Das Verkehrslexikon

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OVG Koblenz Urteil vom 18.03.2010 - 10 A 11244/09.OVG - Tschechischer Führerschein muss auch bei deutschem Wohnsitz anerkannt werden

OVG Koblenz v. 18.03.2010: Das Wohnsitzerfordernis ist nicht anwendbar ohne vorherige Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis


Das OVG Rheinland-Pfalz in Koblenz (Urteil vom 18.03.2010 - 10 A 11244/09.OVG) hat entschieden:
§ 28 Abs. 4 Nr. 2 der Fahrerlaubnisverordnung in der bis zum 18. Januar 2009 geltenden Fassung - FeV a. F. - gelangt nur dann zur Anwendung, wenn sich der Verstoß gegen das in Art. 7 Abs. 1 b der Richtlinie 91/439/EWG - 2. Führerscheinrichtlinie - geregelte Wohnsitzerfordernis, nach dem ein EU-Führerschein nur vom Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes ausgestellt werden darf, aus dem vom anderen EU-Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein oder anderen von diesem Staat herrührenden unbestreitbaren Informationen ergibt, und zusätzlich dem Betroffenen in Deutschland vor der Führerscheinausstellung die Fahrerlaubnis entzogen oder seine Fahrerlaubnis eingeschränkt, ausgesetzt oder aufgehoben worden war. Die bisherige entgegenstehende Rechtsprechung wird aufgegeben.


Siehe auch Wohnsitzprinzip und EU-Führerschein


Tatbestand:

Dem im Jahre 1971 geborenen und seit März 2001 in K...., wohnhaften Kläger wurde am 23. November 2005 in Tschechien eine Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt; zuvor hatte er noch zu keiner Zeit eine Fahrerlaubnis besessen. In dem ihm am 7. Dezember 2005 ausgestellten tschechischen Führerschein wurde zutreffend als sein Wohnort K... . angeführt. Seinen im Februar 2006 gestellten Antrag auf Umschreibung der tschechischen Fahrerlaubnis in eine deutsche Fahrerlaubnis nahm er später zurück.

Unter dem 28. Juli 2006 stellte die Beklagte dem Kläger gegenüber daraufhin klar, dass sie mit Rücksicht auf die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vorerst davon Abstand nehme, die Fahrerlaubnis zu entziehen, dass sie sich jedoch vorbehalte, bei einer Änderung dieser Rechtsprechung erneut auf die Angelegenheit zurückzukommen; ihrer Auffassung nach habe er die EU-Fahrerlaubnis unter Umgehung des deutschen Fahrerlaubnisrechts erworben.

Nachdem der Europäische Gerichtshof mit zwei Beschlüssen vom 26. Juni 2008 entschieden hatte, dass die Richtlinie 91/439/EWG - 2. Führerscheinrichtlinie - es einem EU-Mitgliedstaat nicht verwehre, einem von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein die Anerkennung zu versagen, wenn der betreffende Führerscheininhaber zum Ausstellungszeitpunkt nicht in dem anderen Mitglied staat seinen ordentlichen Wohnsitz gehabt habe und das aus dem Führerschein selbst oder aus unbestreitbaren Informationen seitens dieses Mitgliedstaates hervorgehe, stellte die Beklagte mit für sofort vollziehbar erklärter Verfügung vom 24. November 2008 fest, dass der Kläger nicht berechtigt sei, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen. Sie stützte die Verfügung auf § 28 Abs. 4 Nr. 3 der Fahrerlaubnisverordnung in der seinerzeit geltenden Fassung; diese Vorschrift sah vor, dass der Inhaber einer gültigen EU-Fahrerlaubnis, der seinen ordentlichen Wohnsitz in Deutschland hat, nicht dazu berechtigt ist, im Inland Kraftfahrzeuge zu führen, sofern er zum Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hatte.

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und suchte um die Gewährung vor läufigen Rechtsschutzes nach. Das Verwaltungsgericht gab diesem Antrag mit Beschluss vom 5. Januar 2009 statt und stellte die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 24. November 2008 wieder her. Es war der Auffassung, dass die in den Beschlüssen des Europäischen Gerichtshofs vom 26. Juni 2008 beschriebene Ausnahme vom Anerkennungsgrundsatz auch voraussetze, dass dem betreffenden Führerscheininhaber vor der Fahrerlaubnis erteilung in dem anderen EU-Mitgliedstaat in dem Mitgliedstaat seines Wohnsitzes die Fahrerlaubnis entzogen worden sei.

Auf die Beschwerde der Beklagten gegen diese Entscheidung lehnte der Senat mit Beschluss vom 18. März 2009 unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts den Eilantrag des Klägers ab. Einen der Fahrerlaubniserteilung in dem anderen EU-Mitgliedstaat vorausgegangenen Fahrerlaubnisentzug im Wohnsitzmitgliedstaat hielt der Senat nicht für erforderlich.

Darauf hat der Kläger am 14. April 2009 Untätigkeitsklage erhoben, zu deren Begründung er sich insbesondere darauf berufen hat, dass die bloße Verletzung des Wohnsitzprinzips durch den EU-Mitgliedstaat, der den Führerschein ausgestellt habe, die Nichtanerkennung des Führerscheins durch den Wohnsitzmitgliedstaat nicht zu rechtfertigen vermöge.

Er hat beantragt,
die Verfügung der Beklagten vom 24. November 2008 aufzuheben.
Die Beklagte hat
Klageabweisung
beantragt und sich der Auffassung des Senats in der Beschwerdeentscheidung vom 18. März 2009 angeschlossen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 1. Juli 2009 abgewiesen. Zur Begründung hat es sich auf die Ausführungen im Beschluss des Senats vom 18. März 2009 bezogen.

Mit Rücksicht auf die von seiner Rechtsauffassung abweichende Rechtsprechung anderer Obergerichte hat der Senat mit Beschluss vom 19. November 2009 - wie vom Kläger beantragt - die Berufung gegen dieses Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Die Berufung hat der Kläger sodann fristgemäß begründet. Hierzu wiederholt er sein bisheriges Vorbringen.

Er beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach seinem Klageantrag erster Instanz zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Verwaltungsgerichts für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Beteiligten zu der Prozessakte gereichten Schriftsätze sowie der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verwaltungsvorgänge verwiesen.


Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen.

Die Verfügung der Beklagten vom 24. November 2008 verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Die Voraussetzungen für die Feststellung, dass der Kläger nicht berechtigt ist, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, liegen nicht vor. Der Kläger ist vielmehr aufgrund dieser Fahrerlaubnis zur Teilnahme am Straßenverkehr im Bundesgebiet befugt.

Zwar sind die in der für die Nichtberechtigung allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 28 Abs. 4 Nr. 2 der Fahrerlaubnisverordnung in der bis zum 18. Januar 2009 geltenden Fassung - FeV a. F. - bestimmten Voraussetzungen für die Versagung der Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis erfüllt, weil der Kläger zum Zeitpunkt der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis seinen ordentlichen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hatte. Die genannte Bestimmung gelangt jedoch nur dann zur Anwendung, wenn sich der Verstoß gegen das in Art. 7 Abs. 1 b der Richtlinie 91/439/EWG - 2. Führerscheinrichtlinie - geregelte Wohnsitzerfordernis, nach dem ein EU-Führerschein nur vom Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes ausgestellt werden darf, aus dem vom anderen EU-Mitgliedstaat - Ausstellermitgliedstaat - ausgestellten Führerschein oder anderen von diesem Staat herrührenden unbestreitbaren Informationen ergibt - diese Voraussetzung wird hier noch erfüllt - und dem betreffenden EU-Fahrerlaubnisinhaber in Deutschland als dem Mitgliedstaat, um dessen Anerkennung es geht - Aufnahmemitgliedstaat -, vor der Führerscheinausstellung die Fahrerlaubnis entzogen oder seine Fahrerlaubnis eingeschränkt, ausgesetzt oder aufgehoben worden war - was vorliegend nicht der Fall ist.

An seiner bisherigen Rechtsprechung, nach der die Verletzung des Wohnsitzerfordernisses - unter den oben dargestellten Voraussetzungen - für die Nichtanerkennungsbefugnis des Aufnahmemitgliedstaats ausreicht, es also nicht darauf ankommt, ob dem Betreffenden in diesem Staat vor dem Erwerb der EU-Fahrerlaubnis eine frühere Fahrerlaubnis entzogen worden war (grundlegend Beschluss vom 23. Januar 2009, BA 2009, 352; ferner z. B. der in dieser Sache ergangene Beschluss vom 18. März 2009 - 10 B 10087/09.OVG -), hält der Senat nicht mehr fest.

Dass es neben dem Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis seitens des Ausstellermitgliedstaats auch einer der oben näher bezeichneten Maßnahmen im Aufnahmemitgliedstaat bedarf, um gemäß den rechtlichen Vorgaben der 2. Führerscheinrichtlinie als Aufnahmemitgliedstaat europarechtlich dazu ermächtigt zu sein, der vom Ausstellermitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis die Anerkennung zu versagen, und von daher § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV a. F. nur insoweit europarechtskonform und anwendbar ist, erschließt sich wie folgt:

Die Vereinbarkeit dieser Bestimmung mit dem Europarecht beurteilt sich, wie gesagt, nach der 2. Führerscheinrichtlinie. Sie sieht in Art. 1 Abs. 2 die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine "ohne jede Formalität" vor. Die Bestimmung erlegt den Mitgliedstaaten "eine klare und unbedingte Verpflichtung auf, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die Maßnahmen lässt, die zu ergreifen sind, um dieser Verpflichtung nachzukommen" (stRspr. des EuGH, z. B. Urteile vom 29. April 2004 - C-476/01 -, Kapper, und 26. Juni 2008 - C-329 und 343/06 -, Wiedemann u.a.). Dieser Grundsatz wurde aufgestellt, um die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niederlassen, in dem sie die Fahrprüfung abgelegt haben. Er soll die Ausübung der Rechte erleichtern, die durch die Bestimmungen des EG-Vertrags über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr gewährleistet werden (vgl. wie vor). Der Besitz eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist als Nachweis dafür anzusehen, dass der Inhaber dieses Führerscheins im Zeitpunkt dessen Ausstellung die in der 2. Führerscheinrichtlinie hierfür vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt hat. Allein dem Ausstellermitgliedstaat steht es zu, ggf. die Beachtung der in der Richtlinie aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen nachzuprüfen (vgl. wie vor).

Die 2. Führerscheinrichtlinie kennt nur eine Ausnahme von diesem Grundsatz. So ist in Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie bestimmt, dass ein Mitgliedstaat es ablehnen kann, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Abs. 2 der Bestimmung genannten Maßnahmen angewendet - d. h. eine Fahrerlaubnis eingeschränkt, ausgesetzt, entzogen oder aufgehoben - wurde.

Hierzu hat der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. wie vor) hervorgehoben, dass die Vorschrift eng auszulegen ist. Begründet hat er dies damit, dass so schon ganz allgemein Bestimmungen einer Richtlinie auszulegen seien, die von einem in der betreffenden Richtlinie aufgestellten allgemeinen Grundsatz abwichen; erst recht müsse das gelten, wenn dieser allgemeine Grundsatz die Ausübung von durch den EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten erleichtern solle - wie es zufolge des eingangs Ausgeführten bei dem Anerkennungsgrundsatz der Fall ist.

Eingedenk der - insbesondere hier - gebotenen engen Auslegung hat der Europäische Gerichtshof dann entschieden, dass eine Nichtanerkennung nach Maßgabe dieser Ausnahmeregelung nur in Betracht kommt, wenn im Zeitpunkt der Führerscheinausstellung durch den anderen Mitgliedstaat aufgrund einer mit der in Rede stehenden Maßnahme im Aufnahmemitgliedstaat angeordneten Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis dort noch keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden durfte (vgl. neben den Urteilen in den Rechtssachen Kapper und Wiedemann u. a. z. B. die Entscheidungen vom 6. April 2006 - C-227/05 -, Halbritter, und 28. September 2006 - C-340/05 -, Kremer) oder wenn die Führerscheinausstellung durch den anderen Mitgliedstaat während der Gültigkeitsdauer einer Aussetzung der im Aufnahmemitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis erfolgte und diese Fahrerlaubnis nach dem Führerscheinerwerb im Ausstellermitgliedstaat entzogen wurde (vgl. Urteil vom 20. November 2008 - C-1/07 -, Weber).

Vor dem aufgezeigten rechtlichen Hintergrund - der besonderen Bedeutung des Anerkennungsgrundsatzes für eines der zentralen Anliegen der Europäischen Union und der hieraus abzuleitenden engen Auslegung der einzigen vom europäischen Normgeber vorgesehenen Ausnahme von diesem Grundsatz - ist kein Raum für die Annahme, dass es völlig losgelöst von den durch den Richtliniengeber vorgeschriebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Grundsatz auch aus anderen Gründen in Betracht kommen kann, dem von einem anderen EU-Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein die Anerkennung zu versagen. Es überschreitet nicht nur die Grenzen einer engen, sondern jedweder Auslegung, die Erfüllung sämtlicher von einer Norm für die von ihr angeordnete Rechtsfolge geforderten Voraussetzungen in bestimmten Fällen für entbehrlich zu erachten, d. h. die betreffende Rechtsfolge auch auf einen völlig anderen Sachverhalt zu beziehen. Für eine zulässige richterliche Rechtsfortbildung fehlt es hinsichtlich einer weiteren Ausnahme - neben Art. 8 Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie - von dem für die Wahrnehmung der unionsrechtlichen Grundfreiheiten besonders bedeutsamen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine bereits an einer planwidrigen Regelungslücke.

Dafür, dass es dem Europäischen Gerichtshof ungeachtet dessen genau darum aber gegangen sein könnte, gibt es in den Entscheidungen vom 29. April 2004 (Kapper) und 26. Juni 2008 (Wiedemann u. a.) auch keinerlei Anhaltspunkte. Sie sprechen vielmehr dafür, dass der Europäische Gerichtshof die Befugnis zur Nichtanerkennung wegen - im eingangs dargestellten Sinne "offenkundiger" - Verletzung des Wohnsitzerfordernisses durch den Ausstellermitgliedstaat als "Unterfall" der Anerkennungsversagungskompetenz des Art. 8 Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie, als "Lockerung" der engen Auslegung, was den Zeitpunkt der Führerscheinausstellung anbelangt, betrachtet hat.

So ist in der Sache Kapper zu sehen, dass die dem Gericht vorgelegte Frage allein die Rechtsfolgen einer aufgrund eigener Ermittlungen des Aufnahmemitgliedstaates diesem zur Kenntnis gelangten Verletzung des Wohnsitzerfordernisses durch den Ausstellermitgliedstaat mit Blick auf den Anerkennungsgrundsatz des Art. 1 Abs. 2 der 2. Führerscheinrichtlinie zum Gegenstand hatte. Der Europäische Gerichtshof hat dann von sich aus die Vorlagefrage über die "vom vorlegenden Gericht ausdrücklich erwähnten Aspekte" hinaus ausgeweitet, um "eine sachdienliche und möglichst vollständige Antwort auf ... (sie) zu geben". Hierzu hat er die Frage um "einige andere Bestimmungen der Richtlinie 91/439 ..., die sich auf die Beantwortung der Frage auswirken können, und zwar insbesondere Art. 8 Abs. 4" ergänzt. Er hat sodann zunächst unter Heranziehung seiner bisherigen Rechtsprechung (Urteil vom 10. Juli 2003 - C-246/00 -, Kommission/Niederlande; Beschluss vom 11. Dezember 2003 - C-408/02 -, Da Silva Carvalho) die ursprüngliche ihm vorgelegte Frage beantwortet. Der hierauf bezogene Tenor (Nr. 1) der Entscheidung stimmt bis auf geringfügige rein sprachliche Abweichungen mit dem Tenor der Entscheidung in der Rechtssache Da Silva Carvalho überein. Die "vom vorlegenden Gericht ausdrücklich erwähnten Aspekte" waren mit anderen Worten in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vollumfänglich geklärt. Danach ist der Europäische Gerichtshof auf die Rechtslage nach Maßgabe des Art. 8 Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie als Bestimmung, "die sich auf die Beantwortung der Frage auswirken kann", eingegangen und hat insofern - erstmals - klargestellt, dass die Möglichkeit zur Versagung der Führerscheinanerkennung nach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie eine Führerscheinausstellung während des Laufs einer mit der Maßnahme gemäß Abs. 2 angeordneten Sperrfrist voraussetzt. Diese über die bereits vorliegende Entscheidung im Verfahren Da Silva Carvalho hinausgehende - ungefragte - Feststellung zu Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie erscheint danach als weiterer "Aspekt" neben den bereits "vom vorlegenden Gericht ausdrücklich erwähnten Aspekten" ein und derselben Rechtsvorschrift.

Aber auch die Begründung des EuGH-Urteils in der Rechtssache Wiedemann u. a. weist darauf hin, dass die Frage nach der Verpflichtung zur Führerscheinanerkennung in Fällen einer "offensichtlichen" Außerachtlassung der Wohnsitzvoraussetzung als "Aspekt" der Befugnis gem. Art. 8 Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie behandelt worden ist.

So ist zunächst festzustellen, dass der Europäische Gerichtshof die ihm vorgelegten Fragen - als sein "Prüfungsprogramm" - so "zurecht gelegt" hat, dass es danach, auch was die Frage der Anerkennung in den genannten Fällen betrifft, um die Auslegung des Art. 8 Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie als Ausnahme vom Anerkennungsgrundsatz gemäß Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie geht. So heißt es dort, dass die vorlegenden Gerichte wissen möchten, wie die Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1 a und b sowie 8 Abs. 2 und Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie auszulegen seien, wenn der Führerschein durch einen anderen Mitgliedstaat nach einem vorausgegangenen Fahrerlaubnisentzug im Aufnahmemitgliedstaat "außerhalb einer Sperrzeit, aber unter Missachtung des Wohnsitzerfordernisses oder der Eignungsvoraussetzungen, die der Aufnahmemitgliedstaat insoweit zur Gewährleistung der Sicherheit des Straßenverkehrs vorsieht, ausgestellt wurde". Nach dieser Formulierung steht im Rahmen der Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie die Beantwortung der Frage an, wie der Fall zu würdigen ist, dass der Führerschein zwar außerhalb einer Sperrfrist - und damit ohne die Möglichkeit zu einer Nichtanerkennung von daher -, dafür aber unter Nichtbeachtung der Wohnsitzvoraussetzung bzw. der im Recht des Aufnahmemitgliedstaats bestimmten Eignungsvoraussetzungen ausgestellt wurde.

Diesen Vorgaben folgt sodann die rechtliche Würdigung des Europäischen Gerichtshofs. Es werden zunächst die zufolge der bisherigen Rechtsprechung aus dem Anerkennungsgrundsatz herzuleitenden Ge- bzw. Verbote dargestellt. Daran schließen sich Ausführungen zu der einzigen in der Richtlinie vorgesehenen Ausnahme vom Anerkennungsgrundsatz - Art. 8 Abs. 4 - an. In diesem Zusammenhang wird die in der vom Europäischen Gerichtshof ausformulierten Frage "gleichrangig" neben der Verletzung des Wohnsitzprinzips angesprochene Missachtung der vom Aufnahmemitgliedstaat vorgesehenen Eignungsvoraussetzungen ebenso wie bereits in seinem Beschluss in der Rechtssache Kremer dahin gewürdigt, dass Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie nicht dazu ermächtigt, die Gültigkeit des Führerscheins nicht anzuerkennen, solange der Führerscheininhaber die Bedingungen nicht erfüllt, die nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach dem Entzug einer früheren Fahrerlaubnis vorliegen müssen, einschließlich einer Überprüfung der Fahreignung, die bestätigt, dass die Gründe für den Entzug nicht mehr vorliegen.

Schließlich folgen die Ausführungen zu der in Rede stehenden Fallgestaltung. Sie werden eingeleitet mit der Bemerkung, zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen sei "sodann insbesondere auf die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung, wie er oben in Erinnerung gerufen worden ist, für den Fall einzugehen, dass feststeht, dass der neue Führerschein unter Missachtung der von der Richtlinie aufgestellten Wohnsitzvoraussetzungen ausgestellt worden ist". Die Anwendung des Anerkennungsgrundsatzes war zuvor, wie dargestellt, namentlich auch unter dem Gesichtspunkt des hierzu in der Richtlinie bestimmten Ausnahmetatbestands "in Erinnerung gerufen" worden. Innerhalb der nachfolgenden Ausführungen zu Art. 7 Abs. 1 b der 2. Führerscheinrichtlinie ist der Europäische Gerichtshof dann im Zusammenhang mit der "besonderen Bedeutung" des Wohnsitzerfordernisses im Verhältnis zu den übrigen in der Richtlinie aufgestellten Voraussetzungen noch unmittelbar auf Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie zu sprechen gekommen mit der Feststellung, "die Sicherheit des Straßenverkehrs könnte ... gefährdet werden, wenn die Wohnsitzvoraussetzung in Bezug auf eine Person, auf die eine Maßnahme der Einschränkung, der Aussetzung, des Entzugs oder der Aufhebung der Fahrerlaubnis nach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie ... angewendet worden ist, nicht beachtet würde". Schließlich wird die behandelte Frage unter Voranstellung der rechtlichen Grundlage für die getroffene Feststellung - dieselbe wie die der Feststellung in Bezug auf die Missachtung der Eignungsvoraussetzungen des Aufnahmemitgliedstaats - beantwortet.

Handelt es sich nach alledem aber bei den in der Rechtssache Wiedemann u. a. zur "offensichtlichen" Missachtung des Wohnsitzerfordernisses bei der Führerscheinausstellung in dem anderen EU-Mitgliedstaat getroffenen Feststellungen des Europäischen Gerichtshofs erklärtermaßen um das Ergebnis einer Auslegung des Art. 8 Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie - vor dem Hintergrund des Anerkennungsgrundsatzes des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie -, so widerspräche es den Regeln der Ausdeutung einer gerichtlichen Entscheidung, wollte man davon ausgehen oder es doch für möglich erachten, der Europäische Gerichtshof habe die Feststellung nur deshalb zu Art. 8 Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie getroffen, weil dessen tatbestandliche Voraussetzungen eben erfüllt gewesen seien, der Fall eben so "dahergekommen" sei, ohne dass der Europäische Gerichtshof jedoch die seinerseits gewonnene Erkenntnis an die Erfüllung des besagten Tatbestands geknüpft habe. Dementsprechend lässt sich auch die ausdrückliche Erwähnung des Umstands im Entscheidungstenor, dass auf den Inhaber des Führerscheins "im Hoheitsgebiet des ... (Aufnahmemitgliedstaats) eine Maßnahme des Entzugs einer früheren Fahrerlaubnis angewendet worden ist", vernünftigerweise nicht dahin verstehen, dass diese Aussage allein der Tatsache geschuldet ist, dass die Kläger der Ausgangsverfahren eben "solche" Führerscheininhaber waren, dass mit dieser Aussage vielmehr die Notwendigkeit der Erfüllung des gem. Art. 8 Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie für eine Nichtanerkennung des vom anderen EU-Mitgliedstaates ausgestellten Führerscheins vorausgesetzten Tatbestands zum Ausdruck gebracht worden ist.

Der Senat schließt sich damit unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (Beschluss vom 18. Juni 2009, BA 2009, 354) an. Zu dieser Rechtsauffassung tendiert auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (vgl. Beschluss vom 26. Februar 2009 - 11 C 09.296 -, juris).

Die Kostenentscheidung folgt, was das erstinstanzliche Verfahren angeht, aus § 155 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -, im Übrigen aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen.