Das Verkehrslexikon

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VGH Mannheim Beschluss vom 17.07.2008 - 10 S 1688/08 - Nichtanerkennung eines ausländischen EU-Führerscheins ist bei deutschem Wohnsitz rechtmäßig

VGH Mannheim v. 17.07.2008: Nichtanerkennung eines ausländischen EU-Führerscheins ist bei deutschem Wohnsitz rechtmäßig


Der VGH Baden-Württemberg in Mannheim (Beschluss vom 17.07.2008 - 10 S 1688/08) hat entschieden:
  1. Steht auf der Grundlage von Angaben im Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen fest, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins sein Inhaber, auf den im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates eine Maßnahme des Entzugs einer früheren Fahrerlaubnis angewendet worden ist, seinen ordentlichen Wohnsitz im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaats hatte, ist § 28 Abs. 4 FeV nicht unanwendbar, sondern für die rechtliche Behandlung von im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnissen maßgeblich.

  2. In diesem Anwendungsbereich des § 28 Abs. 4 FeV scheidet der Erlass einer Entziehungsverfügung aus, weil die EU-Fahrerlaubnis im Bundesgebiet keine rechtliche Wirkung entfaltet hat. In diesen Fällen kommt der Erlass eines feststellenden VA in Betracht, in dem die sich aus § 28 Abs. 4 FeV ergebende Rechtslage klargestellt wird.

  3. In den Fällen, in denen sowohl nach dem gemeinschaftsrechtskonformen § 28 Abs. 4 FeV die im EU-Ausland erworbene Fahrerlaubnis von vornherein nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet berechtigt als auch aus nach der Erteilung der Fahrerlaubnis eingetretenen Umständen die Fahrungeeignetheit des Betreffenden resultiert, kann die Fahrerlaubnisbehörde zu Gunsten des Fahrerlaubnisinhabers von der Anerkennung der Fahrerlaubnis ausgehen und eine auf die genannten Umstände gestützte Entziehungsverfügung erlassen. Diese Vorgehensweise kommt auch in Fällen in Betracht, in denen unklar ist, ob die vom EuGH entwickelten Voraussetzungen für eine zulässige Ablehnung der Anerkennung der im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis erfüllt sind, die Entziehung der Fahrerlaubnis aber gemeinschaftsrechtlich zulässig ist.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber nicht begründet.

Nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO ist der Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts bei Beschwerden gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beschränkt. Danach prüft der Verwaltungsgerichtshof nur die in einer rechtzeitig eingegangenen Beschwerdebegründung dargelegten Gründe. Auf dieser Grundlage hat die Beschwerde keinen Erfolg. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe führen nicht dazu, dass die vom Gericht im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. VwGO vorzunehmende Abwägung zu Gunsten des Suspensivinteresses des Antragstellers ausfällt.

Nach den bisherigen Entscheidungen des EuGH zur Auslegung der Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1 sowie Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG ist bei der innerstaatlichen Rechtsanwendung in Bezug auf in anderen EU-Mitgliedstaaten erworbene Fahrerlaubnisse im Hinblick auf Art. 8 Abs. 2 und 4 dieser Richtlinie zu differenzieren.

In seinen Urteilen vom 26.06.2008 in den Verfahren C-329/06 und 343/06 sowie C-334/06 bis C-336/06 hat der EuGH in teilweiser Abkehr von seinem Urteil vom 29.04.2004 (C-476/01, Kapper, Slg. I-5205) ausgeführt, dass der Aufnahmemitgliedstaat die Anerkennung einer im EU-Ausland erteilten Fahrerlaubnis ablehnen kann, wenn auf der Grundlage von Angaben im Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins sein Inhaber, auf den im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates eine Maßnahme des Entzugs einer früheren Fahrerlaubnis angewendet worden ist, seinen ordentlichen Wohnsitz im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaats hatte. Jedenfalls im Rahmen dieser gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben bestehen gegen die Anwendung von § 28 Abs. 4 Nr. 2 und 3 FeV keine Bedenken, der die nach § 28 Abs. 1 FeV bestehende Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet aufgrund einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis unter den dort genannten Voraussetzungen ausschließt. Weder aus den bisherigen Urteilen des EuGH zur Auslegung der Richtlinie 91/439/EWG noch aus dem sonstigen Gemeinschaftsrecht ergibt sich, dass die gemeinschaftsrechtlich zulässige Ablehnung der Anerkennung einer Fahrerlaubnis nicht durch eine Rechtsnorm erfolgen darf, sondern hierfür eine Einzelmaßnahme erforderlich ist. Dementsprechend ist § 28 Abs. 4 Nr. 2 und 3 FeV unter den genannten Voraussetzungen nicht ohne Weiteres unanwendbar, sondern, weil im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht stehend, für die rechtliche Behandlung der im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnisse maßgeblich. Ist aber § 28 Abs. 4 FeV heranzuziehen, scheidet insoweit der Erlass einer Entziehungsverfügung, deren Wirkung nach § 46 Abs. 5 Satz 2 FeV wegen des Territorialitätsprinzips auf das Inland beschränkt ist, grundsätzlich von vornherein aus. Denn eine solche Maßnahme ginge ohne vorherige Anerkennung ins Leere. Die Entziehung der Fahrerlaubnis setzt das Vorhandensein des Rechts voraus, das durch die Verfügung - wieder - entzogen werden soll. In den Fällen, in denen nach den vorstehenden Ausführungen § 28 Abs. 4 Nr. 2 und 3 FeV mit den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in Einklang steht und deshalb anwendbar ist, entfaltet die im EU-Ausland erworbene Fahrerlaubnis zugunsten ihres Inhabers keine Wirkungen. Denn die Bundesrepublik hat als Aufnahmemitgliedstaat von der Ermächtigung des Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG durch die genannten Bestimmungen der Fahrerlaubnis-Verordnung zulässigerweise rechtssatzmäßig Gebrauch gemacht. In diesem Fall kommt ein auf § 28 Abs. 4 FeV gestützter feststellender Verwaltungsakt in Betracht, in dem die sich aus § 28 Abs. 4 FeV ergebende - und zwischen den Beteiligten regelmäßig umstrittene - Rechtslage klargestellt wird.

Der Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG (Entzug der Fahrerlaubnis oder Aberkennung des Rechts, von der im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen) ist dagegen eröffnet, wenn sich aus Umständen, die nach der im Ausland erfolgten Fahrerlaubniserteilung eingetreten sind, die Fahrungeeignetheit des betreffenden Fahrerlaubnisinhabers ergibt (EuGH, Urt. v. 26.06.2008, C-329/06 und C-343/06, Wiedemann, Rn. 59). Aufgrund von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie sind die Mitgliedstaaten berechtigt, ihre innerstaatlichen Vorschriften über die Entziehung der Fahrerlaubnis anzuwenden. Die Besonderheit, dass es sich um eine im EU-Ausland erworbene Fahrerlaubnis handelt, kommt lediglich darin zum Ausdruck, dass die Wirkungen der Verfügung entsprechend dem Territorialitätsprinzip auf das Bundesgebiet beschränkt sind (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 StVG und § 46 Abs. 5 Satz 2 FeV). Die Entziehung einer im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis setzt aber voraus, dass diese bis zur Bekanntgabe der Entziehungsverfügung im Bundesgebiet wirksam war und den Inhaber zum Führen von Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet ermächtigte.

Eine besondere Gruppe bilden diejenigen Fälle, in denen zunächst aufgrund von § 28 Abs. 4 FeV die im EU-Ausland erworbene Fahrerlaubnis im Bundesgebiet - wegen der gemeinschaftsrechtlich zulässigen Ablehnung der Anerkennung - von vornherein keine rechtliche Bedeutung hat und zugleich aus nach der Erteilung der Fahrerlaubnis eingetretenen Umständen die Fahrungeeignetheit des betreffenden Fahrerlaubnisinhabers folgt, so dass die Entziehung der Fahrerlaubnis zulässig wäre. In diesen Fällen hat die Fahrerlaubnisbehörde ein Wahlrecht, ob sie von der zulässigen Ablehnung der Anerkennung der Fahrerlaubnis ausgeht oder auf die nachträglich belegte Fahrungeeignetheit abstellt. Hat die Behörde, wie bisher häufig, eine Entziehungsverfügung erlassen und will sie nachträglich auf die Ablehnung der Anerkennung der Fahrerlaubnis abheben, kommt eine Abänderung oder Umdeutung der bereits erlassenen Entziehungsverfügung in einen Verwaltungsakt in Betracht, in dem festgestellt wird, dass die im EU-Ausland erworbene Fahrerlaubnis den Betreffenden im Bundesgebiet nicht zum Führen von fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugen berechtigt. Die Behörde kann aber auch zu Gunsten des betreffenden Fahrerlaubnisinhabers - auch konkludent - von der grundsätzlichen Anerkennung der im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis ausgehen und diese dann wegen der nach ihrer Erteilung eingetretenen Umstände, die die Fahrungeeignetheit dieses Fahrerlaubnisinhabers begründen, förmlich entziehen. Entschließt sich die Fahrerlaubnisbehörde zu dieser Alternative, bedarf es nicht der Änderung oder Umdeutung der erlassenen Entziehungsverfügung. Diese Variante kann der Fahrerlaubnisbehörde im Interesse der Rechtsklarheit wegen der allgemein bekannten Wirkungen einer Entziehungsverfügung z. B. für den Straftatbestand des § 21 StVG oder der bereits bestehenden gesetzlichen Regelung für die Eintragung in das Verkehrszentralregister (vgl. § 28 Abs. 3 Nr. 6 StVG) gegenüber einem feststellenden Verwaltungsakt als vorzugswürdig erscheinen. Diese Vorgehensweise kommt für die Fahrerlaubnisbehörde auch in Betracht, wenn unklar ist, ob die vom EuGH in den Urteilen vom 26.06.2008 entwickelten Voraussetzungen für eine zulässige Ablehnung der Anerkennung der im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis tatsächlich erfüllt sind. In diesen Fällen muss sich die Behörde nicht auf die Auseinandersetzung einlassen, ob die Fahrerlaubnis nach Maßgabe des gemeinschaftsrechtskonformen § 28 Abs. 4 FeV im Bundesgebiet anzuerkennen ist, sondern kann auf die Fahrungeeignetheit des Fahrerlaubnisinhabers abstellen, die sich aus nach der Erteilung der Fahrerlaubnis eingetretenen Umständen ergibt, und die Fahrerlaubnis entziehen.

Nach diesen Grundsätzen erweist sich die auf die Fahrungeeignetheit des Antragstellers gestützte Entziehungsverfügung des Landratsamtes vom 31.03.2008 als rechtmäßig. Angesichts der Gefahren, die von der Verkehrsteilnahme eines Fahrungeeigneten für hochrangige Rechtsgüter anderer Verkehrsteilnehmer ausgehen, überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das gegenläufige Interesse des Antragstellers vom Vollzug der Verfügung des Landratsamtes vom 31.03.2008 bis zu einer endgültigen Entscheidung über deren Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben.

Gegenstand der Verfügung des Landratsamtes ist die dem Antragsteller am 16.03.2006 in der Tschechischen Republik erteilte Fahrerlaubnis der Klasse B. In dem Antragsteller ausgestellten tschechischen Führerschein ist in der Rubrik Nr. 8 (Wohnsitz) der inländische Wohnsitz des Antragstellers „Hassmersheim“ vermerkt. Dementsprechend könnte sich das Landratsamt auf den Standpunkt stellen, entsprechend dem gemeinschaftsrechtskonformen § 28 Abs. 4 Nr. 2 und 3 FeV sei diese Fahrerlaubnis nicht anzuerkennen. Es bedarf aber nicht der Umdeutung oder Abänderung der Entziehungsverfügung, weil sich aus nach der Erteilung der Fahrerlaubnis eingetretenen Umständen die Fahrungeeignetheit des Antragstellers ergibt, so dass die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtlich zulässig ist. Auf diese Aspekte hat die Behörde nach der Begründung ihrer Verfügung ersichtlich auch abstellen wollen.

Auf die detaillierte und an den Vorgaben der Fahrerlaubnis-Verordnung orientierte Argumentation des Verwaltungsgerichts zur Rechtmäßigkeit der verfügten Entziehung der Fahrerlaubnis geht die Beschwerdebegründung allenfalls ansatzweise ein. Vorliegend folgt die Ungeeignetheit des Antragstellers im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV aus der Nichtvorlage des jedenfalls nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV rechtmäßig verlangten medizinisch-psychologischen Gutachtens (§ 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Anknüpfungspunkt für die Gutachtensanforderung vom 31.07.2007 waren Angaben des Antragstellers in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 06.03.2007, die im Zeitraum von Juni bis Dezember 2006 - und damit nach der am 16.03.2006 erfolgten Erteilung der Fahrerlaubnis in der Tschechischen Republik - einen regelmäßigen Cannabiskonsum als nahe liegend erscheinen ließen. Soweit in der Beschwerdebegründung geltend gemacht wird, es müsse ein im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehendes Fehlverhalten vorliegen, wird die Systematik der Fahrerlaubnis-Verordnung nicht beachtet. Aus Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung ergibt sich, dass der regelmäßige Konsum von Cannabis ungeachtet der Frage eines unzureichenden Trennungsvermögens (vgl. Nr. 9.2.2 der Anlage 4) die Fahrungeeignetheit begründet und die Behörde zur Entziehung der Fahrerlaubnis zwingt. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme der Fahrungeeignetheit des Antragstellers nach Nr. 9.1 der Anlage 4 bestehen. Nach dem rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Mosbach vom 31.10.2007 hat der Antragsteller auch im Zeitraum nach dem am 16.03.2006 erfolgten Erwerb der Fahrerlaubnis in der Tschechischen Republik Heroin erworben („zwischen dem 01.05.2006 und 31.07.2006“). In seiner Beschuldigtenvernehmung vom 06.03.2007 (AS 121) hat der Antragsteller für „Anfang 2006“ den Konsum von Heroin und Kokain eingeräumt. Der Konsum eines anderen Betäubungsmittels im Sinne von § 1 BtmG als Cannabis begründet regelmäßig die Fahrungeeignetheit des betreffenden Fahrerlaubnisinhabers ungeachtet der Häufigkeit des Konsums oder der Frage des Zusammenhangs mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs (Senatsbeschl. v. 22.05.2007 - 10 S 804/07 -; OVG Rh.-Pf., Beschl. v. 21.11.2000 - 7 B 11967/00 -, Blutalkohol 2000, 71). ..."



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