Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

BGH Urteil vom 17.03.1993 - IV ZR 11/92 - Zur Beweislast für Versicherungsnehmer und Versicherer beim Verdacht des Vortäuschens einer Fahrzeugentwendung

BGH v. 17.03.1993: Zur Beweislast für Versicherungsnehmer und Versicherer beim Verdacht des Vortäuschens einer Fahrzeugentwendung


Der BGH (Urteil vom 17.03.1993 - IV ZR 11/92) hat entschieden:
  1. Der Versicherungsnehmer genügt seiner Beweislast, wenn er Anzeichen beweist, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das äußere Bild eines versicherten Diebstahls ergeben (Senatsurteil vom 3. Juli 1991 - IV ZR 220/90 - VersR 1991, 1047 unter 2 a). Unverzichtbar ist jedoch, dass der Versicherungsnehmer den vollen Beweis für ein Mindestmaß an Tatsachen erbringt, die den Schluss auf das äußere Bild einer versicherten Entwendung erst ermöglichen.

  2. Der Versicherer hat konkrete Tatsachen nachzuweisen, die die Annahme einer Vortäuschung des Versicherungsfalles mit erheblicher Wahrscheinlichkeit nahelegen.


Zum Sachverhalt: Der Kläger verlangt für die von ihm behauptete Entwendung seines bei der Beklagten kaskoversicherten Pkw Porsche 944 eine Entschädigung.

Der Kläger hat am Abend des 26. November 1987 bei der Polizei und am 28. November 1987 bei der Beklagten angezeigt, daß sein Fahrzeug gestohlen worden sei.

Er hat behauptet, er habe den versicherten Pkw am 26. November 1987 gegen 21.00 Uhr auf einem Parkplatz der Technischen Hochschule in D. abgestellt. Nach dem Besuch einer Gaststätte habe er ihn dort nicht mehr vorgefunden. Das Fahrzeug müsse in der Zeit zwischen 21.00 Uhr und 22.45 Uhr gestohlen worden sein.

Die Beklagte verweigert Entschädigungsleistungen. Sie hat bestritten, daß das Fahrzeug dem Kläger gegen dessen Willen entzogen worden sei. Ein Diebstahl sei vom Kläger nur vorgetäuscht worden. Zahlreiche Umstände begründeten erhebliche Zweifel an der Redlichkeit des Klägers. Dieser sei bereits wegen eines Vermögensdelikts bestraft, seine wirtschaftlichen Verhältnisse seien desolat. Er habe zudem bei den Nachforschungen der Beklagten über den Eintritt des Versicherungsfalles zum Teil unzutreffende Angaben gegenüber ihrem Schadensbeauftragten gemacht.

Das Landgericht hat die Klage mangels Aktivlegitimation des Klägers abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr - nachdem der Kläger nunmehr Zahlung an eine Zessionarin begehrt - stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung weiter. Die Revision hatte - vorläufig - Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Das Berufungsgericht hat die Senatsrechtsprechung zur bedingungsgemäßen Beweiserleichterung verkannt, die die Parteien des Versicherungsvertrages dafür in Anspruch nehmen können, daß der Eintritt - bzw. der Nichteintritt - des Versicherungsfalles nachgewiesen ist.

1. Das Berufungsgericht geht davon aus, daß der Versicherungsnehmer den Anforderungen an den Beweis des Versicherungsfalles genügt hat, wenn ein "äußerer Sachverhalt" gegeben ist, der nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf einen Diebstahl der versicherten Sache schließen lasse. Es nimmt an, ein solcher äußerer Sachverhalt liege vor. Bei dem Diebstahl eines Fahrzeugs von öffentlichem Straßengrund könne der Versicherungsnehmer häufig nicht mehr Einzelheiten angeben, als es der Kläger getan habe. Sein Vortrag, er habe den Diebstahl bei der Polizei angezeigt, sei von der Beklagten nicht angezweifelt worden.

a) Diese Begründung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

Zwar ist es richtig, daß der Versicherungsnehmer seiner Beweislast genügt, wenn er Anzeichen beweist, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das äußere Bild eines versicherten Diebstahls ergeben (Senatsurteil vom 3. Juli 1991 - IV ZR 220/90 - VersR 1991, 1047 unter 2 a). Unverzichtbar ist jedoch, daß der Versicherungsnehmer den vollen Beweis für ein Mindestmaß an Tatsachen erbringt, die den Schluß auf das äußere Bild einer versicherten Entwendung erst ermöglichen (Senatsurteil vom 24. April 1991 - IV ZR 172/90 - VersR 1991, 917 unter 2). Dafür aber genügt - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - die Anzeige des behaupteten Diebstahls bei der Polizei für sich allein nicht (Senatsurteil vom 19. Mai 1978 - IV ZR 78/77 - VersR 1978, 732). Da das Berufungsgericht seine Annahme, das äußere Bild eines versicherten Diebstahls liege vor, auf weitere - bewiesene - Tatsachen nicht gestützt hat, fehlt es ihr schon deshalb an einer ausreichenden Tatsachengrundlage.

b) Infolge dieser Verkennung der Beweisanforderungen hat das Berufungsgericht zudem erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen: Der Kläger hat sich nicht darauf beschränkt, den Diebstahl zu behaupten und auf seine Anzeige bei der Polizei hinzuweisen. Er hat weiterhin dargelegt und unter Beweis gestellt, daß er mit seinem Fahrzeug und ein Bekannter mit einem weiteren Fahrzeug gemeinsam zu dem Parkplatz gefahren seien. Beide hätten ihre Fahrzeuge dort abgestellt und gemeinsam eine Gaststätte aufgesucht. Nachdem vom Kläger allein festgestellt worden sei, daß sich sein Fahrzeug nicht mehr am Abstellort befand, habe er seinen Begleiter sofort gebeten, ihn zur Polizei zu fahren. Das sei dann auch geschehen (GA Bl. 42, 43, 66).

Der Kläger hat damit - was das Abstellen und Nichtauffinden seines Fahrzeugs anlangt - weitere Tatsachen behauptet, die Anzeichen für das äußere Bild einer versicherten Entwendung sein können.

Die Beklagte hat diesen Vortrag bestritten (GA Bl. 73, 118, 119). Sie hat zwar die Auffassung vertreten, für den vom Kläger zu führenden Beweis erbringe es nichts, wenn sich in einer Beweisaufnahme bestätige, daß der Kläger die Gaststätte schon vor dem Zeugen verlassen habe. Diese vorweggenommene Würdigung der Beklagten besagt jedoch nicht, daß sie damit die weiteren Einzelheiten des Vorbringens des Klägers unstreitig stellen wollte.

Dem Berufungsgericht oblag es deshalb, zum streitigen Vorbringen des Klägers Beweis zu erheben und das Ergebnis der Beweisaufnahme bei seiner Würdigung zu berücksichtigen, ob der Kläger den Anforderungen an den Beweis des Versicherungsfalles genügt hat. Zwar kann der Tatrichter im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses (§ 286 ZPO) den Behauptungen und Angaben des Versicherungsnehmers (vgl. § 141 ZPO) unter Umständen auch dann glauben, wenn dieser ihre Richtigkeit sonst nicht beweisen kann (vgl. dazu Senatsurteil vom 24. April 1991 - IV ZR 172/90 - aaO). So liegt der Fall hier jedoch nicht. Denn der Kläger hat Tatsachen dargelegt und unter Beweis gestellt, die Anzeichen für das äußere Bild einer Entwendung sein können. Dem war zunächst durch Beweisaufnahme nachzugehen, die das Berufungsgericht unterlassen hat und deshalb nachzuholen haben wird. Da es keinen unmittelbaren Zeugen für das unfreiwillige Nichtwiederauffinden des Fahrzeugs gibt, wird es gegebenenfalls auch schon hier hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Klägers auf die Bedenken einzugehen haben, die von der Beklagten vorgebracht sind (vgl. unten 2). Gelangt es danach zu der Überzeugung, daß der Kläger den Beweis für das äußere Bild einer versicherten Entwendung nicht geführt hat, kommt es auf das Vorbringen der Beklagten, ein Diebstahl sei nur vorgetäuscht worden, schon nicht mehr an.

2. Sollte es dagegen auf dieses Vorbringen ankommen, wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, daß auch die von ihm dazu angestellten Erwägungen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen.

Zwar geht das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend davon aus, daß der Versicherer konkrete Tatsachen nachzuweisen hat, die die Annahme einer Vortäuschung des Versicherungsfalles mit erheblicher Wahrscheinlichkeit nahelegen (Senatsurteil vom 5. Oktober 1983 - IVa ZR 19/82 - VersR 1984, 29 und ständig). Die Ausführungen des Berufungsgerichts lassen jedoch nicht erkennen, ob es beachtet hat, daß sich derartige konkrete Tatsachen auch aus dem Verhalten des Versicherungsnehmers ergeben können, das ihn als unglaubwürdig erscheinen läßt oder doch schwerwiegende Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit und an der Richtigkeit der von ihm aufgestellten Behauptung der Entwendung aufdrängt. Das gilt insbesondere dann, wenn der Versicherungsnehmer im Rechtsverkehr - namentlich in Versicherungsangelegenheiten - zur Durchsetzung seiner Vermögensinteressen wiederholt unrichtige Angaben gemacht hat oder bei der versicherungsrechtlichen Abwicklung des Schadensfalles ein solches Verhalten an den Tag legt (Senatsurteile vom 27. April 1977 - IV ZR 79/76 - VersR 1977, 610 unter I, 3; vom 18. November 1986 - IVa ZR 100/85 - VersR 1987, 61 unter II, 6). Demgemäß hatte das Berufungsgericht die von ihm erwogenen Umstände, insbesondere das Verhalten des Klägers bei den Nachforschungen der Beklagten nach Anzeige des Versicherungsfalles und sein vorausgegangenes strafbares Verhalten, auch mit Blick auf die Frage der Glaubwürdigkeit des Klägers zu würdigen. Daß dies geschehen ist, kann den Ausführungen des Berufungsgerichts jedenfalls nicht mit ausreichender Deutlichkeit entnommen werden.

Die Revision rügt in diesem Zusammenhang schließlich zu Recht, das Berufungsgericht habe bei seiner Würdigung den Vortrag der Beklagten nicht berücksichtigt, wonach der Kläger ihrem Schadensbeauftragten bei dem Gespräch im Januar 1988 unrichtig angegeben habe, sich an den Namen der Person, die ihn zur Polizei gefahren habe, nicht zu erinnern, obwohl diese Person Teilnehmer des Gesprächs gewesen sei (GA Bl. 118, 119). ..."



Datenschutz    Impressum