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Amtsgericht Berlin-Tiergarten Beschluss vom 28.05.2008 - (310 Gs) 3032 PLs 4513/08 (52/08) - Kein Verwertungsverbot bei einer Blutentnahme ohne richterliche Anordnung
AG Berlin-Tiergarten v. 28.05.2008: Kein Verwertungsverbot bei einer Blutentnahme ohne richterliche Anordnung
Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten (Beschluss vom 28.05.2008 - (310 Gs) 3032 Als 4513/08 (52/08)) hat entschieden:
Erfolgt bei Verdacht einer Trunkenheitsfahrt die Anordnung einer Blutentnahme durch einen Polizeibeamten ohne richterliche Anordnung, so führt dies nicht zu einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich des Gutachtens über die Blutalkoholkonzentration.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... wird gemäß § 111a Abs. 1 StPO dem Beschuldigten die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen vorläufig entzogen.
Dieser Beschluss wirkt gemäß § 111a Abs. 3 StPO zugleich als Bestätigung der Beschlagnahme des dem Beschuldigten vom L. am … unter Listennummer C. erteilten Führerscheins (§§ 94, 98 StPO).
Nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis hat der Beschuldigte am … gegen 13:00 Uhr in 1. mit dem Kraftfahrzeug Motorrad - sogenanntes QUAD - mit dem polizeilichen Kennzeichen B. am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen, obwohl er bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,32 ‰ zur Zeit der Blutentnahme um 15:55 Uhr und von 1,21 ‰ zur Zeit der Blutentnahme um 16.30 Uhr absolut fahruntauglich war und hierdurch andere Verkehrsteilnehmer und fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdete, was er erkennen konnte. Er befuhr mit dem Fahrzeug - Quad - unter anderem die M. rückwärts über eine Distanz von ca. 10 Metern und fuhr geradezu in eine Baustelle, die sich in der Kreuzung M. befand und ordnungsgemäß gesichert war. Alkoholbedingt absolut fahruntauglich und dadurch in seiner Koordinationsmöglichkeit sowie Motorik deutlich eingeschränkt, gelang es ihm nicht, das Fahrzeug vor dieser Baustelle zu stoppen. Der Beschuldigte fuhr in die Baustellengrube hinein, nachdem er die Absperrung umgefahren und beschädigt hatte. Die Höhe des Fremdschadens betrug ca. 250,00 Euro. Der Beschuldigte ließ sich aus der Baustellengrube hinausziehen und stellte das Quad in der Nähe wieder ab. In Kenntnis des verursachten Fremdschadens entfernte er sich von der Unfallstelle, ohne zuvor die gebotenen Feststellungen zu seiner Person und der Art der Beteiligung an dem Unfall ermöglicht zu haben.
Vergehen der Straßenverkehrsgefährdung infolge Alkoholisierung und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort nach §§ 315c Abs. 1 Nr. 1a, 142 Abs. 1, 53 StGB.
Es sind daher dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass dem Beschuldigten die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen wegen Ungeeignetheit demnächst durch Urteil entzogen werden wird (§ 69 StGB), weshalb die vorläufige Entziehung geboten ist (§ 111a Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 69 Abs. 1 StGB). Soweit der Beschuldigte sich auf ausschließlichen Nachtrunk beruft und zudem vortragen lässt, es sei kein Schaden entstanden, er habe die Baustellenabsperrung untersucht und wieder eingehängt, kann ihm bei derzeitiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht gefolgt werden. Der dringende Tatverdacht besteht eindeutig fort. Dies belegt der Alkoholabbau im Körper, der sich mit der Alkoholaufnahme erst nach der Tat nicht vereinbaren lässt. Zudem wurde er von einem Zeugen beobachtet, wie er ohne Maßnahmen vor Ort flüchtete, so dass der Zeuge berufen war, die Sicherung der Baustelle vorzunehmen bis zum Eintreffen der Polizei.
Die Bezugnahme auf den Blutalkoholwert aus den beiden Gutachten des LKA und damit die Verwertung der Blutalkoholbestimmung ist entgegen der Entscheidung der 28. Strafkammer des Landgerichts Berlin vom 23. April 2008 - 528 Qs 42/08 - zulässig. Zwar ist richtig, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 12.02.2007 (2 BvR 273/06) entschieden hat, dass bei einer Blutentnahme als körperlichen Eingriff nach § 81a Abs. 2 StPO eine gerichtliche Kontrolle gewährleistet sein müsse. Es hat aber ebenso entschieden, dass bei einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehende Verzögerung auch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und - nachrangig - ihrer Ermittlungspersonen besteht. Sicherlich muss, so die Entscheidung weiter, die Gefährdung des Untersuchungserfolgs mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind. Hieran mag es vorliegend noch fehlen. Aber dies gilt nur, wenn die Dringlichkeit nicht evident ist.
Angesichts der Nachtrunkbehauptung und des nicht geringen Zeitablaufs zwischen Unfallgeschehen und Antreffen des Beschuldigten in seiner Wohnung sowie mit Rücksicht auf den schnellen Alkoholabbau war der Zweck der Maßnahme - die Überprüfung, ob der Beschuldigte alkoholisiert und fahruntauglich war, eine Frage, die essentiell für das gegen ihn eingeleitete Verfahren wegen Straßenverkehrsgefährdung war - nicht mehr nach Einholung einer richterlichen Anordnung noch erreichbar. Im Unterschied zur zitierten Verfassungsgerichtsentscheidung ging es vorliegend nicht um den Nachweis eines BtM-Konsums, der noch Stunden nach Einnahme und Ergreifen eines Beschuldigten nachweisbar ist und bleibt, sondern um den Nachweis von Alkohol, der angesichts seines rapiden Abbaus im Körper - von zugunsten des Beschuldigten 0,2 Promille/Stunde zuzüglich Sicherheitszuschlag - nur unverzüglich gelingen kann. Im übrigen liegt der Grenzwert an Alkohol im Blut, ab derer erst eine Straftat sich begründen ließe, weitaus höher, als derjenige für Drogen im Blut unter Heranziehung der Empfehlung der Grenzwertekommission, so dass mit Rücksicht auf den schnellen Alkoholabbau und das schnelle Absinken auf diesen BAK-Grenzwert die Gefahr des Beweismittelverlustes akut droht (vgl. hierzu insgesamt Landgericht Hamburg, Beschluss vom 12.11.2007, 603 Qs 470/07).
Es überzeugt nicht die Sicht der 28. Kammer des Landgerichts Berlin in ihrem Beschluss, wenn ausgeführt wird, gerade bei höheren Alkoholisierungen, die durch alkoholtypische körperliche Ausfallerscheinungen oder durch den Atemalkoholgehaltwert ersichtlich sind, könnten kurzfristige Verzögerungen, bedingt durch die Einschaltung des Gerichts, durch Rückrechnung problemlos ausgeglichen werden und es möge anders hingegen sein bei geringen Alkoholisierungsgraden, bei denen alkoholtypische Anzeichen fehlen. Denn es steht dem Beschuldigten nicht im Gesicht geschrieben, welchem Alkoholisierungsgrad er unterliegt. Ausfallerscheinungen sind da nicht weiterführend, bleiben sie abhängig von den Trinkgewohnheiten des Beschuldigten. Es ist ständige Erfahrung in der Praxis der Verkehrsfachabteilungen, dass eine Rückrechnung des BAK-Wertes so einfach, wie von der 28. Kammer des Landgerichts unterstellt, nicht möglich ist. Außerdem ist die Legalität eines Eingriffs nicht ex ante in Abhängigkeit zu bringen von dem Ergebnis der Untersuchung. Im vorliegenden Verfahren war die Dringlichkeit evident und daher nicht näher zu dokumentieren. Andere Anzeichen auf Alkohol - wie von der 28. Kammer des Landgerichts ausgeführt, z.B. Ausfallerscheinungen - gab es zudem nicht.
Eine Willkür im Vorgehen der den Eingriff anordnenden Polizeibeamten, wie sie von der 28. Kammer des Landgerichts Berlin im dortigen Verfahren unterstellt wurde, ist nicht ansatzweise gegeben. Es darf in Erinnerung gerufen werden, dass die Beamten die jahrzehntelange bundesweite Praxis angewendet haben und darauf vertrauen durften, dass jene Bestand hatte. Außerdem ist die Anordnung einer Blutentnahme durch einen Polizeibeamten im Wege der Eilkompetenz bei irriger Annahme drohenden Beweismittelverlustes durch raschen Abbau im Körper nicht willkürlich und führt nicht zu einem Beweisverwertungsverbot (vgl. OLG Stuttgart, Senat für Bußgeldsachen, Beschluss vom 26.11.2007, 1 Ss 532/07, NStZ 2008, 238).
Wesentlich ist zuletzt, dass die 28. Kammer des Landgerichts in ihrem Beschluss nicht ausreichend das Beweiserhebungs- vom Beweisverwertungsverbot unterschieden hat. Und es entspricht höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass die unter Verstoß gegen Beweiserhebungsverbote gewonnenen Ergebnisse verwertbar bleiben. Eine unter Verstoß gegen diese Grundsätze durchgeführte Zwangsmaßnahme hat nicht stets die Unverwertbarkeit der aus der Maßnahme gewonnenen Erkenntnisse zur Folge. Ein Beweisverwertungsverbot stellt die Ausnahme dar und ist nur anzunehmen, wenn nach Abwägung der widerstreitenden Interessen im Einzelfall der Verfahrensverstoß so schwer wiegt, dass das Interesse an der Wahrheitserforschung zurückzutreten hat (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 3. Strafsenat, Beschluss vom 29.06.2007 - 3 - 30/07 (REV), 3 - 30/07 (REV) - 1 Ss 90/07). Ist - im Sinne der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 81a Abs. 2 StPO unzulässigerweise - eine Blutprobenentnahme durch eine Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft statt durch den zuständigen Richter angeordnet worden, so liegt die Annahme eines Beweisverwertungsverbots für den Nachweis der Blutalkoholkonzentration im wegen Trunkenheit im Verkehr geführten Strafverfahren vielmehr regelmäßig fern (so Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 2. Strafsenat, Beschluss vom 04.02.2008, 2 - 81/07 (REV), 2 - 81/07 (REV) - 1 Ss 226/07). So ist es hier. ..."