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OLG Jena Beschluss vom 15.10.2009 - 1 Ss 230/09 - Das Benutzen eines Mobiltelefons und Geschwindigkeitsüberschreitung stehen in Tateinheit zueinander
OLG Jena v. 15.10.2009: Das Benutzen eines Mobiltelefons und Geschwindigkeitsüberschreitung stehen in Tateinheit zueinander
Das OLG Jena (Beschluss vom 15.10.2009 - 1 Ss 230/09) hat entschieden:
Das Führen des Kraftfahrzeuges mit überhöhter Geschwindigkeit i.S.d. § 41 Abs. 2 Nr. 7 (Zeichen 274) StVO und das teils zeitgleiche Verwenden des Mobiltelefons i.S.d. § 23 Abs. 1a StVO stehen im Konkurrenzverhältnis der Tateinheit i.S.d. § 19 OWiG.
Siehe auch Mobiltelefon - Handy-Benutzung - Gebrauch des Funktelefons
Gründe:
I.
Mit Bußgeldbescheid der Thüringer Polizei – Zentrale Bußgeldstelle – vom 05.08.2008 wurde gegen den Betroffenen wegen verbotswidrigen Benutzens eines Mobil- oder Autotelefons als Führer eines Kraftfahrzeugs durch Aufnehmen oder Halten des Mobiltelefons oder Hörers des Autotelefons und tateinheitlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 60 km/h um 13 km/h eine Geldbuße von 50,– Euro festgesetzt.
In der auf den fristgerechten Einspruch des Betroffenen gegen diesen Bescheid durchgeführten Hauptverhandlung vom 28.04.2009 setze das Amtsgericht Jena gemäß §§ 23 Abs. 1a, 41 Abs. 2, Zeichen 274, 49 StVO, 24 StVG, 11.3.2. BKat, 20 OWiG folgende Geldbußen festgesetzt:
80,– Euro, weil er vorsätzlich als Führer eines Kraftfahrzeuges verbotswidrig ein Mobiltelefon benutzte, indem er dieses aufnahm und hielt,
40,– Euro, weil er fahrlässig die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 60 km/h um abzüglich der Messtoleranz 13 km/h überschritt.
Gegen dieses Urteil hat der Betroffene durch Fax-Schreiben seines Verteidigers beim Amtsgericht Jena am 05.05.2009 die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt.
Nach Zustellung einer Ausfertigung des vollständig begründeten Urteils an den Verteidiger am 02.06.2009 hat dieser mit weiterem Fax-Schreiben beim Amtsgericht am 02.07.2009 den Zulassungsantrag des Betroffenen begründet. Gestützt auf die näher ausgeführte Rüge der Verletzung materiellen Rechts durch rechtsfehlerhafte Annahme von Tatmehrheit macht er der Sache nach geltend, dass gemäß den tatrichterlichen Feststellungen aus Zweifelsgründen Tateinheit auszuurteilen war, ohne einen Beschwerdeantrag anzubringen.
Zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung hat der zuständige Einzelrichter mit Beschluss vom 05.10.2009 die Rechtsbeschwerde zugelassen und die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
II.
In der Sache hat die danach zulässige Rechtsbeschwerde Erfolg. Sie führt auf die ausgeführte Sachrüge hin zur Abänderung des Schuldspruchs und zur Neubestimmung der Geldbuße, da der Bußgeldrichter zu Unrecht von einer tatmehrheitlichen Begehungsweise ausgegangen ist.
1. Nach den – rechtsfehlerfrei getroffenen – Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 03.05.2008 um 17.53 Uhr mit seinem Pkw die BAB 4 in Fahrtrichtung Dresden. Bei Kilometer 171,0 überschritt er außerorts die durch Zeichen 274 angeordnete Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um (abzüglich der Toleranz von 3 km/h) 13 km/h. Darüber hinaus hielt der Betroffene während der Fahrt mit seiner linken Hand ein Mobiltelefon an sein linkes Ohr.
2. Diese Feststellungen rechtfertigen nicht die Verurteilung des Betroffenen wegen tatmehrheitlich begangener Verstöße gegen §§ 23 Abs. 1a, 41 Abs. 2 Nr. 7 (Zeichen 274) StVO.
a) Nach § 19 Abs. 1 OWiG wird nur eine Geldbuße festgesetzt, wenn dieselbe Handlung mehrere Gesetze, nach denen sie als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann, verletzt. „Dieselbe Handlung“ im Sinne des Gesetzes ist dabei eine einzige Willensbetätigung oder eine natürliche Handlungseinheit. Letztgenannte ist gegeben, wenn mehrere Verhaltensweisen in einem solchen unmittelbaren (räumlichen und zeitlichen) Zusammenhang stehen, dass das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen Dritten (objektiv) als ein einheitlich zusammengefasstes Tun anzusehen ist (vgl. Göhler/Gürtler, OWiG, 15. Aufl. vor § 19 Rdnr. 3, § 19 Rdnr. 2; KK-Bohnert, OWiG, 2. Aufl., § 19 Rdnr. 19 jeweils m.w.N.).
Zwar bewirkt die bloße Gleichzeitigkeit der Verletzung mehrerer Deliktstatbestände noch nicht die Handlungsidentität im Sinne von § 19 Abs. 1 OWiG. Vielmehr ist erforderlich, dass diejenige Handlung, die einen Tatbestand (ganz oder teilweise) verwirklicht, zugleich – d.h. wenigstens in einzelnen der ihr zugehörigen Willensbetätigungen – einen anderen Tatbestand ganz oder teilweise erfüllt. Zur Abgrenzung gegenüber „nur gleichzeitig“ oder „nur gelegentlich“ einer Dauertat begangenen Verstößen ist es demnach erforderlich, dass Identität in einem für beide Tatbestandsverwirklichungen in der konkreten Form notwendigen Teil vorliegt (vgl. BGHSt 27, 66, 67).
b) Das ist hier – im Gegensatz zur Auffassung des Amtsgerichts – zu bejahen, denn beide Verkehrsverstöße sind im Rahmen eines einheitlichen äußeren Lebenssachverhaltes äußerlich und innerlich miteinander verknüpft.
Das Führen des Kraftfahrzeuges mit überhöhter Geschwindigkeit i.S.d. § 41 Abs. 2 Nr. 7 (Zeichen 274) StVO und das teils zeitgleiche Verwenden des Mobiltelefons i.S.d. § 23 Abs. 1a StVO beruhen auf sich überlagernden Willensbetätigungen des Betroffenen, und sie stellen sich als zeitgleich-einheitliches Handeln in der Außenwelt dar.
Beide Ordnungswidrigkeiten knüpfen an den Fahrvorgang an. Das Telefonieren ist nur während, nicht aber außerhalb des Fahrvorganges verboten. Die Fahrtätigkeit – mit überhöhter Geschwindigkeit – schafft erst die Voraussetzung für die Begehung der Ordnungswidrigkeit nach § 23 Abs. 1a StVO und kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass die Ordnungswidrigkeit der Benutzung eines Mobiltelefons während der Fahrt entfiele. Die beiden Tatbestände greifen auch in ihrer Struktur ineinander, da schließlich nicht das Telefonieren sanktioniert, sondern gewährleistet werden soll, dass der Fahrer nicht abgelenkt wird und beide Hände für das Fahren frei hat (so die amtliche Begründung: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Auflage, § 23 StVO Rdnr. 4; siehe auch OLG Hamm NJW 2005, 2469, AG Bonn ZfS 2007, 473; OLG Saarbrücken VRS 110, 362 [TE m. § 24a StVG ]; OLG Rostock VRS 107, 461-464 [Sicherheitsgurt]). Dabei ist es unerheblich, in welcher Reihenfolge die festgestellten tatbestandlichen Ausführungshandlungen vorgenommen worden sind. Die erforderliche Verknüpfung der Tatbestände wird allein durch die Überlagerung der objektiven Ausführungshandlungen begründet (vgl. BGH, a.a.O.).
3. Die getroffenen Feststellungen tragen jedoch eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO in Tateinheit mit einer fahrlässig begangenen Zuwiderhandlung gegen § 41 Abs. 2 Nr. 7 (Zeichen 274 StVO).
4. Der festgestellte Rechtsfehler zwingt zugleich zur Neufestsetzung der Geldbuße, die der Senat abweichend von § 354 Abs. 1 StPO selbst vornehmen kann (§ 79 Abs. 6 OWiG).
Der Senat hat die gemäß § 19 OWiG gegen den Betroffenen zu verhängende einzige Geldbuße auf 100,– Euro bestimmt. Bei der Bemessung hat der Senat berücksichtigt, dass in dem zur Tatzeit gültigen bundeseinheitlichen Tatbestandskatalog für Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten unter § 23 Abs. 1a StVO, Tatbestandnummer 123500, ein Bußgeldbetrag von 40,– Euro angesetzt worden ist. Auch wenn der Tatbestandskatalog als nur verwaltungsinterne Richtlinie keine Bindungswirkung für die Gerichte entfaltet (vgl. Beschluss des Senats vom 23.05.2006, Az.: 1 Ss 54/06) und allenfalls eine grobe Orientierungshilfe darstellt, war die Vorgabe vorliegend unter dem Gesichtspunkt einer möglichst gleichmäßigen Behandlung gleich gelagerter Sachverhalte zu beachten, da diese in der Praxis einen breiten Anwendungsbereich erreicht hatte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 03.09.2004, Az.: IV-2 Ss (OWi) 99/04, zitiert nach juris). Jedoch bestand für den Senat unter Berücksichtigung der vom Amtsgericht mitgeteilten straßenverkehrsrechtlichen Vorbelastungen des Betroffenen hinreichend Anlass von der Vorgabe nach oben deutlich abzuweichen.
5. Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 3 StPO. Der Betroffene hat ausweislich des Schriftsatzes seines Verteidigers vom 02.07.2009 eine tateinheitliche – im Vergleich zur tatmehrheitlichen Rechtsfolgenbemessung abgemilderte – Sanktionierung seines Fehlverhaltens angestrebt und hatte hierin vollen Erfolg.