Das Verkehrslexikon

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OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 18.01.2011 - 1 S 233.10 - Maßgeblicher Zeitpunkt für Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer MPU-Anordnung ist der Zeitpunkt der Aufforderung

OVG Berlin-Brandenburg v. 18.01.2011: Maßgeblicher Zeitpunkt für Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer MPU-Anordnung ist der Zeitpunkt der Aufforderung


Das OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 18.01.2011 - 1 S 233.10) hat entschieden:
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 13 Nr. 2 Buchst. b FeV ist auf den Zeitpunkt der Gutachtenanforderung abzustellen. Ein danach eintretendes Verwertungsverbot für einen Verkehrsverstoß lässt die Rechtmäßigkeit der darauf gestützten Gutachtenanordnung nicht entfallen.


Siehe auch Tilgungsfristen und Tilgungshemmung bei den Eintragungen im Verkehrszentralregister (VZR) und MPU-Themen


Gründe:

Die zulässige Beschwerde, über die gemäß § 87 a Abs. 2 und 3 VwGO die Berichterstatterin entscheiden kann, ist unbegründet. Das für die Prüfung des Oberverwaltungsgerichts maßgebliche Beschwerdevorbringen des Antragstellers (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigt eine Änderung des angegriffenen Beschlusses nicht.

Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den für sofort vollziehbar erklärten Bescheid über die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragsgegners vom 15. September 2010 wiederherzustellen. Die vom Antragsteller dagegen mit der Beschwerde vorgebrachten Gründe sind nicht geeignet, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Frage zu stellen. Denn daraus ergibt sich nicht, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist und unter Berücksichtigung dessen im Rahmen von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids überwiegt.

Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtmäßig war. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 13 Nr. 2 Buchst. b FeV i.V.m. § 46 Abs. 3 FeV. Die Vorschrift schreibt zwingend die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vor, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden. Diese Voraussetzungen lagen im Fall des Antragstellers sowohl bei Erlass der Anordnung als auch bei Ablauf der ihm gesetzten Frist für die Beibringung des Gutachtens - unstreitig - vor. Der Antragsteller wurde am 14. März 2000 durch Urteil des Amtsgerichts Senftenberg wegen Trunkenheit im Verkehr verurteilt und aufgrund einer seit dem 20. August 2009 rechtskräftigen Entscheidung des Amtsgerichts Stuttgart wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 a StVG (festgestellte Atemalkoholkonzentration: 0,32 mg/l) mit einem Bußgeld belegt. Zudem fällt ihm eine Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften um 26 km/h zur Last, die mit einem seit dem 23. August 2005 rechtskräftigen Bußgeldbescheid geahndet wurde. Bereits die beiden Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss rechtfertigten die Anordnung des Gutachtens.

Dagegen wendet die Beschwerde im Kern ein, dass keine wiederholte Zuwiderhandlung vorliege, weil die mit Urteil vom 14. März 2000 geahndete Trunkenheitsfahrt wegen des Verwertungsverbots nach § 29 Abs. 8 Satz 1 StVG nicht mehr berücksichtigt werden dürfe. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei nicht auf den Zeitpunkt der Anordnung des Gutachtens oder den Fristablauf für dessen Beibringung, sondern auf denjenigen der Entziehungsverfügung bzw. des Widerspruchsbescheids abzustellen; im Zeitpunkt des Entziehungsbescheids sei die Entscheidung des Amtsgerichts Senftenberg jedoch bereits getilgt gewesen.

Der Senat folgt dieser Rechtsauffassung nicht. Nach Maßgabe des materiellen Rechts, wie es in § 13 Nr. 2 Buchst. b FeV seinen Niederschlag gefunden hat, ist eine Abweichung von dem sonst bei der Anfechtung von Fahrerlaubnisentziehungen geltenden Grundsatz, dass die Sach- und Rechtslage bei Erlass der letzten Behördenentscheidung maßgeblich ist, geboten. Das ergibt sich bereits daraus, dass die Vorschrift bei wiederholten Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss die Anordnung eines Gutachtens zwingend vorsieht, der Fahrerlaubnisbehörde mithin alternative Handlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen. Mit der von Gesetzes wegen zwingenden Gutachtenanordnung wäre es unvereinbar, wenn die nachträgliche Tilgung von Verkehrsverstößen die Rechtmäßigkeit der Anordnung beeinflussen könnte. Zudem gebieten Sinn und Zweck der Gutachtenanordnung, die der Abwehr von Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs dient, eine nachträgliche Tilgung von Verkehrsverstößen außer Betracht zu lassen. Denn die gesetzlich bestimmte sachliche Notwendigkeit für die Überprüfung der Fahreignung des Betroffenen durch Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens wird durch die nachträgliche Tilgung nicht berührt. Ein - wie hier - nach Erlass der Anordnung des Gutachtens eintretendes Verwertungsverbot für einen Verkehrsverstoß lässt die Rechtmäßigkeit der darauf gestützten Gutachtenanordnung mithin nicht rückwirkend entfallen (vgl. ebenso OVG Bautzen, Beschluss vom 24. Juli 2008 - 3 B 18/08 - juris Rn. 5 f.; OVG Greifswald, Beschluss vom 13. Februar 2007 - 1 M 13/07 - juris Rn. 7). Dass es sich bei der Anordnung des Gutachtens nicht um einen eigenständigen Verwaltungsakt, sondern nur um eine Vorbereitungsmaßnahme im Rahmen des Entziehungsverfahrens handelt, ändert entgegen der Auffassung der Beschwerde an diesen Erwägungen nichts.

Schließlich trägt auch der Einwand des Antragstellers nicht, dass infolge dieser Rechtsansicht „faktisch eine zeitlich unbegrenzte Verwertungsmöglichkeit eigentlich schon getilgter Voreintragungen“ auftrete, wenn nur rechtzeitig die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens erfolge, so dass die Verwaltungsbehörde auch noch nach Jahren die Fahrerlaubnisentziehung darauf stützen könne. Abgesehen davon, dass das vorliegende Verfahren keinen Anhalt für eine derartige zeitliche Vorgehensweise der Fahrerlaubnisbehörde bietet, ist die Frage einer etwaigen unverhältnismäßigen Verzögerung des Entziehungsverfahrens und ihrer Rechtsfolge unabhängig von der hier streitgegenständlichen Auslegung des § 13 Nr. 2 Buchst. b FeV zu beurteilen. Der von der Beschwerde konstruierte extreme Ausnahmefall kann hierauf keinen Einfluss haben.

Bestehen danach gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung des Gutachtens vorliegend keine Bedenken, durfte der Antragsgegner gemäß § 46 Abs. 3 i. V. m. § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die mangelnde Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen und ihm gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV die Fahrerlaubnis entziehen, nachdem der Antragsteller das Gutachten nicht beigebracht hatte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).



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