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OLG Hamm Beschluss vom 19.10.2009 - 3 Ss OWi 763/09 - Frühstart an Fußgängerampel ist qualifizierter Rotlichtverstoß mit Fahrverbot

OLG Hamm v. 19.10.2009: Frühstart an Fußgängerampel ist qualifizierter Rotlichtverstoß mit Fahrverbot


Das OLG Hamm (Beschluss vom 19.10.2009 - 3 Ss OWi 763/09) hat entschieden:
Zum Fahrverbot bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß eines „Frühstarters“ an einer Fußgängerampel.


Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat die Betroffene wegen fahrlässiger Begehung einer Ordnungswidrigkeit nach §§ 37 Abs. 2, 49 StVO, 24 StVG zu einer Geldbuße von 125 Euro verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hatte die Betroffene am 16.04.2008 gegen 18.10 Uhr, nachdem sie an einer Kreuzung rechts abgebogen war, an einer kurz nach der Kreuzung befindlichen, ihr Rotlicht zeigenden, Fußgängerampel angehalten und hat einen oder zwei Fußgänger die Straße queren lassen. Sodann war sie weitergefahren, obwohl ihr die Fußgängerampel durch Rotlicht (seit mehr als 1 Sekunde) noch das Anhalten gebot.

Gegen das Urteil wendet sich die Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, welche sie auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat.


II.

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die Anordnung eines (Regel-)Fahrverbots nach § 4 Abs. 1 BKatV i. V.m. Nr. 132.2 der Anlage zur BKatV hält rechtlicher Überprüfung stand. Die Indizwirkung für eine grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers ist hier durch die im Urteil geschilderten Umstände nicht widerlegt, so dass ausnahmsweise ein Absehen von der Anordnung des Regelfahrverbots geboten wäre.

Es liegt – wie das Amtsgericht zutreffend ausführt – kein sog. „Augenblicksversagen“ vor. Die Betroffene hat sich ausweislich der Feststellungen im angefochtenen Urteil lediglich abstrakt auf diesen Rechtsbegriff berufen, aber keine Umstände geschildert, die diesen in tatsächlicher Hinsicht ausfüllen könnten (z. B. Ablenkung/Wahrnehmungsfehler durch andere Wechsellichtzeichenanlage etc., vgl. insoweit OLG Bamberg Beschl. v. 24.07.2008 – 3 SsOWi 1774/07 = BeckRS 2009, 17592; OLG Hamm NZV 1996, 206 und OLG Hamm Beschl. v. 23.05.2005 – 2 SsOWi 295/05 = BeckRS 2005, 30356711). Solche sind auch sonst nicht erkennbar.

Auch andere Umstände, die eine grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers hier ausschließen könnten, sind aus dem Urteil nicht ersichtlich.

Der sogenannte qualifizierte Rotlichtverstoß nach Nr. 132.2 BKatV erlaubt eine schärfere Ahndung besonders schwerwiegender Rotlichtverstoß. In Fällen der Missachtung eines Wechsellichtzeichens bei einer Rotlichtdauer von mehr als einer Sekunde ist in der Regel eine zumindest abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer zu unterstellen, weil sich der Querverkehr – insbesondere auch Fußgänger – nach dieser Zeit bereits im Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden kann. Trotz dieser aus § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BKatV folgenden Indizwirkung ist aber stets zu prüfen, ob der konkrete Fall Besonderheiten in objektiver oder subjektiver Hinsicht aufweist, die ihn, verglichen mit den vom Verordnungsgeber ins Auge gefassten typischen Begehungsweisen, als Ausnahme erscheinen lassen, so dass es angezeigt sein kann, von der Verhängung eines Fahrverbots als Besinnungs- und Denkzettelmaßnahme ausnahmsweise abzusehen (OLG Hamm Beschl. v. 24.02.2006 – 4 Ss 58/06 – juris). Das kann bei Rotlichtverstößen an Fußgängerampeln der Fall sein, wenn der Rotlichtverstoß zu verkehrsarmer Nachtzeit begangen wurde und die Tatörtlichkeiten menschenleer waren und selbst eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht in Betracht kommt (OLG Hamm Beschl. v. 24.02.2006 – 4 Ss 58/06 – juris; vgl. auch: OLG Bamberg Beschl. v. 29.06.2009 – 2 SsOWi 573/09 = BeckRS 2009, 26731). Hier war zwar war die Gefährlichkeit des Rotlichtverstoßes gegenüber Fällen, in denen der Verstoß aus der Fahrt heraus begangen wird, dadurch gemindert, dass die Betroffene vor dem Verstoß angehalten hatte und deswegen bei der Durchfahrt noch eine niedrige Geschwindigkeit gehabt haben muss. Eine solche ermöglicht ein rechtzeitiges Anhalten, falls doch noch weitere Fußgänger die Fahrbahn queren, eher. Auch war es zum Tatzeitpunkt (wie gerichtsbekannt ist) noch hell, so dass etwaige weitere Fußgänger gut wahrnehmbar gewesen wären. Schließlich handelt es sich auch nur um eine Fußgängerampel, an der nur das Queren von (langsameren) Fußgängern und nicht auch von (schnelleren) Kraftfahrzeugen zu erwarten war.

All dies mindert aber die Gefährlichkeit des Verhaltens noch nicht so stark, dass ein Absehen vom Regelfahrverbot geboten gewesen wäre. Eine abstrakte Gefahr für etwaige querende Fußgänger wird nicht ausgeschlossen. Um diese Tageszeit ist erfahrungsgemäß Fußgängerverkehr (anders als mitten in der Nacht) nicht nur rudimentär vorhanden. Plötzlich noch die Fahrbahn betretende, vielleicht sogar rennenden, Fußgänger können jederzeit auftreten. Dass die Straße im übrigen menschenleer war, ist im Urteil nicht festgestellt (und eine Verfahrensrüge, mit der etwa die rechtsfehlerhafte Ablehnung eines dahingehenden Beweisantrages gerügt würde, wurde nicht erhoben). Vielmehr gab es zumindest die ein oder zwei Fußgänger, die die Betroffene hat passieren lassen. Bezüglich dieser ist nicht ausgeschlossen, dass sie sich nach dem Passieren der Straße plötzlich anders entscheiden und zurückgehen. Selbst bei langsamer Anfahrtsgeschwindigkeit ist es dann nicht lebensfern, dass durch den Rotlichtverstoß andere Verkehrsteilnehmer zu Schaden kommen; das gilt erst Recht bei jemandem, der so unaufmerksam ist, dass er schon das Haltegebot der Lichtzeichenanlage nicht (mehr) beachtet. Die Umstände liegen hier anders als in dem Fall der dem Beschluss des OLG Hamm vom 24.02.2006 (s.o.) zu Grunde lag (dort war die Straße menschenleer) und auch anders als in den von der Verteidigung (u.a.) herangezogenen Fällen des OLG Düsseldorf (NZV 2000, 90, 91) und des KG Berlin (Beschl. v. 03.06.1997 – 2 Ss 128/97- juris). Ferner liegen sie auch anders als in der Entscheidung des OLG Bamberg a.a.O., in der die Lichtzeichenanlage nicht dem Schutz eines Querverkehrs diente, sondern ausschließlich den Verkehrsfluss regelnde Funktion hatte. In all diesen Fällen war nach den jeweiligen Urteilsfeststellungen – anders als hier – keine erhöhte Gefahrensituation gegeben.

Das Amtsgericht war sich der Möglichkeit und der Voraussetzungen eines Absehens von einem Fahrverbot bewusst und hat seine Entscheidung – wenn auch knapp – begründet. Dass die Betroffene niemanden konkret gefährdet hat, kann nicht der entscheidende Gesichtspunkt sein, denn für Fälle mit Gefährdung sieht Nr. 132.2.1. eine Geldbuße von 200 Euro (und ein Fahrverbot von 1 Monat) vor.

2. Aus den gleichen Gründen wie zu Ziff. 1) scheidet eine Herabsetzung der Regelgeldbuße aus.


II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 1 StPO.



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