Das Verkehrslexikon
OVG Münster Beschluss vom 29.07.2009 - 16 B 895/09 - Zur Zulässigkeit einer MPU-Anordnung bei zeitungleichen Alkohol- und Cannabisfahrten
OVG Münster v. 29.07.2009: Zur Gleichsetzung von Mischkonsum von Cannabis und Alkohol mit zwei Auffälligkeiten im Sinne des § 14 FeV
Das OVG Münster (Beschluss vom 29.07.2009 - 16 B 895/09) hat entschieden:
Der Regelungszweck einer möglichst lückenlosen Erfassung aller Fälle, in denen die Kraftfahreignung wegen eines problematischen Umgangs mit berauschenden Mitteln in Frage gestellt ist, gebietet die Einbeziehung des Mischkonsums von Cannabis (oder anderen Betäubungs- und Arzneimitteln iSd Anlage zu § 14 FeV) und Alkohol in die Regelung des § 14 FeV. Es wäre - gerade im Hinblick auf die spezifische Gefährlichkeit eines wahllosen Mischkonsums von Alkohol und Betäubungsmitteln - unverständlich, wenn sowohl zwei alkoholbedingte Zuwiderhandlungen (§ 13 Nr. 2 Buchst. b FeV) als auch zwei Auffälligkeiten im Zusammenhang mit Betäubungs- oder Arzneimitteln zwingend eine Begutachtungsanordnung nach sich zögen, während die Kombination von Verstößen aus beiden Gruppen folgenlos bliebe.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers wiederhergestellt bzw. angeordnet. Denn die angefochtene Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 17. April 2009 erweist sich nach summarischer Überprüfung als offensichtlich rechtmäßig, so dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung das Aufschubinteresse des Antragstellers überwiegt.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts durfte der Antragsgegner bei der Anordnung an den Antragsteller, sich einer medizinisch-psychologischen Begutachtung zu unterziehen, die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV für den hier gegebenen Fall des (ungleichzeitigen) Zusammentreffens einer alkoholbedingten Zuwiderhandlung im Straßenverkehr mit einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG (Führen eines Kraftfahrzeuges unter der Wirkung eines der in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels - hier: Cannabis) heranziehen. Das Verwaltungsgericht verneint die Anwendbarkeit dieser durch Art. 1 Nr. 8 Buchst. c der Vierten Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 18. Juli 2008 (BGBl. I S. 1338) mit Wirkung vom 30. Oktober 2008 in den § 14 FeV (Klärung von Eignungszweifeln im Hinblick auf Betäubungsmittel und Arzneimittel) eingeführten Bestimmung auf derartige „gemischte“ Fälle mit der Erwägung, der gesamte § 14 FeV sei auf Eignungszweifel im Hinblick auf die Einnahme von Betäubungs- und Arzneimitteln zugeschnitten und beschränkt, während Eignungszweifel im Zusammenhang mit Alkohol in § 13 FeV eine differenzierte und abschließende Regelung gefunden hätten. Dieser Auffassung vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
Bereits der Wortlaut des § 14 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 FeV, wonach die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens für die Zwecke nach Absatz 1 anzuordnen ist, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr nach § 24a StVG begangen wurden, belegt deutlich, dass alkoholbedingte Zuwiderhandlungen nicht ausgeklammert werden sollen. Die Vorschrift bezieht sich umfassend auf Verstöße iSv § 24a StVG, ohne zwischen der Kraftfahrzeugbenutzung unter Alkoholeinfluss (§ 24a Abs. 1 StVG) und unter dem Einfluss (sonstiger) berauschender Mittel (§ 24a Abs. 2 StVG) zu differenzieren. Indem die Vorschrift die Begutachtung „für die Zwecke nach Absatz 1“ anordnet, wird ersichtlich nur auf die grundsätzliche Zielsetzung einer Begutachtung („zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder die Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen“) Bezug genommen, nicht aber auf die in § 14 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 aufgelisteten Verdachtstatbestände.
Normsystematische Überlegungen unterstreichen den Wortlautbefund. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 FeV bleibt § 13 Nr. 2 Buchst. b FeV unberührt. Diese Abgrenzung zum Regelungsbereich des § 13 FeV (Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik) wäre entbehrlich, wenn Zuwiderhandlungen nach § 24a Abs. 1 StVG, also Verstöße gegen die 0,5-Promille-Grenze, im Rahmen des § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV von vornherein auszublenden wären. Stattdessen ist nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 FeV die Grenzziehung zu § 13 FeV in der Weise vorzunehmen, dass bei einer ausschließlich durch Alkoholdelikte geprägten Vorgeschichte (nur) das Instrumentarium des § 13 FeV angewandt werden soll, während „Mischfälle“ aus Alkohol- und BTM/Arzneimittel-Problematik insgesamt der Regelung des § 14 FeV unterfallen. Das entspricht im Übrigen auch der Systematik der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung; dort wird die Fallgruppe des Mischkonsums von Alkohol und Cannabis unter Nr. 9 („Betäubungsmittel, andere psychoaktiv wirkende Stoffe und Arzneimittel“) bzw. - genau - unter Nr. 9.2.2 („Gelegentliche Einnahme von Cannabis“) und nicht etwa unter Nr. 8 („Alkohol“) thematisiert.
Auch der Regelungszweck einer möglichst lückenlosen Erfassung aller Fälle, in denen die Kraftfahreignung wegen eines problematischen Umgangs mit berauschenden Mitteln in Frage gestellt ist, gebietet die Einbeziehung des Mischkonsums von Cannabis (oder anderen Betäubungs- und Arzneimitteln iSd Anlage zu § 14 FeV) und Alkohol in die Regelung des § 14 FeV. Es wäre - gerade im Hinblick auf die spezifische Gefährlichkeit eines wahllosen Mischkonsums von Alkohol und Betäubungsmitteln - unverständlich, wenn sowohl zwei alkoholbedingte Zuwiderhandlungen (§ 13 Nr. 2 Buchst. b FeV) als auch zwei Auffälligkeiten im Zusammenhang mit Betäubungs- oder Arzneimitteln zwingend eine Begutachtungsanordnung nach sich zögen, während die Kombination von Verstößen aus beiden Gruppen folgenlos bliebe.
Schließlich führt auch der Blick auf die Absichten des Normgebers zu keinem anderen Ergebnis. Ganz im Gegenteil wollte der Verordnungsgeber mit der Einfügung der Bestimmung des § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV ausdrücklich auch der Fallgestaltung Rechnung tragen, dass neben einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1 StVG (Alkohol) eine weitere Verkehrszuwiderhandlung unter Einfluss berauschender Mittel (§ 24a Abs. 2 StVG) begangen wurde.
Vgl. Bundesrats-Drucks. 302/08, S. 63.
Da überdies an der Verwertbarkeit des mit einem Fahrrad begangenen Alkoholdelikts des Antragstellers aus dem Jahr 1999 keine Zweifel bestehen - insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss - und der seinerzeit angewandte Straftatbestand des § 316 StGB den Bußgeldtatbestand des § 24a Abs. 1 StVG umfasste (vgl. § 21 OwiG), bestehen an der Anwendbarkeit des § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV keine Bedenken. Die Verweigerung der demnach zu Recht angeordneten medizinisch-psychologischen Begutachtung durch den Antragsteller erlaubte mithin den Schluss auf dessen mangelnde Fahreignung (§ 11 Abs. 8 FeV) und rechtfertigte die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.
Etwas anderes ergäbe sich im Übrigen auch dann nicht, wenn entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts die Zuwiderhandlung des Antragstellers aus dem Jahr 1999 keine Berücksichtigung finden könnte. Denn schon die Fahrt des Antragstellers unter Cannabiseinfluss vom 10. August 2008 schließt dessen Fahreignung aus bzw. rechtfertigte jedenfalls schon für sich genommen die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung.
Nach § 46 Abs. 1 FeV iVm Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV fehlt es an der Fahreignung, wenn gelegentlich Cannabis eingenommen wird und nicht zwischen dem Cannabiskonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen getrennt wird.
Von einem gelegentlichen Cannabiskonsum des Antragstellers ist auszugehen. Dass der Antragsteller überhaupt Cannabis zu sich genommen hat, kann aufgrund seiner Einlassungen mit Gewissheit angenommen werden. Der Antragsteller hat insoweit im unmittelbaren Anschluss an die Fahrt vom 10. August 2008 und einen bezüglich THC positiven Schnelltest gegenüber der Polizei angegeben, er habe Anfang/Mitte Juli bzw. am ersten oder zweiten Wochenende im Juli an einem Joint gezogen. Diese Einlassung ist indes völlig unglaubhaft, weil ein derart geringfügiger Cannabiskonsum nach etwa einem Monat keine positiven Blutwerte mehr nach sich ziehen konnte. Vielmehr lassen sich positive THC-Werte nach einmaligem Konsum nur etwa vier bis sechs Stunden und in Fällen regelmäßigen oder wiederholten Konsums gelegentlich auch über 24 Stunden feststellen.
Vgl. Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, Kommentar, 2. Auflage, S. 178.
Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der Cannabiskonsum spätestens am Tag vor der Verkehrskontrolle am 10. August 2008 stattgefunden hat. Soweit der Antragsteller nach dem Vorliegen der Blutanalyse, die einen THC-Gehalt von 1,5 ng/ml und einen THC-COOH-Gehalt von 19 ng/ml ergab, im Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten an den Antragsgegner vom 5. März 2009 und ebenso mit anwaltlichem Schreiben vom 17. Februar 2009 gegenüber der für das Ordnungswidrigkeitenverfahren zuständigen Kreisverwaltung C. -X. in Abrede stellte, einen Cannabiskonsum zugegeben zu haben - vielmehr sei lediglich in seinem Beisein und ohne sein Zutun geraucht worden -, ist das nicht glaubhaft, weil das nicht erklärt, wie es zu der zwar unglaubhaften, aber doch eindeutigen und detaillierten Aussage gegenüber der Polizei gekommen sein sollte. Wiederum vom Bisherigen abweichend trägt der Antragsteller nunmehr im gerichtlichen Verfahren vor, er sei schon bei der polizeilichen Vernehmung unsicher gewesen, ob er kurz vorher an einem Joint gezogen oder aber bei einer Party unbeabsichtigt Cannabisausdünstungen eingeatmet habe. Damit wird für den Senat erst recht deutlich, dass der Antragsteller alles daran setzt, seine Konsumgewohnheiten zu verschleiern, denn es steht außer Frage, dass er sich längstens 24 Stunden nach der besagten Party daran erinnern musste, ob er selbst geraucht oder sich nur in einem raucherfüllten Raum aufgehalten hat. Steht damit ein Cannabiskonsum kurz vor der Verkehrskontrolle vom 10. August 2008 fest, kann dem Antragsteller auch nicht geglaubt werden, dass es sich dabei um einen erst- und einmaligen Cannabiskonsum gehandelt hat. Zwar ist ein solcher Fall nie rundweg auszuschließen, und auch der beim Antragsteller festgestellte Wert der Abbausubstanz THC-COOH dürfte, ohne dass dies abschließend zu erörtern wäre, einen mehr als einmaligen Cannabiskonsum nicht sicher nachweisen. Es spricht aber eine beträchtliche Wahrscheinlichkeit dagegen, dass der Antragsteller gerade im Anschluss an einen experimentellen Erstkonsum - das heißt bei noch weitgehender Unerfahrenheit mit den Wirkungen der Cannabiseinnahme - das besondere Risiko einer Fahrt mit einem Kfz eingegangen wäre. Berücksichtigt man weiter, dass angesichts der relativ geringen Dichte der polizeilichen Verkehrsüberwachung das Auffälligwerden ausgerechnet eines Erstkonsumenten im Straßenverkehr einen seltenen Zufall darstellen dürfte, könnte dem Antragsteller ein lediglich einmaliger und damit nicht gelegentlicher Cannabiskonsum nur dann abgenommen werden, wenn er die Umstände seines Cannabiskonsums konkret und unter Schilderung glaubhafter Einzelumstände dargelegt hätte.
Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 26. Juni 2008 - 16 B 697/08 -; ferner OVG Schleswig, Beschluss vom 7. Juni 2005 - 4 MB 49/05 -, Juris, und VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Februar 2007 - 10 S 2302/06 -, Blutalkohol 44 (2007), 190 = VRS 112 (2007), 373.
Daran fehlt es aber, wie die vorstehenden Ausführungen belegen.
Ob der im Blut des Antragstellers festgestellte Wert des psychowirksamen Cannabisbestandteils THC von 1,5 ng/ml die Annahme rechtfertigt, er habe bei der Fahrt mit dem Pkw am 10. August 2008 auch gegen das Trennungerfordernis iSv Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV verstoßen, lässt sich unter Berücksichtigung der hierzu in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Auffassungen nicht klar beantworten. Während überwiegend bereits bei einer Fahrt mit einem Wert von 1,0 ng/ml THC im Blutserum ein signifikant erhöhtes Risiko für die Verkehrssicherheit mit der Folge eines Verstoßes gegen das Trennungsgebot angenommen wird,
vgl. Nieders. OVG, Beschluss vom 11. Juli 2003 - 12 ME 287/03 -, NVwZ-RR 2003, 899 = DAR 2003, 480 = Juris (Rn. 7); OVG Rheinl.-Pfalz, Urteil vom 13. Januar 2004 - 7 A 10206/03 -, VRS 106 (2004), 313 = DAR 2004, 413 = Juris (Rn. 25) - das Gericht verlangt aber darüber hinaus die Feststellung konkreter Ausfallerscheinungen -; OVG Thüringen, Beschluss vom 11. Mai 2004 - 2 EO 190/04 -, Blutalkohol 42 (2005), 183 = Juris (Rn. 33); OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 7. Juni 2005 - 4 MB 49/05 -, Juris (Rn. 5); OVG Hamburg, Beschluss vom 15. Dezember 2005 - 3 Bs 214/05 -, NJW 2006, 1367 = Juris (Rn. 20); VGH Baden-Württ., Beschluss vom 27. März 2006 - 10 S 2519/05 -, NJW 2006, 2135 = NZV 2007, 55 = Juris (Rn. 7); OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Juni 2009 - 1 S 17.09 -, Juris (Rn. 6),
legt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang einen Schwellenwert von 2,0 ng/ml zugrunde.
Vgl. Bayerischer VGH, Beschlüsse vom 11. November 2004 - 11 CS 04.2348 -, Blutalkohol 43 (2006), 414 = Juris (Rn. 16 bis 19), und vom 25. Januar 2006 - 11 CS 05.1711 -, DAR 2006, 407 = VRS 110 (2006), 310 = Juris (Rn. 17 ff.),
Der beschließende Senat hat die Frage bislang offen gelassen. Sie muss auch im vorliegenden Verfahren nicht abschließend beantwortet werden, weil auch nach der zuletzt genannten engeren Ansicht bei THC-Konzentrationen zwischen 1,0 und 2,0 ng/ml jedenfalls gemäß § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV - wie im vorliegenden Fall geschehen - ein medizinisch- psychologisches Gutachten einzuholen ist.
Vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 25. Januar 2006 - 11 CS 05.1711 -, aaO. (Juris-Rn. 45).
Nachdem der Antragsteller die Begutachtung verweigert hat, steht somit bereits allein unter dem Blickwinkel des Cannabiskonsums und des Fahrens unter Cannabiseinfluss seine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr fest.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2 sowie 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).