Das Verkehrslexikon

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OLG Düsseldorf Beschluss vom 13.06.2000 - 2b Ss (OWi) 125/00 - (OWi) 52/00 I - Zum Toleranzabzug beim Messgerät Provida - Police-Pilot

OLG Düsseldorf v. 13.06.2000: Zum Toleranzabzug beim Messgerät Provida - Police-Pilot


Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 13.06.2000 - 2b Ss (OWi) 125/00 - (OWi) 52/00 I) hat entschieden:
  1. Das ProViDa-System - auch Police-Pilot-System genannt - ist als standardisiertes Meßverfahren zur Geschwindigkeitsermittlung anerkannt. Zum Ausgleich systemimmanenter Meßungenauigkeiten reicht ein Toleranzabzug von 5 % der gemessenen Geschwindigkeit aus.

  2. Das ProViDa- System ist zur kombinierten Geschwindigkeits- und Abstandsmessung besonders geeignet. Da die Abstände zu vorausfahrenden Fahrzeugen - anders als die Geschwindigkeit - nicht elektronisch gemessen, sondern unter Auswertung des Videobandes errechnet werden, genügt jedoch die bloße Bezeichnung des angewandten Verfahrens im Urteil nicht. Die Auswertung und Berechnung müssen vielmehr in den Urteilsgründen verständlich und widerspruchsfrei dargelegt werden, um eine rechtsbeschwerdegerichtliche Überprüfung zu ermöglichen.

Siehe auch Das Video-Messsystem ProViDa - Police-Pilot - Modular und Toleranzabzüge bei standardisierten Messverfahren zur Feststellung von Geschwindigkeitsverstößen


Aus den Entscheidungsgründen:

"Das Amtsgericht hat durch das angefochtene Urteil gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 400, -- DM und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Das Rechtsmittel ist zulässig und (vorläufig) begründet. 1. a) Das Amtsgericht hat zum Tathergang folgende Feststellungen getroffen:
"Der Betroffene befuhr am 1. Juli 1998 mit seinem PKW Ford, amtliches Kennzeichen die Bundesautobahn A 3. In der Höhe von Langenfeld hielt er den erforlichen Sicherheitsabstand nicht ein, indem er zunächst bei einer Geschwindigkeit von mindestens 112 km/h bis auf zehn Meter auf ein vorausfahrendes Fahrzeug auffuhr und alsdann bei einer Geschwindigkeit von mindestens 154 km/h diesen Vorgang mit einem Abstand von vierzehn Metern wiederholte."
b) In der Beweiswürdigung führt das Amtsgericht zur Ermittlung der festgestellten Abstände und Geschwindigkeiten aus:
"Auch in der Sache selbst ist der Betroffene überführt.

Dies folgt zunächst aus den Bekundungen der Zeugen R und F insbesondere des Erstgenannten. Der Zeuge hat, gestützt auf eine vorher durchgeführte Sichtung des Videobandes, die Berechnungen auf Blatt 4 der Akten erläutert. Danach ergibt sich allenfalls für den ersten Fall eine Abweichung in bezug auf die gefahrene Geschwindigkeit, die das Gericht zugunsten des Betroffenen mit 112 km/h angenommen hat. Anhand der naturwissenschaftlich feststehenden Formel, woraus sich der Abstand aus dem Produkt von Geschwindigkeit und Zeit, dividiert durch 3, 6 ergibt, läßt sich ein Abstand von 9, 95 Metern feststellen. Im zweiten Fall errechnet sich ein Abstand von 13, 69 Metern.

Daß die Werte, die der vorgenannten Tabelle innewohnen, korrekt ermittelt sind, hat das Gericht selbst anhand der Videoaufzeichnungen überprüft und sich durch den Zeugen R erläutern lassen. Im Wege der Einzelbildschaltung sind die Fixpunkte, die die Beamten zur Ermittlung der gefahrenen Strecke und der Bestimmung der Abstände herangezogen haben, eindeutig erkennbar und der Hinterachse des vorausfahrenden Fahrzeugs sowie der Vorderachse des Wagens des Betroffenen sicher zuzuordnen.

Darüber hinaus ist das Videoband durch einen anerkannten Sachverständigen ausgewertet worden. Auch das Gutachten, welches in der Hauptverhandlung auszugsweise verlesen worden ist, stellt die absolute Korrektheit der Aufzeichnung und ihrer Auswertung fest.

Damit ist von den bereits erwähnten Abständen auszugehen, wobei diese sogar noch zugunsten des Betroffenen höher angenommen sind, als dies tatsächlich der Fall war. Denn zugrunde gelegt sind die Abstände zwischen der Hinterachse des Vorderfahrzeugs und der Vorderachse des Fahrzeugs des Betroffenen. Unberücksichtigt geblieben sind die Fahrzeugaufbauten hinter der Hinterachse bzw. vor der Vorderachse, so dass der Abstand von Stoßstange zu Stoßstange deutlich geringer gewesen sein muss.

Demgemäß ist davon auszugehen, daß der Betroffene jeweils weniger als 2/10 des halben Tachometerabstands eingehalten hat. Dieser Zweizehntelwert beträgt im ersten Fall 112 2 x 0, 2 = 11, 2 Meter, im zweiten Fall 154 : 2 x 0, 2 = 15, 4 Meter. "
c) Diese Ausführungen sind nicht geeignet, die Verurteilung wegen fahrlässigen Verstoßes gegen §§ 4 Abs. 1 Satz 1, 49 Abs. 1 Nr. 4 StVO, 24 StVG zu tragen.

aa) Das Urteil muß grundsätzlich feststellen, auf welcher tatsächlichen Grundlage die Geschwindigkeitsfeststellung und die Abstandsmessung beruhen. Dazu gehören insbesondere Angaben darüber, ob die Messungen durch elektronische Aufzeichnungen oder durch Ablesen, durch stationäre Geräte oder aus einem fahrenden Fahrzeug erfolgten, wie lang ggf. die Verfolgungsstrecke und der Abstand des Polizeifahrzeuges zu dem verfolgten Fahrzeug waren, auf welche Fahrstrecke sich die Abstandsunterschreitung erstreckte und welcher Toleranzabzug bei der Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung vorgenommen worden ist.

bb) Solche Feststellungen hat das Amtsgericht nicht getroffen. Seinen Ausführungen läßt sich nicht entnehmen, ob und ggf. in welchem Abstand und auf welcher Strecke das Polizeifahrzeug dem Fahrzeug des Betroffenen gefolgt ist, in welcher Weise die Geschwindigkeiten ermittelt und wie die angegebenen Abstände gemessen und ob die Sicherheitsabstände nicht nur vorübergehend unterschritten wurden. Ferner fehlen Angaben darüber, welche Toleranzabzüge vorgenommen wurden. Zudem werden in den Urteilsgründen Fixpunkte erwähnt, ohne anzugeben, worin sie bestanden.

Stattdessen wird dargelegt, daß der Zeuge R die Berechnungen in der Tabelle auf Bl. 4 der Akten erläutert hat, ohne deren Inhalt wiederzugeben und zu erklären. Ferner wird auf ein Videoband Bezug genommen, ohne Angaben über dessen Inhalt zu machen und insbesondere auszuführen, ob und ggf. welche Messergebnisse aus ihm zu entnehmen sind. Schließlich wird auf ein auszugsweise verlesenes Gutachten Bezug genommen, ohne den Sachverständigen zu benennen und den Inhalt wiederzugeben.

Infolgedessen ist es dem Senat nicht möglich, nachzuvollziehen, auf welche Weise die angegebenen Geschwindigkeiten und Abstände ermittelt worden und ob dabei Fehler unterlaufen sind.

d) Angaben in dem dargelegten Umfang sind nur dann nicht erforderlich, wenn die Messungen mit anerkannten Geräten in einem weithin standardisierten und tagtäglich praktizierten Verfahren durchgeführt werden (BGHSt 39, 291 [BGH 19.08.1993 - 4 StR 627/92]; BGH NStZ 1993, 95). In diesen Fällen genügt grundsätzlich die Angabe des angewandten Verfahrens und der nach Abzug der Meßtoleranz ermittelten Meßergebnisse. Erörterungen zu möglichen Geräte- oder Bedienungsfehlern oder systemimmanenten Meßungenauigkeiten, denen durch den Toleranzabzug Rechnung getragen wird, sind nur geboten, wenn dazu ein begründeter Anlaß besteht.

aa) Das Amtsgericht hat in seinem Urteil nicht dargelegt, ob und ggf. nach welchem standardisierten Verfahren die Geschwindigkeits- und Abstandsmessungen durchgeführt worden sind. Die Ausführungen deuten darauf hin, daß es sich dabei um das ProViDa-System, auch Police-Pilot-System genannt, handelt, bei dem aus einem nachfahrenden Fahrzeug durch eine elektronische Messung eine Weg-Zeitmessung erfolgt, deren Ergebnisse in einen Videofilm eingeblendet werden, durch den zudem die Verkehrssituation dokumentiert wird. Anhand dieses Videofilms und in ihm erkennbarer Fixpunkte sind sodann, sofern die Fahrzeuge versetzt fahren und infolgedessen auf dem Videofilm erkennbar sind, auch die Abstände zu vorausfahrenden Fahrzeugen messbar.

bb) Das ProViDa-System ist sowohl zur Geschwindigkeits- als auch zur gleichzeitigen Abstandsmessung seit über 10 Jahren in ständigem Gebrauch und als standardisiertes Meßverfahren für Geschwindigkeitsmessungen anerkannt (vgl. OLG Köln VRS 97, 442; OLG Celle VRS 77, 464; 81, 210; 92, 435; OLG Braunschweig NZV 1995, 367). Zum Ausgleich systemimmanenter Meßungenauigkeiten reicht ein Toleranzabzug von 5 % von der gemessenen Geschwindigkeit aus (vgl. OLG Celle VRS 92, 435 unter Hinweis auf eine gutachterliche Stellungnahme der Physikalisch-Technischen-Bundesanstalt vom 31. 8. 1996; OLG Köln aaO).

Das ProViDa-System wird auch zur kombinierten Geschwindigkeits- und Abstandsmessung verwendet und ist hierfür besonders geeignet. Das Gericht ist hierbei bei der Feststellung von Abständen nicht auf Schätzungen von Polizeibeamten angewiesen, sondern diese können, sofern geeignete Fixpunkte vorhanden sind, zuverlässig berechnet und die Ergebnisse vom Gericht durch Augenschein überprüft werden (vgl. OLG Celle VRS 81, 210). Da die Abstände - anders als die Geschwindigkeiten - nicht elektronisch gemessen, sondern unter Auswertung des Videobandes errechnet werden, genügt jedoch nicht die Bezeichnung des Verfahrens, sondern die Auswertung und Berechnung müssen, um eine Überprüfung zu ermöglichen, in den Urteilsgründen verständlich und widerspruchsfrei dargelegt werden (vgl. OLG Celle aaO).

cc) An diesen Ausführungen fehlt es in dem angefochtenen Urteil. Insbesondere ist nicht ausgeführt, ob und ggf. welcher Tolenzzuschlag bei den Abstandsmessungen vorgenommen worden ist.

2. Auch die Ausführungen des angefochtenen Urteils zur Bemessung der verhängten Geldbuße und zur Anordnung des Fahrverbots sind rechtsfehlerhaft.

Es fehlen Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen, die nach § 17 Abs. 3 Satz 2 1. Halbs. OWiG bei der Zumessung der Geldbuße zu berücksichtigen sind. Die verhängte Geldbuße von 400, -- DM kennzeichnet die Ordnungswidrigkeit nicht als geringfügig i. S. d. § 17 Abs. Abs. 3 Satz 2 2. Halbs. OWiG, so daß die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht unberücksichtigt bleiben durften.

Ferner wird in dem Urteil nicht erörtert, ob ganz besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise ein Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbotes unter angemessener Erhöhung der Geldbuße rechtfertigen. Zwar sind solche Umstände in den Urteilsgründen nicht festgestellt, jedoch fehlen jegliche Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen.

Angesichts der dargelegten Mängel war das Urteil mit den Feststellungen aufzuheben. Nach § 79 Abs. 6 OWiG wird die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen. ..."



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