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Bundesverwaltungsgericht Beschluss vom 09.04.2009 - 3 B 116.08 - Zur Beweiskraft von eigenen Einlassungen des Betroffenen zum Nachweis eines Verstoßes gegen das Wohnsitzerfordernis
BVerwG v. 09.04.2009: Zur Beweiskraft von eigenen Einlassungen des Betroffenen zum Nachweis eines Verstoßes gegen das Wohnsitzerfordernis
Das Bundesverwaltungsgericht (Beschluss vom 09.04.2009 - 3 B 116.08) hat entschieden:
Es besteht kein Zweifel, dass vom Ausstellermitgliedstaat herrührende "unbestreitbare Informationen" auch solche Angaben sein können, die dem Ausstellermitgliedstaat vorlagen und deren Richtigkeit der Betroffene selbst bestätigt.
Entscheidungsgründe:
"Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde des Klägers, der von einer ihm in der Tschechischen Republik erteilten Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch machen will, bleibt ohne Erfolg. Die erforderlichen Zulassungsvoraussetzungen werden nicht entsprechend den Anforderungen von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargetan oder sie liegen nicht vor.
1998 wurde dem Kläger wegen einer Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration - BAK - von 1,3 Promille die Fahrerlaubnis entzogen. Nach deren Wiedererteilung kam es im Januar 2001 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (BAK von 1,55 Promille) erneut zur Fahrerlaubnisentziehung. Ein im November 2001 erstelltes medizinisch-psychologisches Gutachten führte zu dem Ergebnis, beim Kläger sei mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass er auch künftig ein Fahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde. Eine Wiedererteilung der Fahrerlaubnis lehnte die Beklagte daraufhin ab. Im November 2004 erwarb der Kläger in der Tschechischen Republik eine Fahrerlaubnis der Klasse B. Im Führerschein ist als Wohnsitz "Pilzen 4" eingetragen; allerdings hatte der Kläger bei der Antragstellung im Formular "Antrag auf Erteilung eines Führerscheins" seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland angegeben. Nachdem der Kläger das angeforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht beigebracht hatte, untersagte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 9. Mai 2005, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen. Das Berufungsgericht hat unter Bezugnahme auf die Urteile des Europäischen Gerichtshofes vom 26. Juni 2008 (Rs. C-329/06 und C-343/06, Wiedemann u.a. und Rs. C-334/06 bis C-336/06, Zerche u.a.) das der Klage stattgebende erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Dabei hat es die von der Beklagten ausgesprochene Aberkennung in einen feststellenden Verwaltungsakt des Inhalts umgedeutet, dass die in der Tschechischen Republik erteilte Fahrerlaubnis den Kläger mit Geltung ab der Bekanntgabe des Bescheides nicht berechtige, Kraftfahrzeuge im Bundesgebiet zu führen.
1. Für grundsätzlich klärungsbedürftig hält der Kläger zum einen, ob es ohne Weiteres und insbesondere ohne die Gewährung rechtlichen Gehörs zulässig sei, eine streitgegenständliche Fahrerlaubnisentziehung, die ab ihrer Zustellung wirksam sei, in eine Nichtanerkennung der EU-Fahrerlaubnis mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Ausstellung umzudeuten. Damit ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache schon deshalb nicht entsprechend den Anforderungen von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargetan, weil sich die Frage in dieser Form weder im Berufungsverfahren gestellt hat noch in der Revision stellen würde. Zum einen ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Umdeutung der Fahrerlaubnisentziehung ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung nach vorherigem rechtlichem Hinweis des Gerichts und damit nicht ohne Anhörung erfolgt. Zum anderen hat das Berufungsgericht die dem umgedeuteten Verwaltungsakt beigelegte feststellende Wirkung nicht - wie der Kläger unterstellt - rückwirkend auf den Zeitpunkt bezogen, zu dem die tschechische Fahrerlaubnis erteilt worden war, sondern ausdrücklich erst auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides vom 9. Mai 2005 (UA S. 13).
2. Für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO genügt es auch nicht, dass der Kläger in Frage stellt, ob eine solche Umdeutung mit dem Prinzip eines umfassenden Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist und ob Adressat der Umdeutungskompetenz auch das Berufungsgericht sein kann. Beides ist hinreichend geklärt. Dass und unter welchen Voraussetzungen die Umdeutung eines Verwaltungsaktes erfolgen kann, ergibt sich unmittelbar aus der gesetzlichen Regelung des § 47 VwVfG. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass unter diesen Voraussetzungen auch die Verwaltungsgerichte ermächtigt sind, Verwaltungsakte umzudeuten (vgl. u.a. BVerwG, Urteile vom 26. Juli 2006 - BVerwG 6 C 20.05 - BVerwGE 126, 254 = Buchholz 150 § 25 PartG Nr. 1 Rn. 101 und vom 23. November 1999 - BVerwG 9 C 16.99 - BVerwGE 110, 111 <114> [BVerwG 23.11.1999 - 9 C 16/99] = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 5 S. 3 m.w.N.). Eine Verletzung des Gebots effektiven Rechtsschutzes ist damit nicht verbunden.
3. Ebenso wenig bedarf es entgegen der Beschwerdebegründung noch weiterer revisionsgerichtlicher Klärung, wer Adressat der vom Europäischen Gerichtshof in seinen Urteilen vom 26. Juni 2008 formulierten Nichtanerkennungsbefugnis ist. In seinen Urteilen vom 11. Dezember 2008 - BVerwG 3 C 26.07 und 3 C 38.07 - [...], hat der Senat hierzu ausgeführt (a.a.O. Rn. 36 und Rn. 34):
"Bei dem den Mitgliedstaaten vom Europäischen Gerichtshof zugestandenen Recht, in ihrem Hoheitsgebiet die Anerkennung einer von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Fahrberechtigung unter den genannten Voraussetzungen abzulehnen (,kann'), handelt es sich um eine rechtliche Befugnis der Mitgliedstaaten zu einer entsprechenden Gestaltung ihres innerstaatlichen Rechts und nicht etwa um die Begründung eines Ermessensspielraums der Verwaltungsbehörden. Das folgt schon daraus, dass der Europäische Gerichtshof hier Regelungen einer Richtlinie ausgelegt hat, also eines Instruments des sekundären Gemeinschaftsrechts, das, wie Art. 249 EG zu entnehmen ist, gerade auf die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten angelegt ist und sich an sie richtet."
Die Beschwerde enthält keine Ansatzpunkte, die die Zulassung der Revision rechtfertigen könnten.
Soweit der Kläger - nur schlagwortartig - auf das "Bestimmtheitsgebot der Artikel 80 ff. GG" verweist, ist weder ein Bezug zu der vermeintlichen Grundsatzfrage noch zu der vom Kläger angesprochenen Anwendbarkeit von § 28 Abs. 4 FeV zu erkennen. Der genannte Art. 80 GG regelt in seinem Absatz 1 Satz 2 die inhaltlichen Anforderungen an das zum Erlass einer Rechtsverordnung ermächtigende Gesetz; er enthält im folgenden Satz die Vorgabe, dass die Rechtsgrundlage in der Verordnung angegeben werden muss. Es bleibt nach der Beschwerdebegründung unerfindlich, inwieweit diese Anforderungen verletzt sein sollen.
Revisionsgerichtlicher Klärungsbedarf besteht ebenso wenig im Hinblick auf das vom Kläger außerdem genannte Rückwirkungsverbot; er sieht es als ungeklärt an, wie eine auf die neuere EuGH-Rechtsprechung gestützte Anwendung von § 28 Abs. 4 FeV damit vereinbar sein könne, nachdem diese Regelung bereits lange vor den Urteilen vom 26. Juni 2008 ergangen sei. Der Sache nach geht es dabei um die Vereinbarkeit von § 28 Abs. 4 FeV mit dem gemeinschaftsrechtlichen Rahmen, der in Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG für die Nichtanerkennung der in einem anderen Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis eröffnet wird. Diese gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben haben sich in Folge der Urteile des Europäischen Gerichtshofes vom 26. Juni 2008 aber nicht nachträglich geändert. Vielmehr wird durch die Auslegung einer Vorschrift, die der Europäische Gerichtshof in Ausübung der ihm durch Art. 234 Buchst. a EG verliehenen Befugnis vornimmt, die Bedeutung und Tragweite dieser Vorschrift erläutert und verdeutlicht, so wie sie seit ihrem In-Kraft-Treten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Dementsprechend ist die Vorschrift auch auf Rechtsverhältnisse anzuwenden, die vor Erlass des auf das Auslegungsersuchen ergangenen Urteils entstanden sind (vgl. u.a. Urteil vom 15. Dezember 1995 - Rs. C-415/93, Bosman - Slg. I-4921 Rn. 141). Darauf hat der Senat ebenfalls bereits in seinen Urteilen vom 11. Dezember 2008 hingewiesen und klargestellt, dass darin keine unzulässige Rückwirkung liegt (vgl. BVerwG a.a.O. Rn. 33 und Rn. 30).
Auch soweit sich der Kläger auf die aus seiner Sicht unnötigen Kosten für eine Begutachtung und eine daraus resultierende Fahrerlaubnisentziehung beruft, ist eine Klärung bereits in den Urteilen des Senats vom 11. Dezember 2008 erfolgt. Danach sind die Klärung von Eignungszweifeln und auch eine förmliche Fahrerlaubnisentziehung in den vom Europäischen Gerichtshof in seiner neueren Rechtsprechung anerkannten Fällen nicht zu beanstanden, wenn sich der Betroffene - wie dies auch beim Kläger der Fall war - auf die Geltung der ihm in einem anderen EU-Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis berufen hat. Dazu wird ausgeführt (vgl. BVerwG a.a.O. Rn. 25 und Rn. 22):
"Im Hinblick auf die Auslegung, die der gemeinschaftsrechtliche Anerkennungsgrundsatz bis dahin in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes gefunden hatte (vgl. unten, Abschnitt d), konnte der Beklagte nicht mit Gewissheit davon ausgehen, dass er dem Kläger die in § 28 Abs. 4 FeV geregelten Ausnahmen von der Geltung einer EU-Fahrerlaubnis entgegenhalten durfte. Gleichwohl musste er sicherstellen, dass der Kläger, sollte sich seine fehlende Eignung erweisen, in Deutschland kein Kraftfahrzeug würde führen dürfen. Ausgehend davon war es dem Beklagten nicht verwehrt, in Übereinstimmung mit dem Kläger die Geltung der tschechischen Fahrerlaubnis im Inland zu unterstellen und ein förmliches Aberkennungsverfahren durchzuführen. Dabei war er an die rechtlichen Voraussetzungen eines solchen Verfahrens gebunden, zu denen insbesondere der Nachweis fehlender Eignung gehört. Demgegenüber kann der Kläger sich nicht darauf berufen, dass die Klärung von Eignungszweifeln mit von ihm zu tragenden Kosten verbunden ist; denn er ist es, der sich der Geltung seiner tschechischen Fahrerlaubnis auch im Inland berühmt."
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Schließlich stellt sich nach Auffassung des Klägers die Frage, ob es sich bei den Angaben des Betroffenen auf dem Antragsformular und seinen Angaben vor dem Verwaltungsgericht tatsächlich um unbestreitbare Informationen handele, die aus dem Ausstellermitgliedstaat stammen. Auch insoweit wird die Beschwerdebegründung den Erfordernissen von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht gerecht. Dies setzt nämlich nicht nur die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage voraus, sondern auch, dass die fallübergreifende Bedeutung der aus Sicht des Beschwerdeführers klärungsbedürftigen Rechtsfrage in nachvollziehbarer Weise herausgearbeitet wird. Das wird in der Beschwerdebegründung jedoch nicht geleistet. Sie stellt nur auf die Umstände des konkreten Einzelfalles ab und zielt der Sache nach auf eine rechtliche Überprüfung, ob der Verwaltungsgerichtshof in diesem Einzelfall zu Recht die vom Europäischen Gerichtshof in seinen Urteilen vom 26. Juni 2008 beschriebenen Voraussetzungen als erfüllt angesehen hat, unter denen der Aufnahmemitgliedstaat der in einem anderen Mitgliedstaat erteilten EU-Fahrerlaubnis die Anerkennung versagen kann. Dabei werden lediglich - in der Art einer Revisionsbegründung - rechtliche Einwände vorgetragen, aus denen sich nach Auffassung des Klägers die berufungsgerichtliche Entscheidung als unzutreffend erweist. Unabhängig davon besteht kein Zweifel, dass vom Ausstellermitgliedstaat herrührende "unbestreitbare Informationen" auch solche Angaben sein können, die dem Ausstellermitgliedstaat vorlagen und deren Richtigkeit der Betroffene selbst bestätigt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG."