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Landgericht Berlin Urteil vom 05.02.2009 - 17 O 293/08 - Zum Anscheinsbeweis beim Abbiegen nach rechts bei fehlender Vorfahrtregelung

LG Berlin v. 05.02.2009: Zum Anscheinsbeweis beim Abbiegen nach rechts bei fehlender Vorfahrtregelung


Das Landgericht Berlin (Urteil vom 05.02.2009 - 17 O 293/08) hat entschieden:
Wer nach rechts in eine gleichberechtigte Straße abbiegen will, muss rechtzeitig durch sein Fahrverhalten, insbesondere durch mäßige Geschwindigkeit erkennen lassen, dass er warten wird. Er darf nur weiterfahren, wenn er übersehen konnte, dass er den ihm aus der anderen Straße Entgegenkommenden, der die Vorfahrt hat, weder gefährdete noch wesentlich behindert. Kann er das nicht übersehen, weil die Straßenstelle unübersichtlich war, so darf er sich nur vorsichtig in die Einmündung hineintasten, bis er die Übersicht hat. Im Fall eines Zusammenstoßes spricht gegen ihn der Beweis des ersten Anscheins. Kann er diesen nicht widerlegen, haftet er voll.


Tatbestand:

Der Kläger macht Schadensersatz geltend nach einem Verkehrsunfall, der sich am 15.6.2008 um 15.55 Uhr in einer 30-km-Zone an der Einmündung des B..weges in den S.. Weg zwischen seinem Audi A 4 ... und dem von dem Beklagten zu 1), von dem Beklagten zu 2) geführten und bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Pkw ... ereignete, der anschließend gegen einen rechts geparkten Pkw ... stieß. Wegen der Einzelheiten der Unfallstelle wird auf die Satellitenbilder in der Anlage B 1 (= Bl. 55 d.A.) und in der Anlage zum Protokoll (Bl. 60 d.A.) Bezug genommen.

Der wartepflichtige Kläger bog aus dem B...weg nach rechts in den beidseitig beparkten S... Weg ein, hielt und kollidierte mit dem von rechts kommenden Beklagtenfahrzeug, jeweils an der linken Ecke. Bei dem Beklagten zu 2) wurde eine Blutalkoholkonzentration von 0,28 Promille festgestellt.

Der Kläger verlangt nach Einholung eines Gutachtens des … vom 27.6.2008 den Ersatz folgenden teilweise streitigen Schadens:

Reparaturkosten netto 4.149,25 €
Wertminderung 250,00 €
Nutzungsausfall 400,00 €
Kostenpauschale 25,00 €
zusammen 4.824,25 €


sowie im Wege der Freistellung

Sachverständigenkosten 702,34 €


und Zahlung von
Rechtsanwaltskosten 546,69 €


Mit Schreiben vom 15.9.2008 forderte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte zu 3) zur Zahlung bis zum 26.9.2008 auf.

Der Kläger behauptet: Er habe seinen Abbiegevorgang beendet. Sein Fahrzeug habe sich vollständig in Fahrtrichtung auf der rechten Fahrbahnseite befunden. Das Beklagtenfahrzeug sei auf der Fahrbahnmitte mit 60 km/h gefahren. Bei der Durchfahrbreite von 4,80 m sei links von seinem Fahrzeug noch ausreichend Platz gewesen, um an ihm vorbeizufahren. Er habe die Schäden entsprechend der Reparaturbestätigung vom 26.1.2009 (Anlage K 3 = Bl. 63 d.A.) repariert.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
  1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 4.824,25 € nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.9.2008 zu zahlen,

  2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihn in Höhe von 702,34 € gegenüber dem Kfz-Sachverständigenbüro … freizustellen,

  3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn weitere 546,69 € nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (6.1.2009) zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten: Das Klägerfahrzeug habe in einem Winkel von 45 Grad gestanden. Der Beklagte zu 2) sei mit 30 km/h gefahren und habe trotz einer Gefahrenbremsung den Zusammenstoß nicht mehr verhindern können.

Die Tatbestandsaunahme der Polizei – ... – hat informationshalber vorgelegen (Bl. 46 – 48 d.A.) und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Das Gericht hat zum Unfallhergang Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen ... und ... . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 5.2.2009 Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner keinen Schadensersatzanspruch aus §§ 7, 18 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB, § 115 VVG.

Bei der nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG gebotenen Abwägung tritt hinter der durch das Verschulden des Klägers erhöhten Betriebsgefahr seines Fahrzeugs die einfache Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs zurück (vgl. KG NZV 2002, 79). Dem Kläger ist nicht gelungen, den gegen ihn als Wartepflichtigen sprechenden Beweis des ersten Anscheins (vgl. Hentschel/ König/Dauer, 40. Aufl. Straßenverkehrsrecht, StVO § 8 Rn. 68) zu widerlegen oder zu erschüttern.

Der Kläger war an der Einmündung gegenüber dem Beklagten zu 2), der von rechts kam, nach § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO wartepflichtig. Er hätte rechtzeitig durch sein Fahrverhalten, insbesondere durch mäßige Geschwindigkeit erkennen lassen müssen, dass er warten wird (8 Abs. 2 Satz 1 StVO). Er durfte nur weiterfahren, wenn er übersehen konnte, dass er den Beklagten zu 2), der die Vorfahrt hatte, weder gefährdete, noch wesentlich behinderte (Satz 2). Konnte er das nicht übersehen, weil die Straßenstelle unübersichtlich war, so durfte er sich nur vorsichtig in die Einmündung hineintasten, bis er die Übersicht hatte (Satz 3).

Hier behauptet der Kläger schon nicht einmal, sich vorgetastet zu haben, indem er zentimeterweise bis zum Übersichtspunkt vorgerollt ist mit der Möglichkeit, sofort anzuhalten (vgl. BGH NJW 1985, 2757, 2758; KG NZV 2006, 369). Dass sich der Unfall noch im Zuge des nicht beendeten Abbiegens ereignet hat, ergibt sich schon aus der Aussage des vom Kläger benannten Zeugen … anhand einer Zeichnung in das zweite Satellitenbild, auch beim Unfall sei ihr Auto noch in Schrägstellung gewesen. Aber auch, wenn sich das Klägerfahrzeug bereits vollständig in Fahrtrichtung befunden hätte, wäre dadurch der zeitliche und örtliche Zusammenhang mit dem Abbiegen nicht ausgeschlossen gewesen.

Dem Beklagten zu 2) ist kein Mitverschulden anzulasten, unter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO zu weit links gefahren oder mit 60 km/h unter Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h gefahren zu sein.

Insoweit waren die von dem Kläger angebotenen Beweise nicht ergiebig. Die Zeugin … hat das Beklagtenfahrzeug vor dem Unfall nicht gesehen. Der Zeuge …, der bekundet hat, das Beklagtenfahrzeug sei mit erhöhter Geschwindigkeit mittig gefahren, konnte nicht angeben, welchen Abstand dieses und sie zu den jeweils geparkten Fahrzeugen hatten. Bei der vom Kläger behaupteten Durchfahrbreite von 4.80 m, einem Sicherheitsabstand von jeweils 1 m zu den geparkten Fahrzeugen verblieben dann nur noch 2,80 m, die bei einer Breite der Fahrzeuge der Parteien von jedenfalls mehr als 1,40 m nicht für ein Aneinandervorbeifahren ausgereicht hätten. Die Geschwindigkeit von 60 km/h hat der Zeuge mit seiner pauschalen Beschreibung einer überhöhten Geschwindigkeit nicht bestätigt. Der Kläger hat sich für diese behauptete Geschwindigkeit auch nicht etwa auf ein Unfallrekonstruktionsgutachten berufen.

Schließlich ist dem Beklagten zu 2) bezogen auf den streitgegenständlichen Unfall auch nicht vorzuwerfen, mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,28 Promille gefahren zu sein. Diese unter 0,3 Promille liegende Alkoholisierung, die nicht einmal zu einer relativen Fahrunsicherheit führt (vgl. Hentschel/König/Dauer, a.a.O., StGB, § 316 Rn. 23), war nicht kausal für den Unfall. Anhaltspunkte sind weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Beklagte zu 2) bei Nüchternheit unfallverhütend hätte reagieren können.

Die Entscheidung zu den Kosten folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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