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OLG Düsseldorf Beschluss vom 05.03.2010 - IV-3 RBs 36/10 - Kein Beweisverwertungsverbot bei Geschwindigkeitsmessung mit dem Lasersystem Riegl FG-21P
OLG Düsseldorf v. 05.03.2010: Zur Verwertung von Videoaufnahmen mit dem Gerät Riegl FG-21P und zu den erforderlichen Feststellungen zum Augenblicksversagen beim Übersehen eines Geschwindigkeitsbeschränkungsschildes
Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 05.03.2010 - IV-3 RBs 36/10) hat entschieden:
- Nach der Rechtsprechung des Senats kommt ein Beweiserhebungsverbot nur dann in Betracht, wenn eine verdachtsunabhängige Aufzeichnung erfolgt. Mit dem Gerät Riegl FG-21P wird keine dauerhafte Bildspeicherung durchgeführt. Vielmehr wird aufgrund eines konkreten Verdachts nach Anvisierung eines Fahrzeugs durch Auslösen einer Taste eine kurzzeitige Speicherung der ermittelten Geschwindigkeit und der konkreten Zeit ohne Bildaufzeichnung des gemessenen Fahrzeugs vorgenommen. Diese Daten werden bei einem weiteren Betätigen der Auslösetaste gelöscht. Insofern ist bei Verwendung dieses Geräts eine Verwertung der ermittelten Daten uneingeschränkt zulässig.
- Die Möglichkeit, dass der Verkehrsteilnehmer das die Beschränkung anordnende Verkehrszeichen übersehen hat, muss der Tatrichter dann in Rechnung stellen, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben oder der Betroffene dies im Bußgeldverfahren einwendet. Soweit der Betroffene geltend macht, infolge eines entschuldbaren Augenblicksversagens das die Geschwindigkeit begrenzende Verkehrszeichen an der Messstelle übersehen zu haben, ist das Amtsgericht gehalten, nähere Feststellungen zur Art und Weise der Geschwindigkeitsbeschränkung und zu den örtlichen Gegebenheiten zu treffen, damit dem Rechtsbeschwerdegericht die Möglichkeit zur Prüfung der Frage eröffnet ist, ob der Wahrnehmungsfehler vorwerfbar ist.
Siehe auch Fahrverbot und sog. Augenblicksversagen und Stichwörter zum Thema Fahrverbot
Gründe:
I.
Hinsichtlich des Schuldspruchs ist die Rechtsbeschwerde unbegründet, weil die Überprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerderechtfertigung insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben hat (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 und 3 StPO).
Soweit sich der Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. August 2009 (vgl. BVerfG NJW 2009, 3293 f) auf ein Beweisverwertungsverbot berufen hat, geht seine Argumentation angesichts der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen an der Problematik vorbei.
Das angefochtene Urteil enthält weder die Feststellung, dass eine Videoaufzeichnung vom Betroffenen angefertigt wurde, noch dass alle Fahrzeuge, die im Messzeitraum die Bergische Allee befuhren, kontinuierlich aufgenommen und die entsprechenden Aufnahmen durch Speicherung festgehalten wurden. Nach der Rechtsprechung des Senats kommt ein Beweiserhebungsverbot indessen nur dann in Betracht, wenn eine verdachtsunabhängige Aufzeichnung erfolgt (vgl. Senat, Beschluss vom 9.2.2010 [IV-3 RBs 8/10]).
Darüberhinaus ist dem Senat aus eigener Anschauung bei einer Demonstration dieses standardisierten Messverfahrens bekannt, dass mit dem vorliegend verwendeten Gerät Riegl FG-21P keine dauerhafte Bildspeicherung durchgeführt wird. Vielmehr wird aufgrund eines konkreten Verdachts nach Anvisierung eines Fahrzeugs durch Auslösen einer Taste eine kurzzeitige Speicherung der ermittelten Geschwindigkeit und der konkreten Zeit ohne Bildaufzeichnung des gemessenen Fahrzeugs vorgenommen. Diese Daten werden bei einem weiteren Betätigen der Auslösetaste gelöscht. Insofern ist bei Verwendung dieses Geräts eine Verwertung der ermittelten Daten uneingeschränkt zulässig.
II.
Im Rechtsfolgenausspruch hat das Rechtsmittel (vorläufigen) Erfolg.
1. Soweit die Verhängung eines Regelfahrverbots bei Vorliegen der Voraussetzungen der BKatV angezeigt ist, sind nähere Ausführungen dazu, ob ein Betroffener unter grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers (§ 25 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StVG) gehandelt hat, zwar nicht erforderlich.
Denn schon das Vorliegen der betreffenden Voraussetzungen nach der BKatV indiziert auch das Vorliegen solcher Umstände, so dass es in diesen Fällen neben der Verhängung einer Geldbuße regelmäßig der Anordnung eines Fahrverbots als Warnungs- und Besinnungsmaßnahme bedarf. Für eine Einzelfallprüfung, ob trotz Vorliegens des Regelfalls eine grobe Pflichtverletzung ausgeschlossen ist, bleibt nur noch ein erheblich eingeschränkter Prüfungsspielraum. Die in der BKatV erwähnten Regelbeispiele entheben das Gericht der bei Anwendung von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG sonst bestehenden Verpflichtung, die Angemessenheit und Notwendigkeit der verhängten Nebenstrafe besonders zu begründen, jedenfalls dann, wenn keine greifbaren Anhaltspunkte für ein Abweichen ersichtlich sind. Nur soweit besondere Ausnahmeumstände in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters offensichtlich gegeben sind und deshalb erkennbar nicht der von der BKatV erfasste Normalfall vorliegt, kommt ein Abweichen von der sonst regelmäßigen Verhängung eines Fahrverbots in Betracht.
Weist der Sachverhalt dagegen keine wesentlichen Besonderheiten auf, die einen groben Verkehrsverstoß ausnahmsweise in Frage stellen, ist die Anordnung eines Fahrverbots ohne weitere besondere Begründung nicht zu beanstanden. Es bedarf dann keiner näheren Darlegungen dazu, dass der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg im Hinblick auf die identische Zweckrichtung von Geldbuße und Fahrverbot und die zwischen beiden bestehende Wechselwirkung nicht durch eine - gegebenenfalls empfindliche - Erhöhung der Geldbuße ebenfalls erreicht werden kann (vgl. Senat NZV 1993, 241, 242 mwN = VRS 85, 235, 236/237 mwN = VM 1993 Nr. 16 mwN; NZV 1991, 121, 122).
Der Bußgeldrichter muss sich aber der ihm auch unter Anwendung der Regelbeispiele der BKatV eröffneten Entscheidungsmöglichkeiten bewusst sein und dies in den Entscheidungsgründen zu erkennen geben (vgl. BGH NStV 1992, 135, 136).
Dies bedeutet, dass er bei Verhängung eines Fahrverbots deutlich machen muss, dass er die Möglichkeit des Absehens von dieser Anordnung im Fall des Vorliegens besonderer Ausnahmeumstände gesehen und bei seiner Entscheidung bedacht hat. Der Tatrichter hat die konkreten Umstände des Einzelfalls festzustellen und unter entsprechender Abwägung auszuführen, weshalb keine Gründe ersichtlich sind, die es ausnahmsweise rechtfertigen könnten, von der Verhängung eines Regelfahrverbots unter gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße abzusehen, damit dem Rechtsbeschwerdegericht die ihm zufallende Prüfung auf mögliche Rechtsfehler auch ermöglicht wird.
Im vorliegenden Fall ist angesichts der Urteilsausführungen nicht erkennbar, dass sich das Amtsgericht der Wechselwirkung und der Möglichkeit des Absehens von dem an sich verwirkten Fahrverbot unter gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße bewusst gewesen ist.
2. Bei einer im Sinne der Regeltatbestände der BKatV qualifizierten Überschreitung der durch Zeichen 274 gemäß § 41 Abs. 2 Nr. 7 StVO beschränkten Geschwindigkeit kommt die indizielle Wirkung der Verwirklichung des Regelbeispiels nur mit Einschränkungen zum Tragen.
Dem Fahrer kann das für ein Fahrverbot erforderliche grob pflichtwidrige Verhalten nicht vorgeworfen werden, wenn der Grund für die begangene erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung darin liegt, dass er das die Höchstgeschwindigkeit begrenzende Vorschriftszeichen nicht wahrgenommen hat, es sei denn, gerade diese Fehlleistung beruht ihrerseits auf grober Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit. Das Maß der Pflichtverletzung hängt nur davon ab, in welchem Umfang dem Fahrzeugführer das Übersehen des Verkehrsschildes als Vorwurf anzulasten ist.
Das Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung an sich, auf das die Regelbeispiele der BKatV abstellen, lässt aber keinen Rückschluss darauf zu, ob der Fahrer das Vorschriftzeichen wahrgenommen oder grob pflichtwidrig nicht wahrgenommen hat. Zwar kann der Bußgeldrichter in der Regel davon ausgehen, dass der Betroffene die Anordnung einer Geschwindigkeitsbegrenzung auch erkannt hat. Die Möglichkeit, dass der Verkehrsteilnehmer das die Beschränkung anordnende Verkehrszeichen übersehen hat, muss der Tatrichter aber dann in Rechnung stellen, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben oder der Betroffene dies im Bußgeldverfahren einwendet. Soweit der Betroffene geltend macht, infolge eines entschuldbaren Augenblicksversagens das die Geschwindigkeit begrenzende Verkehrszeichen an der Messstelle übersehen zu haben, ist das Amtsgericht gehalten, nähere Feststellungen zur Art und Weise der Geschwindigkeitsbeschränkung und zu den örtlichen Gegebenheiten zu treffen, damit dem Rechtsbeschwerdegericht die Möglichkeit zur Prüfung der Frage eröffnet ist, ob der Wahrnehmungsfehler vorwerfbar ist.
Beruft sich der Fahrzeugführer darauf, das Zeichen 274 schlicht übersehen zu haben, und kann ihm diese Einlassung nicht widerlegt werden, so scheidet die Verhängung eines Fahrverbots gleichwohl nicht zwingend aus. Ist das gleiche Zeichen im Verlauf der vor der Messstelle befahrenen Strecke mehrfach wiederholt worden oder geht der Messstelle ein sog. Geschwindigkeitstrichter voraus, durch den die zulässige Höchstgeschwindigkeit stufenweise mittels mehrerer nacheinander aufgestellter Vorschriftszeichen herabgesetzt wird, so hat der betroffene Verkehrsteilnehmer die gebotene Aufmerksamkeit in grob pflichtwidriger Weise außer Acht gelassen. Das gleiche gilt, wenn sich die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung durch Zeichen 274 in Verbindung mit anderen - ohne weiteres erkennbaren - äußeren Umständen (Ortsschild, Bebauung) jedermann aufdrängt (vgl. zu alledem BGH St 43, 241 ff mwN).
Das Amtsgericht hat im vorliegenden Fall lediglich festgestellt, dass die zulässige Geschwindigkeit auf der Bergischen Allee in Erkrath durch Verkehrszeichen 274 auf 50 km/h beschränkt ist. Das Urteil enthält keine weiteren Feststellungen zu der konkreten Art der Bebauung, zur Länge der eingeschränkten Strecke, sowie keine exakte örtliche Bezeichnung der Messstelle.
In den Feststellungen ist zudem ausgeführt, dass der Betroffene das Verkehrsschild infolge mangelnder Aufmerksamkeit übersehen hatte. Dem Senat ist daher die Prüfung verwehrt, ob der behauptete Wahrnehmungsfehler vorwerfbar ist.
III.
Der Senat sieht keinen Anlass für eine Verweisung an ein anderes Amtsgericht oder eine andere Abteilung des Amtsgerichts Mettmann.