Das Verkehrslexikon

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OVG Bremen Beschluss vom 20.04.2010 - 1 B 23/10 - Bei fehlendem Trennvermögen bei Cannabiskonsum ist eine MPU erforderlich

OVG Bremen v. 20.04.2010:Bei fehlendem Trennvermögen bei Cannabiskonsum ist eine MPU erforderlich


Das OVG Bremen (Beschluss vom 20.04.2010 - 1 B 23/10) hat entschieden:
Bei fehlendem Trennvermögen kann ein Cannabiskonsument seine Fahreignung nicht durch die Teilnahme an einem Aufbauseminar für Drogenauffällige wiederherstellen; vielmehr ist ein positives medizinisch-psychologisches Gutachten erforderlich.


Siehe auch Nachweis von fehlendem Trennvermögen zwischen gelegentlichem Cannabiskonsum und Verkehrsteilnahme und Stichwörter zum Thema Cannabis


Gründe:

I.

Der 1983 geborene Antragsteller erwarb am 08.06.2007 eine Fahrerlaubnis der Klassen B, M, S und L, die am 24.04.2008 um die Klassen C, CE und T erweitert wurde. Am 27.03.2009 führte der Antragsteller unter der Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug. Bei der Untersuchung einer Blutprobe wurde der Cannabiswirkstoff THC in der Konzentration vom 9 ng/ml und das Stoffwechselprodukt THC-Carbonsäure mit einer Konzentration von 90 ng/ml in seinem Blutserum festgestellt.

Am 24.04.2009 wurde wegen Verstoßes gegen § 24a Abs. 2 StVG ein Bußgeld in Höhe von 500,00 Euro gegen ihn verhängt und ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet.

Mit Verfügung vom 08.06.2009 gab das Stadtamt der Antragsgegnerin dem Antragsteller auf, an einem Aufbauseminar für drogenauffällige Fahranfänger teilzunehmen. Der Antragsteller absolvierte in der Zeit vom 05.08.2009 bis zum 19.08.2009 ein solches Seminar (Vorgespräch und drei Sitzungen von jeweils 180 Minuten).

Mit Verfügung vom 13.08.2009 gab das Stadtamt dem Antragsteller auf, ein ärztliches Gutachten zu seinem Cannabiskonsum vorzulegen. Das ärztliche Gutachten vom 08.09.2009 (Untersuchungstag 25.08.2009) gelangte zu dem Ergebnis, dass beim Antragsteller zumindest gelegentlicher Cannabiskonsum gegeben sei.

Daraufhin entzog das Stadtamt dem Antragsteller mit Verfügung vom 22.09.2009 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis. Den Widerspruch des Antragstellers wies der Senator für Umwelt, Bau, Verkehr und Europa mit Widerspruchsbescheid vom 09.12.2009 als unbegründet zurück.

Der Antragsteller hat am 05.01.2010 Klage erhoben und zugleich die Aussetzung der sofortigen Vollziehung beantragt.

Das Verwaltungsgericht Bremen – 5. Kammer – hat es mit Beschluss vom 13.01.2010 abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.

Dagegen richtet sich die rechtzeitig erhobene Beschwerde des Antragstellers.


II.

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

Das Oberverwaltungsgericht gelangt bei der in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Interessenabwägung ebenso wie das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Verfügung das Interesse des Antragstellers, einstweilen von der Durchsetzung der Maßnahme verschont zu bleiben, überwiegt. Die Anfechtungsklage des Antragstellers wird im Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolglos bleiben. Mit Rücksicht auf die Sicherheit des Straßenverkehrs überwiegt das öffentliche Interesse daran, bereits während der Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens seine Teilnahme am Straßenverkehr zu unterbinden.

Erweist sich jemand als ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs, so hat die Fahrerlaubnisbehörde ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen ( § 3 Abs. 1 StVG ). Das gilt insbesondere dann, wenn Mängel nach der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung vorliegen ( § 46 Abs. 1 FeV ). Konsumiert ein Verkehrsteilnehmer danach gelegentlich Cannabis, ist seine Kraftfahreignung nur gegeben, wenn angenommen werden kann, dass er den Konsum und das Fahren trennen kann (Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV).

Nach diesem Maßstab ist der Antragsteller ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Denn er konsumiert gelegentlich Cannabis und es kann nicht angenommen werden, dass er Konsum und Fahren trennen kann.

Daran, dass der Antragsteller gelegentlich Cannabis konsumiert, kann nach dem ärztlichen Gutachten vom 08.09.2009 kein Zweifel bestehen. Die am 25.08.2009, dem Untersuchungstag, entnommene Blutprobe hat ergeben, dass der Antragsteller noch im unmittelbaren Vorfeld der Untersuchung Cannabis konsumiert hatte (THC-Konzentration von 1,2 ng/ml). Gegenüber der Gutachterin hat der Antragsteller eingeräumt, im Jahre 2009 etwa 10 bis 20 x Cannabis konsumiert zu haben. Berücksichtigt man weiter den Vorfall vom 27.03.2009, drängt es sich auf, dass die ärztliche Beurteilung, es liege – zumindest – ein gelegentlicher Cannabiskonsum bei ihm vor, zutreffend ist. Jedenfalls kann sicher ausgeschlossen werden, dass der Antragsteller am 27.03.2009 einmalig Cannabis konsumiert hat. Dass die Gutachterin nach den erhobenen Befunden sogar einen regelmäßigen Konsum nicht hat ausschließen können, mag hier auf sich beruhen.

Der bereits genannte Vorfall vom 27.03.2009 belegt zudem, dass der Antragsteller Cannabiskonsum und Fahren nicht trennen kann. Denn er hat an diesem Tag unter der Wirkung von Cannabis ein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt. Nach der entnommenen Blutprobe (THC-Konzentration von 9 ng/ ml) kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Konsum zeitnah zur Teilnahme am Straßenverkehr erfolgte. Die festgestellte THC-Konzentration lag deutlich über dem Wert von 1,0 ng/ml bzw. 2,0 ng/ml, der bezüglich der Frage eines zeitnahen Konsums mit einer entsprechenden Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit von der Rechtsprechung zugrunde gelegt wird (zum Stand der Rechtsprechung vgl. OVG Bremen, B. v. 21.01.2010 - 1 B 469/09, Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, § 2 StVG Rn. 17g).

Der Umstand, dass der Antragsteller aufgrund einer am 18.06.2009 von der Antragsgegnerin erlassenen Anordnung an einem Aufbauseminar für Fahranfänger teilgenommen hat, ist nicht dazu geeignet, die ungünstige Beurteilung in Frage zu stellen. Bei der Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar – hier in der Form des besonderen Aufbauseminars für drogenauffällige Verkehrsteilnehmer ( §§ 2b Abs. 2 Satz 2 StVG, 36 FeV) – handelt es sich um eine gesetzlich zwingend vorgesehene Maßnahme gegenüber Inhabern einer Fahrerlaubnis auf Probe ( § 2a Abs. 2 StVG, vgl. Dauer, a. a. O., § 2a StVG Rn. 8). Durch die Maßnahme soll den Betreffenden die Notwendigkeit eines verkehrsgerechten Verhaltens verdeutlicht werden; zugleich soll ihnen klargemacht werden, u. a. durch die Verlängerung der Probezeit, dass bei einer Fortsetzung ihres Verhaltens die Fahrerlaubnis auf dem Spiel steht.

Das Gesetz stellt in § 2a Abs. 4 Satz 1 StVG aber ausdrücklich klar, dass die Vorschriften über die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen fehlender Kraftfahreignung unberührt bleiben. Die verpflichtende Teilnahme an einem Aufbauseminar stellt insoweit eine zusätzliche Maßnahme für Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe dar, die der spezifischen Anfängersituation Rechnung trägt, verdrängt aber nicht die allgemeinen Regelungen über die Fahrerlaubnisentziehung bei fehlender Kraftfahreignung. Im Falle des Antragstellers kommt deshalb aufgrund des festgestellten Eignungsmangels eine erneute Teilnahme am Straßenverkehr erst in Betracht, wenn hinreichend verlässlich davon ausgegangen werden kann, dass bei ihm eine Persönlichkeitsveränderung eingetreten ist, die für die Zukunft eine verlässliche Trennung von Cannabiskonsum und Fahren erwarten lässt. Die bloße Teilnahme an dem Aufbauseminar kann nicht die positive Feststellung eines solchen Einstellungswandels ersetzen. Eine entsprechende Feststellung kann allein durch ein im Wiedererteilungsverfahren beizubringendes medizinisch-psychologisches Gutachten getroffen werden (vgl. § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV; Dauer, a. a. O., § 2 StVG Rn. 17j).

Eine andere Frage ist, ob es im vorliegenden Fall sachgerecht war, zunächst die Teilnahme am Aufbauseminar und dann die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens zur Klärung des Drogenkonsums anzuordnen. § 2a Abs. 4 Satz 2 StVG sieht eine umgekehrte Reihenfolge vor – und das auch nur dann, wenn die Behörde aufgrund des vorgelegten Gutachten die Nichteignung für nicht erwiesen hält. An der Frage, wie die Kraftfahreignung des Antragstellers im konkreten Fall zu beurteilen ist, ändert das im vorliegenden Fall in Widerspruch zu § 2a Abs. 4 StVG stehende Vorgehen der Antragsgegnerin aber nichts. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung auf §§ 52 Abs. 1, 53Abs. 2 GKG.