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OVG Münster Beschluss vom 20.01.2010 - 16 B 814/09 - Zur Nichtanerkennung eines polnischen Führerscheins entsprechend der 3. Führerschein-Richtlinie
OVG Münster v. 20.01.2010: Zur Nichtanerkennung eines polnischen Führerscheins entsprechend der 3. Führerschein-Richtlinie
Das OVG Münster (Beschluss vom 20.01.2010 - 16 B 814/09) hat entschieden:
Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG (3. Führerschein-Richtlinie) gilt bereits ab 19.01.2009. Dies gilt trotz der missverständlichen Vorschrift des Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie. Für die Nichtanerkennung eines polnischen Führerscheins, der nach dem 19.01.2009 erteilt wurde, ist ein Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip nicht mehr erforderlich. Es ist für die Nichtanerkennung ausreichend, dass gegen die Fahreignung des Betroffenen Bedenken bestehen. Denn das Interesse an der Verkehrssicherheit genießt den Vorrang gegenüber dem Freizügigkeitsprinzip und der Dienstleistungsfreiheit.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung durch den Senat führt zu keinem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis.
Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die angefochtene Ordnungsverfügung des Antragsgegners offensichtlich rechtmäßig sei und schon deshalb das öffentliche Vollzugsinteresse den Vorrang vor dem Interesse des Antragstellers am sofortigen Gebrauchmachen von seiner polnischen Fahrerlaubnis beanspruchen könne, ist nicht zu beanstanden. Wie vom Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt und vom Antragsteller nicht in Zweifel gezogen, liegen die innerstaatlichen Voraussetzungen dafür vor, der polnischen Fahrerlaubnis des Antragstellers im Inland die Anerkennung zu versagen. Ebenso spricht alles dafür, dieser Fahrerlaubnis die Gültigkeit auch nach europäischem Gemeinschaftsrecht abzusprechen. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob sich aus der vom Antragsteller vorgelegten Bescheinigung des Landratsamtes T.… vom 17. April 2009 nur ein vorläufiger Aufenthalt in Polen und damit ein Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. e iVm Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein ergibt. Ein solcher Verstoß ist jedenfalls seit dem Inkrafttreten der maßgebenden Vorschrift des Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2006/126/EG am 19. Januar 2009 keine Voraussetzung mehr für die Befugnis inländischer Behörden, einem ausländischen EUFührerschein für das Bundesgebiet die Anerkennung zu versagen.
Zunächst ist trotz der missverständlichen Vorschrift des Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG, auf die auch der Antragsteller hinweist, schon jetzt von der Anwendbarkeit des Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2006/126/EG auszugehen. Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG sieht vor, dass eine vor dem 19. Januar 2013 erteilte Fahrerlaubnis aufgrund der Bestimmungen dieser Richtlinie weder entzogen noch in irgendeiner Weise eingeschränkt werden darf. Gegen die Anwendung dieser allgemeinen Regelung spricht aber zum einen, dass das Inkrafttreten unter anderem des Art. 11 Abs. 4 in Art. 18 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2006/126/EG eine spezielle und von Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie abweichende Regelung erfahren hat; danach gilt Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG bereits ab dem 19. Januar 2009. Zum anderen betrifft Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2006/126/EG keinen Fall der Entziehung oder einer anderen einschränkenden Maßnahme im Sinne (etwa) des Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG („Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis“), sondern die davon zu unterscheidende, in Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG nicht genannte innerstaatliche Nichtanerkennung einer ansonsten wirksamen Fahrerlaubnis.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2008 3 C 26.07, BVerwGE 132, 315 = NJW 2009, 1689 = NZV 2009, 307; Bayer. VGH, Beschluss vom 26. Februar 2009 11 C 09 296, Juris, Rn. 47; VGH Baden-Württ. , Urteil vom 7. April 2009 10 S 3320/08, veröffentlicht bei www.verkehrslexikon.de; Thoms, DAR 2007, 287 (288), Hailbronner/Thoms, NJW 2007, 1089 (1093); Morgenstern, NZV 2008, 425 (429); Geiger, DAR 2009, 61 (62); Janker, DAR 2009, 181 (184); Mosbacher/Gräfe, NJW 2009, 801 (803 f.); anders noch Geiger, DAR 2007, 126 (128), und Schünemann/Schünemann, DAR 2007, 382 (385).
Ob darüber hinaus aus Erwägungsgrund 5 der Richtlinie 2006/126/EG, nach der vor dem Beginn der Anwendung dieser Richtlinie erteilte oder erworbene Fahrerlaubnisse unberührt bleiben sollen, herzuleiten ist, dass Art. 11 der Richtlinie nur für nach deren Inkrafttreten (Art. 18) erteilte oder erworbene Fahrerlaubnisse gilt, kann dahinstehen, weil der Antragsteller die in Rede stehende polnische Fahrerlaubnis erst am 22. Januar 2009 erlangt hat.
Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2006/126/EG gibt den inländischen Fahrerlaubnisbehörden vor, einer ausländischen Fahrerlaubnis die Anerkennung zu versagen, wenn wie vorliegend zuvor im Inland ein früherer Führerschein eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist. Auf dieser neuen normativen Grundlage sprechen keine überzeugenden Gründe mehr dafür, die Versagung der Anerkennung zusätzlich zu den dort genannten Voraussetzungen auch noch von einem zweifelsfrei aus Verlautbarungen des Ausstellerstaates hervorgehenden Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis abhängig zu machen. Schon die Rechtsprechung des EuGH zur Vorgängerbestimmung des Art. 8 Abs. 4 Unterabsatz 1 der Richtlinie 91/439/EWG, die zusammengefasst die genannte Bestimmung auf zeitlich beschränkte Maßnahmen bis zum Ablauf der jeweiligen Frist bzw. auf die oben genannten Fälle eines evidenten Verstoßes gegen das Wohnsitzerfordernis beschränkte und im Übrigen dem Anerkennungsgrundsatz nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG (nunmehr Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG ) den Vorrang einräumte,
vgl. im Ausgangspunkt Urteil vom 29. April 2004 Rs. C476/01 (Kapper), NJW 2004, 1725 = DAR 2004, 333 = NZV 2004, 373 = Blutalkohol 41 (2004), 450, und zuletzt Urteile vom 26. Juni 2008 C 329/06 und C343/06 (Wiedemann u.a.), NJW 2008, 2403 =Blutalkohol 45 (2008), 225 = DÖV 2008, 723 = NZV 2008, 641, und C334/06 bis C336/06 (Zerche u.a.), DAR 2008, 459, sowie Beschluss vom 9. Juli 2009 C445/08 (Wierer), DAR 2009, 637 = Blutalkohol 46 (2009), 408,
ist nicht überzeugend aus dem Wortlaut der Richtlinie 91/439/EWG hergeleitet, sondern beruht auf der nicht aus dem Normtext ableitbaren Annahme eines Vorranges des Anerkennungsgrundsatzes vor dem ansonsten das Fahrerlaubnisrecht beherrschenden Gedanken der Sicherheit des Straßenverkehrs. Die im Vergleich zu Art. 8 Abs. 4 Unterabsatz 1 der Richtlinie 91/439/EWG weitergefasste Bestimmung des Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2006/126/EG unterliegt nicht den genannten Einschränkungen. Die im Vergleich zu Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG stärkere Akzentuierung des Nachwirkens vormaliger Fahrerlaubnisentziehungen und vor allem Verlautbarungen der am Normsetzungsverfahren beteiligten europäischen Gremien lassen keinen Raum für ein einschränkendes Verständnis auch des Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2006/126/EG. Die (jedenfalls nunmehr) deutliche Betonung des Verbots, trotz einer vorangegangenen Fahrerlaubnisentziehung oder einer anderen vorangegangenen Maßnahme eine neue Fahrerlaubnis anzuerkennen, gegebenenfalls ohne dass mangels Kenntniserlangung die jeweiligen Fahreignungsmängel überhaupt in den Blick genommen werden konnten, ergibt sich daraus, dass die vormalige Ermessensvorschrift des Art. 8 Abs. 4 Unterabsatz 1 der Richtlinie 91/439/EWG mit Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2006/126/EG durch eine zwingende Bestimmung ersetzt worden ist. Da Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2006/126/EG in derartigen Fällen der vormaligen Entziehung zudem gleichfalls zwingend bereits die Neuausstellung einer Fahrerlaubnis im Ausland untersagt, besteht nunmehr gleichsam eine doppelte zwingende Absicherung zur Verhinderung des um sich greifenden sog. Führerscheintourismus.
Unterstrichen wird das dadurch, dass im Zuge der Neufassung der europäischen Führerscheinrichtlinie von den damit befassten Gremien fortwährend das Anliegen geäußert worden ist, den Führerscheintourismus wirkungsvoll einzudämmen. Bereits in dem am 21. Oktober 2003 von der Europäischen Kommission vorgelegten Vorschlag für eine Richtlinie EG des Europäischen Parlaments und des Rates KOM(2003) 621 endgültig 2003/0252 (COD) heißt es (S. 6):
„Schließlich betrifft dieser Vorschlag die Frage der kohärenten, europaweiten Anwendung des Führerscheinentzugs. Dazu wird der Grundsatz der Einzigartigkeit von Führerscheinen (ein Inhaber ein Führerschein) untermauert. Heute lassen sich zu viele Bürger in einem anderen Mitgliedstaat nieder, um einen neuen Führerschein zu beantragen, wenn ihnen die Fahrerlaubnis in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren ordentlichen Wohnsitz haben, wegen eines schweren Verkehrsverstoßes entzogen wurde. Diese Lage ist im Hinblick auf die Verkehrssicherheit sehr unbefriedigend und läuft auf einen Verstoß gegen die Richtlinie 91/439/EWG hinaus. Dieser Vorschlag besagt ausdrücklich, dass die Mitgliedstaaten keinen neuen Führerschein ausstellen dürfen für eine Person, der der Führerschein entzogen wurde und die somit indirekt immer noch Inhaber eines anderen Führerscheins ist. Mit diesem Vorschlag dürfte daher der sogenannte „Führerscheintourismus“ beseitigt und das Übereinkommen über die gegenseitige Anerkennung des Entzugs der Fahrerlaubnis ergänzt werden, …“
In diesem Zusammenhang wies die vorgeschlagene Neufassung des Art. 8 Abs. 5 (Entwurf) schon folgenden, über die vormalige Bestimmung des Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 91/439/EWG hinausgehenden Wortlaut auf (vgl. S. 43 f. des Vorschlags):
„Jede Person kann nur Inhaber eines einzigen Führerscheins sein. Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen um sicherzustellen, dass ein Antragsteller für die Ausstellung oder Erneuerung eines Führerscheins nicht bereits Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten entweder gültigen oder vorläufig entzogenen Führerscheins ist. Sie vergewissern sich ferner, ob die Behörden eines anderen Mitgliedstaats nicht bereits die Ausstellung eines Führerscheins für den Bewerber untersagt haben.“
Auch wenn daneben Art. 12 Abs. 4 des Entwurfs (vgl. S. 45 des Vorschlags) noch wörtlich mit Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG übereinstimmte, widmete der Kommissionsentwurf der Bekämpfung des Führerscheintourismus bereits ein größeres Augenmerk, beließ es insoweit aber noch bei der Einführung von Konsultationspflichten (Art. 8 Abs. 5 des Entwurfs) und hinsichtlich der Ausstellung einer Fahrerlaubnis nach vorheriger Entziehung bzw. der Anerkennung der neuen Fahrerlaubnis bei einer bloßen Kann-Bestimmung (Art. 12 Abs. 4 des Entwurfs).
Demgegenüber wird in dem Bericht des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr des Europäischen Parlaments Entwurf einer legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Führerschein (A60016/2005) die Tendenz erkennbar, das für notwendig erachtete Vorgehen gegen den Führerscheintourismus durch das strikte Verbot einer Neuerteilung nach Entziehung in einem anderen Staat und das strikte Gebot der Nichtanerkennung gleichwohl erteilter Fahrerlaubnisse abzusichern. So heißt es in Art. 8 Abs. 5 Buchst. b des überarbeiteten Entwurfs (Änderungsantrag 54; S. 29 f. des Berichts):
„Ein Mitgliedstaat lehnt es ab, einen Führerschein auszustellen, wenn erwiesen ist, dass der Bewerber bereits einen von den Behörden eines anderen Mitgliedstaats ausgestellten gültigen Führerschein besitzt. Ein Mitgliedstaat kann es außerdem ablehnen, einem Bewerber, auf den in einem anderen Mitgliedstaat eine der Maßnahmen des Art. 12 Absatz 2 angewendet wurde, einen Führerschein auszustellen.“
In der Begründung zu Art. 8 des Entwurfs (S. 30 f.) ist ausgeführt, dass mit den Änderungen wie im vorgeschlagenen Text der Kommission sichergestellt werden soll, dass niemand mehr als einen Führerschein besitzt, auch wenn die Führerscheine von ein und demselben Mitgliedstaat ausgestellt werden.
Der Änderungsantrag 57 (zu Art. 12 Abs. 4 des Entwurfs; S. 31 f.) enthält folgende Bestimmungen:
„Ein Mitgliedstaat lehnt es ab, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Absatz 2 genannten Maßnahmen angewandt wurde.
Ein Mitgliedstaat lehnt es ab, einem Bewerber, auf den eine Einschränkung, eine Aussetzung oder ein Entzug der Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedstaat angewendet wurde, einen Führerschein auszustellen.
Ein Mitgliedstaat kann es außerdem ablehnen, einem Bewerber, auf den eine Aufhebung in einem anderen Mitgliedstaat angewendet wurde, einen Führerschein auszustellen.
Ein Mitgliedstaat kann es darüber hinaus ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person zu einem Zeitpunkt ausgestellt wurde, in dem diese Person ihren Wohnsitz nicht in dem ausstellenden Mitgliedstaat hatte.“
Zur Begründung (S. 32 des Berichts) ist ausgeführt:
„Der Führerscheintourismus soll wie weit wie möglich unterbunden werden. Wird einer Person in einem Mitgliedstaat die Fahrerlaubnis eingeschränkt, entzogen, ausgesetzt oder aufgehoben, so darf der Mitgliedstaat einen Führerschein, der dieser Person von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wurde, nicht anerkennen.
Die Mitgliedstaaten dürfen darüber hinaus keine Führerscheine an Personen ausstellen, deren Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen ist (jede Person darf nur Inhaber eines einzigen Führerscheins sein, Artikel 8 Absatz 5). Wird der Führerschein in einem Mitgliedstaat aufgehoben, so kann ein anderer Mitgliedstaat die Ausstellung eines Führerscheins verweigern.
Es gibt bereits im Internet viele Angebote, in denen Personen, denen die Fahrerlaubnis in einem Mitgliedstaat entzogen wurde (z. B. wegen Fahren unter Einfluss von Alkohol/Drogen), nahe gelegt wird, einen Schein-Wohnsitz im Ausland zu begründen und dort eine Fahrerlaubnis zu erwerben, um damit die Voraussetzungen in Bezug auf die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis zu unterlaufen. Dies führt nicht nur zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit, sondern führt auch zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen auf dem Fahrschulsektor.“
Damit wird das Anliegen des Änderungsentwurfs sichtbar, nicht allein durch eine Stärkung des Grundsatzes „eine Person ein Führerschein“ Missbrauchsgefahren zu begegnen, sondern auch die vormals in Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG enthaltenen Bestimmungen zu verschärfen, um den Führerscheintourismus wirkungsvoll einzuschränken. Dies wird in der abschließenden Begründung (iv) gegenseitige Anerkennung von Sanktionen (S. 58 des Berichts) nochmals betont:
„Gemäß dem Genfer und dem Wiener Übereinkommen befasst sich der Vorschlag in Artikel 8 Absatz 5 mit der Frage der gegenseitigen Anerkennung von Strafmaßnahmen, um dafür zu sorgen, dass ein in einem Mitgliedstaat entzogener Führerschein in allen Mitgliedstaaten einen Führerscheinentzug bedeutet. Dies muss jedoch verstärkt werden, und daher hat der Berichterstatter einen Änderungsantrag eingereicht, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, jede Einschränkung, jede Aussetzung und jeden Entzug anzuerkennen, die von einem anderen Mitgliedstaat verhängt wurden, und die Anerkennung der Gültigkeit von Führerscheinen abzulehnen, auf die eine solche Maßnahme angewendet wurde.“
Der Entwurf mit den genannten Änderungen wurde in der Sitzung des Europäischen Parlaments vom 23. Februar 2005 in erster Lesung angenommen (ABl. C 304 E/151). Nachdem die Staaten der Europäischen Gemeinschaft im März 2006 die politische Einigung über den Vorschlag der Kommission aus dem Jahr 2003 über den europäischen Führerschein erzielt hatten, beschränkte sich der Gemeinsame Standpunkt des Rates vom 18. September 2006 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Führerschein (Neufassung) 2003/0252 (COD) auf eine Umstrukturierung des geänderten Entwurfstextes und einige wenige Änderungen; im Wesentlichen wurden alle von der Kommission vorgeschlagenen und vom Europäischen Parlament überarbeiteten Hauptbestandteile in den Gemeinsamen Standpunkt übernommen. In der Empfehlung des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr des Europäischen Parlaments für die zweite Lesung betreffend den Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Führerschein vom 27. November 2006 9010/1/2006 C60312/2006 2003/0252(COD) wird zum Punkt „2.1 Bekämpfung des „Führerscheintourismus“ zusätzlich ausgeführt, mit diesem Text werde ein wichtiger Schritt zu dessen Bekämpfung getan. Führerscheintourismus bezeichne ein Verhalten, bei dem Bürger, die ihren Führerschein in ihrem Heimatstaat aufgrund eines schweren Verstoßes abgeben mussten, einen neuen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat erwerben, der dann in ihrem Heimatland anerkannt werden muss. Hier sei der Vorschlag der Kommission übernommen worden, wonach ein Mitgliedstaat die Ausstellung eines Führerscheins ablehnen müsse, wenn der Bewerber seinen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen bekommen habe (Art. 11).
Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang ferner, dass die beteiligten Gremien anders als der EuGH insbesondere in den Verfahren X... /A...,
vgl. Urteile vom 26. Juni 2008 C 329/06 und C343/06 (X... u.a.) sowie C334/06 bis C336/06 (A... u.a.), jeweils aaO.
den wesentlichen Ansatzpunkt für die Unterbindung des Führerscheintourismus nicht in der strikten Einhaltung des Wohnsitzerfordernisses gesehen haben. Dem entspricht, dass die an den Wohnsitzverstoß anknüpfende Bestimmung des Art. 12 Abs. 4 Unterabsatz 4 des überarbeiteten Entwurfs nicht Eingang in die am 18. Dezember 2006 in zweiter Lesung verabschiedete Schlussfassung der Richtlinie 2006/126/EG gefunden hat. Damit hat der Normgeber in dem Ausweichen in einen anderen Mitgliedstaat nach vorheriger Einschränkung, Entziehung oder Aufhebung der Fahrerlaubnis den allein entscheidenden Grund für das Neuerteilungsverbot und das Nichtanerkennungsgebot gesehen. Folglich soll es nicht mehr auf einen gegebenenfalls nur eingeschränkt zugelassenen Nachweis eines evidenten Wohnsitzverstoßes ankommen.
Ebensowenig kann seit dem Inkrafttreten der Richtlinie 2006/126/EG an der vormaligen Auffassung festgehalten werden, es sei allein Aufgabe des Ausstellermitgliedstaates zu prüfen, ob die im Gemeinschaftsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen, darunter diejenige der Fahreignung, erfüllt seien.
Vgl. EuGH, Urteile vom 26. Juni 2008 C 329/06 und C343/06 (X... u.a.) sowie C334/06 bis C336/06 (A... u.a.), jeweils aaO..
Vielmehr steht das nunmehr klare Verbot, nach einer Einschränkung, Entziehung oder Aufhebung der Fahrerlaubnis im vorherigen oder eigentlichen Wohnsitzstaat eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen ( Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2006/126/EG ) und etwa nach einer Rückkehr in dem Ursprungsland diese dort anzuerkennen (Unterabsatz 2) der Anerkennung einer alleinigen Kompetenz des neuerteilenden Staates zur für alle EU-Staaten bindenden Feststellung der Erteilungsvoraussetzungen entgegen.
Der Wortlaut des Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2006/126/EG gibt auch nichts für ein Verständnis her, wonach nur zeitlich beschränkte Maßnahmen im Hinblick auf eine Fahrerlaubnis nach deutschem Recht also insbesondere die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis mit anschließender Sperrfrist für die Wiedererteilung ( §§ 69, 69a StGB ) zum (zeitweiligen) Verbot einer Neuerteilung im Ausland oder zur Pflicht zur Nichtanerkennung einer nach dem Fristende im Ausland neu erteilten Fahrerlaubnis führen. Soweit anderssprachige Fassungen der Richtlinie 2006/126/EG wie etwa die englische („to a person, whose driving licence is restricted, suspended or withdrawn“) oder die französische („une personne dont le permis de conduire fait l'objet … d'une restriction, d'une suspension ou d'un retrait“) durch die Verwendung des Präsens für die Annahme sprechen könnten, dass nur gleichsam „laufende“ und damit zeitlich begrenzte Maßnahmen, nicht aber abgeschlossene Maßnahmen, die nur wegen des Fortbestehens von Eignungsmängeln oder nicht ausgeräumten Eignungszweifeln weiter in die Zukunft wirken, erfasst sein sollen, kann dem nicht beigetreten werden. Denn es ist schon nicht festzustellen, dass die deutsche Fassung des Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2006/126/EG („einer Person …, deren Führerschein … eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist“) mit der Verwendung des Perfekts allein steht, denn andere Fassungen wie etwa die schwedische („en person vars körkort har begränsats, omhändertagits eller återkallats“) verwenden gleichfalls die Vergangenheitsform. Wäre dem Normgeber entgegen den verlautbarten Zielsetzungen eine tatbestandliche Beschränkung des Erteilungs und Anerkennungsverbotes auf befristete Maßnahmen ausreichend erschienen, hätte es nahegelegen, in allen Fassungen auf einen darauf hindeutenden einheitlichen Sprachgebrauch hinzuwirken. Im Übrigen hat der damalige Generalanwalt M.… bereits in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache L.… vom 16. Oktober 2003 (Rn. 73) unter Bezugnahme auf die Rechtsauffassung der italienischen Regierung auf die Verwendung der Präsensform („faisant [toujours] l'objet“) statt der Vergangenheitsform („ayant [déjà] fait l'objet“) in Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG hingewiesen, ohne dass der EuGH nachfolgend diese Argumentation aufgegriffen hätte.
Soweit schließlich vertreten wird, die Neuregelung des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG unterscheide sich von der Vorläuferbestimmung des Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG nur hinsichtlich der Rechtsfolge, nicht aber im Tatbestand, daher sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass der EuGH von seiner bisherigen Rechtsprechung abrücken werde,
so OVG Saarl. , Beschluss vom 23. Januar 2009 1 B 438/08, DAR 2009, 163, und Hess. VGH, Beschluss vom 4. Dezember 2009 2 B 2138/09, veröff. u.a. bei www.eu-fuehrerschein-forum.de,
ist der Senat anderer Auffassung. Der Tatbestand des Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2006/126/EG gibt für eine einschränkende Auslegung nichts her, und die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 8 Abs. 4 Unterabsatz 1 der Richtlinie 91/439/EWG beruht auch nicht auf einer am Tatbestand dieser Vorschrift orientierten Auslegung, sondern auf der Annahme einer im Vergleich zum Anerkennungsgrundsatz des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG geringeren Wertigkeit des von Art. 8 Abs. 4 Unterabsatz 1 der Richtlinie 91/439/EWG verfolgten Anliegens. Sowohl durch die Verschärfung der Rechtsfolge des Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2006/126/EG als auch durch die oben wiedergegebenen Verlautbarungen der normgebenden Gremien ist nunmehr das Bestreben, den verbreiteten Führerscheintourismus einzudämmen und so die Sicherheit des Straßenverkehrs zu erhöhen, zulasten des Anerkennungsgrundsatzes und des dahinterstehenden Freizügigkeitsgedankens deutlich in den Vordergrund gerückt worden. Die vom Antragsteller darüber hinaus herangezogene Entscheidung des Niedersächsischen OVG Beschluss vom 12. Mai 2009 12 ME 324/08, Juris (Rn. 9) ist hierzu unergiebig; sie betrifft noch die Anwendung der Richtlinie 91/439/EWG.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus den §§ 47 Abs. 1, 52Abs. 1 und 2 sowie 53Abs. 3 Nr. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar ( § 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66Abs. 3 Satz 3 GKG ).