Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin Beschluss vom 02.06.2009 - 2 Ss 114/09-3 Ws (B) 264/09 - Zur Beweiswürdigung des Tatrichters bei standardisierten Messverfahren

KG Berlin v. 02.06.2009: Zur Entbehrlichkeit eines Sachverständigengutachtens bei einem standardisierten Messverfahren


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 02.06.2009 - 2 Ss 114/09-3 Ws (B) 264/09) hat entschieden:
Hat der Richter an der Richtigkeit eines durch ein standardisiertes Messverfahren gewonnenen Messergebnisse keine Zweifel, dann stellt es keinen Aufklärungsfehler dar, wenn er zu dem Messverfahren keinen technischen Sachverständigen gehört hat. Insbesondere gilt dies, wenn die Verteidigung keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat.


Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen § 41 Abs. 2 (zu ergänzen: Nr. 7 Zeichen 275), 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO nach § 24 StVG zu einer Geldbuße von 250,00 Euro verurteilt, nach § 25 Abs. 1 StVG ein Fahrverbot von einem Monat gegen ihn verhängt und gemäß § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt, hat keinen Erfolg.

1. Soweit die Rechtsbeschwerde mit der Sachrüge die dem Ausschluss einer Verwechselung des Fahrzeugs des Betroffenen mit einem anderen Pkw zugrunde liegende Beweiswürdigung des Amtsgerichts beanstandet, ist zu berücksichtigen, dass die Würdigung der Beweise allein Sache des Tatrichters ist und das Rechtsbeschwerdegericht nur zu prüfen hat, ob ihm hierbei Rechtsfehler unterlaufen sind. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung nur dann, wenn sie in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist. Dabei brauchen die Schlussfolgerungen des Tatrichters nicht zwingend zu sein; es genügt grundsätzlich, dass sie möglich sind und er von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Dabei muss er die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Erfahrungssätze des täglichen Lebens und die Gesetze der Logik beachten.

Um dem Rechtsbeschwerdegericht diese Nachprüfung zu ermöglichen, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht und dass die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen – wenn auch schwerwiegenden – Verdacht zu begründen vermag (vgl. Senat VRS 112, 293; Beschluss vom 10. März 2009 – 3 Ws (B) 50/09 – m.w.N.). Das Amtsgericht is – davon ausgegangen (UA S. 7), dass der Polizei hinsichtlich der Farbe des Fahrzeugs des Betroffenen ein „Aufnahmefehler“ unterlaufen oder durch entsprechenden Lichteinfall die Fahrzeugfarbe anders wahrgenommen worden sei. Trotz dieses Umstandes hatte das Amtsgericht jedoch aufgrund der von den beiden als Messposten eingesetzten Polizeibeamten unter Vorhalt der Messprotokolle zur Durchführung der Messung und zwar Beobachtung des angemessenen Fahrzeugs bis zum Stopp beim Anhalteposten unter Angaben zum abgelesenen polizeilichen Kennzeichen des Fahrzeugs gemachten Aussagen keine Zweifel an der Identität des angemessenen Pkw mit dem dann angehaltenen Pkw des Betroffenen.

Diese Beweiswürdigung lässt keine Rechtsfehler erkennen.

Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, dass die beiden Messposten sich an die einzelne Messung nicht mehr erinnern konnten. Denn ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 5) konnten sie Angaben zur Art ihres Einsatzes, dem angewandten Messverfahren und ihren Funktionsbereichen machen. Im Übrigen sind ihnen die von ihnen aufgenommenen Unterlagen vom Gericht vorgehalten worden und sie haben dafür die volle Verantwortung übernommen. Dies ist ausreichend und unterliegt der freien, hier nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung des Tatrichters (vgl. Senat VRS 115, 307; Beschluss vom 5. Januar 1998 – 3 Ws. (B) 660/97 – juris Rn. 12).

2. Soweit die Rechtsbeschwerde von der Unverwertbarkeit des Ergebnisses der Geschwindigkeitsmessung, die mit dem als standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung anerkannten Laser-Messgerät „Riegel FG 21-P“ (vgl. OLG Koblenz DAR 2006, 101; VG München, Urteil vom 12. März 2008 – M 7 K 07.3934 – juris Rn. 17) durchgeführt wurde, ausgeht, stellt sie urteilsfremd darauf ab, dass die Gebrauchsanweisung für dieses Gerät bei dem im Rahmen der Aufstellung des Geräts durchzuführenden Alignetest unter Einsatz einer Reflektorscheibe – wie vorliegend – dessen Anbringung an einem Last oder einer Wand vorschreibe. Denn das angefochtene Urteil enthält die ausdrückliche Feststellung (UA S. 8), dass die diesbezügliche Gebrauchsanweisung nicht verschreibe, in welcher Art und Weise der Reflektor beim Alignetest zu positionieren ist. Eine Heranziehung der der Rechtsbeschwerdeschrift zur Stützung der entgegenstehenden Behauptung beigefügten Auszüge aus der Gebrauchsanweisung ist dem Rechtsbeschwerdegericht verwehrt.

Es kann dahingestellt bleiben, ob – wovon die Generalstaatsanwaltschaft Berlin in ihrer Stellungnahme ausgeht – die insoweit von der Rechtsbeschwerde entgegen den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen aufgestellte Behauptung der Rechtsbeschwerde zum Erfolg verhelfen könnte, wenn die mit der Rechtsbeschwerde behauptete Tatsache wie auch die gesamte Bedienungsanleitung „amtsbekannt“, das heißt gerichtskundig wäre, denn dies ist nicht der Fall. Gerichtskundig sind Tatsachen, von deren Vorliegen das Gericht im Zusammenhang mit seiner amtlichen Tätigkeit, ohne Benutzung privater Informationsquellen, zuverlässige Kenntnis erlangt hat, worunter auch die von ihm in einem anderen Verfahren erlangte sichere Überzeugung von bestimmten Tatsachen oder über einen bestimmten Hergang gehören kann.

Dabei kann die Gerichtskundigkeit sich auch auf Feststellungen erstrecken, die in Entscheidungen anderer Richter getroffen worden sind, falls die eigene amtliche Tätigkeit Anlass gegeben hat, sich damit in prozessual zulässiger Weise zu befassen ( BGH StV 2000, 121 (122); KG JR 1956, 387; Fischer in KK, StPO 6. Aufl., § 244 Rn. 137). Da das Amtsgericht im Rahmen der Beweisaufnahme zwei Polizeibeamte zur Art und Weise der Durchführung der Geschwindigkeitsmessung vernommen und auch Beweis erhoben hat durch Einsichtnahme in Messprotokolle und diverse weitere Urkunden und durch deren Verlesung, die zugleich diesen Polizeibeamten vorgehalten und zum Gegenstand ihrer Aussage gemacht wurden (UA S. 5, 6), ist auch nicht ersichtlich, dass die diesbezüglich vom Amtsgericht getroffene Feststellung auf einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung beruhen würde. Ein diesbezüglicher Vorwurf ist von der Rechtsbeschwerde auch nicht erhoben worden, auch keine diesbezügliche Aufklärungsrüge.

3. Soweit mit der von der Rechtsbeschwerde erhobenen Aufklärungsrüge beanstandet wird, das Gericht habe es unterlassen, zur Frage der Verwertbarkeit der Messergebnisse einen technischen Sachverständigen zu hören, so ist diese Rüge – ihre ordnungsgemäße Erhebung entsprechend den sich aus §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Anforderungen unterstellt – zumindest unbegründet. Es ist nicht ersichtlich, dass das Tatgericht bei der Bewertung des aufgrund eines standardisierten Messverfahrens gewonnenen Ergebnisses Zweifel an der Richtigkeit der aufgrund der bisherigen Beweisaufnahme erlangten Überzeugung haben und deshalb die Möglichkeit zu weiterer Beweiserhebung durch Anhörung eines technischen Sachverständigen nutzen musste. Dabei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Verteidigerin des Betroffenen keinen Antrag auf Vernehmung des in der Hauptverhandlung anwesenden technischen Sachverständigen zu der nunmehr von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Frage gestellt hat. Denn was sich dem Verteidiger an entlastenden Behauptungen und Beweismitteln nicht aufdrängt, das braucht sich im Allgemeinen dem Tatrichter erst recht nicht aufzudrängen (vgl. BGH bei Holtz, MDR 1985, 629; OLG Koblenz LRE 12, 5. 114 (115) und VRS 42, 278 (279); KG VRS 21, 64; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl., § 244 Rn. 348; Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozess, 5. Aufl., S. 25 f.)

4. Die Annahme einer vorsätzlichen Verkehrsordnungswidrigkeit durch das Amtsgericht begegnet aus den im Urteil zutreffend dargelegten Gründen (UA S. 8) nach der dort zitierten ständigen Rechtsprechung des Senats keinen Bedenken, selbst wenn der Betroffene noch von einem anderen Fahrzeug überholt wurde und es sich bei der von ihm befahrenen Straße – wie von der Rechtsbeschwerde behauptet, jedoch im Urteil nicht festgestellt – um eine breit angelegte, mehrspurige Ausfallstraße gehandelt haben sollte.

5. Die im Hinblick auf die Vorbelastungen des Betroffenen, darunter eine einschlägige wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, und sein vorsätzliches Handeln erfolgte deutliche Erhöhung der Regelgeldbuße ist nicht zu beanstanden.

Dabei kam es entgegen dem Vorbringen der Rechtsbeschwerde auch nicht auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen an, da es sich bei der verhängten Geldbuße von 250,00 Euro noch um den Bereich einer geringfügigen Ordnungswidrigkeit im Sinne von § 17 Abs. 3 Satz 2 zweiter Halbsatz OWiG handelt (vgl. Senat, VRS 111, 202 (203); OLG Celle; NJW 2008, 3079).

6. Rechtsfehlerfrei hat das Amtsgericht auch zusätzlich auf die Anordnung eines Fahrverbotes von einem Monat erkannt. Der Tatbestand des § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. der Tabelle 1 Buchst. c) lfd. Nr. 11.3.6 des Anhangs zu Nr. 11 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV ist bei der vorliegenden Geschwindigkeitsüberschreitung von 38 km/h erfüllt. Dies indiziert das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, der zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, dass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf (vgl. BGHSt 38, 125 (134) - und 43, 241 (247)). In solchen Fällen kann die Anwendung der Regelbeispielstechnik des Bußgeldkatalogs nur dann unangemessen sein, wenn der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen so erheblich abweicht, dass er als Ausnahme zu werten ist. Dies ist vorliegend ersichtlich nicht der Fall, da der Betroffene – abweichend vom Regelfall – sogar vorsätzlich handelte und überdies mehrfach, zum Teil auch einschlägig, verkehrsrechtlich vorbelastet war. Allein das berufliche Angewiesensein auf eine Fahrerlaubnis rechtfertigt ein Absehen von der Auferlegung eines Fahrverbots gleichfalls nicht (vgl. Senat, VRS 111, 441 (442); Beschlüsse vom 22. September 2004 – 3 Ws (B) 418/04 – und 15. April 2005 – 3 Ws (B) 132/05 –).

Insbesondere kann sich, wie der Senat mehrfach entschieden hat (vgl. etwa Beschlüsse vom 28. September 2001 – 3 Ws (B) 387/01 – und 19. Juli 2006 – 3 Ws (B) 350/06 –), nicht ohne weiteres auf die beruflichen Konsequenzen eines Fahrverbotes berufen, wer leichtfertig den Verlust seiner Fahrerlaubnis riskiert hat. Ausnahmen davon können nur gemacht werden, wenn dem Betroffenen infolge des Fahrverbots Arbeitsplatz- oder sonstiger wirtschaftlicher Existenzverlust droht und diese Konsequenz nicht durch zumutbare Vorkehrungen abgewendet oder vermieden werden kann (vgl. Senat, VRS a.a.O.; OLG Düsseldorf, VRS 96, 228, 230); König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 40. Aufl., § 25 StVG Rn. 25 m.w.N.). Dabei ist bei der Prüfung des Vorliegens einer außerordentlichen Härte nach der Einführung des § 25 Abs. 2a StVG mit der Möglichkeit, den Beginn der Wirksamkeit des Verbotes innerhalb eines Zeitraums von vier Monaten selbst zu bestimmen, ein noch strengerer Maßstab als in der Vergangenheit anzulegen (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Juli 2006 a.a.O.; OLG Frankfurt DAR 2002, 82). Insbesondere ist es einem Betroffenen zuzumuten, durch eine Kombination von verschiedenen Maßnahmen (Urlaub, Einstellung eines Fahrers usw.) die Zeit eines Fahrverbots zu überbrücken und für die finanziellen Belastungen notfalls einen Kredit aufzunehmen (vgl. OLG Frankfurt a.a.O.).

Die vom Betroffenen begangene Verkehrsordnungswidrigkeit weicht, wovon auch das Amtsgericht zureffend ausgeht, negativ vom Regelfall ab. Ein Absehen vom Regelfahrverbot im Hinblick auf die Möglichkeit der Erhöhung der Geldbuße lag daher von vornherein fern und ist im Übrigen vom Amtsgericht auch geprüft und mit rechtsfehlerfreier Begründung abgelehnt worden (UA S. 10). Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen ist auch ersichtlich, dass der Betroffene einen ihm drohenden – von der Rechtsbeschwerde zum Teil mit urteilsfremden Feststellungen begründet – möglichen Arbeitsplatzverlust infolge des Fahrverbots durch ihm zumutbare eigene Maßnahmen abwenden kann, so dass es schon deshalb auf die von der Rechtsbeschwerde mit der von ihr erhobenen Aufklärungsrüge beanstandete der Nichtvernehmung des Zeugen P. nicht ankam. Zum einen kann der Betroffene infolge des Urteilsausspruchs nach § 25 Abs. 2a StVG den Beginn des Fahrverbots für einen erheblichen Zeitraum selbst beeinflussen, so dass er zumindest einen Teil des Fahrverbots durch Urlaub ausgleichen kann.

Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen ist im angefochtenen Urteil darüber hinaus festgestellt, dass er als Diplom-Ingenieur angestellter Geschäftsführer eines baustofftechnischen Labors ist, wobei der Betroffene selbst vorgetragen hat, auf seinem Gebiet ein Experte mit besonderer technischer Sachkunde zu sein, deren es im Bundesgebiet nicht viele gebe. Damit ist zum anderen ausreichend festgestellt, dass der Betroffene auch in der Lage sein dürfte, einen Teil der Fahrverbotszeit, gegebenenfalls auch die ganze Zeit, durch Einsatz eines von ihm aus Ersparnissen oder aufgrund eines von ihm aufgenommenen Kredits entlohnten Fahrers zu überbrücken.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.



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