Das Verkehrslexikon
OLG Brandenburg Beschluss vom 27.03.2008 - 2 Ss (OWi) 2 B/08 - Bitte, vom Fahrverbot abzusehen, im letzten Wort ist kein Fahrzeugführer-Geständnis
OLG Brandenburg v. 27.03.2008: Bitte, vom Fahrverbot abzusehen, im letzten Wort ist kein Fahrzeugführer-Geständnis
Das OLG Brandenburg (Beschluss vom 27.03.2008 - 2 Ss (OWi) 2 B/08) hat entschieden:
- Bittet der Betroffene in seinem letzten Wort darum, von einem Fahrverbot abzusehen, so darf hieraus nicht der Schluss gezogen werden, dass er damit eingeräumt habe, der Fahrzeugführer zum Tatzeitpunkt gewesen zu sein. Diese Bitte ist als vorsorglich für den Fall der Verurteilung vorgebracht anzusehen.
- Die Verlesungsmöglichkeit nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO erstreckt sich nicht auf Protokolle oder Erklärungen zu Vernehmungen, wozu - angesichts einer weiten Fassung dieses Begriffs - auch informatorische Befragungen, Vermerke über Befragungen oder polizeiliche Schlussberichte gehören, in denen die Vernehmungsergebnisse wiedergegeben werden.
Zum Sachverhalt: Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 100 Euro verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat mit der Möglichkeit aufgeschobenen Wirksamwerdens nach § 25 Abs. 2a StVG angeordnet. Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 21. September 2006 um 18.34 Uhr mit einem Krankentransportwagen die Bundesstraße … in der Ortschaft H.… mit mindestens 85 km/h und überschritt dabei die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 35 km/h.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts rügt.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
Das Rechtsmittel des Betroffenen hatte - vorläufigen - Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Das zulässige Rechtsmittel hat bereits mit der Sachrüge (vorläufigen) Erfolg.
Die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils hält der Prüfung in der Rechtsbeschwerde nicht stand. Zwar ist sie Sache des Tatrichters; es kommt nicht darauf an, ob das Rechtsbeschwerdegericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte (vgl. BGH, NStZ-RR 2007, 279 [280]). Insbesondere genügt es, wenn im Rahmen der Beweiswürdigung gezogene Schlüsse möglich sind; zwingend brauchen sie nicht zu sein (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 6. Februar 2008 - Ss 70/07 und Ss 78/07 -, zitiert nach Juris, dort Rdnr. 24). Das Rechtsbeschwerdegericht kann nur eingreifen, wenn die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft ist, insbesondere wenn sie innere Widersprüche, Lücken oder Unklarheiten aufweist oder gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 10. Januar 2008 - 3 Ss OWi 824/07 -, zitiert nach Juris, dort Rdnr. 6 m.w.N.). So aber liegt es hier.
Das Amtsgericht hat seine Überzeugung, dass der Betroffene - der zum Vorwurf geschwiegen hat - das Fahrzeug zur Tatzeit geführt habe, unter anderem auf dessen letztes Wort in der Hauptverhandlung gestützt. Dazu heißt es im Urteil:
„… Auch wenn die Fahrereigenschaft des Betroffenen [im anthropologischen Vergleichsgutachten] nur als wahrscheinlich angegeben wurde, bestehen hinreichende weitere Indizien für die Fahrereigenschaft des Betroffenen.
Es kann nämlich aus dem letzten Wort des Betroffenen in der Hauptverhandlung am 07.09.2007 geschlossen werden, dass der Betroffene am 21.09.2006 das Kraftfahrzeug selbst geführt hat. Der Betroffene bat im letzten Wort um das Absehen vom Fahrverbot wegen Vorliegens einer persönlichen Härte für den Betroffenen.
…“
Das lässt besorgen, dass das Amtsgericht nur diese eine - für den Betroffenen ungünstige - Verständnismöglichkeit des letzten Wortes in Betracht gezogen hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 337 Rdnr. 32 m.w.N.). Jedenfalls ist eine Auseinandersetzung mit der sich nach den Umständen aufdrängenden Möglichkeit nicht erkennbar, dass die zitierte Äußerung lediglich den Versuch des Betroffenen bedeutete, bei einem als wahrscheinlich oder gar unausweichlich erachteten Schuldspruch (unabhängig von dessen Berechtigung) wenigstens die Rechtsfolgen abzumildern. Auf diesem Mangel kann das Urteil auch beruhen (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 337 Abs. 1 StPO); denn die zitierte Äußerung gehörte für das Amtsgericht ausdrücklich zu den den Betroffenen überführenden „weiteren Indizien“.
Für die erneute Verhandlung ist vorsorglich anzumerken, dass sich die Verlesungsmöglichkeit nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO nicht auf Protokolle oder Erklärungen zu Vernehmungen erstreckt, wozu - angesichts einer weiten Fassung dieses Begriffs - auch informatorische Befragungen, Vermerke über Befragungen oder polizeiliche Schlussberichte gehören, in denen die Vernehmungsergebnisse wiedergegeben werden (Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 256 Rdnr. 27). Es liegt nahe, dass die laut Urteil in der Hauptverhandlung gegen den Widerspruch des Verteidigers verlesene „dienstliche Stellungnahme“ eines Polizeibeamten über ein Telefonat mit dem Betroffenen - in dem dieser neben weiteren im Urteil wiedergegebenen Angaben auch seine Fahrereigenschaft zur Tatzeit eingeräumt habe - eine Vernehmung in solchem weitgefassten Sinne zum Gegenstand hatte. ..."