Restwert nicht als außerhalb des Beurteilungsrahmens liegend angesehen werden. ..."