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BGH Urteil vom 27.03.2003 - 3 StR 435/02 - Keine Strafmilderung bei verschuldeter Trunkenheit

BGH v. 27.03.2003: Keine Strafmilderung bei verschuldeter Trunkenheit


Der BGH (Urteil vom 27.03.2003 - 3 StR 435/02) hat entschieden:
Beruht die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters auf verschuldeter Trunkenheit, so kommt eine Strafrahmenverschiebung nach § 21, § 49 Abs. 1 StGB in der Regel nicht in Betracht.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Nach Auffassung des Senats hätte die Revision aber auch dann keinen Erfolg haben können, wenn das Landgericht eine alkoholbedingt erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten rechtsfehlerhaft verneint hätte. Denn eine Strafrahmenverschiebung nach § 21, § 49 Abs. 1 StGB wäre hier ohnehin nicht in Betracht gekommen.

Bei dieser Strafrahmenverschiebung handelt es sich zwar um eine fakultative, im Ermessen des Tatrichters stehende Strafmilderung, von der grundsätzlich nur dann abgesehen werden darf, wenn die durch die Herabsetzung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit verminderte Tatschuld durch schulderhöhende Umstände aufgewogen wird. Beruht die Einschränkung der Schuldfähigkeit auf den Wirkungen von Alkohol, kann ein derartiger Umstand allerdings darin liegen, dass sich der Täter schuldhaft in den Alkoholrausch versetzt hat. Dies gilt, abgesehen von den Fällen, in denen der Rechtsgedanke der actio libera in causa zur Ablehnung der Strafmilderung führt, nach bisheriger Auffassung des Bundesgerichtshofs aber nur dann, wenn der Täter schon früher unter Alkoholeinfluss straffällig geworden ist und daher wusste oder sich hätte bewusst sein können, dass er in einem solchen Zustand zu Straftaten neigt. Darüber hinaus wird gefordert, dass die früher unter Alkoholeinfluss begangenen Straftaten nach Ausmaß und Intensität mit der nunmehr begangenen Tat vergleichbar sind. Der Täter muss danach zwar früher unter Alkoholeinfluss keine gleichartige oder ähnliche Tat begangen haben, er muss aber aufgrund seines früheren Verhaltens damit rechnen können, unter Alkoholeinfluss ein der nunmehrigen Tat vergleichbares Delikt zu begehen (vgl. - mit Unterschieden im einzelnen - 1. Strafsenat: NStZ 1993, 537; BGHSt 43, 66, 78; 2. Strafsenat: BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 14; 3. Strafsenat: NStZ 1986, 114, 115; 4. Strafsenat: BGHSt 34, 29, 33; BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 3; Beschl. vom 7. Januar 2003 - 4 StR 490/02; 5. Strafsenat: StV 1991, 254, 255; 1993, 355 f.).

Hieran will der Senat nicht weiter festhalten. Er ist vielmehr der Auffassung, dass eine Strafrahmenverschiebung nach § 21, § 49 Abs. 1 StGB in der Regel schon allein dann nicht in Betracht kommt, wenn die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters auf verschuldeter Trunkenheit beruht. Dagegen ist es ohne Belang, ob der Täter schon früher unter Alkohol - vergleichbare - Straftaten begangen hat. Hierfür sind folgende Überlegungen maßgebend:

a) Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht nicht in Übereinstimmung mit den Überlegungen des historischen Gesetzgebers (zum folgenden s. Foth DRiZ 1990, 417, 418). Eine dem § 21 StGB entsprechende Regelung war ursprünglich im RStGB nicht vorgesehen. Dieses kannte nur volle Schuldfähigkeit (Zurechnungsfähigkeit) oder volle Schuldunfähigkeit (Zurechnungsunfähigkeit). Erst der Amtliche Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches von 1925 beinhaltete eine Bestimmung, wonach bei dem Täter, dessen Fähigkeit, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln, zur Zeit der Tat wegen Bewusstseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche in hohem Maße vermindert war, die Strafe nach § 72 des Entwurfs zu mildern ist. Gleichzeitig wurde jedoch ausdrücklich vorgesehen, dass dies nicht bei Bewusstseinsstörungen gelte, die auf selbstverschuldeter Trunkenheit beruhen. Die Strafmilderung bei erheblich verminderter Schuldfähigkeit sollte demgemäß zwingend sein, ebenso zwingend aber auch das Absehen von der Strafmilderung, wenn die Minderung der Schuldfähigkeit auf verschuldeter Trunkenheit beruhte, ohne dass es darauf ankam, ob der Täter schon früher unter Alkoholeinfluss Straftaten begangen hatte.

Im Entwurf von 1927 war dann (ebenso wie später im Entwurf 1962) die fakultative Strafmilderungsmöglichkeit bei erheblicher Einschränkung der Schuldfähigkeit vorgesehen, wie sie der Regelung des heutigen § 21 StGB entspricht. Sie wurde durch das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933 (RGBl I 995) in das Strafgesetzbuch aufgenommen, ohne dass hiermit eine Bestimmung über den zwingenden Ausschluss der Strafmilderung bei verschuldeter Trunkenheit verbunden war. Dem lag erkennbar die Vorstellung zugrunde, dass hiervon deswegen abgesehen werden konnte, weil die fakultative Bestimmung die Möglichkeit eröffnete, diese Fälle bei der Ermessensentscheidung von der Strafmilderung auszuschließen, andererseits aber flexiblere Lösungen gestattete als eine zwingende Vorschrift. Entsprechend heißt es auch noch in der Begründung zum Entwurf 1962, dass die "schuldhafte Herbeiführung der verminderten Schuldfähigkeit" erschwerend berücksichtigt werden könne (BTDrucks. IV/650 S. 142).

Diesen Überlegungen ist der Bundesgerichtshof zunächst gefolgt. So hat er es im Jahre 1951 noch gebilligt, dass der Tatrichter eine alkoholbedingte Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten offen ließ, weil "der Alkoholrausch jedenfalls selbst verschuldet sei und deshalb dem Angeklagten nicht strafmildernd zugute gehalten werden könne". Hierin liege kein Rechtsfehler, "zumal in der Regel die selbstverschuldete Trunkenheit Anlass sein wird, die Strafe nicht zu mildern" (BGH bei Dallinger MDR 1951, 657; vgl. die weiteren Nachweise bei Foth aaO). Erst in der Folgezeit hat sich die oben dargestellte einschränkende Rechtsprechung zur Versagung der Strafmilderung bei verschuldeter Trunkenheit entwickelt.

b) Wenn eine Strafrahmenverschiebung nach § 21, § 49 Abs. 1 StGB bei erheblicher Verminderung der Schuldfähigkeit infolge verschuldeter Trunkenheit nur in den Fällen versagt werden kann, in denen der Täter die Warnwirkung früher unter Alkoholeinfluss begangener - vergleichbarer - Straftaten missachtet hat, steht dies in Widerspruch zu der gesetzlichen Regelung des Vollrausches in § 323 a StGB. Nach dieser Vorschrift wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen Rausch versetzt, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil es nicht auszuschließen ist. Die Strafbarkeit knüpft damit an das schuldhafte Sich-Berauschen an, nicht an die im Rausch begangene rechtswidrige Tat; diese ist lediglich Bedingung der Strafbarkeit (BGHSt 16, 124 ff.; 32, 48, 54 f.). Stellt der Gesetzgeber aber das schuldhafte Sich-Berauschen, das - nicht ausschließbar - zur Aufhebung der Schuldfähigkeit führt, unabhängig davon unter Strafe, ob sich der Täter aus früheren Ereignissen hätte bewusst sein können, dass er nach erheblichem Alkoholgenuss zur Begehung von rechtswidrigen Handlungen neigt, lässt es sich nicht rechtfertigen, diese negative gesetzliche Bewertung des Sich-Berauschens für die Fälle einzuschränken, in denen der Alkoholkonsum nicht zur Aufhebung, sondern nur zur erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führt. Denn ansonsten würde derjenige, dessen Schuldfähigkeit erhalten geblieben ist, besser gestellt als der, dessen Rausch zur Schuldunfähigkeit geführt hat. Insbesondere dann, wenn der nach § 21, § 49 Abs. 1 StGB gemilderte Strafrahmen für die unter Alkoholeinfluss begangene Tat niedriger liegt, als die durch § 323 a StGB für den Vollrausch bei entsprechender Rauschtat angedrohte Strafe, liegt hierin ein nicht auflösbarer Wertungswiderspruch (BGHR StGB § 323 a Abs. 2 Strafzumessung 5). Dieser Widerspruch wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass die Strafbarkeit beim Vollrausch auf dem Sich-Berauschen beruht, während sie bei nur verminderter Schuldfähigkeit an die unter dem Alkoholeinfluss begangene Tat anknüpft (aA Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 21 Rdn. 21 m. w. N.). Denn es geht hier wie dort um die strafrechtliche Bewertung der schädlichen Auswirkungen übermäßigen Alkoholgenusses, die nicht unterschiedlich je danach ausfallen kann, ob das Berauschen zum völligen Wegfall oder lediglich zu einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit geführt hat. Der aufgezeigte Widerspruch wird dadurch, dass in Fällen, in denen Zweifel bestehen, ob die Schuld des berauschten Täters aufgehoben oder nur erheblich vermindert ist, bei der Strafzumessung für den Vollrausch der gemäß § 21, § 49 Abs. 1 StGB herabgesetzte Strafrahmen des Tatbestandes der jeweiligen Rauschtat berücksichtigt wird (vgl. BGHR StGB § 323 a Strafzumessung 5), nur verschleiert (kritisch auch BGH NStZ-RR 1997, 163, 165). Sachgerecht vermeiden lässt er sich nur dadurch, dass bei verschuldeter Trunkenheit eine Strafrahmenverschiebung über § 21, § 49 Abs. 1 StGB im Regelfall versagt wird (Foth in FS für Salger S. 31, 37 f.).

c) Eine derartige Handhabung entspricht auch dem Schuldprinzip und dem Grundsatz schuldangemessenen Strafens.

Die potentiell nachteiligen Folgen übermäßigen Alkoholgenusses, seine einerseits das Bewusstsein trübenden, andererseits Handlungstriebe entfesselnden und bestehende Handlungshemmungen einschränkenden Wirkungen sind allgemein bekannt. Zwar treten diese Folgen nicht bei jedem Menschen in gleicher Weise und nach jedem übermäßigen Alkoholkonsum auf. Sie führen auch nicht notwendig zu strafbaren Verhaltensweisen. Andererseits lassen sich die Wirkungen starken Alkoholgenusses jedoch niemals mit Sicherheit vorausberechnen. Gerade der Umstand, dass sich der Alkoholisierte häufig in unerwarteter, ihm sonst fremder - auch strafbarer - Weise verhält, kennzeichnet die dem übermäßigen Alkoholgenuss eigene Gefahr. Die Trunkenheit ist daher für die Allgemeinheit abstrakt gefährlich und beinhaltet demgemäß - wenn selbst verschuldet - einen Unwert, an den bei Taten unter Alkoholeinfluss eine strafrechtliche Bewertung des Sich-Berauschens unabhängig davon anzuknüpfen vermag, ob dem konkreten Täter durch frühere Erfahrungen eine individuelle Neigung zur Begehung - vergleichbarer - Straftaten bekannt war oder zumindest sein konnte (vgl. BGHSt 16, 124, 125). Entsprechend war der Gesetzgeber befugt, für die Fälle, in denen der Alkoholrausch dazu führt, dass der Täter für seine konkrete Tat nicht verantwortlich gemacht werden kann, den strafrechtlichen Vorwurf an das schuldhafte Sich-Berauschen als abstraktes Gefährdungsdelikt zu knüpfen, für dessen Bestrafung die Rauschtat lediglich den Anlass gibt (BGH aaO).

Dann ist es aber nur konsequent, in den Fällen, in denen die selbstverschuldete Trunkenheit nicht zur Aufhebung, sondern lediglich zur erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führt, die Strafmilderung nach § 21, § 49 Abs. 1 StGB in der Regel auch dann zu versagen, wenn der Täter nicht über einschlägige Vorerfahrungen hinsichtlich der gefährlichen Folgen übermäßigen Alkoholgenusses verfügt. Denn auch dann ist die abstrakte Gefahr der Trunkenheit regelmäßig erkennbar und seine Tatschuld wird gerade dadurch gekennzeichnet, dass diese abstrakte Gefahr in der Tat in die konkrete Rechtsgutsgefährdung oder -verletzung umgeschlagen ist.

Dies gilt grundsätzlich unabhängig davon, welche Straftat der Täter unter Alkoholeinfluss begangen hat und ob der für diese Tat angedrohte - gemäß § 21, § 49 Abs. 1 StGB gemilderte - Strafrahmen hinter demjenigen des § 323 a Abs. 1 StGB zurückbleibt, der bei rauschbedingter völliger Aufhebung der Schuldfähigkeit anzuwenden wäre (vgl. dazu die Überlegungen des 5. Strafsenats NStZ-RR 1997, 163, 165 f.). Das Maß der Schuldminderung durch eine alkoholbedingt erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit ist unabhängig von der Schwere der unter Alkoholeinfluss begangenen Straftat. Die durch die Trunkenheit bewirkte Reduzierung der Schuld ist daher bei schwereren Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren bedroht sind, nicht gewichtiger zu bemessen als bei Taten mit geringerer Strafandrohung. Im Gegenteil: Je schwerer eine potentielle Rechtsgutsverletzung wiegt, um so höhere Anforderungen an deren Vermeidung darf die Rechtsordnung stellen und um so weniger besteht Anlass, denjenigen, der durch verschuldete Trunkenheit seine Fähigkeit zu normgemäßem Verhalten beeinträchtigt hat, durch eine Strafrahmenverschiebung zu begünstigen. Dies entspricht im übrigen der Auffassung des Gesetzgebers, soweit dieser in § 7 WStGB die Frage der Strafmilderung wegen selbstverschuldeter Trunkenheit ausdrücklich geregelt hat. Er hat dort für militärische Straftaten, Straftaten, die gegen das Kriegsvölkerrecht verstoßen, und solche, die Soldaten in Ausübung des Dienstes begehen, die Strafmilderung wegen selbstverschuldeter Trunkenheit unterschiedslos ausgeschlossen, ohne nach der Schwere der Straftat und der Höhe der Strafandrohung zu differenzieren. Auch der im Regelungsgehalt dem § 7 WStGB entsprechende § 16 Abs. 2 Satz 3 StGB-DDR kannte eine derartige Differenzierung nicht.

d) Nach den dargestellten Grundsätzen käme hier eine Strafmilderung nach § 21, § 49 Abs. 1 StGB nicht in Betracht. Der Angeklagte hätte sich voll verantwortlich in die seine Schuldfähigkeit einschränkende Trunkenheit versetzt. Er ist weder alkoholkrank noch alkoholüberempfindlich und hat sich bewusst den grundsätzlich schädlichen und enthemmenden Wirkungen des Alkohols ausgesetzt.

Da die Revision des Angeklagten aber bereits aus anderen Gründen zu verwerfen war, konnte der Senat in vorliegendem Verfahren noch davon absehen, gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG bei den anderen Strafsenaten anzufragen, ob sie an der entgegenstehenden bisherigen Rechtsprechung festhalten. ..."



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