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Verwaltungsgericht Kassel Urteil vom 08.03.2007 - 1 E 889/06 - Ein Polizeibeamter verletzt vorsätzlich oder grob fahrlässig seine Dienstpflichten, wenn er ein Dienstfahrzeug anstatt mit Dieselkraftstoff mit Superbenzin betankt
VG Kassel v. 08.03.2007: Ein Polizeibeamter verletzt vorsätzlich oder grob fahrlässig seine Dienstpflichten, wenn er ein Dienstfahrzeug anstatt mit Dieselkraftstoff mit Superbenzin betankt
Das Verwaltungsgericht Kassel (Urteil vom 08.03.2007 - 1 E 889/06) hat entschieden:
Ein Polizeibeamter verletzt vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihm obliegenden Dienstpflichten, wenn er das ihm überlassene Dienstfahrzeug anstatt mit Dieselkraftstoff mit Superbenzin betankt, obwohl er bei Anschaffung des Fahrzeugs darauf hingewiesen wurde, dass dies mit Dieselkraftstoff zu betanken ist und er sich auch in keiner für ihn besonders belastenden Situation befunden hat, die durch außergewöhnliche dienstliche Ereignisse, eine besondere Eilbedürftigkeit, eine außergewöhnliche Stresssituation oder ähnliches gekennzeichnet gewesen wäre. Er hat dann dem Dienstherrn den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen.
Zum Sachverhalt: Am Donnerstag, 11.12.2003, betankte der Kläger das Dienstkraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … irrtümlich anstatt mit Dieselkraftstoff mit Superbenzin. Dies hatte zur Folge, dass an dem Kraftfahrzeug eine Reparatur notwendig war, für die das Autohaus ... ausweislich der Rechnung vom 17.12.2003 den Betrag von 3.863,61 € berechnete.
Mit Schreiben vom 01.07.2004 teilte der Kläger mit, er habe nicht grob fahrlässig gehandelt. Das Fahrzeug sei von ihm am Morgen, vor Antritt einer Dienstfahrt betankt worden. Nach ca. 300 m bis 400 m normaler Fahrt hätten sich leichte Veränderungen der Fahrweise eingestellt und das Fahrzeug habe angefangen zu rütteln. Der Kläger sei dann mit großem Gang zur Dienststelle zurückgefahren, wo es von einem Angestellten der ehemaligen Werkstatt in Empfang genommen worden sei. Dieser sei von einem Marderschaden ausgegangen. Das Fahrzeug habe dieser Mitarbeiter dann in Betrieb genommen, bei laufendem Motor überprüft. Das Fahrzeug sei dann mit eigener Kraft in eine autorisierte Werkstatt gefahren. Inwieweit diese Verfahrensweise zur Erhöhung des Motorschadens geführt haben könne, könne er nicht beurteilen.
Mit Bescheid vom 11.08.2004 forderte das C. von dem Kläger einen Betrag in Höhe von 3.863,61 € zurück. In der Begründung heißt es u. a., die zentralen Dienste hätten bereits am 20.08.2002 nach Auslieferung der ersten Dieselkraftfahrzeuge auf die zu verwendende Kraftstoffsorte hingewiesen. Der Kläger habe ein Fernschreiben erhalten, in dem auf die veränderte Situation beim Betanken der neuen Dienstfahrzeuge hingewiesen worden sei. Der Bescheid wurde am 19.08.2004 gegen Empfangsbescheinigung übergeben.
Der Widerspruch des Klägers gegen seine Inanspruchnahme blieb erfolglos.
Auch die Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"Die zulässige Klage ist unbegründet, denn die angefochtenen Bescheide vom 11.08.2004 und 25.04.2006 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§113 Abs. 1 VwGO), da der Kläger gem. § 91 Abs. 1 S. 1 HBG schadenersatzpflichtig ist. Nach dieser Vorschrift hat ein Beamter, der vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihm obliegenden Pflichten verletzt, dem Dienstherrn, dessen Aufgaben er wahrgenommen hat, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
Zunächst hat der Kläger bei der Herbeiführung des Sachschadens an dem von ihm gefahrenen Fahrzeug am 11.12.2003 die ihm obliegenden Dienstpflichten verletzt. Jeden Beamten trifft die allgemeine Dienstpflicht, unmittelbar oder mittelbar den Dienstherrn schädigende Handlungen zu unterlassen; der Kläger war als im Dienst des Beklagten stehender Polizeibeamter gegenüber seinem Dienstherrn daher verpflichtet, das ihm anvertraute Dienstkraftfahrzeug mit der gebotenen Sorgfalt zu führen und möglichst Schäden zu vermeiden (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.2.1991 - 4 S 2895/90 -; Urteil vom 15.8.1990 - 4 S 956/89). Diese Pflicht, seinen Dienstherrn vor Schaden zu bewahren, hat der Kläger verletzt, indem er am 11.12.2003 das ihm überlassene Dienstkraftfahrzeug mit Superkraftstoff betankte, obwohl es sich um ein Dieselfahrzeug handelte, mit der Folge, dass es zu erheblichen Motorschäden kam.
Der Kläger hat auch grob fahrlässig seine Dienstpflichten verletzt. Der nirgends gesetzlich näher definierte Begriff der groben Fahrlässigkeit wird von der Rechtsprechung im privaten wie im öffentlichen Recht (vgl. für das Zivilrecht insbesondere BGH, Urteil vom 08.07.1992 - 4 ZR 223/91 - BGHZ 119, S 147 ff. = NJW 1992, 2418 f.; Urteil vom 29.01.2003 - 4 ZR 173/01 - NJW 2003,1118 f. sowie für das öffentliche Recht z. B. VGH Mannheim, Urteil vom 19.02.1991 - 4 S 2895/90 - ZBR 1991, 254 f.) einheitlich so bestimmt, dass grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Dies erfordert sowohl einen objektiv groben Pflichtverstoß als auch ein in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt (vgl. dazu auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.07.2000 - 4 U 870/99-, DAR 2001, 504).
Grobe Fahrlässigkeit setzt u. a. die Kenntnis von Umständen voraus, aus denen sich ergibt, dass der Eintritt des Schadensfalles in den Bereich der praktisch unmittelbar in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten gerückt ist (AG Potsdam, Urteil vom 28.04.2000 - 34 C 117/99 -, VersR 2001, 1105; OLG Stuttgart, Urteil vom 13.12.1990 - 7 U 243/90 -, VersR 1991, 1049). Ob die Fahrlässigkeit im Einzelfall als einfach oder grob zu werten ist, ist Sache der tatrichterlichen Würdigung. Sie erfordert eine Abwägung aller objektiven und subjektiven Tatumstände und entzieht sich deshalb weitgehend einer Anwendung fester Regeln (BGH, Urteil vom 29.01.2003, a.a.O.).
Auch wenn die von der Rechtsprechung entschiedenen Fälle als Einzelfälle bestenfalls gewisse Parallelen, ansonsten aber jeder einzelne Fall individuelle Tatumstände aufweist, so lässt sich dennoch feststellen, dass in der Rechtsprechung das fehlerhafte Betanken eines Dienstwagens regelmäßig als grob fahrlässig angesehen wird (vgl. z.B. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26.02.2004, Az. 2 A 11982/03.OVG, NVwZ-RR 2004, 366; VG Düsseldorf, Urteil v. 09.06.2006, Az. 2 K 1340/06; VG Osnabrück, Urteil vom 30.03.2006, Az.: 3 A 100/04; VG Freiburg, Urteil vom 15.05.2003, Az.: 9 K 2591/02). Ein minder schwerer Schuldvorwurf ist nach der Rechtsprechung nur in eng begrenzten Ausnahmefällen gerechtfertigt, etwa bei einer durch einen polizeilichen Einsatz bedingten (unverschuldeten) Eilbedürftigkeit (OVG Rheinland-Pfalz, a.a.O.).
Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Einzelrichter an. In Anbetracht der allgemeinen Verbreitung sowohl diesel- als auch benzingetriebener Personenkraftwagen ist es für jeden Autofahrer eine offenkundig auf der Hand liegende Selbstverständlichkeit, sich vor dem Betanken eines fremden Kraftfahrzeugs zu vergewissern, welches der geeignete Kraftstoff für das Fahrzeug ist. Im Regelfall ist dies durch einen einfachen Blick auf den auf der Innenseite des Tankdeckels befindlichen Hinweis auf den zu verwendenden Kraftstoff möglich. Aber selbst wenn, wie der Kläger vorträgt, ein solcher Aufkleber nicht vorhanden gewesen wäre, hätte es dem Kläger im Hinblick auf die oben beschriebene Dienstpflicht zum sorgsamen und pfleglichen Umgang mit ihm dienstlich anvertrauten Sachgütern oblegen, den richtigen Kraftstoff durch einen Blick in das Fahrzeughandbuch zu bestimmen. Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht daraus, dass jedenfalls nach dem Vortrag des Klägers später die Behörde nach dem hier in Rede stehenden Vorfall zusätzlich eine Beschriftung in der Nähe des Tankdeckels angebracht hat. Dies stellt lediglich einen weiteren gut sichtbaren Hinweis auf den zu tankenden Kraftstoff dar.
Die Einwendungen des Klägers führen zu keinem anderen Ergebnis. Der Umstand, dass der Kläger privat ein Fahrzeug mit Benzinmotor fährt, führt zu keiner anderen Bewertung. Denn es gehört - wie dargelegt - zu seinen Dienstpflichten, die richtige Kraftstoffart vor dem Tanken festzustellen.
Dass der Kläger an diesem Tag zusammen mit einem weiteren Kollegen, dem als Zeugen vernommenen D., Dienst getan und diesen in die genauen Einzelheiten betreffend die Betankung von Dienstfahrzeugen einzuweisen hatte, vermag den Kläger ebenfalls nicht zu entlasten. Allerdings ist es unzutreffend, wenn der Beklagte vorträgt, dem Kläger hätte spätestens an der Kasse auffallen müssen, dass er den falschen Kraftstoff getankt hatte. Wie der Zeuge heute zur Überzeugung des Gerichts ausgesagt hat, war nicht der Kläger, sondern vielmehr er an der Kasse der Tankstelle und hat dort die Formalitäten erledigt. Das ändert jedoch nichts daran, dass der Kläger nicht umsichtig genug war, vor dem Betanken sich zu vergewissern, dass auch der richtige Kraftstoff in den Tank gefüllt wurde. Dies lag allein und einzig im Verantwortungsbereich des Klägers, denn er hatte es übernommen, die Zapfsäule zu bedienen. Dass er vor oder während des Tankvorganges dem Zeugen noch Hinweise zu geben hatte, wie mit Pin-Nummer zu verfahren sei und wo die Tankkarte sich befand, vermag den Kläger nicht zu entlasten. Im Gegenteil hätte er, genügende Sorgfalt vorausgesetzt, gerade bei der Einweisung in den Tankvorgang Anlass gehabt, den Zeugen auch darauf hinzuweisen, dass auf die richtige Treibstoffsorte zu achten war. Dies hätte Bestandteil der Unterweisung sein müssen.
Im Übrigen wurde der Kläger, wie alle anderen Polizeibeamten in Hessen auch, gesondert auf den Umstand hingewiesen, dass bei den neu angeschafften Dienstfahrzeugen Dieselkraftstoff getankt werden müsse. Zwar war seit dieser Belehrung, die durch Fernschreiben im Jahr 2002 erfolgte, zum Zeitpunkt des Vorfalls schon einige Zeit verstrichen, das Gericht teilt jedoch die Einschätzung des Zeugen, der heute ausgeführt hat, dass es für einen umsichtigen Polizeibeamten ohne weiteres zu erkennen war, welche PKW mit Superkraftstoff und welche mit Dieselkraftstoff zu betanken waren. Da es sich bei den Diesel-PKW ausnahmslos um die neuen Fahrzeuge handelte, lag es auf der Hand und war jederzeit zu erkennen, welcher Kraftstoff getankt werden musste. Eine Falschbetankung kann angesichts dieser eindeutigen Sachlage nur als grob fahrlässig bezeichnet werden.
Es lagen schließlich auch keine außergewöhnlichen Umstände vor, die die Dienstpflichtverletzung des Klägers in subjektiver Hinsicht als entschuldbar darstellen könnten. Es ist für das Gericht nicht erkennbar, dass sich der Kläger in einer besonders belastenden Situation befunden hätte, die durch außergewöhnliche dienstliche Ereignisse, eine besondere Eilbedürftigkeit, eine außergewöhnliche Stresssituation oder ähnliches gekennzeichnet gewesen wäre. Eine schlichte Einweisung in den Tankvorgang verbunden mit gleichzeitiger Auswahl der korrekten Zapfpistole ohne Zeitdruck oder vorherige Anspannung ist eine alltägliche Situation, der sich ein Polizeibeamter üblicherweise gewachsen zeigt und die normalerweise nicht zu einem derart offensichtlichen Irrtum führt.
Die Pflichtverletzung des Klägers hat auch den vom Dienstherrn geltend gemachten Schaden adäquat kausal verursacht. Denn die Betankung des Dieselfahrzeugs mit Superbenzin kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der eingetretene Schaden entfiele; auch war die Falschbetankung nach allgemeiner Lebenserfahrung für einen objektiven Beobachter ohne weiteres geeignet, den Motorschaden herbeizuführen.
Dass der Schaden u.U. noch dadurch vergrößert wurde, dass in der Werkstatt der Dienststelle der Motor länger laufen gelassen wurde, weil man zunächst von einem Marderschaden ausging, ist ebenfalls von der adäquaten Kausalität umfasst. Es ist nicht außerhalb der Lebenserfahrung, dass zunächst durch schlichtes Ausprobieren versucht wird, einen Fehler an einem Kraftfahrzeug zu finden, bevor eine aufwändige Reparatur veranlasst wird. Für den Mitarbeiter in der Werkstatt lag der Verdacht, es sei die falsche Kraftstoffart getankt worden, außerhalb der Möglichkeiten, an die zunächst zu denken war, so dass er auch nicht zu einer besonderen Vorsicht o.a. verpflichtet war.
Der vom Beamten im Rahmen des § 91 Abs. 1 HBG zu ersetzende Schaden besteht in dem Unterschied zwischen der Vermögenslage des Dienstherrn, wie sie sich infolge der schuldhaften Dienstpflichtverletzung gestaltet hat, und seiner Vermögenslage, wie sie ohne die Dienstpflichtverletzung bestünde; der Dienstherr ist - in Geld - so zu stellen, wie er stünde, wenn der Beamte seine Dienstpflichten nicht verletzt hätte (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.2.2000 - 2 A 4.99 -; Urt. v. 11.3.1999, ZBR 1999, 278 ff). Der Kläger ist daher verpflichtet, den Betrag (3.863,61 €), den das Autohaus ... ausweislich der Rechnung vom 17.12.2003 wegen der Reparatur des Dienstwagens in Rechnung gestellt und der Beklagte bezahlt hat, zu erstatten. Dass die Reparatur ganz oder teilweise nicht erforderlich war, wurde nicht vorgetragen und ist auch nicht ersichtlich. ..."