Das Verkehrslexikon

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OLG Brandenburg Urteil vom 17.07.2008 - 12 U 46/07 - Schadensverteilung 60:40 zu Lasten eines auf der Überholspur der BAB liegengebliebenen Klein-Lkw

OLG Brandenburg v. 17.07.2008: Schadensverteilung 60:40 zu Lasten eines auf der Überholspur der BAB liegengebliebenen Klein-Lkw


Das OLG Brandenburg (Urteil vom 17.07.2008 - 12 U 46/07) hat entschieden:
Ein Fahrer eines Klein-Lkw, dessen Fahrzeug auf der Überholspur der Autobahn fahrunfähig wird, muss wegen der großen Gefahr, die gerade durch das Blockieren der Überholspur besteht, möglichst auf den Grünstreifen ausweichen. Ein Abstand von 50 cm zur Mittelleitplanke reicht, um dem Fahrer das Aussteigen zu ermöglichen. Fährt ein Motorradfahrer unter Verletzung des Sichtfahrgebots sodann auf, hat er einen Anspruch auf 60% des ihm entstandenen Schadens.


Zum Sachverhalt: Die Kläger begehrten von den Beklagten die Zahlung von materiellem Schadenersatz, Bestattungskosten sowie Unterhaltsleistungen aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 30.05.2002 auf der BAB. Fahrtrichtung F. auf Höhe des Kilometers 84,6, bei dem der Ehemann der Klägerin zu 1. und Vater der Kläger zu 2. und 3. verstorben ist.

Zu dem Unfall kam es, weil sowohl der Ehemann der Klägerin zu 1. - R. R. - wie auch ein weiterer Motorradfahrer, der mit dem Verstorbenen unterwegs war, mit ihren Motorrädern mit dem auf der linken Spur der Autobahn liegen gebliebenen Lkw Barkas B 1000 des Beklagten zu 1. kollidierten.

Die Parteien stritten in erster Linie um die beim Zustandekommen des Unfalls der jeweils anderen Partei anzulastenden Verursachungsbeiträge, wobei sich die Beklagten auf eine Unabwendbarkeit des Unfalls beriefen.

Die Kläger machten in erster Linie geltend, der Beklagte zu 1. habe auf den Grünstreifen an der Mittelleitplanke ausweichen müssen. Zudem habe er sein Fahrzeug nicht hinreichend gesichert, nämlich weder das Warnblinklicht angeschaltet noch ein Warndreieck aufgestellt.

Die Beklagten beriefen sich demgegenüber auf eine Überschreitung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h durch den verstorbenen Ehemann der Klägerin zu 1. sowie auf einen diesem anzulastenden Verstoß gegen das Sichtfahrgebot. Daneben wenden sich die Beklagten gegen die Höhe des begehrten Schadenersatzes.

Mit am 26.01.2007 verkündeten Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten bestünden nicht, da der Verursachungsanteil des Beklagten zu 1. an dem Unfallereignis so unerheblich sei, dass er hinter dem ganz überwiegenden Verschulden des verstorbenen Ehemannes der Klägerin zu 1. zurücktrete. Nicht nachgewiesen sei, dass der Beklagte zu 1. sein Fahrzeug völlig ungesichert, insbesondere ohne eingeschalteten Warnblinker habe stehen lassen. Ein Großteil der vernommenen Zeugen sei sich diesbezüglich insofern nicht hundertprozentig sicher gewesen.

Die Kläger haben gegen das Urteil Berufung eingelegt.

Das Rechtsmittel hatte teilweise Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... a) Die Kläger haben gegen die Beklagten, die als Gesamtschuldner haften, aufgrund des Unfalles vom 30.05.2002 einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 2 397,01 € gerichtet auf Leistung an die ungeteilte Erbengemeinschaft nach R. R. betreffend die entstandenen materiellen Schäden aus §§ 7 Abs. 1, 11, 17 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 3 Nr. 1 PflVG, 1922 Abs. 1 BGB unter Berücksichtigung einer ihren Rechtsvorgänger treffenden Mitverursachungsquote von 40 %, wobei für das Unfallgeschehen auf die Rechtslage vor Inkrafttreten des 2. Gesetzes zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften vom 19.07.2002 mit Wirkung zum 01.08.2002 abzustellen ist, da sich der Unfall vor dem 01.08.2002 ereignet hat.

Der Schadensersatzanspruch ist nicht nach § 7 Abs. 2 StVG a.F. wegen des Vorliegens eines unabwendbaren Ereignisses ausgeschlossen. Unabwendbar ist ein Ereignis, das durch die äußerste mögliche Sorgfalt eines Idealfahrers nicht abgewendet werden kann, der alle möglichen Gefahrenmomente bei seinem Verhalten berücksichtigt hat, wobei derjenige, der sich nach § 7 Abs. 2 StVG a.F. entlasten will, die Unabwendbarkeit des Unfalls darlegen und beweisen muss (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 39. Aufl., § 17 StVG, Rn. 22f m.w.N.). Vorliegend scheidet die Annahme eines unabwendbaren Ereignisses schon mangels Nachweises seitens der Beklagten aus, dass auch ein Idealfahrer sein Fahrzeug nicht auf den Grünstreifen hin zur Mittelleitplanke hätte zum Stehen bringen können, vielmehr ist insoweit von einem Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1. auszugehen (hierzu sogleich).

Im Ergebnis der somit nach § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmenden Abwägung der Verursachungsbeiträge erscheint eine Haftung der Beklagten für 60 % der auf Klägerseite entstandenen Schäden geboten. Bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge sind unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahren jeweils nur unstreitige bzw. zugestandene und bewiesene Umstände zu berücksichtigen (vgl. KG NZV 1999, S. 512 m.w.N.; NZV 2003, S. 291). Jede Seite hat dabei die Umstände nachzuweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen sie für die nach § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will (BGH NZV 1996, S. 231).

Zulasten der Beklagten ist zum einen ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO zu berücksichtigen, weil der Beklagte zu 1. sein Fahrzeug auf dem linken der drei Fahrstreifen zum Stehen gebracht hat und es nicht auf den Grünstreifen zur Leitplanke hin hat ausrollen lassen. Ein Fahrer, dessen Fahrzeug auf der Überholspur fahrunfähig wird, muss wegen der großen Gefahr, die gerade bei Blockieren der Überholspur der Autobahn besteht, möglichst auf den Grünstreifen ausweichen (BGH VersR 1967, S. 456; VersR 1977, S. 37; OLG München NZV 1997, S. 231; OLG Zweibrücken NZV 2001, S. 387). Ein solches Verhalten wäre dem Beklagten zu 1. zur Überzeugung des Senats auch möglich gewesen. Der gerichtlich bestellte Sachverständige Dr. S. hat in seinem Gutachten ausdrücklich festgehalten, dass es dem Beklagten zu 1. möglich gewesen wäre, sein Fahrzeug in vollem Umfang auf den Mittelstreifen zu fahren. Er hat festgestellt, dass der Grünstreifen im Bereich der Unfallstelle eine Breite von 1,6 - 1,9 m gehabt habe und insgesamt der linke Fahrstreifen erst in einem Abstand von 2,1 - 2,4 m Abstand zur Mittelschutzplanke begonnen hat, während das Fahrzeug des Beklagten zu 1. lediglich 1,86 m breit gewesen ist. Der Beklagte zu 1. kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, bei einem vollständigen Auffahren auf den Mittelstreifen wäre ihm ein Aussteigen und Absichern der Unfallstelle nicht mehr möglich gewesen. Wegen der hohen Gefährdung des übrigen Verkehrs bei einer Blockierung der Überholspur ist es dem Fahrer des defekten Fahrzeuges zuzumuten, soweit wie möglich auf den Grünstreifen auszuweichen und gegebenenfalls auf der Beifahrerseite das Fahrzeug zu verlassen. Im Übrigen wäre die Überholspur auch dann noch nahezu vollständig geräumt und so dem nachfolgenden Verkehr ein weitgehend gefahrloses Passieren ermöglicht worden, wenn der Beklagte zu 1. lediglich bis auf 50 cm an die Mittelleitplanke herangefahren wäre und so ausreichend Platz zum Aussteigen auf der Fahrerseite gelassen hätte (vgl. hierzu auch BGH VersR 1979, S. 323). Nicht nachvollziehbar ist das Vorbringen des Beklagten zu 1., ein Ausweichen auf den Grünstreifen habe er für zu gefährlich gehalten. Das Fahrzeug des Beklagten zu 1. befand sich im Ausrollen, fuhr also nur noch mit geringer Geschwindigkeit. Auch ist ausweislich der vom Sachverständigen Dr. S. und den unfallaufnehmenden Polizeibeamten gefertigten Lichtbildern ein deutlicher Höhenunterschied zwischen der asphaltierten Fahrbahn und dem Randstreifen, der einem Ausweichen bei niedriger Geschwindigkeit entgegengestanden hätte, nicht vorhanden.

Im Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme steht ferner ein Verstoß der Beklagten zu 1. gegen § 15 StVO zur Überzeugung des Senates fest. Zwar ist dem Beklagten zu 1. nicht vorzuwerfen, dass er die Unfallstelle im Zeitpunkt der Kollision noch nicht mittels Warndreieck abgesichert hatte. Auch wenn ein Warndreieck so untergebracht werden muss, dass es bei Bedarf sofort gefunden und benutzt werden kann (Hentschel, a.a.O., § 53a StVZO, Rn. 3), ist zu berücksichtigen, dass der Fahrer seinen Gurt lösen und das Fahrzeug verlassen muss, ferner muss er das Warndreieck hervorholen, der Verpackung entnehmen, aufklappen und in einer Entfernung von 100 Metern vor der Unfallstelle aufstellen. Es lässt sich nicht feststellen, dass dies vom Beklagten zu 1. in der von ihm eingeräumten Zeit von ein bis zwei Minuten zwischen dem Liegenbleiben des Fahrzeuges und dem Unfall zu bewältigen war. Aus dem gleichen Grunde ist es dem Beklagten zu 1. nicht vorzuwerfen, dass er nicht bereits neben seinem Fahrzeug gestanden und den nachfolgenden Verkehr durch Handzeichen oder ähnliches gewarnt hat (vgl. hierzu auch BGH VersR 1971, S. 318). Ein Verstoß gegen § 15 StVO besteht jedoch darin, dass der Beklagte zu 1. das Warnblinklicht an seinem Fahrzeug nicht eingeschaltet hat. Entgegen den Ausführungen des Landgerichts haben die Kläger den Nachweis erbracht, dass das Warnblinklicht nicht geleuchtet hat, wobei sich der Senat an einer Verwertung der Aussagen der vom Landgericht gehörten Zeugen nicht gehindert sieht. Die abweichende Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben kann ohne erneute Vernehmung der Zeugen auf der Grundlage ihrer vom Landgericht protokollierten Äußerungen erfolgen. Zweifel an der Glaubwürdigkeit einzelner Zeugen hat das Landgericht nicht gehabt und bestehen auch aus Sicht des Senats nicht. Dass das Warnblinklicht am Fahrzeug des Beklagten zu 1. geleuchtet hat, hat keiner der vernommenen Zeugen bestätigt.

Die Zeugin E. P., die in ihrer Darstellung gegenüber der Polizei noch angegeben hat, ein leuchtendes Warnblinklicht gesehen zu haben, hat sowohl im vorliegenden Rechtsstreit als auch im Verfahren 4 O 170/04 vor dem Landgericht Potsdam nicht bekundet, das Warnblinklicht wahrgenommen zu haben. Auch nach jeweiligem Vorhalt ihrer schriftlichen Aussage gegenüber der Polizei hat sie erklärt, sich nicht entsprechend erinnern zu können. Der Zeuge W., der einen Sattelschlepper auf der rechten Spur gefahren hat, war sich hingegen sicher, dass das Warnblinklicht nicht geleuchtet hat, was er damit begründet hat, dass ihm dieses sonst aufgefallen wäre. Auch der Zeuge E., ein weiterer Motorradfahrer aus der Gruppe des Klägers, war sich sicher, dass das Warnblinklicht nicht geleuchtet hat. Weiterhin hat auch der Zeuge H. bestätigt, ein Warnblinklicht nicht gesehen zu haben. Allerdings bezieht sich diese Aussage lediglich auf die Zeit nach der Kollision, nach der nach den Feststellungen des Sachverständigen Wa. im Strafverfahren jedenfalls von einem unfallbedingten Defekt des Warnblinklichts auszugehen war. Kein Warnblinklicht wahrgenommen hat weiter der Zeuge Sch., der Beifahrer des Zeugen H. Dieser konnte allerdings auch das Leuchten eines Warnblinklichts nicht sicher ausschließen. Schließlich hat auch der Zeuge T., der Kläger im Parallelverfahren 4 O 170/04 vor dem Landgericht Potsdam gewesen ist, sowohl im Rahmen seiner Vernehmung wie auch im Rahmen seiner Anhörung als Partei im Parallelverfahren ausgeführt, dass ein Warnblinklicht nicht geleuchtet habe. Entgegen den Ausführungen des Landgerichts lassen sich die Bekundungen der Zeugen E., W. und T. nicht darauf reduzieren, es handele sich um Rückschlüsse aus dem Umstand, dass es zu einer Kollision gekommen sei.

Die Zeugen haben konkrete Erinnerungen geschildert und dies - selbst auf entsprechende Vorhalte - auch klargestellt. Zudem spricht auch die späte Reaktion der drei Motorradfahrer und des Zeugen H. dafür, dass das Fahrzeug des Beklagten zu 1. als Hindernis erst sehr spät wahrgenommen wurde, woraus sich ebenfalls schließen lässt, das eine Absicherung durch ein Warnblinklicht nicht vorhanden gewesen ist. Nicht für zutreffend hält der Senat die Angaben der Zeugin P. gegenüber der Polizei. Diese hat im Schreiben vom 21.06.2002 angegeben, der Transporter des Beklagten zu 1. sei mit Warnblinkanlage gesichert gewesen, der Fahrer habe vorne am Fahrzeug gestanden, ein Warnkreuz habe sie ganz links gesehen, könne dies aber nicht beschwören. Unstreitig war jedoch die Unfallstelle nicht durch ein Warnkreuz gesichert, auch hatte der Beklagte zu 1. sein Fahrzeug nicht verlassen. Es ist schon von daher nicht davon auszugehen, dass die Angaben der Zeugin ausgerechnet in dem verbleibenden Punkt zutreffend gewesen sind, zumal die Zeugin augenscheinlich ihre Angaben in der Annahme gemacht hat, sie selbst sei der fahrlässigen Tötung des Ehemannes der Klägerin zu 1. beschuldigt. Die danach allein verbleibenden gegenteiligen Angaben des Beklagten zu 1. sind nicht geeignet, die Bekundungen der Zeugen - insbesondere auch des neutralen Zeugen W. - und die sonstigen Indizien zu entkräften und ein anderes Ergebnis zu begründen. Schließlich spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die unzureichende Absicherung des Fahrzeugs des Beklagten zu 1. für den Unfall kausal geworden ist (BGH VersR 1971, a.a.O.; OLG Düsseldorf DAR 1977, S. 186). Ein anderes Ergebnis rechtfertigt auch nicht die durch keinen Vortrag der Beklagten untersetzte Spekulation des Landgerichtes, der zeitweilige Motordefekt habe möglicherweise auch zu einem Ausfall der Warnblinkanlage geführt. Entsprechende Feststellungen hat insbesondere der Sachverständige Wa. in seinem im Strafverfahren eingeholtem Gutachten vom 14.01.2003 nicht getroffen. Die Ausführungen des Sachverständigen tragen lediglich die Aussage, dass infolge der - spätestens - unfallbedingten Zerstörung der Warnblinkanlage die Angaben nicht widerlegt werden könnten, der Warnblinker sei im Unfallzeitpunkt eingeschaltet gewesen.

Ferner war zu berücksichtigen, dass die den Beklagten anzulastende Betriebsgefahr des Fahrzeuges des Beklagten zu 1. auch deshalb erhöht gewesen ist, weil das Fahrzeug defektbedingt an einer extrem unfallträchtigen Stelle stand.

Kein Vorwurf ist dem Beklagten zu 1. hingegen zu machen, weil sein Fahrzeug wegen eines Defektes liegen geblieben ist. Die Kläger haben nicht nachgewiesen, dass es infolge eines dem Beklagten zu 1. vorzuwerfenden Sorgfaltspflichtverstoßes zu einem Liegenbleiben des Fahrzeuges gekommen ist. Aus dem im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren eingeholten Gutachten des Dipl.-Ing. Wa. ergibt sich vielmehr, dass der Motor des vom Beklagten zu 1. gefahrenen Transporters sich bei der Begutachtung starten ließ. Der Sachverständige hat auch sonst einen Mangel an dem Fahrzeug nicht festgestellt. Er hat ausgeführt, es sei nicht auszuschließen, dass es zum Liegenbleiben des Fahrzeuges infolge einer Überhitzung des Motors, einer zeitweiligen Kraftstoffunterbrechung oder eines vorübergehenden Ausfalls der Zündungselektrik gekommen ist. Auch bestehen keine Anhaltspunkte für eine vorherige Erkennbarkeit eines drohenden Schadens. Das Landgericht war an der Verwertung des Gutachtens nicht gehindert. Vielmehr haben die Kläger selbst das Gutachten in den Rechtsstreit eingeführt, sodass das Landgericht es in jedem Fall als Parteivortrag zu würdigen hatte. Schließlich haben die insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Kläger den Nachweis eines dem Beklagten zu 1. im Zusammenhang mit dem Liegenbleiben seines Fahrzeuges anzulastenden Sorgfaltspflichtverstoßes nicht erbracht.

Ebenfalls nicht vorzuwerfen ist dem Beklagten zu 1. das Befahren des linken Fahrstreifens mit seinem relativ schwach motorisierten Fahrzeug, insbesondere ist der Vortrag der Beklagten nicht widerlegt, der Beklagte zu 1. habe während des zuvor an der Unfallstelle herrschenden Stop-and-go-Verkehrs auf die linke Fahrspur gewechselt. Die insoweit von den Klägern benannten Zeugen konnten Angaben zu der vorausgegangenen Verkehrssituation schon deshalb nicht machen, weil sie erst in etwa zeitgleich mit dem verstorbenen Ehemann der Klägerin zu 1. das Fahrzeug des Beklagten zu 1. erreicht haben, das nach Behauptung der Beklagten in diesem Zeitpunkt bereits wenigstens eine Minute auf der linken Fahrspur stand. Schließlich konnten die Kläger auch den Vortrag der Beklagten, der Beklagte zu 1. habe wegen des dichten Verkehrs nicht auf die rechts liegende Standspur wechseln können, nicht widerlegen.

Auf Seiten der Kläger ist demgegenüber ein Verstoß des verstorbenen Ehemanns der Klägerin zu 1. gegen das Sichtfahrgebot des § 3 Abs. 1 S. 4 StVO zu berücksichtigen. Auch auf Autobahnen muss mit plötzlichen Hindernissen gerechnet werden, sodass mit entsprechend angepasster Geschwindigkeit zu fahren ist (OLG Braunschweig NZV 2002, S. 176; Hentschel, a.a.O., § 3 StVO, Rn. 27). Hiergegen hat der Rechtsvorgänger der Kläger verstoßen. Unstreitig war der Transporter des Beklagten zu 1. aus einer Entfernung von wenigstens 800 Metern - vom Ausgang der letzten Kurve - zu sehen. Es herrschten Tageslicht und gute Witterungsverhältnisse. Auch war weiterer Verkehr auf der linken Fahrspur, der die Sicht auf das Fahrzeug des Beklagten zu 1. hätte verdecken können, nicht vorhanden. Der Rechtsvorgänger der Kläger hätte den Transporter daher bereits nach Passieren der Kurve wahrnehmen können und müssen, dies gilt selbst dann, wenn sich der Verstorbene zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf der linken Spur befunden haben sollte, da auch in diesem Fall die Sicht auf den Transporter nicht verdeckt gewesen wäre. Da der Rechtsvorgänger der Kläger die Fahrgeschwindigkeit des Transporters nicht kannte, musste er auch davon ausgehen, dass dieser mit einer geringeren Geschwindigkeit als er selbst unterwegs war, also jedenfalls ein potentielles Hindernis darstellte. Dementsprechend musste er sich so annähern, dass ihm ein Anhalten bzw. ein Abbremsen möglich gewesen wäre. Auch wenn der Rechtsvorgänger der Kläger nicht mit einem Stehen des Transporters rechnen musste, so musste er doch bemerken, dass sich der Abstand zu dem Fahrzeug rasch verringerte und hierauf reagieren.

Dies gilt auch dann, wenn der Verstorbene erst nach dem Durchfahren der Kurve auf die linke Fahrspur gewechselt ist, da er auch dann auf die Geschwindigkeit des vor ihm befindlichen und bereits seit der Kurve sichtbaren Fahrzeug des Beklagten zu 1. hätte achten müssen und einen Fahrstreifenwechsel nur hätte vornehmen dürfen, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war, § 7 Abs. 5 StVO. Dies gilt umso mehr, als bereits von dem optischen Erscheinungsbild des vom Beklagten zu 1. gefahrenen Barkas 1000 zweifelhaft war, dass er eine der Geschwindigkeit des verstorbenen Ehemanns der Klägerin zu 1. von ca. 130 km/h entsprechende Geschwindigkeit fuhr. Zudem muss der Transporter wegen des unstreitig herrschenden dichten Verkehrs auf der mittleren und rechten Fahrspur schon zuvor rechts von anderen Verkehrsteilnehmern überholt worden sein, was vom Verstorbenen ebenfalls hätte bemerkt werden müssen. Schließlich geht auch der Sachverständige Dr. S. in seiner Anhörung durch das Landgericht davon aus, dass die Situation so rechtzeitig von den Motorradfahrern hätte erkannt werden können, dass noch eine Reaktion möglich gewesen wäre, durch die der Unfall vermieden worden wäre. Soweit die Kläger erstmals in der Berufungsinstanz zur Beeinträchtigung der Sicht des Verstorbenen durch weiteren Verkehr vortragen, handelt es sich um neues Vorbringen, das mangels Darlegung der Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu berücksichtigen ist. Da bereits der Sachverständige Dr. S. diesen Punkt in seinem erstinstanzlich erstellten Gutachten als Erklärung des Unfalles angeführt hat, ist das erstmalige Aufgreifen in der Berufungsinstanz jedenfalls nachlässig.

Weiterhin ist die Betriebsgefahr des Motorrades wegen seiner besonderen Gefährlichkeit im Zusammenhang mit Kollisionen höher als die eines Pkws anzusetzen. Keine weitere Erhöhung der Betriebsgefahr ist mit dem Umstand verbunden, dass mehrere Motorradfahrer in einer Gruppe zusammen fuhren.

Nicht nachgewiesen ist eine Überschreitung der an der Unfallstelle geltenden Richtgeschwindigkeit von 130 km/h. Weder der Sachverständige Wa. im Strafverfahren noch der im Zivilverfahren bestellte Sachverständige Dr. S. haben hinreichende Anhaltspunkte für eine Überschreitung dieser Geschwindigkeit durch den Rechtsvorgänger der Kläger feststellen können.

Im Ergebnis der Abwägung der Verursachungsbeiträge sieht der Senat ein Überwiegen auf der Seite der Beklagten, wobei insbesondere zu berücksichtigen ist, dass selbst im Falle einer ordnungsgemäßen Absicherung eines nur teilweise in die Fahrbahn hineinragenden Fahrzeugs eine Mithaftung des Fahrers des liegen gebliebenen Fahrzeuges in Höhe von 1/4 - 1/3 angenommen wird (vgl. BGH VersR 1979, a.a.O.; OLG Bamberg VersR 1978, S. 256; Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 10. Aufl., Rn. 94), die hier wegen des Fehlens jeglichen Hinweises auf ein stehendes Hindernis erheblich zu erhöhen war.

Ein weitergehender Schadensersatzanspruch besteht aus den vorgenannten Gründen auch nicht aus §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB, 1 Abs. 2, 15 StVO, 3 Nr. PflVG. ..."



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