Das Verkehrslexikon

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OLG Brandenburg Beschluss vom 24.06.2010 - 1 Ss (OWi) 124 B/10 - Zu den Urteilsanforderungen hinsichtlich der Bildqualität des Messfotos bei einem Geschwindigkeitsverstoß

OLG Brandenburg v. 24.06.2010: Zu den Urteilsanforderungen hinsichtlich der Bildqualität des Messfotos bei einem Geschwindigkeitsverstoß und zur Verwertung von Videoaufnahmen


Das OLG Brandenburg (Beschluss vom 24.06.2010 - 1 Ss (OWi) 124 B/10) hat entschieden:

  1.  Bei der Messanlage ESO ES 3.0 handelt es sich um ein sog. Einseitensensormessgerät, das die Geschwindigkeit durch Lichtschranken auf der Basis einer Weg-Zeit-Messung ermittelt und bei Überschreitung des eingestellten Messwertes und nach dessen Übermittlung zur Fotoeinrichtung per Datenfunk ein Foto auslöst. Zu Beginn der Messung können zwei unterschiedliche Geschwindigkeitsgrenzwerte eingegeben werden. Das Messpersonal hat mithin zu entscheiden, welcher Grenzwert für das nächste zu messende Fahrzeug einzustellen ist und die korrekte Zuordnung der Fahrzeuge zu den Bildern zu gewährleisten. Mit diesem Messverfahren ist sichergestellt, dass die Herstellung von zur Identifikation der Betroffenen geeignetem Bildmaterial nur erfolgt, wenn zuvor durch das Messgerät eine Geschwindigkeitsüberschreitung festgestellt worden ist und mithin bei Auslösung des Fotos bereits ein Anfangsverdacht für die Begehung einer Verkehrsordnungswidrigkeit vorliegt.

  2.  Die Urteilsgründe müssen bei Identifikation des Fahrers durch ein Messfoto so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen. Hierzu kann es ausreichend sein, dass in den Urteilsgründen auf das in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug genommen wird, wodurch das Foto zum Bestandteil der Urteilsgründe wird und vom Rechtsbeschwerdegericht dann zur Prüfung der Frage, ob es als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist, selbst in Augenschein genommen werden kann. Macht der Tatrichter von dieser Möglichkeit Gebrauch und ist das Foto zur Identifizierung uneingeschränkt geeignet, so sind darüber hinausgehende Ausführungen zur Beschreibung des abgebildeten Fahrzeugführers entbehrlich. Sieht der Tatrichter von der Verweisung gemäß § 267 StPO ab, so genügt es weder, wenn er das Ergebnis seiner Überzeugungsbildung mitteilt, noch wenn er die von ihm zur Identifizierung herangezogenen abstrakten Merkmale auflistet. Vielmehr muss er dem Rechtsmittelgericht, dem das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung steht, durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung die Prüfung ermöglichen, ob es für eine Identifizierung geeignet ist. In diesem Fall muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität, dabei insbesondere zur Bildschärfe, enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere Identifikationsmerkmale in ihren charakteristischen Eigenschaften so präzise beschreiben.

  3.  Geschwindigkeitsmessungen mit dem Messgerät ES 3.0 sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und unterliegen daher keinem Beweisverwertungsverbot. Gesetzliche Grundlage für die verdachtsabhängige Herstellung von Lichtbildern sowie Videoaufzeichnungen ist § 100 h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO, der in Bußgeldverfahren gemäß § 46 Abs. 1 OWiG entsprechend anwendbar ist und im Hinblick auf seinen bereichsspezifischen Regelungsgehalt den an eine grundrechtsbeschränkende Ermächtigungsnorm zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt.


Gründe:

I.

Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel hat gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 84 km/h ein Bußgeld in Höhe von 700,00 € festgesetzt sowie ein Fahrverbot für die Dauer von zwei Monaten unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit des § 25 Abs. 2 a StVG angeordnet.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt.





II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthaft und entsprechend den §§ 79 Abs. 3 OWiG, 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.

2. Die Rechtsbeschwerde hat – vorläufigen – Erfolg; sie ist begründet und unterliegt auf die allgemeine Sachrüge hin der Aufhebung.

a) Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil die Urteilsgründe hinsichtlich des Schuldspruchs materiell-rechtlich unvollständig sind und dem Rechtsbeschwerdegericht nicht die Feststellung ermöglichen, dass es rechtsfehlerfrei ergangen ist.

Die Identifizierung des Betroffenen als Fahrer des Kfz ist nicht frei von Rechtsfehlern, die Urteilsgründe erweisen insoweit als lückenhaft.

Hierzu führt die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 4. Mai 2010 wie folgt aus:
   „Die Feststellungen des angegriffenen Urteils tragen den Schuldspruch wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften (bisher) nicht. Aus der von dem Bußgeldgericht vorgenommenen Beweiswürdigung kann nämlich nicht auf die Fahrereigenschaft des Betroffenen geschlossen werden. Ob ein Lichtbild die Feststellung zulässt, dass der Betroffene der angebliche Fahrzeugführer ist, hat allein der Tatrichter zu entscheiden. Es kann daher mit der Rechtsbeschwerde grundsätzlich nicht beanstandet werden, der Betroffene sei entgegen der Überzeugung des Tatgerichts nicht mit der auf dem Lichtbild abgebildeten Person identisch. Grundsätzlich ist die Überprüfung der tatrichterlichen Überzeugung dem Rechtsbeschwerdegericht versagt. Hinsichtlich der Identifizierung eines Betroffenen anhand eines Lichtbildes sind der freien Beweiswürdigung durch den Tatrichter jedoch Grenzen gesetzt. So lässt etwa ein sehr unscharfes Foto oder ein Foto, auf dem das Gesicht zwar nicht oder nur in einem geringen Teil abgebildet wird, eine Identifizierung durch bloßen Vergleich mit dem in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen nach den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens regelmäßig nicht zu. Je nach Qualität und Inhalt des Bildes können sich ein Vergleich mit den persönlich anwesenden Betroffenen oder einem Vergleichsbild und der Schluss auf seine Täterschaft von vornherein als schlecht, unmöglich und willkürlich erweisen. Sieht der Tatrichter den Betroffenen gleichwohl aufgrund des Lichtbildes als überführt an, so leidet das Urteil an einem Rechtsfehler, der im Rechtsbeschwerdeverfahren mit der Sachrüge beanstandet werden kann. So ist es durch das Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar, ob ein Messfoto ein geeignetes Beweismittel ist (BGHSt 41, 376 ff.). Daraus folgt für die Anforderungen an die Urteilsgründe, dass diese so gefasst sein müssen, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen. Hier hat das Gericht in den Urteilsgründen nicht ausdrücklich und eindeutig auf das in den Akten befindliche Messfoto (hinsichtlich dessen ein Beweisverwertungsverbot nicht besteht - vgl. Beschluss des BbgOLG vom 22. Februar 2010 - 1 Ss (OWi) 23 Z/10) nach § 267 Abs. 1 S. 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug genommen und es damit nicht zum Bestandteil der Urteilsurkunde gemacht. Die bloße Mitteilung der Fundstelle in den Akten genügt insoweit nicht (Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 267 Rdnr. 8 m. w. N.). Soweit die Tatrichterin (UA S. 3 und S. 5 mit den Worten ÿausweislich des Frontfotos Bl. 7 der Bußgeldakte“ bzw.“ wie sich aus dem Frontfoto Bl 7 der Bußgeldakte ergibt“ das Messfoto erwähnt, ist hier keine Bezugnahme auf dieses Lichtbild zu erkennen, sondern lediglich die Beschreibung eines Beweiserhebungsvorganges.

Das Rechtsbeschwerdegericht kann und darf daher nicht aus eigener Anschauung beurteilen ob das Messfoto als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist oder eine so schlechte Qualität aufweist, dass eine Identifizierung, auch unter Zuhilfenahme sachverständiger Beratung, nicht möglich ist. Ohne eine entsprechende Bezugnahme hätte es einer ausführlichen Beschreibung des Lichtbildes nach Inhalt und Qualität bedurft. Eine solche lässt sich dem Urteil jedoch nicht entnehmen. Aufgrund dieses Darstellungsmangels ist das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben (§ 79 Abs. 35. 1 OWiG, § 353 StPO).“

Der Senat pflichtet diesen Ausführungen bei. Die Urteilsgründe müssen bei Identifikation des Fahrers durch ein Messfoto so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen (grundlegend BGHSt 41, S. 376 ff.). Hierzu kann es ausreichend sein, dass in den Urteilsgründen auf das in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug genommen wird, wodurch das Foto zum Bestandteil der Urteilsgründe wird und vom Rechtsbeschwerdegericht dann zur Prüfung der Frage, ob es als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist, selbst in Augenschein genommen werden kann. Macht der Tatrichter von dieser Möglichkeit Gebrauch und ist das Foto zur Identifizierung uneingeschränkt geeignet, so sind darüber hinausgehende Ausführungen zur Beschreibung des abgebildeten Fahrzeugführers entbehrlich (vgl. Senatsbeschluss vom 8. August 2008, 1 Ss (OWi) 146 B/08; OLG Brandenburg, NStZ-RR 1998, S. 240; OLG Köln, NJW 2004, S. 3274). Denn dem Rechtsbeschwerdegericht ist damit die Möglichkeit eröffnet, aus eigener Anschauung zu beurteilen, ob die Abbildung als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist. Eine Bezugnahme nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO kann sich unter Umständen bereits aus dem Inbegriff des Urteils ergeben, muss aber unzweifelhaft sein (vgl. OLG Hamm, NZV 1998, S. 170; OLG Hamm, NZV 2000, S. 428). Dass das Frontfoto bzw. Videobild zum Inhalt der Urteilsurkunde gemacht worden sind, lässt sich vorliegend aus der Darlegung der richterlichen Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen nicht entnehmen.




Sieht der Tatrichter von der Verweisung gemäß § 267 StPO ab, so genügt es weder, wenn er das Ergebnis seiner Überzeugungsbildung mitteilt, noch wenn er die von ihm zur Identifizierung herangezogenen abstrakten Merkmale auflistet. Vielmehr muss er dem Rechtsmittelgericht, dem das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung steht, durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung die Prüfung ermöglichen, ob es für eine Identifizierung geeignet ist. In diesem Fall muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität, dabei insbesondere zur Bildschärfe, enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere Identifikationsmerkmale in ihren charakteristischen Eigenschaften so präzise beschreiben, dass dem Rechtsbeschwerdegericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise hier bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit des Fotos ermöglicht wird (vgl. grundlegend BGHSt 41, S. 376 ff.; vgl. auch OLG Köln, NJW 2004, S. 3274; OLG Koblenz, NStZ-RR 2001, S. 110; Senatsbeschluss vom 5. Mai 2004, 1 Ss 179 B/04; Senatsbeschluss vom 30. Juli 2008, 1 Ss (OWi) 122 B/08; Senatsbeschluss vom 8. August 2008, 1 Ss (OWi) 146 B/08).

Die Urteilsgründe genügen diesen Anforderungen nicht. Sie geben lediglich den Beweisvorgang wieder, dass nämlich das Frontfoto dem Betroffenen zugeordnet werden konnte. Sie enthalten keine notwendige Verweisung auf § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO. Die Bußgeldrichterin hat zwar einige Identifizierungsmerkmale abstrakt beschrieben, die die richterliche Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen dokumentieren soll; das Urteil lässt aber Angaben zur Bildqualität und zur Einschätzung, warum es zur Identifizierung geeignet erscheint, vermissen. Das Rechtsmittelgericht wird damit nicht in die Lage versetzt, eine Prüfung der Identifizierungstauglichkeit vorzunehmen, sondern es kann lediglich daraus die Wertung des Tatrichters ersehen.




b) Der Senat weist des Weiteren darauf hin, dass den Urteilsgründen Ausführungen zum subjektiven Tatbestand fehlen. Zwar ist im Urteilstenor von einem „fahrlässigen“ Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit die Rede, jedoch legt die ganz erhebliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 84 km/h (!) die Prüfung des Vorsatzes nahe.

c) Soweit der Betroffene mit der Verfahrensrüge einen Freispruch erstrebt, weil die mit der Geschwindigkeitsmessanlage ES 3.0 gefertigten Videoaufnahmen einem Beweisverwertungsverbot unterliegen würden, kann er damit keinen Erfolg haben.

Der Senat hat in der Besetzung nach § 80a Abs. 3 OWiG am 22. Februar 2010 (1 Ss (OWi) 23 Z/10) bereits entschieden, dass – entgegen der von der Verteidigung vertretenen Auffassung – die so genannte verdachtsabhänige Geschwindigkeitsmessung und Feststellung der Identität des Fahrers durch Aufnahme und Auswertung eines Messfotos zulässig ist und den Betroffenen nicht in seinem grundrechtlich geschützten Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt die Anfertigung von Lichtbildern anlässlich einer Geschwindigkeitsmessung ebenso wie eine entsprechende Videoaufzeichnung einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, weil und sofern hierdurch zur Datenerhebung sowohl das Kennzeichen des Kraftfahrzeugs als auch die Person des Fahrzeugführers identifiziert werden können (vgl. zur Videoüberwachung BVerfG NJW 2009, 3293 m.w.N.).

Eine zulässige Beschränkung dieses Grundrechtsschutzes erfordert eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage, die Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs bereichsspezifisch, präzise und normenklar regelt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht wird (BVerfG aaO.).

bb) Gesetzliche Grundlage für die verdachtsabhängige Herstellung von Lichtbildern sowie Videoaufzeichnungen ist § 100 h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO, der in Bußgeldverfahren gemäß § 46 Abs. 1 OWiG entsprechend anwendbar ist und im Hinblick auf seinen bereichsspezifischen Regelungsgehalt den an eine grundrechtsbeschränkende Ermächtigungsnorm zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt (Senatsbeschluss vom 22. Februar 2010, 1 Ss (OWi) 23 Z/10; ebenso OLG Bamberg NJW 2010, 100, 101; Thüringer Oberlandesgericht, Beschl. v. 6. Januar 2010 - 1 Ss 291/09; OLG Stuttgart, Beschl. v. 29. Januar 2010 - 4 Ss 1525/09; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 18. Januar 2010 - 14 L 2/10, jew. zit. n. Juris). Insofern kann offen bleiben, ob auch § 163 b Abs. 1 Satz 1 StGB oder § 163 Abs. 1 Satz 3, § 81 b StPO in Verbindung mit § 46 OWiG hinreichend spezifische Eingriffsgrundlagen für Bildaufnahmen zur Feststellung und Identifizierung von Verkehrsordnungswidrigkeiten darstellen (vgl. hierzu Krumm NZV 2009, 621; s. auch OLG Stuttgart aaO.; Göhler/Seitz, OWiG 15. Aufl. Vor § 59 Rdnr. 143).

(1.)§ 100 h StPO wurde durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG (BGBl. I 2007, 3198) als Ersatz für die im Wesentlichen inhaltsgleiche Regelung in § 100 f Abs. 1 StPO a.F. eingeführt und enthält die für den Grundrechtseingriff erforderliche gesetzliche Ermächtigung für das Herstellen von Bildaufnahmen (Absatz 1 Satz 1 Nr. 1) und für den Einsatz sonstiger besonderer für Observationszwecke bestimmter technischer Mittel (Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) auch ohne Wissen des Betroffenen außerhalb von Wohnungen (vgl. SK/Wolter, StPO § 100 h Rdnr. 1, 2). Die Ermächtigung zur Anfertigung von Bildaufnahmen in § 100 h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO dient „zur Erforschung des Sachverhalts“ und damit Ermittlungszwecken. Sie ist entsprechend ihrem Wortlaut – im Gegensatz zu § 100 h Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO - nicht lediglich auf Observationszwecke beschränkt (Senatsbeschluss vom 22. Februar 2010, 1 Ss (OWi) 23 Z/10; OLG Bamberg NJW 2010, 100, 101; OLG Stuttgart, Beschl. v. 29. Januar 2010 - 4 Ss 1525/09, in Juris). Die Maßnahme setzt entsprechend der Eingriffsnorm einfachen Tatverdacht voraus. Ihre Zulässigkeit hängt - anders als der eingriffsintensivere Einsatz von Observationsmitteln gemäß § 100 h Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO - nicht davon ab, ob Gegenstand der Untersuchung eine Straftat von erheblicher Bedeutung ist (vgl. hierzu § 100 h Abs. 1 Satz 2 StPO).


(2.) Die Ermächtigungsnorm erlaubt unter den entsprechenden Voraussetzungen die Herstellung von Bildaufnahmen, gilt in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG entsprechend auch im Bußgeldverfahren und genügt insoweit - auch wenn es hier nicht um die Verfolgung von Straftaten, sondern lediglich um die Ahndung von Verwaltungsunrecht mit gegenüber von Straftaten nur geringerem Gewicht geht - dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Der Grundrechtseingriff, der für den einer Verkehrsordnungswidrigkeit verdächtigen Betroffenen mit der Fertigung von Lichtbildern und Videoaufzeichnungen verbunden ist, steht zu dem verfolgten Zweck, die Sicherheit des Straßenverkehrs im Hinblick auf die besonderen Gefährdungen durch zu geringen Abstand bzw. überhöhte Geschwindigkeit im fließenden Verkehr zu gewährleisten, nicht außer Verhältnis (Senatsbeschluss vom 22. Februar 2010, 1 Ss (OWi) 23 Z/10; OLG Bamberg NJW 2010, 100, 101).

cc) Die gemäß § 100 h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG geltenden Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Aufnahme eines Lichtbildes, das eine Identifizierung des Betroffenen als Fahrer des mit überhöhter Geschwindigkeit fahrenden Pkws prinzipiell ermöglicht, waren im vorliegenden Fall nach den tatrichterlichen Feststellungen gegeben.

(1.) Im Zeitpunkt der Auslösung des Messfotos bestand gegen den Betroffenen der erforderliche Anfangsverdacht für die Begehung einer Verkehrsordnungswidrigkeit.

Der zuständige Messbeamte hatte die Geschwindigkeitsmessanlage vom Typ ES 3.0 vor Beginn des Messverfahrens naturgemäß so eingestellt, dass sie alle Fahrzeuge ab einer bestimmten Geschwindigkeit erfasste, im Hinblick auf die an der Messstelle geltende Geschwindigkeitsbegrenzung von 60 km/h mithin zu schnell fuhren. Bei der Messanlage ESO ES 3.0 handelt es sich um ein sog. Einseitensensormessgerät, das die Geschwindigkeit durch Lichtschranken auf der Basis einer Weg-Zeit-Messung ermittelt und bei Überschreitung des eingestellten Messwertes und nach dessen Übermittlung zur Fotoeinrichtung per Datenfunk ein Foto auslöst. Zu Beginn der Messung können zwei unterschiedliche Geschwindigkeitsgrenzwerte eingegeben werden. Welcher der beiden Grenzwerte bei der nächsten Messung herangezogen wird, steuert der Betreiber manuell (vgl. Burhoff/Böttger, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche Ordnungswidrigkeitenverfahren, 2. A. Rdnr. 1359). Das Messpersonal hat mithin zu entscheiden, welcher Grenzwert für das nächste zu messende Fahrzeug einzustellen ist und die korrekte Zuordnung der Fahrzeuge zu den Bildern zu gewährleisten (vgl. Burhoff/Böttger aaO.).

Mit diesem - wie mit anderen vergleichbaren, mit der Aufnahme von Lichtbildern oder Videoaufzeichnungen verbundenen - Messverfahren ist sichergestellt, dass die Herstellung von zur Identifikation der Betroffenen geeignetem Bildmaterial nur erfolgt, wenn zuvor durch das Messgerät eine Geschwindigkeitsüberschreitung festgestellt worden ist und mithin bei Auslösung des Fotos bereits ein Anfangsverdacht für die Begehung einer Verkehrsordnungswidrigkeit vorliegt.

Der Senat folgt nicht der zum Teil von Untergerichten vertretenen Auffassung, dass bei derartigen Sachverhalten ein Tatverdacht erst auf der Grundlage der bereits gefertigten Lichtbilder begründet werden könne und das Foto mithin aufgenommen werde, bevor ein möglicher Verdacht vorliege (so AG Eilenburg, Urt. v. 28. Dezember 2009 - 5 OWi 256 Js 32476/09; AG Grimma, Urt. v. 22. Oktober 2009 - 3 OWi 151 Js 33023/09, jeweils in Juris). Der Tatverdacht besteht vielmehr in Fällen wie dem vorliegenden bereits ab dem Zeitpunkt, in dem das Messegerät die Geschwindigkeitsüberschreitung registriert. Dass die Auslösung des Fotos nicht für jedes betroffene Fahrzeug durch den Messbeamten gesondert veranlasst wird, sondern auf einer vorab erfolgten Einstellung des Gerätes auf einen bestimmten Geschwindigkeitsgrenzwert beruht, ist demgegenüber unerheblich (so zutreffend AG Meißen, Urt. v. 14. Oktober 2009 - 13 OWi 705 Js 30975/09; Senatsbeschluss vom 22. Februar 2010, 1 Ss (OWi) 23 Z/10;).

Die Entscheidung über das Vorliegen eines Tatverdachtes obliegt grundsätzlich den Ermittlungsbeamten (§ 53 OWiG), die eine vorherige Prüfung des konkreten Einzelfalls vorzunehmen haben. Die Annahme eines Anfangsverdachtes setzt voraus, dass es nach kriminalistischen Erfahrungen möglich ist, dass eine verfolgbare Tat vorliegt, eröffnet dabei im Einzelfall einen gewissen Beurteilungsspielraum und hat wertenden Charakter (vgl. Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 152 Rdnr. 4). Für das Bußgeldverfahren gilt dies entsprechend.




Daraus folgt jedoch nicht, dass der Messbeamte bei Durchführung der Geschwindigkeitsmessung in den Vorgang jeweils selbst nochmals eingreifen und die Auslösung des Fotos nach Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung für jedes Fahrzeug manuell bewirken müsste. Dies wäre angesichts der Vielzahl der zu beurteilenden, gleichgerichteten Sachverhalte und dem erforderlichen besonders schnellen Handeln nicht praktikabel und darüber hinaus mit keinerlei qualitativem Gewinn für die Sachbehandlung verbunden. Das Bestehen des Anfangsverdachtes hängt zunächst allein davon ab, ob der Fahrer des gemessenen Fahrzeugs die Geschwindigkeitsbegrenzung überschritten hat. Weitere Feststellungen und konkret-individuelle Beurteilungen sind hierbei noch nicht erforderlich. Dies rechtfertigt es, dass die Entscheidung hinsichtlich der Annahme eines Anfangsverdachtes durch die Messbeamten dadurch antizipiert wird, dass sie die Messstelle einrichten und das Messgerät auf einen bestimmten Grenzwert einstellen, der für die Ahndung der Verkehrsverstöße der maßgebliche sein soll. Die erforderliche Individualisierung und Konkretisierung der Entscheidung über die Frage des Tatverdachtes wird dabei nicht der Messanlage überlassen, sondern bereits im Vorfeld durch die Einrichtung der technischen Voraussetzungen geschaffen (AG Meißen aaO.). Hierbei wird auch dem Opportunitätsgrundsatz (§ 47 OWiG) Rechnung getragen, weil erst ab einer bestimmten, im einzelnen von den Messbeamten festzulegenden Geschwindigkeitsüberschreitung eine Verfolgung der Sache ermöglicht und im Übrigen von einer Aufnahme von Ermittlungen abgesehen wird. Ferner dient dies auch der Gleichbehandlung aller zunächst gleichartig festzustellenden äußeren Tatumstände - nämlich die Übertretung der Geschwindigkeit um einen bestimmten Wert.

Die Herstellung des Messfotos war auch insofern zulässig, als die Erforschung des Sachverhaltes - nämlich die Identifizierung des Kraftfahrers - auf andere Weise weniger Erfolg versprechend oder erschwert ist (Subsidiaritätsgrundsatz, § 100 h Abs. 1 Satz 1 a.E. StPO).



Dies gilt im vorliegenden Fall bereits deshalb, weil der fließende Verkehr auf Autobahnen ein Anhalten verdächtiger Verkehrsteilnehmer zur Identitätsfeststellung grundsätzlich nicht hinreichend gefahrlos ermöglicht und auch sonstige, weniger intensive Eingriffe zur Identifizierung von Kraftfahrern nicht zulässt (vgl. OLG Bamberg NJW 2010, 100, 101). Der Subsidiaritätsgrundsatz ist darüber hinaus aber auch unabhängig davon, dass der Betroffene hier die Bundesautobahn befahren hat, deshalb gewahrt, weil die Geschwindigkeitsmessung und lichtbildgestützte Tatfeststellung im standardisierten Verfahren eine bewährte und nach der Erfahrung des Senats besonders zuverlässige Möglichkeit zur Ermittlung der Identität der Tatverdächtigen bietet, die durch andere Maßnahmen nicht gleichermaßen gewährleistet und ersetzt werden kann. Dies gilt nicht nur bei Geschwindigkeitsmessungen, bei denen aufgrund der besonderen Örtlichkeit und Gefahrenstelle eine sofortige Kontrolle der Fahrzeuge ohnehin nicht in Betracht kommt. Deshalb kann offen bleiben, ob das Anhalten eines Fahrzeuges mit der Aufforderung an den Fahrer, sich auszuweisen (§ 163 b Abs. 1 Satz 1 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG) generell als ein im Verhältnis zu einer Bildaufnahme schwächerer Eingriff zu bewerten (vgl. Lampe, Anmerkung zum Urteil des AG Saarbrücken vom 11. November 2009 - 22 OWi 66 Js 1585/09 (901/09), zit. n. Juris) oder aber als für den Betroffenen weniger belastend anzusehen ist (so Göhler/Seitz, aaO. Vor § 59 Rdnr. 143).

Die Herstellung eines Lichtbildes vom Betroffenen war im vorliegenden Fall im Hinblick auf dessen Geschwindigkeitsübertretung verhältnismäßig und lässt einen Verstoß gegen das Übermaßverbot nicht erkennen.

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