Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Verwaltungsgericht Saarlouis Beschluss vom 03.06.2009 - 10 L 354/09 - Zu den Voraussetzungen einer vorläufigen Fahrerlaubnis im Eilverfahren

VG Saarlouis v. 03.06.2009: Zu den Voraussetzungen einer vorläufigen Fahrerlaubnis im Eilverfahren


Das Verwaltungsgericht Saarlouis (Beschluss vom 03.06.2009 - 10 L 354/09) hat entschieden:
Wird im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die (vorläufige) Neuerteilung einer Fahrerlaubnis begehrt, ist neben den übrigen Voraussetzungen für eine Vorwegnahme der Hauptsache zu fordern, dass hinsichtlich der Beurteilung der Kraftfahreignung eine andere als die mit der einstweiligen Anordnung vorläufig erstrebte Entscheidung auch in der Hauptsache ausgeschlossen erscheint bzw. diesbezüglich eine an Sicherheit grenzende Aussicht auf Erfolg besteht.


Siehe auch Vorläufiger Rechtsschutz durch Eilverfahren in Verkehrsverwaltungsverfahren und Stichwörter zum Thema Fahrerlaubnis und Führerschein


Entscheidungsgründe:

I.

Der Antragstellerin wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts A-Stadt vom 28.8.2008 (Az.: C), rechtskräftig seit 12.1.2009, im Zuge der Ahndung eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 Strafgesetzbuch - StGB -) die Fahrerlaubnis (der Klassen 3 und 4) mit einer Sperrfrist von neun Monaten entzogen.

Mit Antrag vom 12.3.2009 begehrte sie von der Antragsgegnerin die Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klassen B und BE. Die Antragsgegnerin wies die Antragstellerin dabei zunächst mündlich und auf Wunsch deren Prozessbevollmächtigten nochmals schriftlich darauf hin, dass vorliegend eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) angezeigt sei, da es sich um eine im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begangene Straftat handle und ein Fremdschaden von mehr als 1 300 EUR verursacht worden sei. Ihr Ermessen im Hinblick auf die Anforderung einer MPU übe sie insoweit in Einklang mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 9.7.2002 (Az.: 3 K 79/02) aus, wonach die Straftat des unerlaubten Entfernens vom Unfallort in aller Regel durch soziale Fehlhaltungen bedingt sei und einen Mangel an Verantwortungsbewusstsein sowie zugleich eine hohe Risikobereitschaft erkennen lasse.

Vor diesem Hintergrund sucht die Antragstellerin um einstweiligen Rechtsschutz vor dem Verwaltungsgericht des Saarlandes nach. Sie vertritt, gestützt auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 27.7.2006 (Az.: 1 W 33/06) die Ansicht, dass ihr einmaliger Verstoß gegen die Strafvorschrift des § 142 StGB ohne erschwerende Umstände aufgrund des Zeitablaufs bzw. der endenden Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis keine Zweifel an ihrer Fahreignung (mehr) begründe, die die Anforderung einer MPU rechtfertigen könnten. Ausschlaggebend sei insoweit, dass der monatelange Verzicht auf die Fahrerlaubnis ihr das Unrecht ihrer Tat mehr als verdeutlicht habe und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erhebliche positive Auswirkungen auf ihr künftiges Verhalten im Straßenverkehr haben werde. Hierzu müsse auch gesehen werden, dass es für sie trotz der relativ kurzen Fahrstrecke von ihrem Wohnort D bis zu ihrer Arbeitsstelle in E (einfacher Weg mit dem Auto: 28 km) schwierig sei, diesen Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln sowie zum Teil zu Fuß zu bewältigen, und sie deshalb arbeitstäglich insgesamt etwa 3,5 Stunden unterwegs sei. Im Übrigen habe die Antragsgegnerin auch keine konkreten Zweifel an ihrer Fahreignung geltend gemacht, sondern gehe in ständiger behördlicher Übung davon aus, dass im Falle einer Verurteilung wegen Unfallflucht und einer darauf beruhenden Entziehung der Fahrerlaubnis grundsätzlich auch nach Ablauf der verhängten Sperrfrist Bedenken an der Fahreignung des Delinquenten bestünden. Diese Verfahrensweise sei rechtswidrig und das Ermessen der Antragsgegnerin auf Neuerteilung der beantragten Fahrerlaubnis im Übrigen derart verdichtet, dass diese im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten sei, die begehrte Fahrerlaubnis nach Ablauf der Sperrfrist zu erteilen.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr nach Ablauf der Sperrfrist am 29.5.2009 eine Fahrerlaubnis der Klassen B und C 1 zu erteilen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Zur Begründung führt sie aus, der Antragstellerin sei keine Aufforderung zur Beibringung einer MPU zugegangen; vielmehr sei deren Prozessbevollmächtigten lediglich die Rechtsauffassung der Antragsgegnerin mitgeteilt worden, wonach im vorliegenden Falle die Erstellung einer MPU in Betracht kommen könne. Die Ermittlungen dazu, ob eine MPU gefordert werde oder nicht, seien zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen, da man die entsprechenden Strafakten noch nicht habe einsehen können und weitere Ermittlungen noch nicht geführt worden seien, zumal noch geraume Zeit verbleibe, bevor überhaupt eine Neuerteilung der Fahrerlaubnis in Betracht komme. Zum jetzigen Zeitpunkt sei daher weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund für die begehrte einstweilige Anordnung gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Antragsgegnerin verwiesen.


II.

Der zur Entscheidung gestellte Antrag hat keinen Erfolg, denn die Antragstellerin begehrt der Sache nach die Vorwegnahme der Hauptsache, ohne dass die erforderlichen besonderen Voraussetzungen hierfür erfüllt sind.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht durch einstweilige Anordnung den vorläufigen Zustand in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis regeln, wenn dies zur Vermeidung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus sonstigen Gründen nötig erscheint. Entsprechend dem Zweck einer einstweiligen Anordnung kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen bzw. darf dem jeweiligen Antragsteller dadurch nicht bereits in vollem Umfang dasjenige gewähren, was er im Falle seines Obsiegens in der Hauptsache erreichen könnte. Eine in diesem Sinne grundsätzlich verbotene Vorwegnahme der Hauptsache liegt jedenfalls dann vor, wenn die Entscheidung und ihre Folgen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nach der Hauptsacheentscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten.
Vgl. Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 15. Aufl. 2007, § 123 RdNrn. 13 ff.
Ein solcher Fall ist hier gegeben, denn die auch nur vorläufige Erteilung der begehrten Fahrerlaubnis an die Antragstellerin würde, sofern die Bedenken an ihrer Kraftfahreignung sich im Nachhinein (im Hauptsacheverfahren) als gerechtfertigt herausstellten, durch deren zwischenzeitliche Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr mit Kraftfahrzeugen zu einer Gefährdung von Rechtsgütern anderer Verkehrsteilnehmer führen, deren eventuelle Folgen (Schäden) nicht rückgängig gemacht werden könnten. In Einklang hiermit sieht das Fahrerlaubnisrecht bei Bedenken gegen die Kraftfahreignung keine materiell-rechtliche Grundlage für die vorläufige Erteilung einer Fahrerlaubnis vor. Vielmehr muss die uneingeschränkte oder zumindest bedingte Eignung feststehen, bevor die Fahrerlaubnis - vorbehaltlich weiterer Erfordernisse - uneingeschränkt bzw. mit Beschränkungen oder Auflagen erteilt wird (§ 2 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 4 StVG).

Eine Ausnahme vom somit hier geltenden Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache ist allerdings möglich, wenn auf andere Weise kein effektiver Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) gewährleistet werden kann. Dies ist für die Fälle anerkannt, in welchen die andernfalls für den Antragsteller zu erwartenden Nachteile unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht (mehr) zu beseitigen wären und überdies ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht.
Vgl. Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 15. Aufl. 2007, § 123 Rdnr. 14 sowie den Beschluss des OVG des Saarlandes vom 7.11.1996, 9 W 29/96, ZfS 1997, 117, zitiert nach juris
Angesichts der oben dargestellten, zur Gewährleistung der Sicherheit des Straßenverkehrs gebotenen materiellen-rechtlichen Vorgaben des Fahrerlaubnisrechts ist im Hinblick auf die Erfolgsaussicht in der Hauptsache darüber hinaus zu fordern, dass zumindest hinsichtlich der Beurteilung der Kraftfahreignung eine andere als die mit der einstweiligen Anordnung vorläufig erstrebte Entscheidung auch in der Hauptsache ausgeschlossen erscheint bzw. diesbezüglich eine an Sicherheit grenzende Aussicht auf Erfolg besteht.
In diesem Sinne die Kammer bereits in ihrem Beschluss vom 6.6.2007, 10 L 480/07
Im Falle der Antragstellerin kann bereits nicht festgestellt werden, dass die von ihr begehrte einstweilige Anordnung zum jetzigen Zeitpunkt erforderlich ist, um effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) zu gewährleisten, denn ihr andernfalls drohende unzumutbare Nachteile sind nicht zu erkennen. Dazu muss zunächst gesehen werden, dass nach dem Vortrag der Antragsgegnerin zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht feststeht, ob von der Antragstellerin eine MPU gefordert wird und mit welchem Ergebnis über ihren Antrag auf Erteilung der Fahrerlaubnis für die Klassen B und BE entschieden wird. Mit anderen Worten erscheint es derzeit möglich, dass die Antragsgegnerin nach Überprüfung des Sachverhalts die begehrte Fahrerlaubnis auch ohne Anforderung einer MPU erteilt. Jedenfalls wir die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer diesbezüglichen Überprüfung des der strafrechtlichen Verurteilung der Antragstellerin zugrunde liegenden Sachverhalts, wie er sich aus den Akten des betreffenden Strafverfahrens ergibt, die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes in dessen Beschluss vom 27.07.2006 (Az.: 1 W 33/06) zu berücksichtigen haben; danach hat in Fällen der vorliegenden Art, speziell bei einem nur einmaligen Fehlverhalten, eine eingehende Einzelfallprüfung unter Beachtung der vom Oberverwaltungsgericht herausgearbeiteten Gesichtspunkte zu erfolgen und ist die Anordnung zur Beibringung eines MPU-Gutachtens dann entsprechend zu begründen. Kann die Antragstellerin somit nach derzeitiger Erkenntnis lediglich - wie geschehen - geltend machen, dass sie weiterhin bzw. bis auf weiteres zur Bewältigung ihres Arbeitsweges auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen und dies mit Erschwernissen bzw. einem großen Zeitaufwand verbunden ist. Darin vermag die Kammer indes keinen unzumutbaren Nachteil im oben dargelegten Sinne zu erkennen. Vielmehr ist es der Antragstellerin zumutbar, die Entscheidung der Antragsgegnerin abzuwarten. Ab welcher Dauer des Verfahrens ein weiteres Zuwarten für die Antragstellerin unzumutbar werden könnte, braucht die Kammer vorliegend nicht zu entscheiden. Insoweit liefert die Vorschrift des § 75 VwGO jedenfalls Anhaltspunkte, wobei hier zu berücksichtigen ist, dass die Antragstellerin ihren Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis recht frühzeitig, und zwar am 12.3.2009, gestellt hat und eine Neuerteilung erst nach bzw. seit Ablauf der Sperrfrist am 29.5.2009 in Betracht kommen kann.

Es besteht somit vorliegend kein hinreichender Grund für die mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrte Vorwegnahme der Hauptsache.

Im Übrigen spricht nach Ansicht der Kammer vieles dafür, dass der Antrag wegen der Regelung des § 44a Satz 1 VwGO unzulässig sein dürfte. Nach der genannten Vorschrift können bzw. dürfen Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Wie die Antragstellerin selbst ausweislich der Begründung ihres Antragsschriftsatzes erkennt, handelt es sich bei der Anordnung zur Beibringung eines MPU-Gutachtens um eine vorbereitende Maßnahme, die der Sachverhaltsaufklärung im Hinblick auf die später zu treffende Entscheidung über die Erteilung der Fahrerlaubnis dient und somit nicht alleine bzw. isoliert Gegenstand eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sein kann, sondern nur im Rahmen des Rechtsbehelfs gegen die Sachentscheidung inzident überprüft wird.
Vgl. dazu nur den Beschluss des BVerwG vom 17.5.1994, 11 B 157/93, DAR 1994, 372 = ZfS 1994, 432 = Buchholz 442.16 § 15b StVZO Nr. 23, zitiert nach juris
Vorliegend zielt die Antragstellerin mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zwar nicht unmittelbar auf die Unterlassung der betreffenden Verfahrenshandlung (Anordnung zur Beibringung eines MPU-Gutachtens), sondern erstrebt eine Entscheidung in der Sache selbst. Betrachtet man daher lediglich ihr ausdrücklich formuliertes Rechtsschutzziel, so ergibt sich daraus allein noch keine Unzulässigkeit des Antrages wegen § 44a Satz 1 VwGO.
Vgl. dazu Bader, Funke-Kaiser, Kuntze, von Albedyll, VwGO, Kommentar, 4. Aufl. 09/07, § 44a Rdnr. 6, zitiert nach juris; ferner: Finklenburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl. 2008, Rdnr. 60
In Verbindung mit der Begründung ihres Antrages ist jedoch ersichtlich, dass die Antragstellerin ihres Erachtens alle Voraussetzungen für die Erteilung der von ihr begehrten Fahrerlaubnis erfüllt und es ihr in der Sache nur noch darum geht, die von der Antragsgegnerin in Betracht gezogene bzw. - je nach Standpunkt - angeforderte MPU-Begutachtung zu vermeiden bzw. die Fahrerlaubnis ohne das Erfordernis eines positiven MPU-Gutachtens zu erlangen. Angesichts dessen hält die Kammer es für durchaus gerechtfertigt, diesen Fall eines verdeckten Rechtsschutzbegehrens gegen eine unselbstständige Verfahrenshandlung ebenfalls als unzulässig gemäß § 44a Satz 1 VwGO zu behandeln. Zumindest aber bestätigen diese Überlegungen die obigen Ausführungen zur Vorwegnahme der Hauptsache, denn die Vorschrift des § 44a Satz 1 VwGO soll auch im Zusammenhang mit § 123 VwGO verhindern, das Gerichtsverfahren den Abschluss von Verwaltungsverfahren verzögern und erschweren sowie die Gerichte mit Streitfällen befasst werden, in denen die zu Grunde liegenden Verwaltungsverfahren noch nicht abgeschlossen sind und damit noch nicht feststeht, ob überhaupt Betroffene durch das Verfahrensergebnis in der Sache beschwert bzw. ihren Rechten verletzt werden.
Vgl. dazu erneut: Finklenburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl. 2008, Rdnr. 60
Der Antrag hat nach alledem keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.