Das Verkehrslexikon

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Verwaltungsgericht Freiburg Beschluss vom 07.09.2009 - 1 K 1209/0 - Zur Notwendigkeit einer praktischen Fahrprüfung bei behandlungsbedürftigen Schlafstörungen

VG Freiburg v. 07.09.2009: Zur Notwendigkeit einer praktischen Fahrprüfung bei behandlungsbedürftigen Schlafstörungen


Das Verwaltungsgericht Freiburg (Beschluss vom 07.09.2009 - 1 K 1209/09) hat entschieden:
Zur Feststellung der Fahreignung eines an Schlafapnoe leidenden Fahrerlaubnisinhabers ist vorab eine praktische Fahrprüfung erforderlich. Erst bei Feststellung bedingter Fahreignung können zusätzliche Auflagen zur Aufrechterhaltung der Fahreignung erlassen werden.


Siehe auch Fahreignung als Voraussetzung für die Erteilung bzw. Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis undKrankheiten und Fahrerlaubnis


Gründe:

1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig. Er richtet sich gegen die Entscheidung des Landratsamts Schwarzwald-Baar-Kreis vom 21.7.2009, soweit dort die Auflage zu 1. betroffen ist. Darin ist der am 18.4.1931 geborene Antragsteller als Inhaber der Fahrerlaubnisklasse B. zur Durchführung einer praktischen Fahreignungsprüfung durch einen amtlich anerkannten Sachverständigen verpflichtet worden. Den Auftrag für die Prüfung hat das Landratsamt bereits an den TÜV Villingen übersandt und den Antragsteller aufgefordert, einen Termin zu vereinbaren sowie die Bestätigung der abgelegten Prüfung bis zum 31.8.2009 vorzulegen. Dieser Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde gehen mehrere ärztliche Untersuchungen des Antragstellers voran, u.a. im Mai 2009 in einem schlafmedizinischen Labor. Dabei ist ein überwiegend zentrales (obstruktives) Schlafapnoe Syndrom (SAS) mit teilweise Cheyne-Stockes-Atmung diagnostiziert worden. Im Anschluss an ein (weitere externe medizinische Befunde zugrunde legendes) amtsärztliches Zeugnis des Gesundheitsamts Schwarzwald-Baar-Kreis vom 17.6.2009 in Gestalt dessen ergänzender Stellungnahme vom 20.7.2009 hat das Landratsamt schließlich neben der bereits oben genannten Auflage in seiner Entscheidung vom 21.7.2009 zwei weitere Auflagen verfügt (Auflage 2.: Kontrolle der eingeleiteten Schlafapnoe-Therapie spätestens September 2009 sowie Befolgung der Therapie- und Kontrollanweisungen des Schlaflabors; Auflage 3.: Jährliche Nachuntersuchungen durch einen Arzt des Gesundheitsamts unter Vorlage aller zwischenzeitlich erhobenen Befunde).

Der Antragsteller hat seinen Widerspruch vom 28.7.2009 ausschließlich gegen die Auflage zu 1. (praktische Fahrprüfung) gerichtet.

2. Der Antrag ist begründet. Das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt das öffentliche Sofortvollzugsinteresse, weil die angefochtene Auflage sehr wahrscheinlich rechtswidrig ist. Das Landratsamt hat die Maßnahme auf § 46 Abs. 2 Satz 1 FeV (i.V.m. § 2 Abs. 4 Satz 2 StVG und § 23 Abs. 2 FeV) gestützt. Danach schränkt die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis soweit wie notwendig ein oder ordnet die erforderlichen Auflagen an, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis noch als bedingt geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Diese Voraussetzungen dürften beim Antragsteller aber gerade (noch) nicht vorliegen. Vielmehr ergibt sich aus dem gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 FeV angeforderten amtsärztlichen Gutachten vom 17.6.2009 (in Gestalt der Ergänzung vom 20.7.2009) eindeutig, dass von einer bedingten Eignung des Antragstellers erst dann ausgegangen werden kann, wenn er sich einer praktischen Fahreignungsprüfung unterzogen hat und deren Ergebnis positiv ist. Voraussetzung für eine Auflage nach § 46 Abs. 2 FeV wäre hingegen gewesen, dass der Antragsteller im Anschluss an die Sachverhaltsermittlung bzw. Begutachtung bereits als wenigstens bedingt geeignet anzusehen ist. Erst daran anknüpfend wären Auflagen oder Beschränkungen in Betracht gekommen, bei deren Beachtung eine ordnungsgemäße Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr sichergestellt ist (Bay. VGH, Beschl.v. 30.6.2005 – 11 CS 05 888 – juris; VGH Bad.-Württ., VGH Bad.-Württ., Beschl.v. 14.10.1996 – 10 S 321/96 –, NZV 1997, 199; Urt.v. 28.2.1989 – 10 S 2302/87 – NZV 1989, 315; Saarl. VG, Beschl.v. 2.4.2009 – 10 L 121/09 – juris; VG München, Beschl.v. 26.9.2007 – M 1 S 07.3224 – juris; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, § 23 FeV, RdNrn. 3 ff.; Weigelt/Buchholtz/Preusser , NZV 1991, 55 [58]).

3. Entsprechend bestimmt § 46 Abs. 2 Satz 3 FeV, dass u.a. die Anlage 4 zur FeV zu berücksichtigen ist. Diese Anlage sieht in ihrer Nr. 11.2.2 bei (wie hier) behandelten Schlafstörungen mit Tagesschläfrigkeit (nur) regelmäßige Kontrollen dieser Tagesschläfrigkeit vor, setzt aber hierfür eine festgestellte bedingte Eignung voraus (vgl. auch Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 2. Aufl. 2005, S. 110: Zu fordern ist der Nachweis einer erfolgreichen Therapieeinleitung in einem schlafmedizinischen Labor und die regelmäßige Kontrolle dieser Therapie). Derartige Kontrollauflagen dienen mithin ausschließlich der Festigung und Sicherung der wiedererlangten Fahreignung und sind fahreignungserhaltend, nicht aber fahreignungsbegründend (Bay. VGH., Beschl.v. 30.6.2005, a.a.O.).

4. Auf der Grundlage des amtsärztlichen Gutachtens hätte das Landratsamt folglich zunächst das Ziel verfolgen müssen, mit der Anordnung einer praktischen Fahreignungsprüfung den noch vorhandenen konkreten Bedenken an der Kraftfahreignung des Antragstellers nachzugehen. Rechtsgrundlage hierfür aber ist ausschließlich § 11 Abs. 4 Nr. 1 FeV (in diesem Sinne auch VG Augsburg, Beschl.v. 5.10.2001 – Au 3 S 01.1247 – juris). Dass das Gesundheitsamt die Fahreignungsbegutachtung durch einen amtlich anerkannten Sachverständigen zusätzlich für erforderlich hält, dürfte allerdings sehr wahrscheinlich nicht zu beanstanden sein. Seine Auffassung, das Bestehen dieser Prüfung sei Grundvoraussetzung, da sie eine praxisbezogene Überprüfung der Aufmerksamkeitsleistung im Straßenverkehr und ferner eine sinnvolle Ergänzung zur Stellungnahme des Neurologen betreffend die Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsleistung in der artifiziellen Testsituation in der Arztpraxis darstelle, ist angesichts der Relevanz des Schlafapnoe-Syndroms für den Straßenverkehr nicht zu beanstanden. Bei Patienten mit schlafbezogenen Atmungsstörungen (Atemstillstände im Schlaf, sog. Schlafapnoe-Syndrom) und dadurch verursachten Vigilanz-(Wachsamkeits-)beeinträchtigungen konnte in neueren Untersuchungen die Abnahme der Aufmerksamkeit bei schwer ausgeprägtem Krankheitsbild sowie bei allen Patienten mit unterschiedlichem Schweregrad der Erkrankung eine Abnahme der Aufnahmefähigkeit und damit der Lernfähigkeit und konsekutiv eine Minderung des Vermögens von Planung und Problemlösung nachgewiesen werden. Verbunden war dies mit Abnahme der Fähigkeit, automatische Prozesse zu unterdrücken, in Verbindung mit der Neigung, schon begangene Fehler zu wiederholen. Untersuchungen an Fahrsimulatoren bestätigen die Einschränkung des Fahrvermögens bei Patienten mit obstruktiver Schlafapnoe hinsichtlich Steuern, Signalgeben, Bremsen, Beschleunigen und bei der Geschwindigkeitsanpassung. Auch hier zeigt sich die deutlich höhere Fehlerquote bei Patienten mit Schlafapnoe-Syndrom (Böhning , NZV 1997, 142 [145 ff.]).

5. Eine Aufrechterhaltung der Auflage bzw. ihre Umdeutung mit der Folge, dass die Maßnahme des Landratsamts gleichwohl rechtmäßig wäre, scheidet vorliegend aus. Für einen der Sofortvollzugsanordnung zugänglichen Verwaltungsakt liefert § 11 FeV keine Rechtsgrundlage. Überdies sind die Vorschriften des § 11 Abs. 4 FeV (Ermessensentscheidung) und des § 46 Abs. 2 FeV (gebundene Entscheidung) auch wesensverschieden. Bei seinem künftigen Vorgehen wird das Landratsamt damit auch das Verfahren bzw. die förmlichen Anforderungen in § 11 Abs. 6 FeV zu berücksichtigen haben. In der ordnungsgemäßen Anforderung eines Fahreignungsgutachtens ist dabei insbesondere die Fragestellung an den Gutachter zu formulieren. Auch dürfte dann erforderlich sein, dass die Behörde die vom Antragsteller eingeholten medizinischen Befunde des Augenarztes und des Neurologen (beide liegen bislang offensichtlich nur dem Gesundheitsamt vor) beizieht. Insbesondere aus der neurologischen Stellungnahme können wichtige Maßgaben für den Fahreignungsgutachter hervorgehen, die das Landratsamt als ausschließlich zur Entscheidung berufenen Stelle zu würdigen und in die Gutachtens-Anforderung bzw. -fragestellung einzuarbeiten hat.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG; ihr liegt der bei Fahrerlaubnisklasse B. maßgeblichen Auffangwert zu Grunde (Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs 2004), der für das vorläufige Rechtsschutzverfahren auf Grund der Vorwegnahme der Hauptsache hier nicht zu halbieren ist. Rechtsmittel gegen die Streitwertfestsetzung richten sich nach § 68 Abs. 1 GKG.