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Verwaltungsgericht Neustadt Beschluss vom 05.05.2008 - 3 L 406/08 - Ein MPU- Gutachten kann auch bei rechtswidrige Anordnung der MPU als neue Tatsache verwertet werden

VG Neustadt v. 05.05.2008: Ein MPU- Gutachten kann auch bei rechtswidrige Anordnung der MPU als neue Tatsache verwertet werden


Das Verwaltungsgericht Neustadt (Beschluss vom 05.05.2008 - 3 L 406/08) hat entschieden:
Hat sich der Betroffene der angeordneten Begutachtung gestellt und liegt der Behörde das Gutachten vor, so ist dies eine neue Tatsache, die selbständige Bedeutung hat; ihre Verwertbarkeit hängt dann nicht mehr von der Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnung nach § 11 bis 14 FeV ab.


Aus den Entscheidungsgründen:

"Der Antrag,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung der Fahrerlaubnis der Klasse 3 durch Verfügung der Antragsgegnerin vom 18. März 2008 wiederherzustellen,
kann keinen Erfolg haben.

Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung in der angefochtenen Verfügung, dass es mit dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs unvereinbar wäre, wenn der Antragsteller bis zum Eintritt der Bestandskraft der Verfügung weiter als Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilnehmen könnte, nachdem seine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen gegeben sei, hält sich im Rahmen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.

Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis überwiegt vorliegend das private Interesse des Antragstellers, von der Fahrerlaubnis bis zur Entscheidung im Verfahren zur Hauptsache Gebrauch machen zu können. Dem Interesse des Antragstellers an dem Erhalt der Fahrerlaubnis steht nämlich das öffentliche Interesse daran gegenüber, Personen, die sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen haben, unverzüglich von der aktiven motorisierten Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr auszuschließen, wie es die Antragsgegnerin in ihrer Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung dargelegt hat.

Das vorrangige öffentliche Interesse folgt auch daraus, dass sich die angefochtene Verfügung beim gegenwärtigen Sachstand aufgrund der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO allein möglichen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig erweist.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller zu Recht die Fahrerlaubnis entzogen, weil er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz - StVG - i.V.m. § 46 Abs. 1 Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV - hat die Fahrerlaubnisbehörde nämlich die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Die Fahrerlaubnisbehörde kann, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges geeignet ist, nach § 46 Abs. 3 FeV zur Vorbereitung ihrer Entscheidung von dem Betreffenden nach §§ 11 bis 14 FeV die Beibringung eines ärztlichen oder gegebenenfalls eines medizinisch-psychologischen Gutachtens fordern.

Hat sich der Betroffene der angeordneten Begutachtung gestellt und liegt der Behörde das Gutachten vor, so ist dies eine neue Tatsache, die selbständige Bedeutung hat; ihre Verwertbarkeit hängt dann nicht mehr von der Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnung nach § 11 bis 14 FeV ab (zu der Vorgängervorschrift des § 15b StVZO: BVerwG, Beschluss vom 19. März 1996 - 11 B 14/96 -, juris, Rn. 3).

Danach ist vorliegend nicht mehr der Frage nachzugehen, ob die Antragsgegnerin die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens verlangen durfte, nachdem sie zuvor Maßnahmen nach § 4 StVG ergriffen hatte. Zwar schließt das Punktsystem nach § 4 StVG nicht grundsätzlich andere Anordnungen der Fahrerlaubnisbehörde aus, wenn sich die Notwendigkeit früherer oder anderer Maßnahmen auf Grund anderer Vorschriften, insbesondere der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG, ergibt. Aber Satz 2 des § 4 Abs. 1 StVG besagt auch, dass in einem solchen Fall das Punktsystem keine Anwendung findet. Die Anwendung sowohl des Punktsystems des § 4 Abs. 3 StVG als auch der §§ 11 bis 14 FeV erscheint deshalb bedenklich, ohne dass dies allerdings im vorliegenden Fall geklärt werden müsste, weil der Antragsteller das geforderte Gutachten eingeholt hat.

Aufgrund des Ergebnisses der medizinisch-psychologischen Begutachtung durch die Begutachtungsstelle für Fahreignung Dr. M.… vom 25. Februar 2008 steht die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen eines Kraftfahrzeuges zum jetzigen Zeitpunkt, der, da das Verwaltungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist, für die Entscheidung maßgeblich ist, fest.

Der Antragsteller hat sich der Untersuchungsstelle ohne Einschränkung zur Begutachtung gestellt. Das medizinisch-psychologische Gutachten zur Frage seiner Kraftfahrereignung ist entgegen seiner Auffassung in vollem Umfang verwertbar. Sprachschwierigkeiten können allenfalls bei der psychologischen Exploration eine Rolle gespielt haben. Zwar macht der Antragsteller nunmehr Verständigungsschwierigkeiten aufgrund seiner Deutschkenntnisse geltend. Er hat es aber unterlassen, sich rechtzeitig vor dem Untersuchungstermin mit der Begutachtungsstelle in Verbindung zu setzen, um das Sprachproblem zu klären. Es hinderte ihn des Weiteren nicht daran, sich am Untersuchungstag und nach dem Hinweis der Gutachter, seine Ehefrau könne bei dem Gespräch nicht anwesend sein, sich den Fragen im Rahmen der Begutachtung zu stellen und diese zu beantworten. Wie die in dem Gutachten festgehaltenen Antworten und Erklärungen des Antragstellers zu den ihm im Einzelnen zur Last gelegten Verkehrsverstößen zeigen, hat er sich zur Sache gegenüber den Gutachtern geäußert und war hierzu ausweislich seiner in dem Gutachten wiedergegebenen Einlassungen durchaus in der Lage. Da es sich bei den Begutachtern der Begutachtungsstelle für Fahreignung außerdem um erfahrene Sachverständige mit Begutachtungspraxis auch gegenüber Ausländern handelt, ist davon auszugehen, dass sie eine nur eingeschränkte Verwertbarkeit ihres Gutachtens auf Grund von Verständnisschwierigkeiten auf der Seite des Probanden auf jeden Fall besonders vermerkt hätten.

Es liegen keine anderen Gründe vor, die einer Verwertung des Gutachtens entgegenstünden. Der Antragsteller hat sich nach seinem eigenen Vortrag schriftlich mit der Übersendung des Gutachtens einverstanden erklärt. Aber auch ohne dieses erteilte Einverständnis könnte die Antragsgegnerin das Gutachten verwerten.

Denn ein Verstoß gegen die ärztliche Pflicht zur Verschwiegenheit liegt unter anderem dann nicht vor, wenn und soweit die Offenbarung zum Schutz eines höheren Rechtsgutes, insbesondere zur Abwehr schwerer gesundheitlicher Gefahren von dem Patienten oder einem anderen, erforderlich ist (BVerwG, Beschluss vom 4. September 1970 - I B 50.69 -, DÖV 1972, 59 m.w.N.). Hiernach dürften wegen der sowohl für den Antragsteller sowie auch für andere Verkehrsteilnehmer bestehenden Gefahren Bedenken gegen die Weitergabe des Gutachtens nicht bestehen. Wenn die Fahrerlaubnisbehörde von einem Sachverhalt Kenntnis erlangt, der ihr Tätigwerden erfordert oder nach näherer Sachaufklärung erfordern kann, ist die Behörde zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben auch dann verpflichtet, wenn der Mitteilende eine ihm obliegende Verschwiegenheit verletzt hat (BVerwG, aaO).

Das medizinisch-psychologische Gutachten kommt unter Darlegung der Voraussetzungen für eine günstige Prognose und Würdigung der Angaben des Antragstellers in nachvollziehbarer Weise zu dem Ergebnis, es sei zu erwarten, dass der Antragsteller zukünftig erheblich gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen werde. Dies wird zusammenfassend mit der sehr unkritischen Selbsteinschätzung seiner Qualitäten als Kraftfahrzeugführer und der fehlenden und nicht als notwendig angesehenen Auseinandersetzung mit den in der eigenen Person liegenden Ursachen für die bisherigen Auffälligkeiten begründet.

Aber selbst wenn man das Gutachten in seinem psychologischen Teil als nicht nachvollziehbar und damit nicht verwertbar ansähe, so könnte nach der im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Interessenabwägung die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs nicht wiederhergestellt werden.

Denn nach den bei dem Antragsteller durchgeführten Leistungstests (siehe S. 8 bis 10 des Gutachtens) verfügt er nicht über eine anforderungsgerechte Begabung hinsichtlich der für einen Kraftfahrzeugführer wichtigen psycho-physischen Funktionen. Die zur Klärung von Kompensationsmöglichkeiten insoweit erforderliche Fahrverhaltensbeobachtung wurde seitens der Gutachter nicht durchgeführt, weil aus anderen Gründen eine negative Beurteilung vorlag. Ohne den Nachweis von Kompensationsmöglichkeiten bezüglich dieser Leistungsschwächen ist es mit Rücksicht auf die Verkehrssicherheit jedoch nicht vertretbar, den Antragsteller weiter als Kraftfahrer am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen. Seine privaten Interessen haben daher hinter dem öffentlichen Interesse zurückzutreten. ..."



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