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Landgericht Offenburg Urteil vom 11.04.2008 - 3 O 332/07 - Dem Busfahrer obliegen besondere Sorgfaltspflichten nur gegenüber erkennbar Behinderten

LG Offenburg v. 11.04.2008: Zur Eigenverantwortlichkeit des Fahrgastes in einem Linienbus und zu den Sorgfaltspflichten des Busfahrers gegenüber erkennbar behinderten Fahrgästen


Das Landgericht Offenburg (Urteil vom 11.04.2008 - 3 O 332/07) hat entschieden:
Der Fahrgast eines Linienbusses ist grundsätzlich selbst dafür verantwortlich, sich jederzeit festen Halt zu verschaffen, so dass er durch typische und zu erwartende Bewegungen des Busses nicht zu Fall kommt (OLG Frankfurt, 15. April 2002, 1 U 75/01. juris). Stürzt der Fahrgast bei einem normalem Ruck an einer Haltestelle, trifft ihn ein so erhebliches eigenes Verschulden, dass die Haftung des Fahrers und des Halters ausgeschlossen ist. Der Busfahrer muss sich bei seiner Arbeit nur ausnahmsweise vergewissern, ob ein Fahrgast einen Platz oder Halt im Wagen gefunden hat, etwa dann, wenn ein Gehbehinderter oder ein Blinder den Wagen bestiegen hat.


Siehe auch Fahrgaststurz in Verkehrsmitteln und Linienbusse


Zum Sachverhalt: Die Parteien streiten sich um Schadensersatzansprüche, die sich aufgrund eines Sturzes von … während einer Busfahrt und der sich anschließenden medizinischen Behandlung ergeben sollen.

Der 82 Jahre alte … stieg am 11. Juli 2006 an der Haltestelle „Alter Stadtbahnhof Lahr“ (Linie 107) in einen sogenannten „Quartierbus“ - einen Kleinbus - amtliches Kennzeichen … der Beklagten zu 1) ein. Neben dem Fahrer, dem Beklagten zu 3), befand sich lediglich … bereits im Bus.

Beim Einsteigen in den Bus begab er sich zu den nächstgelegenen Sitzen, welche sich gegenüber dem Eingang hinter dem Fahrer befanden. Es handelte sich dabei um Klappsitze, wobei keine anderen Sitzplätze stufenlos erreichbar waren. Oberhalb der Klappsitze befand sich ein deutlich sichtbares hinterleuchtetes Behindertenzeichen.

Der Beklagte zu 3) wartete zwar eine halbe bis eine Minute bis er glaubte, der Fahrgast habe Platz genommen. Er versicherte sich auch im Rückspiegel und blickte über seine rechte Schulter. Als er losfuhr war … jedoch noch dabei, einen Klappsitz herunter zu klappen, um Platz zu nehmen. Als der Bus sogleich in eine 90-Grad-Kurve nach links abbog, konnte sich J. K... nicht mehr auf den Beinen halten, er stürzte und wurde auf den auf der gegenüberliegenden Fahrzeugseite befestigten Feuerlöscher geschleudert.

Nachdem … die vom Beklagten zu 3) angebotene Hilfe ablehnte, ließ er sich bis zur Haltestelle „Lotzbeck-Apotheke“ fahren, stieg dort aus, besuchte - unter stechenden Schmerzen leidend - das Geschäft „Labyrinth“ und ließ sich im Folgenden von einem Taxi nach Hause fahren. Von dort begab er sich zur Radiologischen Praxis … und … überwies ihn aufgrund eines festgestellten Lungenrisses und einer Rippenserienfraktur in das Krankenhaus Lahr, wo er ärztlich versorgt wurde und aufgrund der unfallbedingten Verletzungsfolgen am 8. August 2006 verstarb.

Die Klägerin behauptete, … sei seit dem 15. Mai 1964 bei ihr krankenversichert gewesen und machte auf sie übergegangene Forderungen wegen ihrer Aufwendungen als Schadensersatz geltend.

Bei schwer Gehbehinderten oder blinden Menschen müsse sich ein Busfahrer ausnahmsweise vergewissern, ob ein Fahrgast einen Platz oder Halt im Wagen gefunden hat. Ein solcher Ausnahmefall sei vorliegend gegeben, da sich der Fahrgast … auf einen Gehstock gestützt habe und in seiner Bewegungsfähigkeit erkennbar erheblich eingeschränkt gewesen sei. In einem Kleinbus sei darüber hinaus eine erhöhte Sorgfaltspflicht des Fahrers geboten.

Es sei ferner eine Gefährdungshaftung gem. §§ 7, 8a, 18 StVG anzunehmen.

Im Bus seien ferner Behindertensitze nicht oder nur unzureichend und unklar ausgewiesen worden. Sitzplätze für Behinderte seien gem. §§ 2, 34 BOKraft an gut sichtbarer Stelle kenntlich zu machen. Es sei hieraus auch die Verkehrssicherungspflicht zu entnehmen, Plätze behindertengerecht zu gestalten. Dies sei vorliegend missachtet worden.

Dadurch, dass sich direkt gegenüber dem Einstieg ein deutlich sichtbares hinterleuchtetes Behindertenzeichen über den Klappsitzen befindet, werde der irreführende Eindruck erweckt, es handele sich bei den Klappsitzen um Behindertensitze. Diesem Irrtum sei auch der Fahrgast … erlegen. Der fehlerhafte Eindruck werde dadurch verstärkt, dass die Klappsitze, von der Eingangstür aus betrachtet, die nächsten und einzig stufenlos erreichbaren Sitze sind, welche sich direkt hinter dem Busfahrer befinden.

Die Kennzeichnung und Beschilderung müsse so deutlich und erkennbar sein, dass sie auch ältere und gebrechliche Personen i.S.d. § 34 BOKraft erreichen. Die Beschilderung im streitgegenständlichen Bus sei jedoch, verbunden mit der räumlichen Anordnung, derart irreführend, dass sie behinderte, gebrechliche oder ältere Personen dazu verleite, auf den Klappsitzen Platz zu nehmen, da sie dort einen Behindertensitz vermuten.

Es sei ferner als Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht zu werten, dass nicht alle Sitzplätze vom Sitzplatz des Fahrers aus mit dem Rückspiegel einsehbar seien.

Die Beklagten waren der Ansicht, es läge kein Verschulden des Beklagten zu 3) vor. Ansprüche aus Gefährdungshaftung seien wegen eigenen Verschuldens des Fahrgastes … nicht gegeben.

Der Fahrgast habe keinen gebrechlichen Eindruck vermittelt. Der Beklagte zu 3) habe sich durch Blick in den Rückspiegel und Schulterblick nach hinten vergewissert, dass sich der Fahrgast zum Zwecke des Hinsetzens an den ausreichend vorhandenen Festhaltemöglichkeiten orientiert, seinen Einkaufstrolley abgestellt und eine Sitzmöglichkeit gefunden habe. Der Beklagte zu 3) habe mehr als eine Minute gewartet, bevor er die Bustüren geschlossen und mit normaler Geschwindigkeit losgefahren sei.

Der Beklagte zu 3) habe die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet. Es bestehe keine Pflicht, sich zu vergewissern, dass ein erwachsener Fahrgast sicher sitzt.

Ein Fahrgast handele ordnungswidrig i.S.d. § 61 Abs. 1 PBefG i.V.m. § 45 Abs. 1 Nr. 7 BOKraft, wenn er der Verpflichtung, sich einen festen Halt zu verschaffen, nicht nachkommt. Ein Busfahrer, der mit Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer die äußeren Fahrtsignale und den Verkehrsfluss beachten muss, sei grundsätzlich nicht verpflichtet, sich darum zu kümmern, ob ein Fahrgast Platz oder Halt gefunden hat. Eine Ausnahme hiervon, etwa ein erkennbar Schwerbehinderter, dem ein Bein fehlt und der sich nur auf Krücken fortbewegen kann, oder ein blinder Fahrgast, sei im streitgegenständlichen Fall nicht gegeben gewesen.

In Fällen, in denen den Fahrer kein Verschulden an einem Sturz eines Fahrgastes trifft, welcher sich nicht seiner Verpflichtung gemäß § 14 Abs. 3 Nr. 4 BOKraft im Fahrzeug festen Halt verschafft hat, hafte der Fahrgast im Rahmen der Abwägung gem. § 9 StVO bzw. § 254 BGB für erlittene Verletzungen selbst. Die Betriebsgefahr trete dahinter zurück.

Die Klage blieb erfolglos.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Der Klägerin ist es weder gelungen, ein schuldhaftes, Schadensersatz begründendes Verhalten eines der Beklagten nachzuweisen, noch konnte sie Umstände belegen, die aufgrund einer Gefährdungshaftung die Geltendmachung von Schadensersatz rechtfertigen würden.

1. Kein nachweisbares schuldhaftes Verhalten des Beklagten zu 3)

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beklagte zu 3) schuldhaft insbesondere i.S.d. §§ 823, 831 BGB i.V.m. § 229, 222 StGB gehandelt hat.

In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich ein Busfahrer bei seiner Arbeit nur ausnahmsweise vergewissern muss, ob ein Fahrgast einen Platz oder Halt im Wagen gefunden hat, etwa dann, wenn ein Gehbehinderter oder ein Blinder den Wagen bestiegen hat. Der Fahrgast ist sich in der Regel selbst überlassen und kann nicht damit rechnen, dass sich der Fahrer um ihn kümmert. Eine Ausnahmesituation liegt dann vor, wenn ein Fahrgast mit einer erkennbar schweren Behinderung erscheint, so dass sich dem Busfahrer die Überlegung aufdrängen muss, dass der Fahrgast ohne besondere Rücksichtnahme gefährdet ist (vgl. BGH, 1. Dezember 1992, VI ZR 27/92, juris).

Die durchgeführte Beweisaufnahme hat jedoch weder mit hinreichender Sicherheit ergeben, dass … objektiv schwer gehbehindert oder sonst gravierend in seiner Mobilität eingeschränkt war, noch dass sich eine solche Behinderung mit der Konsequenz einer besonders zu beachtenden Rücksichtnahme dem Beklagten zu 3) hätte aufdrängen müssen. Eine Ausnahmesituation im dargelegten Sinne lag somit nicht vor.

Der Beklagte zu 3) gab im Rahmen seiner Anhörung plausibel und ohne erkennbare Widersprüche an, er habe am Unfalltag von … den Eindruck eines „normalen Fahrgastes“ gewonnen, dessen Probleme beim Einsteigen auf den mitgeführten Trolley zurückzuführen gewesen seien. Wesentliche Einschränkungen bezüglich der Mobilität des Fahrgastes habe er nicht bemerkt. Es habe sich um eine, wenngleich ältere, so doch mobile Person gehandelt, die mit der Punktekarte den Fahrpreis entrichtet habe. … habe zwar einen Gehstock dabei gehabt, dieser Stock habe jedoch - vermutlich - im Trolley gesteckt, sei also beim Einsteigen nicht in Gebrauch gewesen.

Das Gericht hat berücksichtigt, dass bei der Unfallschilderung in der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Offenburg, 6 Js 17578/06, AS 41 ff., als Aussage des Beklagten zu 3) Folgendes aufgenommen wurde: „An der Haltestelle stieg ein älterer Mann mit einem Gehstock und einem Einkaufstrolley zu mir in den Kleinbus. Da sich der Fahrgast schon beim Einsteigen schwer tat (geschätztes Alter um ca. 80 Jahre) habe ich bis zur Abfahrt mindestens eine Minute gewartet. Nach dem ich ihn im Rückspiegel nicht mehr sah, ging ich davon aus, er sitzt jetzt auf einem Platz.“ Ich fuhr normal an und gleich links durch die 90-Grad-Kurve. …“

Diese Angaben stehen nicht im unüberwindlichen Widerspruch zu den Ausführungen des Beklagten zu 3) im Rahmen seiner Anhörung. Es lässt sich aus dem Unfallbericht nicht klar entnehmen, ob … beim Einsteigen in den Bus seinen Gehstock tatsächlich benutzt haben soll. Dass sich der Fahrgast schwertat, lässt sich mangels weiterer präziser Ausführung auch mit dem Umstand des mitgeführten Trolleys erklären. Unter weiterer Berücksichtigung, dass der Beklagte zu 3) im Rahmen seiner gerichtlichen Anhörung nachvollziehbar angab, der Unfallbericht sei durch den Betriebsleiter geschrieben worden, so dass Abweichungen vom eigentlich Gemeinten in Betracht kommen, unterliegen die Schilderungen des Beklagten zu 3) im Termin vom 27. November 2007 keinen durchgreifenden Glaubhaftigkeitszweifeln.

Selbst bei der Annahme, der Beklagte zu 3) habe bemerkt, dass sich der als 80-jährig eingeschätzte Fahrgast beim Einsteigen schwer tat und einen Gehstock gebrauchte, kann auf kein solches Maß an körperlicher Einschränkung geschlussfolgert werden, welches dem Busfahrer aufgedrängt hätte, er müsse mit besonderer Aufmerksamkeit auf das Verhalten des Fahrgastes achten. Allein das Alter von … und das Gebrauchen eines Gehstocks stellen keine solchen Besonderheiten dar, die eine Gefährdung von … erwarten ließen, zumal letzterer sogar mit Gepäck unterwegs war und angesichts des sonnigen Sommerwetters auch eine punktuelle, kurzfristig beim Einsteigen auftretende Anstrengung in Betracht kam.

Die Angaben der „neutralen“ parteiunabhängigen Zeugin … widersprechen ebenfalls den Behauptungen der Klägerin, … sei als erkennbar schwer beeinträchtigter Fahrgast in den Bus gestiegen. … neben … alleiniger Fahrgast im streitgegenständlichen Bus, führte aus, sie selbst habe nicht den Eindruck gehabt, dass sich der eingestiegene Fahrgast nicht selbst hätte im Bus festhalten können. Er habe keine Hilfe gebraucht und sei „normal“ eingestiegen. Es habe sich zwar um einen alten und nicht gesunden Mann, aber auch um keinen gebrechlichen Mann gehandelt.

Besonderheiten - mit Ausnahme eines Gehstocks, den der Fahrgast in der Hand gehabt haben soll - schilderte die Zeugin auch während ihrer polizeilichen Vernehmung vom 9. August 2006 nicht, wie sich aus dem Vernehmungsprotokoll der staatsanwaltlichen Ermittlungsakte entnehmen lässt. Vielmehr ist dort zu lesen, die Zeugin wisse „nur noch, dass der Mann relativ normal, d.h. normalen Schrittes in Richtung der Sitze“ gegangen sei.

Unter weiterer indizieller Berücksichtigung, dass … nach den Bekundungen des Beklagten zu 3) mit einer Punktekarte bezahlte, also keine Vergünstigungen für Schwerbehinderte in Anspruch nahm, zudem auch nach dem erfolgten Sturz und der insoweit aufgetretenen Beschwerden selbständig ohne fremde Hilfe den Bus verlassen und seiner Wege gehen konnte, ist nicht davon auszugehen, dass … beim Einstiegen in den Bus den Eindruck eines schwer beeinträchtigten gehbehinderten Mannes vermittelte, der auf Hilfe und besondere Rücksichtnahme angewiesen war.

Es ist vielmehr festzustellen, dass der Beklagte zu 3), indem er nach dem Einsteigen von … eine halbe bis eine Minute wartete, bis er mit dem Bus losfuhr, die von ihm zu fordernde Sorgfalt und Umsicht in ausreichendem Umfang beachtete, so dass ein Verschulden ausscheidet. Der Busfahrer musste sich nicht positiv vergewissern, dass … mit Sicherheit einen Sitzplatz eingenommen hatte. Es reichte aus, dass er eine gewisse Zeit mit dem Abfahren zuwartete, bis er aufgrund mittelbarer Umstände - keine Räumgeräusche bezüglich des Trolleys, keine Erkennbarkeit, dass der Fahrgast noch stand - davon ausging und auch ausgehen durfte, dass der Fahrgast Platz genommen hatte.

Im Übrigen ist zu sehen, dass … - unter Berücksichtigung der im Rahmen der Inaugenscheinnahme gewonnenen Erkenntnisse - weniger als einen Meter hinter dem Busfahrer Platz genommen hatte. Der Fahrgast hätte damit rechnen müssen, dass der Busfahrer bald anfährt. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, den Beklagten zu 3) darauf hinzuweisen, dass er noch keinen festen Halt gefunden hatte. Der Sturz aufgrund des Anfahrens des Busses wäre somit ohne Weiteres durch eine Intervention des Fahrgastes vermeidbar gewesen, wenn er auf sich aufmerksam gemacht hätte.

Der BGH (a.a.O.) stellt darauf ab, dass sich ein Fahrgast u.U. erkundigen muss, ob der Bus so lange halten kann, bis der angestrebte Platz sicher erreichbar ist. Kann ein Fahrgast mithin selbst für seine Sicherheit sorgen, so drängt sich für den Busfahrer nicht auf, dass der Fahrgast beim Anfahren möglicherweise stürzen werde.

Vorliegend ist auch diesen Gründen davon auszugehen, dass der Beklagte zu 3) nicht verpflichtet war, … nach Vorzeigen der Fahrkarte weiter im Auge zu behalten. Es spielt insoweit auch keine Rolle, dass mittels Rückspiegel nicht der gesamte Fahrgastraum einzusehen war.

Umstände für ein überstürztes abruptes Anfahren, welches eventuell eine Schadensersatzpflicht begründen könnte, sind ebenfalls keine ersichtlich.

2. Keine Pflichtverletzung aufgrund Ausgestaltung des Busses

Die Sitzplatzordnung und Ausgestaltung des streitgegenständlichen Busses begründet ebenfalls keine Schadensersatzpflicht. Insoweit ist weder von einer allgemeinen Verkehrssicherungspflichtverletzung noch von einem - schadensursächlichen - Verstoß gegen § 34 BOKraft auszugehen.

a) Fehlende Kennzeichnung gem. § 34 BOKraft

Es ließ sich zwar nicht feststellen, ob der streitgegenständliche Bus bereits zum Unfallzeitpunkt mit den im Rahmen der Inaugenscheinnahme wahrgenommenen Sinnbildern gemäß Anlage 5 zu § 34 BOKraft versehen war. Dies kann jedoch dahinstehen, da - selbst bei Unterlassung entsprechender Kennzeichnungen zum Unfallzeitpunkt - nicht von einer schadensursächlichen Pflichtverletzung ausgegangen werden kann.

Die Beklagten wiesen zu Recht darauf hin, dass der Schutzzweck des § 34 BOKraft darauf abzielt, Sitzplätze zur Verfügung zu stellen, die im Falle eines vollbesetzten öffentlichen Verkehrsmittels von nicht sitzplatzbedürftigen Personen auf Verlangen geräumt und den von § 34 BOKraft umfassten Personenkreis angeboten werden müssen. Neben …, der zumindest als „ältere Person“ zum geschützten Personenkreis gehörte, war jedoch allein die Zeugin … als Fahrgast im Bus. … hatte mithin nach seinem Einstieg in den Bus nahezu freie Sitzplatzwahl, so dass er nicht darauf angewiesen war, einen gem. Anlage 5 zu § 34 BOKraft ausgewiesenen, vorrangigen Sitzplatz einnehmen zu können.

Darüber hinaus ist der genannten Vorschrift kein Regelungsgehalt dahingehend zu entnehmen, speziell auf die Bedürfnisse von in der Gehfähigkeit Beeinträchtigten, Schwerbehinderten und vergleichbaren Personen eingerichtete oder ausgestaltete Sitzplätze bereitzuhalten. Aus § 34 BOKraft ergibt sich nur die Pflicht, Plätze im Rahmen des allgemeinen Sitzplatzinventars zu „reservieren“ bzw. zur Verfügung zu stellen. Eine weitergehende Pflicht ist in diesem Zusammenhang nicht ersichtlich und wäre auch nicht erfüllbar angesichts der Mannigfaltigkeit der von § 34 Satz 1 BOKraft umfassten Personengruppen (u.a. Schwerbehinderte, gebrechliche Personen, werdende Mütter, Fahrgäste mit Kleinkindern).

b) Ausgestaltung des Busses im Übrigen

Soweit die Klägerin vorträgt, eine Pflichtwidrigkeit der Busbetreibergesellschaft sei darin zusehen, dass sich im Bus direkt gegenüber dem Einstieg ein deutlich sichtbares hinterleuchtetes Behindertenzeichen über den Klappsitzen befinde, was verbunden mit der räumlichen Anordnung dieser einzig stufenlos erreichbaren Sitze derart irreführend sei, dass sie behinderte, gebrechliche oder ältere Personen dazu verleite, auf den Klappsitzen Platz zunehmen, da sie dort Behindertensitze vermuteten, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden.

Der Bus ist ausweislich der Erkenntnisse aus der Inaugenscheinnahme klar und übersichtlich gestaltet. Vom vorderen Buseingang aus kann der hintere Sitzplatzbereich mit drei oder vier Schritten erreicht werden. Beim Betreten des Busses im vorderen Bereich lässt sich für einen Durchschnittsbetrachter hinreichend klar erkennen, dass dort vornehmlich für Rollstuhlfahrer und deren Begleiter Platz bereit gehalten wird. Der zwischen den Klappsitzen angebrachte mit Dioden hinterleuchtete Signalknopf mit einem Durchmesser von 9,5 cm zeigt klar einen stilisierten Rollstuhlfahrer. Diese Darstellung grenzt sich deutlich von anderen körperlich beeinträchtigten Personen ab. Es besteht zum Beispiel keine Ähnlichkeit mit dem Sinnbild zur Kenntlichmachung von Sitzplätzen für behinderte und andere sitzplatzbedüftige Personen gem. Anlage 5 zu § 34 Satz 2 BOKraft.

Unter weiterer Berücksichtigung der in unmittelbarer Nähe zu den Klappsitzen unterhalb der Trennwand zwischen Fahrer- und Fahrgastbereich angebrachten Haltegurteinrichtungen, die offensichtlich nicht zum Angurten von frei sitzenden Personen geeignet waren, lässt sich für einen durchschnittlichen Betrachter zum einen der naheliegende Schluss ziehen, dass die Klappsitze und der davor befindliche Raum für Rollstuhlfahrer und deren Begleiter bestimmt war. Zum anderen lässt sich ohne Anstrengung erkennen, dass im Gegensatz zu den Sitzen im hinteren Bereich des Busses die Sitzflächen der Klappsitze nach oben geklappt waren und die Sitze keine Rücklehnen aufwiesen. Der behelfsmäßige Charakter kommt deutlich zum Ausdruck und lässt es ausschließen, dass speziell für ältere oder gebrechliche Personen Sitzmöglichkeiten geschaffen werden sollten. Ein irreführender Eindruck wurde mithin nicht geschaffen.

Es ist somit nicht ersichtlich, dass ein etwaiger ausdrücklicher Hinweis, dass die Klappsitze nicht von älteren Personen benutzt werden sollten, erforderlich gewesen wäre.

Zudem ergeben sich auch keine Hinweise, dass der Fahrgast … geistig verwirrt oder altersbedingt nicht mehr in der Lage gewesen sei, Naheliegendes zu erkennen und nachzuvollziehen. Er war alleine ohne Begleitung unterwegs und verwendete eine Punktekarte ohne Auffälligkeiten. Zudem war er in der Lage, sich nach dem Unfall selbst zu versorgen. Es war mithin davon auszugehen, dass er fähig war, die objektiv ausreichend klaren Gegebenheiten auch subjektiv nachzuvollziehen.

Will man auf Grundlage des § 34 BOKraft eine Verpflichtung ableiten, die Ausgestaltung öffentlicher Verkehrsmittel an den speziellen Erfordernissen der vom Schutzzweck der Regelung umfassten Personen zu orientieren, muss berücksichtigt werden, dass sich etwaig einzuhaltende Verkehrssicherungspflichten nicht allein auf ältere und gebrechliche Personen beziehen, sondern auch auf Schwerbehinderte, mithin auf Rollstuhlfahrer.

Gerade die letztgenannte Personengruppe ist aber an erster Stelle auf die zum Einstieg nächstliegenden und stufenlos erreichbaren Fahrgastplätze angewiesen. Zudem bedürfen solche Fahrgäste häufig auch der Begleitung betreuender Personen, so dass auch für diese Begleitpersonen Sitze bereitgehalten werden müssen. Insoweit ist die Platzanordnung bzw. Raumeinteilung im streitgegenständlichen Kleinbus (vorderer Bereich am Eingang für Rollstuhlfahrer, hinterer Bereich für andere Fahrgäste) nicht pflichtwidrig.

Eine völlige Barrierefreiheit kann ebenfalls nicht verlangt werden, so dass auch der Umstand, dass die eigentlichen Sitzplätze im hinteren Busbereich nur über zwei Stufen erreichbar sind, keinen Verstoß gegen etwaige Verkehrssicherungspflichten begründen können, zumal der hinter Bereich mit Haltestangen abgegrenzt war, die beim Besteigen der Stufen Halt hätten bieten können.

3. Weit überwiegendes Verschulden des Fahrgastes

Im Übrigen war ein erhebliches Eigenverschulden von … für das Schadensereignis mitursächlich, so dass selbst bei einem - tatsächlich nicht gegebenen - Verschulden des Beklagten zu 3) oder bei Zugrundelegung einer Gefährdungshaftung aufgrund weit überwiegender Verursachungsanteile des genannten Fahrgastes eine Haftung der Beklagten zu verneinen ist, §§ 9 StVG, 254 BGB.

Die Zeugin …, die als zunächst alleiniger Fahrgast im hinteren Bereich des Busses saß und so das Einsteigen und die weitere Verhaltensweise von … gut beobachten konnte, schilderte detailliert, wie letzterer zunächst den mittleren der drei Klappsitze im vorderen Busbereich heruntergeklappte, sich dann aber anders entschied und den benachbarten Sitz wählte. Zusammenfassend resümierte die Zeugin, ihres Erachtens sei der Fahrgast selbst schuld am Sturz gewesen, weil er nicht auf dem zunächst gewählten Klappsitz Platz genommen, sondern sich für den benachbarten Sitzen entschieden und während des Platzwechsels beim Anfahren des Busses zu Fall gekommen sei. Wenngleich die Zeugin eine solche mit Einzelheiten versehene Schilderung nicht gegenüber der Polizei zum Ausdruck gebracht hatte, ist dem entsprechenden Protokoll und der damaligen Aussage der Zeugin gleichwohl zu entnehmen, der Fahrgast habe sich „den Klappsitz zurechtmachen“ wollen. Ein bloßes Herabklappen der Sitzfläche ist aber mit einem solchen geschilderten „Zurechtmachen“ kaum in Übereinstimmung zu bringen. Es liegt näher und ist wahrscheinlicher, dass es zu einem länger dauernden Sitzwechsel gekommen war. Somit unterlagen die Angaben der Zeugin im Termin keinen durchgreifenden Zweifeln.

Ein Fahrgast muss sich im Fahrzeug jedoch stets festen Halt verschaffen, § 14 Abs. 3 BOKraft. Gegen diese Pflicht hat … verstoßen, indem er nicht sogleich den einmal erreichten Sitzplatz einnahm, sondern seine Position wechseln wollte und somit maßgeblich eine Ursache für seinen darauffolgenden Sturz im bereits in Bewegung befindlichen Bus setzte. Hätte er auf dem zunächst anvisierten Sitz Platz genommen, wäre der Unfall nicht geschehen.

Der Fahrgast eines Linienbusses ist grundsätzlich selbst dafür verantwortlich, sich jederzeit festen Halt zu verschaffen, so dass er durch typische und zu erwartende Bewegungen des Busses nicht zu Fall kommt (OLG Frankfurt, 15. April 2002, 1 U 75/01. juris). Stürzt der Fahrgast bei einem normalem Ruck an einer Haltestelle, trifft ihn ein so erhebliches eigenes Verschulden, dass die Haftung des Fahrers und des Halters ausgeschlossen ist (LG Gießen, 8.3.2001, 4 O 467/00, juris; ähnlich OLG Köln, 19.3.1999, 19 U 156/98, juris, hinsichtlich einer älteren Frau, die wegen ihrer Sehbehinderung einen Gehstock benutzte, vom Sitzplatz aufstand und beim Abbremsen des Busses zu Fall kam).

In Übereinstimmung mit den Beklagten geht das Gericht davon aus, dass der Fahrgast Klünner für seine Platzwahl selbst verantwortlich war. Gleiches gilt für seine Entscheidung, nach Anfahren des Busses noch einen Platzwechsel vorzunehmen, so dass weit überwiegendes Eigenverschulden des Verletzten einer Haftung der Beklagten, sei es aus Verschulden, sei es aufgrund Gefährdungshaftung, entgegensteht. ..."