Das Verkehrslexikon
OLG Brandenburg Beschluss vom 10.06.2009 - 2 Ss 17/09 - Kein sicherer Schluss auf vorsätzliche Trunkenheitsfahrt allein aus der Blutalkoholkonzentration
OLG Brandenburg v. 10.06.2009: Kein sicherer Schluss auf vorsätzliche Trunkenheitsfahrt allein aus der Blutalkoholkonzentration
Das OLG Brandenburg (Beschluss vom 10.06.2009 - 2 Ss 17/09) hat entschieden:
Bei der Trunkenheit im Verkehr kann die Annahme einer vorsätzlichen Tat nicht allein auf die Höhe der Blutalkoholkonzentration gestützt werden.
Siehe auch Schuldform - Vorsatz und Fahrlässigkeit bei Alkoholtaten und Siehe auch Stichwörter zum Thema Alkohol
Gründe:
I.
Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 6. Mai 2008 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 34,00 €. Weiterhin wurde der Führerschein des Angeklagten eingezogen, seine Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis von 6 Monaten ausgesprochen. Die dagegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht mit dem angefochtenen Urteil mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte einer vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt schuldig sei. Das Urteil enthält die folgenden Feststellungen:
„Am Samstag, den 12.01.2008 befuhr der Angeklagte mit seinem PKW Audi, amtliches Kennzeichen: B-CC 4451, die Bundesstraße 1. Gegen 0.10 Uhr befuhr der Angeklagte, obwohl er zuvor erhebliche Mengen Alkohol getrunken hatte und daher eine Fahruntüchtigkeit in Kauf nahm, die Ortslage Herzfelde, wo er wegen unangepasster Geschwindigkeit kontrolliert wurde.
Die bei dem Angeklagten um 01.20 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,37 mg/g. Der 188 cm große und 80 kg schwere Angeklagte hatte bei mittlerer Konstitution zum Zeitpunkt der ärztlichen Untersuchung Ausfallerscheinungen. Untersuchung des blutabnehmenden Arztes Dr. S. war sein Gang schleppend bei unsicherer Kehrtwendung. Der Drehnystagmus war bei kleiner Auslenkung feinschlägig und sein Augenzucken größer als 10 Sekunden. Seine Skleren waren gerötet und sein Bewusstsein benommen. Insgesamt war seine Stimmung bei verlangsamtem Denkablauf schwerfällig und stumpf. Zugleich konnte er bei deutlicher Sprache die „Finger-Finger“ und „Nasen-Finger“-Probe sicher bewältigen. Nach Einschätzung des Arztes stand er deutlich unter Alkoholeinfluss. Bei der Tat war der Angeklagte in seiner Schuldfähigkeit nicht aufgehoben, jedoch vermindert.“
Zur rechtlichen Würdigung enthält das Urteil die folgenden Ausführungen:
„Die Kammer ist zu der Überzeugung gekommen, dass die hohe Alkoholkonzentration im Blut des Angeklagten und die damit verbundene Kenntnis von den genossenen Alkoholmengen und Arten bei ihm zu dem Bewusstsein geführt hat, dass er bei Fahrtantritt jedenfalls die Möglichkeit einer Fahruntüchtigkeit in Kauf genommen haben muss.
Die bei ihm um 01.20 Uhr festgestellte Blutalkoholkonzentration von 2,37 ‰ ergibt nach der Widmarkformel (Tröndle/Fischer StGB, 54. Aufl. § 20 Rn. 14) unter Berücksichtigung einer Körpergröße von 188 cm und einem Gewicht von 80 kg bei einem Reduktionsfaktor von 0,76 eine Alkoholdosis bei einer Trinkzeit von 1 Stunde von Minimal 166 g bis Maximal 222, je nach Zugrundelegung des Resorptionsdefizites von 0,1 % bis 0,3 % und eines Abbauwertes von 0,1 ‰ bis 0,2 ‰. Bei einem Alkoholgehalt von Bier von 5 % (40 g/L), Wein von ca. 10 % (79 g/l) oder Schnaps von 38 % (300 g/l) müssten damit minimal 4,1 l Bier, ca. 2,1 l Wein oder ca. 0,5 l Schnaps binnen 1 Std. getrunken worden sein. Bei längerer Trinkdauer – auch mit Unterbrechungen – entsprechend höhere Mengen. Jedem Erwachsenen, jedenfalls jedem Absolventen einer Fahrschule, ist bekannt welche Wirkungen die Einnahme von Alkohol auf die Fahrtüchtigkeit entfaltet, insbesondere dass diese Mengen die Fahrtüchtigkeit erheblich beeinträchtigen. Insbesondere kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die erheblichen Mengen, die der Angeklagte gegebenenfalls mit Unterbrechungen und über den Tag verteilt, getrunken haben muss, bei dem Angeklagten das Wissen geschaffen hat, eben diese Mengen getrunken zu haben. Es gibt keine Veranlassung anzunehmen, dass der Angeklagte die Alkoholmengen unbewusst zu sich genommen hat. Auch die fortschreitenden Wirkung des Alkohols auf die Kritikfähigkeit bis zur Annahme verminderter Schuldfähigkeit führt nicht dazu, dass diese Kenntnis verloren geht, mag der Angeklagte auch oder wieder annehmen zu wollen das Gefühl zu haben, noch oder wieder fahrtüchtig zu sein.
Bedingter Vorsatz ist anzunehmen, wenn der Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkannt wird, wenn die Verwirklichung des Tatbestandes billigend in Kauf genommen wird oder sich auch nur damit abgefunden wird, auch wenn gehofft wird, dass der Erfolg nicht eintritt. Bei bewusster Fahrlässigkeit hingegen ist der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandverwirklichung nicht einverstanden und vertraut darauf, dass der Erfolg nicht eintreten wird.
Der Angeklagte hat hier in Kenntnis des Wissens um die von ihm konsumierten Alkoholmengen und damit in Kenntnis eines jedenfalls möglichen Erfolgseintritts gehandelt und sich bei Fahrtantritt damit jedenfalls abgefunden. Eine bewusste Fahrlässigkeit mit der ernsthaften Hoffnung, dass der Erfolg nicht eintritt, kann bei diesen Mengen nicht angenommen werden.
Hier kommt zudem hinzu, dass es sich bei dem Angeklagten als Servicetechniker um einen intelligenten Mann mit entsprechenden Fähigkeiten zur Selbsteinschätzung handeln muss. Auch wurde er kurz nach Mitternacht kontrolliert, was die Vermutung nahe legt, dass der Alkoholkonsum am zuvor, einem Freitag, stattgefunden hat. Sollte er jedoch diese erheblichen Mengen im Verlauf des Vorabends zu sich genommen haben spricht bereits der kurze Zeitraum dafür, dass ein Verlust dieses Wissens nicht eingetreten sein kann. Aber auch die Annahme, er habe über den Tag verteilt, etwa weil er seiner Arbeit nicht nach nachgegangen ist, dann jedoch noch erheblich höhere Mengen zu sich genommen haben, kann nicht dazu führen, dass er sich im Sinne einer bewussten Fahrlässigkeit fahrtüchtig „gefühlt“ haben kann. Denn gerade wenn er entweder über den gesamten Tat verteilt getrunken oder mit einer Unterbrechung getrunken hat, kann er nicht ernsthaft darauf vertraut haben, fahrtüchtig zu sein.“
Hiergegen richtet sich die in jeweils zulässiger Weise eingelegte und begründete Revision des Angeklagten, der die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
II.
Das Rechtsmittel des Angeklagten ist begründet. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr nicht.
Das Landgericht hat – wie die im Urteil wiedergegebene rechtliche Würdigung zeigt – die Annahme einer vorsätzlichen Tat allein auf die Höhe der Blutalkoholkonzentration des Angeklagten bei der Trunkenheitsfahrt gestützt. Dies ist nicht möglich. Aus der Blutalkoholkonzentration allein kann nicht ohne Hinzutreten weiterer Umstände auf vorsätzliches Handeln geschlossen werden ( BGH, DAR 1996, 175; VRS 65, 359; OLG Hamm, BA 44, 317; OLG Frankfurt, NJW 96, 1358; OLG Karlsruhe, NZV 99, 301; OLG Köln, DAR 99, 88; OLG Naumburg, BA 01, 457; OLG Saarbrücken, StraFo 01, 203; OLG Zweibrücken, ZfS 01, 334, Fischer, StGB, 56. Aufl., § 316 Rdnr. 46 m.w.N.; a.A. wohl OLG Koblenz StraFo 01, 220, das einem hohen Alkoholisierungsgrad eine Indizwirkung zuspricht, die bei Nichtvorliegen entlastender Umstände für die Verurteilung wegen einer Vorsatztat genügen soll). Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass derjenige, der in erheblichen Mengen Alkohol getrunken hat, seine Fahruntüchtigkeit erkennt. Mit steigender Alkoholisierung verringert sich auch die Erkenntnis- und Kritikfähigkeit, sodass die Fähigkeit, die eigene Fahruntüchtigkeit zu erkennen, in einer zwar den Vorwurf der Fahrlässigkeit begründenden, jedoch den Vorsatz ausschließenden Weise beeinträchtigt sein kann (Senat vom 29. Juni 1999 – 2 Ss 38/99 – und vom 23. November 1995 – 2 Ss 51/95 –). Um auf eine vorsätzliche Begehungsweise schließen zu können, müssen weitere darauf hinweisende Umstände hinzutreten. Dabei kommt es auf die vom Tatgericht näher festzustellende Erkenntnisfähigkeit des Fahrzeugführers bei Fahrtantritt an. Erforderlich ist die Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Täterpersönlichkeit, des Trinkverlaufs wie auch dessen Zusammenhang mit dem Fahrtantritt sowie das Verhalten des Täters während und nach der Fahrt (OLG Hamm, a.a.O.).
Der Senat hat sich wiederholt zu dieser Frage geäußert und stets im Sinne der vorgenannten, ganz überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung entschieden (Senat vom 13. November 2008 – 2 Ss 66/08–, vom 8. April 2008 – 2 Ss 27/08–, vom 8. Januar 2002 – 2 Ss 60/01–, vom 30. Mai 2000 – 2 Ss 39/00–, vom 15. Februar 2000 – 2 Ss 4/00–, vom 29. Juni 1999 – 2 Ss 38/99 – sowie vom 23. November 1995 – 2 Ss 51/95 –). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest.
Die Argumentation des Landgerichts, die im Wesentlichen auf der Rückrechnung von der Blutalkoholkonzentration des Angeklagten auf Art und Menge der von ihm – möglicherweise – konsumierten alkoholischen Getränke beruht, ist nicht schlüssig. Zwar ist auch der Senat der Auffassung, dass derjenige, der eine Stunde vor Fahrtantritt mehr als vier Liter Bier trinkt, seine daraus resultierende Fahruntüchtigkeit zumindest billigend in Kauf nimmt. Gleiches gelte für denjenigen, der mehr als zwei Liter Wein oder einen halben Liter Schnaps trinkt. Der Schwachpunkt dieser Argumentation ist aber, dass das Landgericht über den Zeitpunkt der Alkoholaufnahme und die Art und Menge der genossenen alkoholischen Getränke gerade keine Feststellungen getroffen hat. Die diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichts sind bloße Vermutungen. Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass auch andere Geschehensabläufe denkbar sind, die nicht ohne weiteres den Schluss auf ein zumindest bedingt vorsätzliches Handeln des Angeklagten zulassen. So ist es ebenso möglich, dass der Angeklagte auf einer privaten Feier alkoholische Mixgetränke konsumiert hat, deren Alkoholgehalt er nicht kannte. Ebenso ist es möglich, dass der Angeklagte nach Beendigung der Alkoholaufnahme einige Stunden geschlafen und sich dann vor Fahrtantritt keine Gedanken über seine alkoholische Beeinflussung gemacht hatte.