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OLG Brandenburg Beschluss vom 14.07.2008 - 12 W 15/07 - Eine Erwerbsunfähigkeitsrente gem. §§ 843 Abs. 1 BGB, § 13 StVG kann nicht verlangen, wer schon vor dem Unfall erwerbsunfähig war.
OLG Brandenburg v. 14.07.2008: Eine Erwerbsunfähigkeitsrente gem. §§ 843 Abs. 1 BGB, § 13 StVG kann nicht verlangen, wer schon vor dem Unfall erwerbsunfähig gewesen ist
Das OLG Brandenburg (Beschluss vom 14.07.2008 - 12 W 15/07) hat entschieden:
Eine Erwerbsunfähigkeitsrente gem. §§ 843 Abs. 1 BGB, § 13 StVG kann nicht verlangen, wer schon vor dem Unfall erwerbsunfähig gewesen ist und eine entsprechende Rente bezogen hat. Allein der Umstand, dass er unfallbedingt eine bestimmte zuvor noch mögliche geringfügige Beschäftigung nicht weiterführen kann, rechtfertigt eine andere Beurteilung nicht.
Zum Sachverhalt: Der Antragsteller begehrte Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Zahlung von Verdienstausfall, Schmerzensgeld und eine monatliche Erwerbsschadens- und Schmerzensgeldrente sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht der Antragsgegner für sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 24.05.2003 auf der BAB … in Fahrtrichtung F…, Höhe B.… H…, bei dem der Dienstwagen des als Lotse auf der Autobahn eingesetzten Antragstellers mit einem unvermittelt aus seiner Fahrspur herausziehenden Lkw kollidierte. Die 100 %ige Haftung der Antragsgegner - des Fahrers des Lkw und der Haftpflichtversicherung - aufgrund dieses Unfalls war zwischen den Parteien nicht im Streit.
Mit Beschluss vom 04.04.2007 hat das Landgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die für die Zuerkennung einer Schmerzensgeldrente erforderliche massive Dauerschädigung des Antragstellers sei nicht gegeben. Eine Erwerbsschadensrente könne schon deshalb nicht verlangt werden, weil der Antragsteller im Unfallzeitpunkt bereits erwerbsunfähig gewesen sei. Auch sei dem Antragsteller nicht die Möglichkeit genommen, eine andere geringfügige Beschäftigung aufzunehmen. Der Antragsteller habe schon nicht dargetan, dass er sich um eine anderweitige Tätigkeit bemüht habe. Auch könne eine Unfallbedingtheit des behaupteten „Unfalltraumas“ nicht festgestellt werden. Stehe die neurotische Fehlhaltung nämlich in einem groben Missverhältnis zum schädigenden Ereignis, so sei eine Ersatzpflicht ausgeschlossen.
Der Antragsteller hat gegen den Beschluss „Beschwerde“ eingelegt.
Der Antragsteller behauptet der unfallbedingt erlittene Verlust der Fahrtüchtigkeit entspreche anderen körperlichen Beeinträchtigungen, die regelmäßig zu Schmerzensgeldrenten führen könnten, sodass auch in seinem Fall eine solche Rente zuzusprechen sei. Auch sei ihm durch den Verlust der Fahrtüchtigkeit die Möglichkeit einer Nebentätigkeit genommen, da an seinem Wohnort Möglichkeiten für Nebentätigkeiten nicht bestünden und andere Orte für ihn nicht in zumutbarer Weise erreichbar seien. Auch habe das Landgericht nicht aus eigener Sachkunde ohne Berücksichtigung der angebotenen Beweismittel eine Zurechnung der fortbestehenden Unfallfolgen verneinen dürfen.
Das Rechtsmittel blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
"Das Rechtsmittel des Antragstellers ist als sofortige Beschwerde nach §§ 127 Abs. 2, 567 Abs. 1 S. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere innerhalb der Monatsfrist des § 127 Abs. 2 S. 3 ZPO eingelegt worden.
In der Sache hat die sofortige Beschwerde nur teilweise Erfolg. Die vom Antragsteller beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet nur insoweit hinreichende Aussicht auf Erfolg als er die Zahlung materiellen Schadensersatzes in Höhe von 3 223,60 € sowie eines Schmerzensgeldes in einer Größenordnung von 2 000,00 € fordert und die Feststellung begehrt, dass die Antragsgegner verpflichtet sind, sämtliche weitere materielle Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 24.05.2003 auf der BAB …, Höhe B.… H…, auszugleichen. Insoweit war dem Antragsteller, der zum Bestreiten der Prozesskosten nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, § 114 ZPO.
Die vom Antragsteller beabsichtigte Klage ist bereits unzulässig soweit er die Feststellung einer Ersatzpflicht der Beklagten für sämtliche (weitere) immaterielle Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 24.05.2003 begehrt. Der Antragsteller hat ein entsprechendes Feststellungsinteresse nicht dargetan. Zwar ist ein Feststellungsinteresse eines in einem absoluten Rechtsgut Verletzten hinsichtlich der Einstandspflicht des Schädigers für künftige Schäden schon dann zu bejahen, wenn weitere Schadensfolgen - wenn auch nur entfernt - möglich, ihre Art und ihr Umfang oder sogar ihr Eintritt aber noch ungewiss sind (BGH NJW 2001, S. 1432; NJW-RR 1988, S. 445). Solche zukünftig in Betracht kommenden immateriellen Beeinträchtigungen hat der Antragsteller indes nicht dargelegt. Allein das Fortbestehen der aufgetretenen posttraumatischen Belastungsstörungen - insbesondere der Angstzustände - rechtfertigen einen Feststellungsantrag nicht, da eine insoweit dauerhaft vorliegende Beeinträchtigung des Antragstellers bereits bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen ist (vgl. Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 9. Aufl., Rn. 276). Anhaltspunkte für mögliche weitere Gesundheitsbeeinträchtigungen aufgrund des Unfalles vom 24.05.2003 hat der Antragsteller nicht aufgezeigt.
Der Antragsteller hat aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB, 3 PflVG, 7 Abs. 5 StVO Anspruch auf Ausgleich der ihm durch den Unfall entstandenen materiellen Schäden. Der Antragsteller hat insoweit die ihm entstandenen Verdienstausfälle im Zeitraum vom Unfalltage bis zum 31.05.2006 unter Anrechnung der vorgerichtlichen Zahlung der Beklagten von 5 000,00 € in Höhe von jedenfalls 3 223,60 € substantiiert und unter Beweisantritt dargelegt. Der Antragsteller war dabei nicht gehalten auf seine Einkünfte aus geringfügiger Beschäftigung in Höhe von monatlich 339,00 € einen Abzug für berufsbedingte Aufwendungen über 5 Prozent hinaus vorzunehmen (vgl. hierzu Küppersbusch, a.a.O., Rn. 79). Der Senat hält einen weitergehenden Abzug schon deshalb nicht für gerechtfertigt, weil dem Antragsteller die kostenreduzierende Nutzung eines Dienstwagens möglich war.
Es lässt sich auch nicht ohne weiteres die Unfallkausalität der beim Antragsteller festgestellten posttraumatischen Belastungsstörung, Agoraphobie sowie Dystymie verneinen. Auch psychisch bedingte Gesundheitsbeeinträchtigungen sind grundsätzlich dem Schädiger zuzurechnen und zwar selbst dann, wenn sie auf einer psychischen Anfälligkeit des Verletzten beruhen oder durch eine neurotische Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens und der Primärverletzung verursacht wurden (BGH VersR 1996, S. 990; VersR 1997, S. 752). Etwas anderes gilt bei Bagatellverletzungen, also Verletzungen, die eine im Alltagsleben typische Beeinträchtigung darstellen, sodass die psychische Reaktion in einem groben Missverhältnis zum Anlass steht (BGH VersR1997 a.a.O.; Küppersbusch a.a.O., rn. 14). Daneben entfällt eine Ersatzpflicht dann, wenn sich aufgrund der Primärverletzung eine Begehrensneurose entwickelt hat, mithin eine dem Schädiger nicht zurechenbare Fehlreaktion, die im Wesentlichen auf einem neurotischen Streben nach Versorgung und Sicherheit ohne die Schwierigkeiten des Erwerbslebens beruht (BGH VersR1996 a.a.O.; Küppersbusch a.a.O., Rn. 16). Im vorliegenden Fall lässt sich keiner der genannten Ausnahmefälle ohne sachverständige Überprüfung annehmen. Die beim Antragsteller aufgetretenen psychischen Beeinträchtigungen stehen in Anbetracht der Unfallsituation vom 24.05.2003 nicht außer Verhältnis zum Anlass, wenn auch die erlittenen körperlichen Beeinträchtigungen von geringer Schwere waren. Der Zusammenstoß mit einem ausscherenden Lkw und das dabei vermittelte Gefühl der Machtlosigkeit, erscheint durchaus geeignet Angstzustände auszulösen. Auch eine Begehrensneurose kann ohne sachverständige Aufklärung nicht angenommen werden.
Dem Antragsteller ist auch nicht ohne weiteres anzulasten, dass er nicht eine andere geringfügige Beschäftigung aufgenommen hat. Angesichts der vom Antragsteller geschilderten Problematik der Erreichbarkeit anderer Arbeitsstellen, ist es vielmehr Sache der Antragsgegner einen insoweit in Betracht kommenden Verstoß des Antragstellers gegen seine Schadensminderungspflicht substantiiert vorzutragen und nachzuweisen.
Weiterhin ist auch der Feststellungsantrag des Antragstellers betreffend eine Ersatzpflicht der Antragsgegner für sämtliche (weitere) materielle Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 24.05.2003 zulässig und begründet, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind. Denkbar sind insbesondere weitere Gehaltseinbußen des Antragstellers für den Zeitraum ab Juni 2006.
Der Antragsteller hat ferner aus §§ 7 Abs. 1, 11 Satz 2 StVG, 823 Abs. 1, Abs. 2, 253 BGB, 3 PflVG, 7 Abs. 5 StVO Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes. Der Senat bemisst die Größenordnung des Schmerzensgeldanspruchs - die Richtigkeit des Vorbringens des Antragstellers unterstellt - mit 2 000,00 €. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist in erster Linie dessen Ausgleichsfunktion zu berücksichtigen. Insoweit kommt es auf die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung an, maßgeblich sind Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden, Entstellungen und psychischen Beeinträchtigungen, wobei Leiden und Schmerzen wiederum durch die Art der Primärverletzung, die Zahl und Schwere der Operationen, die Dauer der stationären und der ambulanten Heilbehandlung, den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit und die Höhe des Dauerschadens bestimmt werden. Im Rahmen der bei normalen Straßenverkehrsunfällen nur eingeschränkt zu berücksichtigende Genugtuungsfunktion ist insbesondere die Schwere des Verschuldens des Schädigers in Ansatz zu bringen (vgl. Küppersbusch, a.a.O., Rn. 274 ff). Vorliegend sind auf der Grundlage des Vortrages des Antragstellers Prellungen an der linken Schulter, am Brustkorb, an der linken Hüfte, dem linken Oberschenkel sowie am rechten Fußgelenk zu berücksichtigen. Ferner erlitt der Antragsteller ein Schädel-Hirn-Trauma, eine Distorsion der Halswirbelsäule und Kontusion der Lendenwirbelsäule. Der Antragsteller litt zwei bis drei Monate unter Schmerzen und Bewegungseinschränkungen. Weiterhin ist die nach dem Unfall aufgetretene posttraumatische Belastungsstörung, eine Agoraphobie sowie eine Dystymie zu berücksichtigen, die zu einer rund sechswöchigen stationären Behandlung des Antragstellers geführt haben. Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang auch die vom Antragsteller geschilderten Albträume und die Einschränkungen der Fahrfähigkeit. Angesichts der geschilderten Umstände erscheint unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zu vergleichbaren Fällen (vgl. etwa OLG Köln VersR 1988, S. 139; LG Mainz, Urteil vom 11.06.1997, Az. 4 O 149/96, zitiert nach Slizyk, Beck'sche Schmerzensgeldtabelle, 5. Aufl., S. 620) selbst bei Annahme der Unfallkausalität sämtlicher vom Antragsteller behaupteter Beeinträchtigungen ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 2 000,00 € erforderlich aber auch ausreichend.
Weitergehende Schadensersatzansprüche des Antragstellers bestehen nicht. Eine Erwerbsunfähigkeitsrente gem. §§ 843 Abs. 1 BGB, § 13 StVG kann der Antragsteller nicht verlangen. Die Erwerbsfähigkeit des Antragstellers ist nicht unfallbedingt aufgehoben oder gemindert worden. Zutreffend hat das Landgericht vielmehr ausgeführt, dass der Antragsteller schon vor dem Unfall erwerbsunfähig gewesen ist und eine entsprechende Rente bezogen hat. Allein der Umstand, dass er unfallbedingt eine bestimmte zuvor noch mögliche geringfügige Beschäftigung nicht weiterführen kann, rechtfertigt eine andere Beurteilung nicht. Insbesondere kann sich der Antragsteller nicht darauf berufen, dass es ihm aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft nicht möglich ist eine andere geringfügige Beschäftigung aufzunehmen. Auch der Umstand, dass es dem Antragsteller zur Zeit aufgrund der Arbeitsmarktsituation an seinem derzeitigem Wohnort und dem Fehlen von Mitfahrgelegenheiten zu entfernteren Arbeitsstellen nicht möglich sein mag, eine andere geringfügige Beschäftigung aufzunehmen, ist nicht gleichzusetzen mit eine gesundheitlich bedingten Aufhebung bzw. Minderung der Erwerbsfähigkeit.
Zutreffend hat das Landgericht auch die Voraussetzungen einer Schmerzensgeldrente verneint. Eine Schmerzensgeldrente kann ausnahmsweise bei lebenslangen, schweren Dauerschäden angemessen sein, die der Verletzte immer wieder schmerzlich empfindet (BGH NJW 1955, S. 1675; NJW 1979, S. 1654; Küppersbusch, a.a.O., Rn. 298). Dies kann der Fall bei schweren Hirnschäden, Querschnittslähmung, dem Verlust eines der fünf Sinne oder bei schwersten Kopfverletzungen sein (vgl. die Zusammenstellung der Rechtsprechung bei Heinrichs in Palandt, BGB, Kommentar, 67. Aufl., § 253, Rn. 22). Der Verlust bzw. die Einschränkung der Fahrfähigkeit aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung ist mit den vorgenannten Fällen in keiner Weise vergleichbar. Der Antragsteller ist in seinen Lebensumständen nicht weiter eingeschränkt als eine Vielzahl anderer Personen, die aus gesundheitlichen, intellektuellen, wirtschaftlichen oder sonstigen Gründen nicht in der Lage sind sich mittels eigenem Kraftfahrzeug fortzubewegen.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil sich die Inanspruchnahme des Antragstellers für die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens bereits aus Nr. 1812 der Anlage 1 zum GKG ergibt - wobei der Senat wegen der überwiegenden Zurückweisung des Rechtsmittels von einer Ermäßigung der Gebühr absieht -, das erstinstanzliche Verfahren gerichtsgebührenfrei ist und außergerichtliche Kosten nicht erstattet werden, §§ 118 Abs. 1 S. 4, 127 Abs. 4 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 574 Abs. 2 ZPO genannten Gründe gegeben ist. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. ..."