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OLG Hamm Beschluss vom 05.03.2009 - 2 Ss OWi 71/09 - Zur Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde und zum Gebrauch eines nicht verkehrssicheren ausländischen Fahrzeugs im Inland
OLG Hamm v. 05.03.2009: Zur Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde und zum Gebrauch eines nicht verkehrssicheren ausländischen Fahrzeugs im Inland
Das OLG Hamm (Beschluss vom 05.03.2009 - 2 Ss OWi 71/09) hat entschieden:
- Da das Amtsgericht gegen den Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von nicht mehr als 100,00 € verhängt hat, ist die Rechtsbeschwerde wegen der Anwendung von Rechtsnormen über das Verfahren grundsätzlich nicht zuzulassen (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Eine Ausnahme besteht dann, wenn in dem mit der Verfahrensrüge geltend gemachten Umstand eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gesehen werden könnte (§ 80 Abs. 1. Nr. 2 OWiG). Dazu genügt nicht, dass der Betroffene vorträgt, es sei einem Beweisantrag nicht nachgegangen worden.
- Nach dem Regelungsgehalt des § 20 Abs. 1 FZV darf ein Fahrzeug, das in der Europäischen Union oder einem anderen Land des europäischen Wirtschaftsraumes zugelassen ist, vorübergehend – nämlich bis zu einem Jahr – am inländischen Verkehr teilnehmen und ist für diesen Zeitraum von den inländischen Vorschriften über das Zulassungsverfahren und – nach Maßgabe der §§ 31d, 31e StVZO – auch von den Beschaffenheits- und Ausrüstungsvorschriften der StVZO befreit. Gleichwohl gelten die inländischen Betriebsvorschriften für alle im Inland verkehrenden Fahrzeuge, insbesondere müssen diese sich in einem verkehrssicheren Zustand befinden (§ 20 Abs. 3 FZV). Daraus folgt, dass ein Verstoß gegen § 23 StVO aufgrund erheblich beeinträchtigter Verkehrssicherheit vorliegen kann, wenn auch ein Verstoß gegen Vorschriften der StVZO – mangels Anwendbarkeit – nicht gegeben ist.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Lüdenscheid hat gegen den Betroffenen durch Urteil vom 24. November 2008 wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges, dessen Verkehrssicherheit durch abgedunkelte Scheiben wesentlich beeinträchtigt war (§§ 23 Abs. 1, 49 StVO, 24 StVG, 17 OWiG), eine Geldbuße in Höhe von 70,00 € verhängt.
Zum Sachverhalt hat das Amtsgericht folgendes festgestellt:
„Am 26.02.2008 gegen 12:00 Uhr führte der Betroffene in M., unter anderem in der K., einen LKW des Fabrikats Volvo mit dem Kennzeichen …. Die Verkehrssicherheit dieses LKW war dadurch wesentlich beeinträchtigt, dass die vorderen Seitenscheiben links und rechts, die ohnehin bereits werksseitig eine dunklere Färbung hatten, durch das Aufkleben von Polyesterfolie – getönt mit der Tönungsvariante CH-22 h.c. – unzulässigerweise verdunkelt waren. (…) Der Betroffene hätte dies erkennen können.“
Das Amtsgericht hat weiter ausgeführt, soweit der Betroffene meine, wegen der in Finnland aufgebrachten und dort nicht beanstandeten Folie an dem in Finnland zugelassenen Fahrzeug habe er glauben dürfen, die Folie sei auch in Deutschland erlaubt, liege ein vermeidbarer Verbotsirrtum vor.
Gegen das seinem Verteidiger am 15. Dezember 2008 zugestellte Urteil hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 28. November 2008, eingegangen bei dem Amtsgericht Lüdenscheid am selben Tage, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt. Mit Telefaxschreiben seiner Verteidiger vom 13. Januar 2009 hat er diesen Antrag näher begründet und die Verletzung materiellen und formellen Rechts gerügt. Im Wesentlichen hat er ausgeführt, die Zulassung der Rechtsbeschwerde habe zur Fortbildung des Rechts zu erfolgen, da nicht hinreichend geklärt sei, ob ein nach § 20 Abs. 1 Fahrzeugzulassungsverordnung (FZV) in einem anderen Land der Europäischen Union beziehungsweise des europäischen Wirtschaftsraumes zugelassen und dort als verkehrs- und betriebssicher eingestuft worden sei, im Rahmen des § 20 Abs. 3 FZV wegen einer allgemeinen Bauartgenehmigung des Kraftfahrtbundesamtes in Deutschland nicht verkehrssicher sei und deshalb nicht am inländischen Verkehr teilnehmen dürfe. Ferner gehe es um die Frage, ob ein ordnungsgemäß im europäischen Ausland zugelassenes Kraftfahrzeug nach deutschem Recht bemängelt werden dürfe oder ob insofern ein Verstoß gegen die Warenverkaufsfreiheit in Europa vorliege.
Darüber hinaus sei das Amtsgericht einem Beweisantrag, der durch den Verteidiger mittels Telefaxschreibens vom 18. November 2008 übermittelt worden sei, „nicht nachgegangen“ und habe sich „hiermit auch nicht in dem Urteil auseinandergesetzt“. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Begründungsschrift vom 13. Januar 2009 Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist zwar rechtzeitig gestellt und form- und fristgerecht begründet worden. In der Sache ist ihm aber der Erfolg zu versagen.
1) Da das Amtsgericht gegen den Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von nicht mehr als 100,00 € verhängt hat, ist die Rechtsbeschwerde wegen der Anwendung von Rechtsnormen über das Verfahren grundsätzlich nicht zuzulassen (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Eine Ausnahme besteht dann, wenn in dem mit der Verfahrensrüge geltend gemachten Umstand eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gesehen werden könnte (§ 80 Abs. 1. Nr. 2 OWiG). Denn nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ist die Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen der Versagung des rechtlichen Gehörs, welches ein Prozessgrundrecht nach Artikel 103 Abs. 1 GG darstellt, gerade geboten. Dies soll sicherstellen, dass die erlassene Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme und der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Zwar geht Artikel 103 Abs. 1 GG davon aus, dass die Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs jeweils den einzelnen Verfahrensordnungen überlassen bleiben muss und gewährt daher grundsätzlich keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus formellen oder materiellen Gründen ganz oder teilweise unberücksichtigt lassen. Allerdings ist aber das Willkürverbot, das dem allgemeinen Gleichheitssatz (Artikel 3 Abs. 1 GG) entspringt, verletzt, wenn ein Beweisantrag ohne nachvollziehbare, auf das Gesetz zurückführbare Begründung abgelehnt worden ist ( BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Februar 1992 – 2 BvR 700/91 –, zitiert nach juris Rn. 14 mit weiteren Nachweisen).
Soweit der Betroffene rügt, dass das Amtsgericht seinem Beweisantrag „nicht nachgegangen“ sei und sich damit auch nicht in den Urteilsgründen „auseinandergesetzt“ habe, und damit die Verletzung rechtlichen Gehörs geltend machen will, genügt dies nach der Auffassung des Senats indes nicht den Anforderungen der §§ 80 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 344 Abs. 2 StPO. Danach hätte der Betroffene zur ordnungsgemäßen Erhebung der Rüge zumindest genau mitteilen müssen, was auf den Beweisantrag seitens des Amtsgerichts veranlasst worden ist, mit welcher Begründung der Beweisantrag abgelehnt worden ist oder ob das Amtsgericht eine Entscheidung unterlassen hat. Gegebenenfalls wäre der auf den Beweisantrag ergangene Beschluss im Wortlaut oder seinem wesentlichen Inhalt nach mitzuteilen gewesen (Senatsbeschluss vom 16. August 2008 – 2 Ss OWi 348/06 –, zitiert nach juris Rn. 6; OLG Hamm, Rechtspfleger 1998, 367; Meyer-Goßner, StPO, 51. Auflage, § 344 Rn. 21), um das Rechtsbeschwerdegericht in die Lage zu versetzen, zu prüfen, ob die angegriffene Entscheidung auf einer Verletzung des Artikel 103 GG beruht. Die unklaren Angaben in der Beschwerdeschrift ermöglichen dies dem Senat nicht. Darüber hinaus kommt die Aufhebung eines Urteils wegen der Versagung des rechtlichen Gehörs nur in solchen Fällen in Betracht, in denen es sich aufdrängt und nicht zweifelhaft erscheint, dass das Urteil einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht standhielte (vergleiche dazu: Senatsbeschluss vom 01. Dezember 2005 – 2 Ss OWi 817/05 ), worauf bereits die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hat. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
2) Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde ist vorliegend auch nicht zur Fortbildung des Rechts geboten (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Zur Fortbildung des Rechts ist die Rechtsbeschwerde nur zuzulassen, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze über die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen (Senatsbeschluss vom 06. November 2008 – 2 Ss OWi 351/08 –; OLG Hamm, VRS 56, 42, 43). Eine Zulassung unter diesem Gesichtspunkt kommt daher nur bei entscheidungserheblichen, klärungsbedürftigen und abstraktionsfähigen Rechtsfragen in Betracht (Senatsbeschlüsse vom 06. November 2008 – 2 Ss OWi 351/08 – und 2 Ss OWi 585/08 –; vom 20. November 2008 – 2 Ss OWi 863/08 –; vom 06. Januar 2009 – 2 Ss OWi 949/08; vom 20. Januar 2009 – 2 Ss OWi 2/09; Göhler, OWiG, 14. Auflage, § 80 Rn. 30 mit weiteren Nachweisen).
Solche Rechtsfragen zeigt der Antrag des Betroffenen nicht auf, sie sind auch im Übrigen nicht ersichtlich.
a) Namentlich ist das Verhältnis von § 20 Abs. 1 und Abs. 3 FZV hinreichend geklärt. Nach dem Regelungsgehalt des § 20 Abs. 1 FZV darf ein Fahrzeug, das in der Europäischen Union oder einem anderen Land des europäischen Wirtschaftsraumes zugelassen ist, vorübergehend – nämlich bis zu einem Jahr – am inländischen Verkehr teilnehmen und ist für diesen Zeitraum von den inländischen Vorschriften über das Zulassungsverfahren und – nach Maßgabe der §§ 31d, 31e StVZO – auch von den Beschaffenheits- und Ausrüstungsvorschriften der StVZO befreit. Gleichwohl gelten die inländischen Betriebsvorschriften für alle im Inland verkehrenden Fahrzeuge, insbesondere müssen diese sich in einem verkehrssicheren Zustand befinden (§ 20 Abs. 3 FZV). Daraus folgt, dass ein Verstoß gegen § 23 StVO aufgrund erheblich beeinträchtigter Verkehrssicherheit vorliegen kann, wenn auch ein Verstoß gegen Vorschriften der StVZO – mangels Anwendbarkeit – nicht gegeben ist ( OLG Bamberg, Urteil vom 25. September 2007 – 2 Ss 1/2007 –, zitiert nach juris Rn. 24; Janker, in: Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 20. Auflage 2008, § 1 StVG Rn. 12).
b) Es ist ebenfalls hinreichend geklärt, dass § 20 Abs. 3 FZV mit europarechtlichen Grundsätzen zu vereinbaren ist. Denn selbst wenn man grundsätzlich einen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit durch die Regelung des § 20 Abs. 3 FZV und der daraus folgenden Anwendbarkeit der allgemeinen Vorschriften der StVO bejahte, wäre dieser gerechtfertigt, worauf die Generalstaatsanwaltschaft ebenfalls bereits zutreffend hingewiesen hat. Denn § 20 Abs. 3 FZV bezweckt die Sicherheit des Straßenverkehrs. Diese stellt einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar, der eine Beeinträchtigung der Freiheit des Warenverkehrs rechtfertigt ( OLG Bamberg, Urteil vom 25. September 2007 – 2 Ss 1/2007 –, zitiert nach juris Rn. 24 mit Verweis auf EuGH, Urteile vom 05. Oktober 1994 – C-55/93 Rn. 19 und vom 15. März 2007 – C -54/05 Rn. 40 mit weiteren Nachweisen). Mit der durch § 20 Abs. 3 FZV eröffneten Möglichkeit von Sicherheitskontrollen ausländischer Fahrzeuge im Inland aufgrund der allgemeinen Vorschriften der StVO werden die nationalen Interessen an der Sicherheit und Ordnung im Einklang mit dem Recht der Europäischen Union berücksichtigt. Eine darüber hinausgehende Beschränkung wäre jedoch unverhältnismäßig (OLG Bamberg, Urteil vom 25. September 2007 – 2 Ss 1/2007 –, zitiert nach juris Rn. 24).
c) Soweit aus dem Gesamtzusammenhang der Begründungsschrift entnommen werden kann, der Betroffene habe angesichts der Zulassung des Fahrzeugs in Finnland darauf vertrauen dürfen, auch in Deutschland keine Ordnungswidrigkeit zu begehen (unvermeidbarer Verbotsirrtum), handelt es sich dabei ebenfalls nicht um eine klärungsbedürftige und abstraktionsfähige Rechtsfrage. Die Anforderungen, die an die Regelkenntnis des Verkehrsteilnehmers – unter Berücksichtigung der entsprechenden Rechtsprechung – gestellt werden, sind hinreichend geklärt (vergleiche: König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Auflage 2009 Einleitung Rn. 142 und 157 mit weiteren Nachweisen).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 473 Abs. 1 S. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG.