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OLG Hamm Urteil vom 12.04.2002 - 12 U 170/01 - Beweislastverteilung nach Risikosphären bei Waschstraßenunfällen

OLG Hamm v. 12.04.2002: Zur Beweislastverteilung nach Risikosphären bei Waschstraßenunfällen


Das OLG Hamm (Urteil vom 12.04.2002 - 12 U 170/01) hat entschieden:
  1. Der Fahrzeugeigentümer, der den Betreiber einer Autowaschstraße auf Schadenersatz in Anspruch nimmt, weil sein Pkw beim Durchlaufen der Waschanlage beschädigt worden ist, muss zumindest darlegen und beweisen, dass die Schadensursache allein aus dem Verantwortungsbereich des Betreibers herrührt. Ist diese Feststellung nicht möglich, liegt das Risiko der Unaufklärbarkeit der Schadensursache beim Fahrzeugeigentümer.

  2. Der Waschstraßenbetreiber genügt grundsätzlich seiner Verkehrssicherungspflicht, wenn die von ihm betriebene Anlage den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht.

Siehe auch Fahrzeugbeschädigung in der Autowaschanlage und Stichwörter zum Thema Schadensersatz


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die zulässige Berufung ist unbegründet. Ein aus mehreren Anspruchsgrundlagen denkbarer Schadensersatzanspruch des Klägers scheitert jeweils daran, dass eine für alle Ansprüche erforderliche Pflichtverletzung des Beklagten nicht feststellbar ist.

1. Eine Pflichtverletzung des Beklagten kann zunächst nicht aus einer Fehlfunktion der Waschanlage hergeleitet werden. Es ist nämlich nicht feststellbar, dass das Schadensereignis vom 14.07.1997 auf eine Fehlfunktion der Waschanlage zurückzuführen ist.

a) Grundsätzlich trägt der Gläubiger, hier der geschädigte Kläger, die Beweislast dafür, dass der Schuldner objektiv eine ihm obliegende Pflicht verletzt hat und diese Pflichtverletzung den Schaden verursachte (Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Auflage 2002, § 282 Rd. 11 m.w.N.). Eine unmittelbare Fehlfunktion der Waschstraße ist seitens des Klägers nicht dargestellt oder sonst erkennbar.

b) In Abweichung von der grundsätzlichen Beweislast des Geschädigten hat die Rechtsprechung anerkannt, dass ausnahmsweise von einer Schädigung auf eine Pflichtverletzung des Handelnden, hier des Beklagten als Waschstraßenbetreiber, geschlossen werden kann, wenn der Gläubiger dartut und beweist, dass die Schadensursache allein aus dem Verantwortungsbereich des Schuldners herrühren kann (BGH NJW RR 1993, 795; OLG Koblenz NJW RR 1995, 1135; Hanseatische OLG, DAR 1984, 260; Landgericht Bayreuth, NJW 1982, 1766).

Eine Schadensursächlichkeit allein im Verantwortungsbereich des Beklagten ist indes nicht feststellbar. Der hier zu beurteilende Sachverhalt unterscheidet sich nämlich dadurch von den typischen Waschstraßenfällen, dass das Fahrzeug des geschädigten Waschstraßennutzers nicht durch ein am Waschvorgang beteiligtes Teil der Waschstraße (z.B. eine Rotationsbürste), sondern durch ein weiteres Fahrzeug während des Waschvorgangs beschädigt wurde. Eine Schadensursächlichkeit im Verantwortungsbereich des beklagten Waschstraßenbetreibers wäre daher nur dadurch herleitbar, dass alle anderen - außerhalb dieses Verantwortungsbereichs - in Betracht kommenden Schadensursachen durch den Kläger positiv ausgeschlossen würden. Entgegen der Ansicht des Klägers ist nämlich bei einer Unaufklärbarkeit der Schadensursache nicht von einer Haftung des Beklagten auszugehen. Eine solche ergibt sich insbesondere nicht aus dem von ihm zitierten Urteil des Bundesgerichtshofes vom 23.01.1975 (BGH NJW 1975, 685). In der vom Bundesgerichtshof entschiedenen Konstellation stand nämlich einerseits fest, dass der Schaden durch die Waschstraße selber verursacht worden war und, sofern eine fehlerhafte Handhabung durch den Geschädigten vorlag, die Betreiberin auf dieses Risiko schuldhaft nicht hingewiesen hatte.

Ein Ausschluss jedweder anderer, außerhalb des Verantwortungsbereichs des Beklagten liegender, Schadensursächlichkeit ist nicht möglich. Der Sachverständige C hat auf Seite 20 in seinem Gutachten vom 4.09.1998 nachvollziehbar dargestellt, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Vorderachse des Multivans schräg gegen die seitliche Führungsschiene der Schleppkette lief und es dadurch bedingt zu einer Schrägstellung der Lenkung kam, was wiederum ein Durchrollen der Schlepprolle verursacht haben könnte.

Diese Möglichkeit ist weder auf Grund der Interventionswirkung der Streitverkündung gegenüber dem Beklagten im Vorprozess (Aktenzeichen 2 C 723/97 Amtsgericht Witten), noch im Wege der ergänzenden Beweisaufnahme auszuschließen.

aa) Die Interventionswirkung des Urteils des AG Witten vom 12.08.1999 vermag diese mögliche Ursache des Schadensereignisses nicht auszuschließen. Zwar hätte das Amtsgericht, sofern es von einer Anwendbarkeit des § 7 Abs. 1 StVG ausging, im Rahmen des von ihm offensichtlich geprüften § 7 Abs. 2 StVG positiv feststellen müssen, dass eine solche Schrägstellung nicht Ursache des Schadensereignisses bzw. etwaige technische Mängel am Fahrzeug des seinerzeit verklagten Fahrers des Multivans nicht Ursache der Schrägstellung waren. Allein der Umstand, dass das Amtsgericht von einer Unabwendbarkeit des Schadensereignisses im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG ausging, ersetzt jedoch nicht die notwendigen Feststellungen. Die Interventionswirkung der hier zulässigen Streitverkündung umfasst gemäß §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO nämlich immer nur die tragenden Feststellungen des Ersturteils. Keine Bindungswirkungen entfalten dagegen sogenannte überschießende Feststellungen. Das sind Feststellungen, die im Erstprozess nicht erheblich sind und von daher bei korrektem Verfahren im ersten Prozess gar nicht zu klären waren (Zöller/Vollkommer, Zivilprozessordnung, 22. Auflage, § 68 Rd. 10).

Soweit das Amtsgericht im Urteil vom 12.08.1999 Ausführungen zu einer etwaigen Unabwendbarkeit für den beklagten Fahrer des Multivans im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG gemacht hat, handelt es sich um überschießende Feststellungen, da die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG und damit einer etwaigen Gefährdungshaftung bereits nicht vorlagen. Das Schadensereignis hat sich nämlich nicht "beim Betrieb des Kraftfahrzeugs" ereignet, da das Fahrzeug ohne Motorkraft allein durch die Schlepprolle bewegt wurde. Dieser Vorgang lag außerhalb der Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs (vgl. KG VersR 1977, 626, 627; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl. 2001, § 7 StVG Rd. 9), da das Fahrzeug lediglich als sich nicht von selbst bewegender Gegenstand durch die Waschstraße befördert wurde.

Die Richtigkeit der Beschränkung der Interventionswirkung zeigt sich in einer Kontrollüberlegung. Mangels Anwendbarkeit des § 7 Abs. 1 StVG hätte der Beklagte nämlich auch nicht als Streithelfer des Klägers im Vorprozess ein Urteil zu dessen Gunsten erstreiten können, so dass die überschießenden Feststellungen zu § 7 Abs. 2 StVG nicht zu Lasten des Beklagten als feststehend gewertet werden können.

Soweit das Amtsgericht in dem zitierten Urteil Ausführungen zu einem etwaigen Fehlverhalten des beklagten Fahrers des Multivans macht, hat es keinerlei Feststellungen zu der oben aufgezeigten Möglichkeit eines schrägen Anlaufens der Vorderachse des Multivans gegen die seitliche Führungsschiene der Schleppkette, eine dadurch bedingte Schrägstellung der Lenkung und ein daraus resultierendes Durchrutschen der Führungsrolle getroffen.

Letztlich ist aber auch die Streitverkündung im amtsgerichtlichen Verfahren vom Ansatz her nicht geeignet, aufgrund der Interventionswirkung positiv festzustellen, dass die Schadensursächlichkeit allein im Verantwortungsbereich des Waschstraßenbetreibers lag. Die hierfür erforderliche Feststellung eines Ausschlusses sämtlicher anderer - außerhalb dieses Verantwortungsbereichs - in Betracht kommender Schadensursachen konnte nämlich keine tragende Feststellung im amtsgerichtlichen Verfahren sein. Die dort ausgesprochene Klageabweisung basiert notwendigerweise allein darauf, dass ein Fehlverhalten des Fahrers des Multivans nicht feststellbar ist. Die Auswirkung einer solchen an sich negativen aber nicht verneinenden Tatsachenfeststellung im Ausgangsprozess hängt im wesentlichen von der im Vorprozess bestehenden Beweislastverteilung ab. Dies bedingt keine, vom Kläger hier erstrebte, beweismäßige Benachteiligung des Streitverkündeten im Folgeprozess. Vielmehr erstreckt sich die Interventionswirkung zu Lasten des Streitverkündeten nur darauf, dass die betreffende Tatfrage nicht zu klären ist (BGH Z 85, 252, 257). Nur dies muss sich der Streitverkündete im Folgeprozess entgegenhalten lassen. Ob ihm dies zum Nachteil gereicht, hängt von der Beweislastverteilung im Folgeprozess ab. Diese trifft auch im hiesigen Folgeprozess, wie eingangs dargestellt, aber unverändert den Kläger.

bb) Es stehen auch keinerlei weitere Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung, kraft derer die vorstehend aufgezeigte Möglichkeit eines schrägen Anlaufens der Vorderräder gegen die seitliche Führungsschiene als Ursache des Schadensereignisses ausgeschlossen werden könnte. Der Sachverständige C hat in dem oben zitierten Gutachten im amtsgerichtlichen Verfahren detailliert dargestellt, dass diese Möglichkeit aus sachverständiger Sicht nicht ausgeschlossen werden könne. Weitere Erkenntnisquellen zum Ausschluss dieser Möglichkeit sind nicht dargestellt oder erkennbar.

2. Eine Pflichtverletzung des Beklagten kann auch nicht aus einer Verkehrssicherungspflichtverletzung hergeleitet werden. Zwar trifft den Beklagten als Waschstraßenbetreiber die Obhutspflicht, die Fahrzeuge seiner Kunden vor Schäden zu bewahren. Es ist jedoch nicht erkennbar, dass der Beklagte diese Pflicht verletzt hätte.

Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen C entsprach die Waschanlage dem Stand der Technik. Der Senat teilt insoweit die Auffassung des Oberlandesgerichts München (OLGZ 1982, 382), dass der Betreiber einer Autowaschanlage seiner Verkehrssicherungspflicht genügt, wenn die von ihm betriebene Anlage den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die bis dato praktizierte Technik zur Vermeidung von Schäden an Kundenfahrzeugen nicht ausreicht. Derartige Umstände, die vom Kläger darzulegen und zu beweisen wären, sind bis zum Schadensfall jedoch nicht erkennbar gewesen, da die Waschstraße zuvor seit 26 Jahren betrieben wurde, ohne dass ein derartiger Schadensfall aufgetreten war.

Aus Sicht des Senats sind die eher theoretischen Vorschläge des Sachverständigen zur Schadensvermeidung nicht praktikabel bzw. unverhältnismäßig. Eine etwaige Überwachung mittels Sensoren scheitert bereits daran, dass derartige Sensoren von den Waschstraßenherstellern nicht angeboten werden. Auch eine Überwachung mittels Videokamera erscheint, unabhängig von dem hiermit verbundenen Kostenfaktor für Personal und Material, unpraktikabel. Auf der gesamten Strecke der Waschstraße müsste eine Vielzahl von Kameras angebracht werden, die gleichzeitig überwacht werden müssten. Diese technisch aufwendige und personalintensive Lösung, die noch dazu angesichts der regelmäßig eingeschränkten Aufmerksamkeit einer Überwachungsperson nur geringe Aussicht auf Erfolg besitzt, erscheint angesichts eines Schadensfalls in 26 Jahren und einer insofern offensichtlich nicht drängenden Problemstellung für die Waschstraßenhersteller unverhältnismäßig. Dies gilt insbesondere deshalb, weil Schadensereignisse der vorliegenden Art mit Kollisionsgeschwindigkeiten von ca. 0,5 km/h allenfalls geringe Sachschäden verursachen, deren Vermeidung den notwendigen Personal- und Materialeinsatz nicht rechtfertigt. Selbst ein eher hoher Schaden der vorliegenden Art entspricht bei grob überschlägiger Schätzung dem Personalaufwand für einen Monat der Überwachung, was angesichts eines Schadensfalls in 26 Jahren nicht zu rechtfertigen ist. ..."