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OLG Hamm Urteil vom 26.11.1976 - 13 U 135/76 - Zur Mithaftung des schwer erkennbaren verkehrswidrig abgestellten Lkw

OLG Hamm v. 26.11.1976: Zur Mithaftung des schwer erkennbaren verkehrswidrig abgestellten Lkw


Das OLG Hamm (Urteil vom 26.11.1976 - 13 U 135/76) hat entschieden:
Wer sein Kfz im Bereich eines unbedingten Halteverbots abstellt, setzt sich jedenfalls dann dem Vorwurf schuldhafter Herbeiführung von Auffahrunfällen aus, wenn das abgestellte Fahrzeug nach den örtlichen Verhältnissen ein schwer erkennbares Verkehrshindernis bilden kann (hier: Beeinträchtigung der Erkennbarkeit eines im Zuge einer Brückenauffahrt an verbotener Stelle haltenden Lkw infolge Sonnenblendung).


Zum Sachverhalt: Die Klägerin begehrte von den Beklagten Ersatz materiellen und immateriellen Schadens nach einem Verkehrsunfall, den sie am Morgen des 10. März 1973 als Beifahrerin in einem von ihrem Ehemann, dem Zeugen ... , gesteuerten Pkw Opel-Manta erlitten hat.

Der Zeuge ... fuhr damals auf der S.-Straße in E. im Bereich einer Eisenbahnüberführung auf einen bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten LKW der Beklagten zu 1) auf, den der Beklagte zu 2) dort in einer durch Zeichen 283 der StVO bezeichneten absoluten Halteverbotszone abgestellt hatte. Die Klägerin wurde schwer verletzt.

Das Landgericht hat nach Besichtigung der Unfallstelle und Vernehmung von Zeugen die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, das fehlerhafte Verhalten des Beklagten zu 2) sei für den Unfall nicht kausal geworden. Unfallursächlich sei vielmehr ein Fahrfehler des Zeugen ... , der bei einem missglückten Fahrspurwechsel (von der rechten auf die linke Spur) auf den weithin sichtbaren LKW aufgefahren sei; dass er einen solchen Wechsel beabsichtigt habe und nicht etwa abrupt nach links ausgewichen sei, zeige die in der polizeilichen Unfallskizze (Bl 3 der beigezogenen Bußgeldakten der Stadt E.) eingezeichnete Blockierspur seines Wagens. Sollte allerdings der Zeuge ... den LKW wegen der Blendwirkung des Sonnenlichts wirklich übersehen haben, so treffe ihn der Vorwurf, dass er nicht auf Sicht gefahren sei.

Mit ihrer Berufung gegen dieses Urteil verfolgte die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Nach ihrer Auffassung hat der Beklagte zu 2) durch sein Verhalten den Unfall nicht nur adäquat kausal, sondern auch schuldhaft verursacht.

Die Beklagten verteidigten das angefochtene Urteil. Zusätzlich zu ihrem erstinstanzlichen Vortrag machen sie geltend, dass in Höhe der Unfallstelle eine Bushaltestelle ohne eigene Haltezone sei; das spreche für die Ungefährlichkeit des Haltens an dieser Stelle. Das Halteverbot dort diene denn auch nur der Erleichterung des Busverkehrs. Das Verbotsschild habe übrigens nicht die vorgeschriebene Größe.

Die Berufung war - teilweise nur vorläufig - erfolgreich.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Der Beklagte zu 2) hat durch sein verkehrswidriges Halten den Unfall schuldhaft verursacht. Die Beklagten haften der Klägerin deshalb gemäß §§ 7 StVG, 823, 831, 843, 847 BGB, 3 PflVersG auf Ersatz ihres materiellen und immateriellen Schadens. Ein Mitverschulden des Zeugen S. können sie der Klägerin nicht entgegenhalten; denn sie haften ihr neben dem etwa ersatzpflichtigen Zeugen S. als Gesamtschuldner.

1) Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass das Anhalten des Beklagten zu 2) an der Unfallstelle für den Unfall adäquat kausal geworden ist.

Der Beklagte zu 2) durfte an dieser Stelle nicht halten, auch nicht kürzeste Zeit; das verbot ihm das kurz vor dieser Stelle angebrachte Verbotszeichen Nr 283 zu § 41 StVO. Dieses Verkehrsschild, das entgegen der Behauptung der Beklagten die vorgeschriebene Größe hatte (vgl die voll glaubhafte Aussage des Zeugen ... ), diente der Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs. Das hat die Stadt E. mit ihrer Auskunft vom 22. November 1976 bestätigt. Es ergibt sich zudem aus der Verwaltungsvorschrift I zu Zeichen 283; danach kommt dieses Zeichen dort in Frage, "wo das Halten die Verkehrssicherheit beeinträchtigt". - Die Behauptung der Beklagten, das Verbotsschild diene der Erleichterung des Busverkehrs, ist damit widerlegt. Für etwaige Bedürfnisse des öffentlichen Personenverkehrs sieht die Verwaltungsvorschrift II zu Zeichen 283 denn auch Halteverbote mit einer tageszeitlichen Beschränkung vor, die vorliegend fehlt. Die im Senatstermin beantragte Erklärungsfrist zu diesem Punkt (zwecks Verbotsschildes) war den Beklagten nach alledem nicht einzuräumen, zumal die Beklagten die angebliche Abweichung der Auskunft, die die Stadt E. der Beklagten zu 3) erteilt haben soll, von der vom Senat eingeholten Auskunft nicht näher dargelegt haben.

War dem Beklagten zu 2) aber aus Gründen der Verkehrssicherheit jedes Halten verboten, so riskierte er, wenn er gleichwohl hielt, Verkehrsstockungen und auch Auffahrunfälle auf der von seinem LKW blockierten Fahrspur, und zwar nicht etwa "nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen", die zu einer Verneinung des adäquaten Kausalzusammenhangs führen müssten. Dass Autofahrer - von einer Sonnenblendung ganz abgesehen - im Vertrauen auf das Halteverbot unachtsam fuhren und deshalb oder wegen falscher Einschätzung einer Ausweichmöglichkeit zur linken Fahrspur hin auf den LKW auffuhren, war keine völlig ausgefallene Möglichkeit. Das gilt für den aus der H.-Straße (zweispurig=) einbiegenden Verkehr sogar in besonderem Maße; denn die Einbiegung liegt, wie auch die vom Zeugen G. vorgelegten Fotografien anschaulich machen, recht kurz vor der Unfallstelle (nach Angabe des Zeugen G. 76 m), und die Aufmerksamkeit der einbiegenden Verkehrsteilnehmer ist zudem beansprucht durch den aus der Ho.-Straße kommenden Gegenverkehr sowie den aus der Ho.-Straße auf die S.-Straße (Richtung Eisenbahnbrücke) einfließenden Verkehr.

2) Den Beklagten zu 2) trifft auch Schuld am Unfall.

Aus seinen Erklärungen im Senatstermin geht hervor, dass er das Halteverbotsschild kannte; wenn er die Trinkhalle zeitweise täglich anfuhr, kann es ihm auch nicht verborgen geblieben sein. Er war auch in der Lage, die oben zu Ziff 1 angeführten Erwägungen über die Bedeutung des Halteverbots und die Risiken einer Verbotsübertretung anzustellen. Dem Irrtum, das Verbot schütze nur die Bushaltestelle, konnte er bei gebotener Aufmerksamkeit nicht erliegen. Das Halteschild weist nach der Aussage des Zeugen ... nämlich aus, dass dort nur nachts zwischen 23.00 und 5.00 Uhr Busse halten; ob die Haltestelle zur Unfallzeit überhaupt schon existierte, kann also offenbleiben. - Der Beklagte zu 2) war schließlich auch nicht auf den von ihm gewählten Halteplatz angewiesen. Er konnte die auf dem vom Zeugen G. vorgelegten Fotos ("70 m" und "50 m") erkennbare Ausfahrtsfläche vor dem Möbelladen oder notfalls - zumindest teilweise - den Bürgersteig kurz vor der Brücke benutzen, allerdings nur dort, wo er beginnt, sich zu verbreitern. Die geringfügige Unbequemlichkeit, die auszuliefernden Waren einen etwas weiteren Weg zu tragen, musste er in Kauf nehmen.

Die vorstehenden Ausführungen tragen nach Ansicht des Senats schon für sich allein den Schuldvorwurf gegen den Beklagten zu 2). Vollends gerechtfertigt ist dieser Vorwurf aber jedenfalls deshalb, weil den auf die Brücke zufahrenden Verkehrsteilnehmern die Sicht auf den LKW infolge Sonnenblendung zumindest erschwert war. Der Zeuge ... hat glaubhaft ausgesagt, dass die Sonne bei einem Eintreffen an der Unfallstelle, d. h. ganz kurz nach dem Unfall, unmittelbar über der Brücke gestanden und blendende Wirkung gehabt habe. Er hat damit die gleichlautende Darstellung der Klägerin bestätigt. Wie stark diese Blendung war, ob sie also - was bei bestimmter Konstellation nicht ausgeschlossen scheint - die Sicht auf den mehr oder weniger weit unter der Brücke und jedenfalls im Brückenschatten stehenden LKW zeitweise völlig unmöglich gemacht (so der Zeuge ... ) oder nur bis zu einem bestimmten Grade erschwert hat (wofür die Aussage ... spräche), diese Frage brauchte der Senat nicht zu entscheiden; er braucht nämlich keine Schuldabwägung vorzunehmen und deshalb auch nicht den genauen Grad des Verschuldens des Beklagten zu 2) festzustellen. Nötig ist nur die Feststellung, dass ihn überhaupt Schuld trifft. Daran kann aber kein Zweifel bestehen, weil die Sonnenblendung die Gefahren des verbotswidrigen Haltens jedenfalls außerordentlich erhöhte und der Beklagte zu 2) sich dessen auch hätte bewusst sein müssen: Wie er im Senatstermin geschildert hat, war er - nach seinem Fahrtrichtungswechsel an der Ampel vor der Kreuzung mit der Ho.-Straße/H.-Straße - unmittelbar vor dem Unfall in gleicher Richtung wie anschließend der Zeuge S. auf die Brücke zugefahren, muss also die Sonnenstrahlung ebenfalls empfunden haben. Sollte er nach dem Anhalten tatsächlich ein Rücklicht oder Blinklicht gesetzt haben - woran der Senat zweifelt, schon weil der Beklagte zu 2) es nach seiner und der übrigen Beklagten Darstellung kaum als notwendig erfunden haben kann -, ändert das an seinem Verschulden nichts; starkes Sonnengegenlicht musste auch einer solchen Lichtquelle viel von ihrer Wirkung nehmen.

3) Ebenfalls wegen Verschuldens haftet gemäß § 831 Abs 1 Satz 1 BGB die Beklagte zu 1). Der Entlastungsbeweis nach § 831 Abs 1 Satz 2 BGB ist ihr misslungen. Der Aussage des Zeugen ... ist nicht zu entnehmen, dass sie den Beklagten zu 1) als ihren Verrichtungsgehilfen ausreichend sorgfältig angeleitet hat. Der Zeuge hat nach seiner Darstellung die von ihm eingewiesenen Fahrer der Beklagten zu 1) offensichtlich nicht nur nicht zu verkehrsgerechtem Verhalten bei Belieferung der fraglichen Trinkhalle angewiesen, sondern ihnen im Gegenteil zumindest gelegentlich das schlechte Beispiel verbotswidrigen Verhaltens gegeben. Da die Beklagte zu 1) jene Trinkhalle fast täglich beliefert hat und das Halteproblem dort heikel war, wäre nach Auffassung des Senats eine spezielle Anweisung an die Fahrer zur verkehrsgerechten Lösung dieses Problems am Platz gewesen. ..."



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