Das Verkehrslexikon

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OLG Düsseldorf Urteil vom 14.03.1990 - 5 Ss (OWi) 72/90 - (OWi) 38/90 I - Keine Ordnungswidrigkeit bei irrtümlicher Benutzung einer Verteilerfahrbahn

OLG Düsseldorf v. 14.03.1990: Keine Ordnungswidrigkeit bei irrtümlicher Benutzung einer Verteilerfahrbahn




Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 14.03.1990 - 5 Ss (OWi) 72/90 - (OWi) 38/90 I) hat entschieden:

   Einem Fahrzeugführer, der irrtümlich die Verteilerfahrbahn einer Autobahn benutzt, obwohl er eigentlich auf der Durchgangsfahrbahn hatte weiterfahren wollen, kann nicht vorgeworfen werden, er habe gegen StVO § 2 Abs 1 verstoßen, wenn er seinen Irrtum noch auf der Verteilerfahrbahn korrigiert und sich auf der Durchgangsfahrbahn wieder einfädelt.

Aus den Entscheidungsgründen:


"Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen "eines vorsätzlichen Verstoßes gegen §§ 2, 49 StVO, 24 StVG" eine Geldbuße von 80,-- DM festgesetzt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, der ihre Zulassung beantragt und die Verletzung sachlichen Rechts rügt.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zuzulassen, weil die Nachprüfung des Urteils zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist.

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Freisprechung des Betroffenen.




I.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts fuhr der Betroffene am 26. April 1989 mit seinem PKW auf der Bundesautobahn A 57 von Krefeld in Fahrtrichtung Köln. Im Bereich des Autobahnkreuzes Meerbusch-Strümp verließ er die Hauptfahrbahn über den dort eingerichteten Verzögerungsstreifen und fuhr auf der Verteilerfahrbahn weiter. Von dieser Verteilerfahrbahn kann die BAB A 57 Richtung Krefeld-Fischeln, Meerbusch-Strümp und Meerbusch- Osterrath verlassen werden.

Der Betroffene war aus Unachtsamkeit auf diese Verteilerfahrbahn geraten. Er wollte über das Autobahnkreuz Kaarst Richtung Düsseldorf fahren und glaubte in dem Moment, als er die BAB A 57 verließ und in das Autobahnkreuz Meerbusch-Strümp fuhr, er befände sich im Autobahnkreuz Kaarst. Noch bevor er auf der Verteilerfahrbahn die Ausfahrt Meerbusch-Strümp/Krefeld-Fischeln erreichte, bemerkte er seinen Irrtum. Er fuhr daher auf der Verteilerfahrbahn weiter und fädelte sich an deren Ende wieder in den Verkehr auf der Durchgangsfahrbahn der BAB A 57 ein. Während der Fahrt auf der Verteilerfahrbahn fuhr der Betroffene an mehreren Fahrzeugen, die sich auf der Hauptfahrbahn in Richtung Köln befanden, vorbei.


II.

Diese Feststellungen tragen den Schuldspruch des angefochtenen Urteils nicht.

1. Zwar hat das Amtsgericht rechtsbedenkenfrei in der Fahrweise des Betroffenen keinen Verstoß gegen das Verbot des § 5 Abs. 1 StVO, rechts zu überholen, gesehen. Ein Überholen im Sinne dieser Vorschrift liegt nur vor, wenn der Verkehrsteilnehmer von hinten kommend an einem anderen Verkehrsteilnehmer vorbeifährt, der sich auf derselben Fahrbahn in dieselbe Richtung bewegt oder lediglich mit Rücksicht auf die Verkehrslage anhält (Senatsbeschlüsse vom 7. März 1977 in VRS 53, 378 und vom 13. März 1987 in VRS 73, 146 - nicht wie irrtümlich in den Urteilsgründen angegeben S. 176; BGHSt 22, 137 = VRS 35, 141; OLG Stuttgart VRS 53, 209). Der Betroffene hat vorliegend eine andere Fahrbahn als die Fahrzeuge benutzt, an denen er vorbeigefahren ist, nämlich die parallel zur Durchgangsfahrbahn verlaufende Verteilerfahrbahn.

2. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts hat der Betroffene auch nicht die Vorschrift des § 2 Abs. 1 StVO verletzt.

a) Fahrzeugführer werden gemäß § 2 Abs. 1 StVO auf die für ihre jeweiligen Fahrabsichten bestimmten Fahrbahnen verwiesen. Umgekehrt ist ihnen damit untersagt, sich solcher Straßenteile zu bedienen, die ausschließlich anderen Zwecken dienen (Senatsbeschluß vom 7. März 1977 a.a.O.; OLG Frankfurt VRS 46, 191). So hat die Rechtsprechung einen Verstoß gegen § 2 Abs. 1 StVO angenommen, wenn Zu- und Abfahrten von Tankstellen, Parkplätzen und Raststätten dazu benutzt werden, auf der Durchgangsfahrbahn langsamer fahrende Fahrzeuge "zu überholen" (OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Hamm VRS 36, 456).



b) Entsprechendes gilt im vorliegenden Fall jedoch nicht. Die neben der Durchgangsfahrbahn der BAB A 57 parallel verlaufende Verteilerfahrbahn ist zwar nach ihrem Sinn und Zweck nicht für den geradeaus fließenden Verkehr bestimmt. Sie ist damit für diesen Verkehr nicht "Fahrbahn" im Sinne des § 2 Abs. 1 StVO. Vielmehr dient sie dem abbiegenden und auffahrenden Querverkehr. Wenn jedoch Verkehrsteilnehmer, die irrtümlich abbiegen wollten, auf der Verteilerfahrbahn rechtzeitig ihren Irrtum bemerken und deshalb geradeaus weiterfahren, um sich am Ende der Verteilerfahrbahn wieder in die Durchgangsfahrbahn einzuordnen, scheidet ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 StVO aus. Auch diesen Verkehrsteilnehmern dient die Verteilerfahrbahn (Senatsbeschluß vom 7. März 1977, a.a.O.). In solchen Fällen wird die Verteilerfahrbahn nicht dazu benutzt, auf Kosten anderer Verkehrsteilnehmer aus eigennützigen Motiven schneller vorwärts zu kommen. Es kann daher einem Fahrzeugführer, der irrtümlich die Verteilerfahrbahn benutzt, obwohl er eigentlich auf der Durchgangsfahrbahn hatte weiterfahren wollen, nicht vorgeworfen werden, er habe gegen § 2 Abs. 1 StVO verstoßen, wenn er seinen Irrtum noch auf der Verteilerfahrbahn korrigiert und sich auf der Durchgangsfahrbahn wieder einfädelt. Der gegenteiligen Auffassung des Amtsgerichts, ein solcher Fahrzeugführer müsse die Autobahn verlassen und dürfe erst anschließend nach einem außerhalb der Autobahn durchgeführten Wendemanöver wieder in die Autobahn einfahren, vermag der Senat nicht zu folgen. Durch ein derartiges Verhalten würden ohne Not Gefahrensituationen geschaffen, die zu vermeiden auch Sinn und Zweck der Verteilerfahrbahn ist.

Das angefochtene Urteil kann danach keinen Bestand haben. Es unterliegt der Aufhebung (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 353 StPO). Da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, kommt eine Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz nicht in Betracht. Vielmehr hat der Senat in der Sache selbst abschließend zu entscheiden und auf Freispruch zu erkennen (§ 79 Abs. 6 OWiG). ..."

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